Bundesregierung auf Kriegskurs: Kabul und Tübingen - zwei Seiten einer Medaille

Brief aus Kabul - Am 13. Mai 2007 schrieb ein deutscher Offizier einen eindringlich warnenden Brief an Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, der hier auszugsweise wiedergegeben ist: »Es gibt keine Entschuldigung für das durch unsere westlichen Militärs erzeugte Leid unter den unbeteiligten und unschuldigen Menschen.

Ich gerate zunehmend in Widerspruch zu dem, wie die eigenen westlichen Truppen in Afghanistan agieren. Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und die ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime der Zivilgesellschaft bekämpfen. Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter den Menschen. Wir sind dabei, durch diese unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen der Afghanen zu verlieren. Ich stelle dabei zunehmend fest, dass die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generäle beschönigen oder verschweigen eigene Probleme. Das Militär droht sich zu verselbstständigen und von den politischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu lösen. Sorgen Sie bitte mit Ihren politischen Verbindungen dafür, die Militärs in die Schranken zu weisen!« Sechs Tage nach dem Verfassen dieses Briefes fanden die gezielten Anschläge auf deutsche Soldaten in Afghanistan statt, bei denen drei Bundeswehrsoldaten starben. Zwölf Tage später, am 31.05.2007, berichtete das ARD-Magazin MONITOR über die tatsächliche Lage in Afghanistan und zitierte dabei den Brief aus Kabul. Währenddessen rätselte die deutsche Öffentlichkeit noch darüber, warum nun auch Bundeswehrsoldaten zur Zielscheibe des afghanischen Widerstands wurden. Ihr Bild in den Medien war stets das von „Entwicklungshelfern in Uniform”. Sie gingen der afghanischen Bevölkerung praktisch zur Hand, sorgten für die Einrichtung sozialer Infrastruktur, bauten Kindergärten oder reparierten Krankenhäuser. Und schnell waren die Leitmedien zur Stelle, als es um die Frage der Hintermänner des Anschlags ging, um die Taliban pauschal als gefährliche Steinzeit-Islamisten darzustellen. Der Aussenminister wusste Bescheid. Und Verteidigungsminister Jung sicher auch. Sie hätten die deutsche Öffentlichkeit darüber aufklären können, womit sich auch die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan unbeliebt gemacht hatten. Stattdessen haben beide Ministerien bis heute nicht auf die dringende Warnung des militärpolitischen Beraters in Kabul reagiert.
 

Dabei handelte es sich bei dem Verfasser des ‚internen’ Briefes um keinen geringeren als einen erfahrenen Generalstabsoffizier, der seit 2006 als militärpolitischer Berater der Bundesregierung in Kabul arbeitet. Davor war er Leiter für Aufklärung und Sicherheit der Kabul Multinational Brigade der ISAF (International Security Assistance Force). Das beharrliche Schweigen der Herren Steinmeier und Jung ist verständlich. In seinem Brief fährt der Generalstabsoffizier nämlich fort, dass »die ständigen Forderungen nach Truppenverstärkung, die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer eine eigene Sprache« sprächen, mit der »die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit militärischer Gewalt als Lösung der inneren und äusseren Probleme Afghanistans« zum Ausdruck käme. Wenn die deutsche Regierung tatsächlich daran interessiert wäre, die Bundeswehr nur zu friedlichen Zwecken im Ausland einzusetzen, hätte dieser Brief zum sofortigen Kurswechsel in der Afghanistan-Politik führen müssen. Der Bundestag hatte ganz eindeutig einen ausschliesslich ‚friedlichen’ Einsatz deutscher Truppen genehmigt. Doch der Bericht aus Kabul passt nicht in die militärischen Ambitionen der deutschen Regierung, die schon längst ganz andere als friedliche Ziele verfolgt. Man lässt bewusst die dringende Warnung vor einer Verselbständigung des deutschen Militärs verhallen und verschweigt die Loslösung von den politischen Vorgaben des Bundestagsmandats. Das Verteidigungsministerium verdient seinen Namen nicht mehr. Es sollte längst wieder ’Kriegsministerium’ heissen.


Quelle: http://politblog.net/krieg-terrorismus/bundesregierung-auf-kriegskurs.htm