Billig muss es sein

politonline: Dies scheint das alles durchdringende Motto der Wertegemeinschaft EU zu werden. Es zeigt einmal mehr, wie viele von uns eigentlich nur noch als Ware eingestuft und jeweils gerade so einprogrammiert werden, wie es die Umstände erfordern. Dies zeigt der nachfolgende Bericht von GFP. Wie man angesichts des Vulkans, auf dem wir wegen des dem Iran in üblicher Selbstherrrlichkeit angedrohten Kriegs sitzen, gerade auf dem afrikanischen Kontinent, den man immer noch als eine Art von Pulverfass betrachten kann, in der dargelegten Weise vorausplanen will, ist schwer begreiflich. Was die humane Einstellung der EU betrifft, so tritt diese in der absolut verächtlichen Bezeichnung vernutzbares Personal und Nutzungsdauer zutage. Auch die Speicherung der biometrischen Merkmale grenzt an Degradierung. Machen wir ruhig so weiter, katalogisieren wir auch noch die Arbeitskräfte. Es fehlt dann nur noch die Bedingung, dass diesen vernutzbaren Menschen zwangsweise der schon längst entwickelte Chip unter die Haut gepflanzt wird. Es ist unendlich tragisch, dass die Afrikaner noch immer keine Handhabe gegen ihre mehrheitlich total korrupte Oberschicht haben, die ihnen Verhältnisse bereitet, durch die sie den untengenannten Konditionen ausgesetzt werden. Die Migration kann nicht länger die Lösung sein. Die Erfordernis ist ganz klar, dafür zu sorgen, dass die Erträge aus den Ressourcen Afrikas nicht länger an den Völkern vorbeigeschleust, sondern dazu eingesetzt werden, dass die Afrikaner in ihren Heimatländern ein menschengerechtes Dasein führen können. Alles andere ist unmenschlich.

Rekrutierungsbüro
Die Eröffnung des ersten EU-Rekrutierungsbüros für saisonale afrikanische Arbeiterkontingente steht in Bamako (Mali) bevor. Das "Informations- und Verwaltungszentrum Migration", das dort zur Zeit mit Personal und Geld aus Brüssel aufgebaut wird, wirbt auf Bestellung europäischer Unternehmen Billigarbeiter aus Afrika an und entspricht damit Forderungen Berlins. Hintergrund sind Berechnungen, denen zufolge die Staaten der EU in den kommenden 20 Jahren Millionen außereuropäischer Arbeitskräfte benötigen werden. Um die Einwanderung nach Europa auf vernutzbares Personal zu beschränken, verschärft die Bundesregierung die Abwehr unerwünschter Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen und will die Kompetenzen der Grenzschutzagentur Frontex ausweiten. Sie soll in Zukunft eigenständig hoheitliche Tätigkeiten auf dem Territorium von EU-Mitgliedstaaten übernehmen dürfen. Beim Treffen der EU-Innen- und Justizminister am kommenden Donnerstag steht die Bildung von Frontex-»Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke« auf der Tagesordnung. Wie aus Marokko berichtet wird, führt die Abschottungspolitik der EU dort zu neuen humanitären Katastrophen. Die Behörden des Landes haben seit Ende Dezember mehr als 500 Flüchtlinge in ein Wüstengebiet an der Grenze zu Algerien deportiert und setzen damit ihre mörderische Praxis der vergangenen Jahre fort. Rabat führt dies auf Absprachen mit der EU zurück.
 
Nutzungsdauer
In der malischen Hauptstadt Bamako wird noch in diesem Jahr das erste "Informations- und Verwaltungszentrum Migration" (Centre d'information et de gestion des Migrations/CIGM) die Arbeit aufnehmen. Die Einrichtung wird in der deutschen Presse als "EU-Jobcenter" bezeichnet. [1] Vermittelt über die jeweiligen Regierungen, nimmt das "Zentrum" Personalwünsche europäischer Unternehmen entgegen und teilt ihnen Billigarbeiter aus den afrikanischen Armutsstaaten zu. Deren Einreisevisa sind an Arbeitsverträge gekoppelt; beides wird in Bamako ausgefertigt. Gegebenenfalls werden die Arbeiter mit Sprachkursen und branchenspezifischen Trainingsmaßnahmen an den Bedarf der europäischen Firmen angepasst. Nach einer Nutzungsdauer von sechs bis neun Monaten müssen sie wieder aus der EU ausreisen. Um die Kontrolle zu vereinfachen, werden ihre biometrischen Merkmale gespeichert und ein elektronischer Vermerk mit dem Ende des Arbeitszeitraums angelegt. [2] Zudem will Brüssel mit sämtlichen afrikanischen Herkunftsstaaten sogenannte Rücknahmeabkommen schließen, die die Abschiebung überflüssig gewordener Arbeitskräfte erleichtern.
 
Netzwerk
Das Zentrum in Bamako, dessen Aufgaben EU-Entwicklungskommissar Louis Michel in der vergangenen Woche mit der formal verantwortlichen malischen Regierung besprochen hat, gilt als Modellprojekt für entsprechende Einrichtungen in weiteren afrikanischen Staaten. Allein für migrationsregulierende Vorhaben in Mali und Senegal stellt Brüssel rund 40 Millionen Euro zur Verfügung. Perspektivisch soll ein "Netzwerk" von Rekrutierungsbüros in ganz Afrika entstehen. Die EU-Kommission beabsichtigt, Angaben über qualifizierte afrikanische Arbeitskräfte in einer Datenbank zu sammeln, um Arbeiterreserven für europäische Unternehmen zur Verfügung zu haben. Hintergrund sind Berechnungen, denen zufolge im Jahr 2030 aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in Europa bis zu 90 Millionen Arbeitsplätze von außereuropäischem Personal bedient werden müssen. [3] Derzeit verlangen vor allem Betriebe aus der südeuropäischen Landwirtschaft sowie aus der dortigen Bau- und Tourismusbranche nach Billigpersonal für die jeweilige Saison.
 
