Schreiben an die Deutsche Bundeskanzlerin

Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin,

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses offenen Briefes, wenden uns an Sie mit der Bitte, alles Ihnen Mögliche zu tun, um einen Krieg der USA gegen den Iran zu verhindern. Alles deutet auf einen bevorstehenden, umfassenden Luftkrieg der Vereinigten Staaten gegen den Iran. Studien der International Crisis Group zeigen, ein Angriff würde sich nicht auf die Zerstörung atomarer Anlagen beschränken. Die Flugzeugträger Stennis und Eisenhower sind bereits vor Irans Küsten stationiert. Laut »Guardian« vom 10. Februar ist ein dritter Flugzeugträger in Richtung Persischer Golf unterwegs. Die drei Flugzeugträger und ihre Verbände verfügen über Waffen, die ausreichen, um die gesamte militärische und zivile Infrastruktur Irans, einschliesslich Brücken, Autobahnen, Elektrizitätskraftwerken, Raffinerien, Wasserversorgungseinrichtungen, vollständig zu zerstören. Zur Abwehr iranischer Raketen gegen US-Kriegsschiffe wurden im Südirak Patriot-Raketen stationiert. Namhafte Experten wie Sam Gardiner, Seymour Hersh und Daniel Ellsberg wenden sich seit Wochen mit alarmierenden Appellen gegen einen neuen Krieg der US-Regierung. Am 4. 2. warnten drei ehemalige Kommandanten des US-Militärs in der »Sunday Times» eindringlich vor den katastrophalen Folgen eines Militärschlages. Ähnlich äusserte sich in München auch der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark. Die «New York Times» vom 9. Februar  lieferte bereits unverblümt Vorwände für einen Angriff auf den Iran, indem sie diesen für den Tod von 170 US-Soldaten im Irak verantwortlich macht. Gegen die Verbreitung solcher Vorwände wendete sich kein geringerer als Zbigniew Brzezinski. Er warnte Anfang Februar vor dem Aussenpolitischen Ausschuss des amerikanischen Senats Präsident Bush davor, Beweise für eine «defensive» Militäraktion gegen den Iran zu konstruieren. Die Situation heute erinnert an die Lügenpropaganda in den Monaten vor dem Irakkrieg. Leider gibt es keinen Anhaltspunkt, dass der amerikanische Präsident auf eine diplomatische Lösung hinarbeitet. Den Dialog mit dem Iran lehnt er trotz der Empfehlungen der Baker-Kommission ab. Seine ständigen Beteuerungen, den diplomatischen Weg bevorzugen zu wollen, dienen der Täuschung des amerikanischen Volkes und der Europäer. In der politischen Führung der Vereinigten Staaten scheinen sich diejenigen durchgesetzt zu haben, die entschlossen sind, das Regime der Islamischen Republik zu beseitigen und den Iran durch Vernichtung nicht nur der atomaren Anlagen, sondern sämtlicher militärischer und relevanter ökonomischer Kapazitäten zu einer unbedeutenden Macht in der Region zurückzubomben. Geschieht dies tatsächlich, so wird damit der gesamte Nahe Osten in ein Chaos gestürzt, das für den Weltfrieden die grösste Gefährdung darstellt - ganz zu schweigen von den schweren politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen in der Welt, nicht zuletzt auch auf Deutschland. Der US-Präsident handelt mit seinen Wahnsinnskriegsplänen gegen die Mehrheit der Amerikaner, auch gegen viele in seiner eigenen Partei. Ein weiteres gemeinsames Vorgehen mit Bush im Iran-Konflikt entbehrt unseres Erachtens jeglicher politischer und moralischer Legitimation, vielmehr kann es nur als Billigung seiner Angriffspläne verstanden werden.

 

 

 

Sehr verehrte Frau Merkel, wegen Gefahr im Verzug bitten wir Sie zu handeln. Verhindern Sie diesen Krieg und dass Deutschland und die Europäische Union für ein Desaster unvorstellbaren Ausmasses mit verantwortlich gemacht werden wird. Erteilen Sie im Namen Deutschlands dem Einsatz von militärischer Gewalt gegen den Iran eine unmissverständliche Absage. Fordern Sie die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf, sich in gleicher Weise zu äussern. Treten Sie für neue Verhandlungen mit der iranischen Führung ohne Vorbedingungen ein und berücksichtigen Sie dabei die rechtliche Grundlage des Atomwaffensperrvertrages. Setzen Sie sich für den baldigen Beginn einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ein, um damit den friedlichen Dialog in der Region zu eröffnen. Denn entweder gibt es eine gemeinsame Lösung für die aktuellen Konflikte in der Region, oder es gibt einen Flächenbrand, Chaos und neues Unglück für die Menschheit.

 

 

 

In der Hoffnung, dass der Frieden durch Anstrengungen von vielen Seiten gesichert werden kann, verbleiben wir hochachtungsvoll!

 

 

 

Hans-Christof Graf von Sponeck (ehem. UN-Beauftragter im Irak für das Projekt «Öl für Lebensmittel»)

Prof. Dr. h.c. Karlheinz Koppe (Friedensforscher, Bonn)

Prof. Dr. Ekkehart Krippendorf (Politikwissenschaftler, Berlin)

Friedrich Schorlemmer (Bürgerrechtler, Lutherstadt Wittenberg)

Prof. Dr. Oskar Negt (Soziologe, Hannover)

Prof. Dr. Christine Morgenroth (Psychotherapeutin, Hannover)

Prof. Dr. Peter Grottian (Politikwissenschaftler, Berlin)

Dr. Gerald Mader (Friedensforscher, Stadtschlaining, Österreich)

Prof. Dr. Werner Ruf (Politikwissenschaftler/Nordafrikaexperte, Kassel)

Prof. Dr. Andreas Buro (Friedensforscher, Gräven Wiesbach)

Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Politikwissenschafter/Mittel- und Nahostexperte, Osnabrück)

Dr. Peter Strutynski (Friedensforscher, Kassel)

Dr. Angelika Claussen (Vorsitzende der IPPNW, deutsche Sektion, Bielefeld)

Dr. Ulrich Gottstein (Ehrenvorsitzender der IPPNW, deutsche Sektion, Frankfurt/M.)

Prof. Dr. Hans-Peter Dürr (Kernphysiker, München)

 

 

 

i. A. Prof. Dr. Mohssen Massarrat,  Hofbreede 64, 49078 Osnabrück, mohssen.massarrat@uos.de; Quelle: Zeit-Fragen Nr. 8 vom 27. 2. 2007;  www.zeit-fragen.ch



 
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin,
 
wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses offenen Briefes, wenden uns an Sie mit der Bitte, alles Ihnen Mögliche zu tun, um einen Krieg der USA gegen den Iran zu verhindern. Alles deutet auf einen bevorstehenden, umfassenden Luftkrieg der Vereinigten Staaten gegen den Iran. Studien der International Crisis Group zeigen, ein Angriff würde sich nicht auf die Zerstörung atomarer Anlagen beschränken. Die Flugzeugträger Stennis und Eisenhower sind bereits vor Irans Küsten stationiert. Laut »Guardian« vom 10. Februar ist ein dritter Flugzeugträger in Richtung Persischer Golf unterwegs. Die drei Flugzeugträger und ihre Verbände verfügen über Waffen, die ausreichen, um die gesamte militärische und zivile Infrastruktur Irans, einschliesslich Brücken, Autobahnen, Elektrizitätskraftwerken, Raffinerien, Wasserversorgungseinrichtungen, vollständig zu zerstören. Zur Abwehr iranischer Raketen gegen US-Kriegsschiffe wurden im Südirak Patriot-Raketen stationiert. Namhafte Experten wie Sam Gardiner, Seymour Hersh und Daniel Ellsberg wenden sich seit Wochen mit alarmierenden Appellen gegen einen neuen Krieg der US-Regierung. Am 4. 2. warnten drei ehemalige Kommandanten des US-Militärs in der »Sunday Times» eindringlich vor den katastrophalen Folgen eines Militärschlages. Ähnlich äusserte sich in München auch der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark. Die «New York Times» vom 9. Februar  lieferte bereits unverblümt Vorwände für einen Angriff auf den Iran, indem sie diesen für den Tod von 170 US-Soldaten im Irak verantwortlich macht. Gegen die Verbreitung solcher Vorwände wendete sich kein geringerer als Zbigniew Brzezinski. Er warnte Anfang Februar vor dem Aussenpolitischen Ausschuss des amerikanischen Senats Präsident Bush davor, Beweise für eine «defensive» Militäraktion gegen den Iran zu konstruieren. Die Situation heute erinnert an die Lügenpropaganda in den Monaten vor dem Irakkrieg. Leider gibt es keinen Anhaltspunkt, dass der amerikanische Präsident auf eine diplomatische Lösung hinarbeitet. Den Dialog mit dem Iran lehnt er trotz der Empfehlungen der Baker-Kommission ab. Seine ständigen Beteuerungen, den diplomatischen Weg bevorzugen zu wollen, dienen der Täuschung des amerikanischen Volkes und der Europäer. In der politischen Führung der Vereinigten Staaten scheinen sich diejenigen durchgesetzt zu haben, die entschlossen sind, das Regime der Islamischen Republik zu beseitigen und den Iran durch Vernichtung nicht nur der atomaren Anlagen, sondern sämtlicher militärischer und relevanter ökonomischer Kapazitäten zu einer unbedeutenden Macht in der Region zurückzubomben. Geschieht dies tatsächlich, so wird damit der gesamte Nahe Osten in ein Chaos gestürzt, das für den Weltfrieden die grösste Gefährdung darstellt - ganz zu schweigen von den schweren politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen in der Welt, nicht zuletzt auch auf Deutschland. Der US-Präsident handelt mit seinen Wahnsinnskriegsplänen gegen die Mehrheit der Amerikaner, auch gegen viele in seiner eigenen Partei. Ein weiteres gemeinsames Vorgehen mit Bush im Iran-Konflikt entbehrt unseres Erachtens jeglicher politischer und moralischer Legitimation, vielmehr kann es nur als Billigung seiner Angriffspläne verstanden werden.
 
Sehr verehrte Frau Merkel, wegen Gefahr im Verzug bitten wir Sie zu handeln. Verhindern Sie diesen Krieg und dass Deutschland und die Europäische Union für ein Desaster unvorstellbaren Ausmasses mit verantwortlich gemacht werden wird. Erteilen Sie im Namen Deutschlands dem Einsatz von militärischer Gewalt gegen den Iran eine unmissverständliche Absage. Fordern Sie die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf, sich in gleicher Weise zu äussern. Treten Sie für neue Verhandlungen mit der iranischen Führung ohne Vorbedingungen ein und berücksichtigen Sie dabei die rechtliche Grundlage des Atomwaffensperrvertrages. Setzen Sie sich für den baldigen Beginn einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ein, um damit den friedlichen Dialog in der Region zu eröffnen. Denn entweder gibt es eine gemeinsame Lösung für die aktuellen Konflikte in der Region, oder es gibt einen Flächenbrand, Chaos und neues Unglück für die Menschheit.
 
In der Hoffnung, dass der Frieden durch Anstrengungen von vielen Seiten gesichert werden kann, verbleiben wir hochachtungsvoll!
 
Hans-Christof Graf von Sponeck (ehem. UN-Beauftragter im Irak für das Projekt «Öl für Lebensmittel»)
Prof. Dr. h.c. Karlheinz Koppe (Friedensforscher, Bonn)
Prof. Dr. Ekkehart Krippendorf (Politikwissenschaftler, Berlin)
Friedrich Schorlemmer (Bürgerrechtler, Lutherstadt Wittenberg)
Prof. Dr. Oskar Negt (Soziologe, Hannover)
Prof. Dr. Christine Morgenroth (Psychotherapeutin, Hannover)
Prof. Dr. Peter Grottian (Politikwissenschaftler, Berlin)
Dr. Gerald Mader (Friedensforscher, Stadtschlaining, Österreich)
Prof. Dr. Werner Ruf (Politikwissenschaftler/Nordafrikaexperte, Kassel)
Prof. Dr. Andreas Buro (Friedensforscher, Gräven Wiesbach)
Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Politikwissenschafter/Mittel- und Nahostexperte, Osnabrück)
Dr. Peter Strutynski (Friedensforscher, Kassel)
Dr. Angelika Claussen (Vorsitzende der IPPNW, deutsche Sektion, Bielefeld)
Dr. Ulrich Gottstein (Ehrenvorsitzender der IPPNW, deutsche Sektion, Frankfurt/M.)
Prof. Dr. Hans-Peter Dürr (Kernphysiker, München)
 
i. A. Prof. Dr. Mohssen Massarrat,  Hofbreede 64, 49078 Osnabrück, mohssen.massarrat@uos.de; Quelle: Zeit-Fragen Nr. 8 vom 27. 2. 2007;  www.zeit-fragen.ch