Gebückte Haltung
Die Einrichtung von Rekrutierungsbüros in Afrika folgt einem Kompromiss, den der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) und sein italienischer Amtskollege Giuseppe Pisanu im Sommer 2004 aushandelten. [4] Hintergrund war der anhaltend hohe Bedarf an afrikanischer Billigarbeit in Italien sowie in weiteren südeuropäischen Staaten. Damals gestand Berlin den Regierungen Italiens, Spaniens und Frankreichs zu, Arbeiter aus Afrika ins Land holen zu dürfen, verlangte aber im Gegenzug eine strikte Abschottung der EU-Außengrenzen gegen unkontrollierte Einwanderung. Die Bundesrepublik selbst bezieht saisonales Niedriglohnpersonal aus Osteuropa und hat die phasenweise Zufuhr von Arbeitskräften und ihren pünktlichen Abschub längst gesetzlich geregelt. [5] Im Jahr 2004 etwa erteilten die deutschen Behörden Arbeitern aus osteuropäischen Staaten insgesamt 333.710 Arbeitserlaubnisse, die jeweils auf maximal vier Monate befristet waren. Die Arbeitsbedingungen gelten vor allem in der Landwirtschaft, in der mehr als 90 % der sogenannten Saisonarbeiter beschäftigt sind, als katastrophal. "Nicht selten 12 Stunden täglich, meist in gebückter Haltung, Sonne und Regen ausgesetzt", heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2005 über die Tätigkeit des kontingentiert anforderbaren Billigpersonals: das Ganze bei einem tariflichen Stundenlohn von 5,42 Euro. [6]
 
Soforteinsatzteams
Während das erste EU-Rekrutierungsbüro in Bamako die Vorbereitung auf seine Tätigkeit abschließt, treibt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Abschottung der EU-Außengrenzen voran. Bei der Konferenz der EU-Innen- und Justizminister am kommenden Donnerstag steht unter anderem die Bildung von "Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke" durch die Grenzschutzagentur Frontex auf der Tagesordnung. Berliner Plänen zufolge sollen die Frontex-Sondertrupps in Zukunft exekutive Befugnisse in ihrem Einsatzgebiet erhalten. [7] Der Vorschlag hebelt faktisch die Souveränität der Staaten an den Rändern der EU aus: Die Kontrolle ihrer Außengrenzen soll einer nicht demokratisch legitimierten EU-Behörde übertragen werden. Brüssel hat dafür den Frontex-Etat in diesem Jahr auf rund 22 Millionen Euro aufgestockt.
 
Schüsse
Die von Berlin forcierte Abschottungspolitik der EU führt inzwischen in Marokko zu neuen humanitären Katastrophen. Wie aus dem nordafrikanischen Land berichtet wird, haben die dortigen Behörden seit Ende Dezember mehr als 500 Flüchtlinge in ein Wüstengebiet an der Grenze zu Algerien deportiert. Sie wurden "mitten in der Nacht bei Temperaturen um die 0 Grad dort ausgesetzt und mit Schüssen gezwungen, Marokko zu verlassen", heißt es. [8] Algerische Sicherheitskräfte jagten die Flüchtlinge ihrerseits mit Schüssen nach Marokko zurück. Damit wiederholen sich erneut dramatische Szenen, wie sie zuletzt im Herbst 2005 von der europäischen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurden. Auch damals deportierten marokkanische Sicherheitskräfte Tausende in die Wüste, mindestens elf Menschen wurden beim Versuch, in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla einzureisen, erschossen.
 
Zum Opfer gefallen
Wie es in Rabat heißt, beruft sich die Regierung des nordafrikanischen Landes auf Absprachen mit der EU, um den offenkundigen Bruch mehrerer internationaler Flüchtlingskonventionen zu legitimieren. Demnach führen die marokkanischen Behörden ihre Maßnahmen auf der Grundlage von Beschlüssen durch, die von den Mitgliedstaaten der EU und zahlreichen afrikanischen Ländern auf einer Konferenz im vergangenen Juli gefällt wurden. [9] Der europäischen Flüchtlingsabwehr muss sich inzwischen offenbar auch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) beugen. Wie Kritiker berichten, hat der für Marokko zuständige UNHCR-Vertreter im Januar zugesagt, Flüchtlinge nur noch in Übereinstimmung mit Rabat zu registrieren und Kritik nicht mehr öffentlich zu äußern. [10] Damit fällt ein weiterer Bestandteil des internationalen Flüchtlingsschutzes der Berliner Migrationspolitik zum Opfer.
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56739 vom 11.02.2007
Lesen Sie auch unser EXTRA-Dossier Festung Europa.
[1] EU-Jobcenter mitten in Afrika; Berliner Zeitung 09.02.2007
[2] Kommission für GastarbeiterInnen auf Zeit; Der Standard 09.02.2007
[3] s. dazu Lagerrevolten
[4] s. auch Avantgarde der Lager, Schilys Schleuser und Import-Export
[5] Entsprechende Regelungen wurden seit den 1970er Jahren in zwischenstaatlichen Übereinkünften etabliert, sie nehmen seit 1990 einen starken Aufschwung.
[6] Hilfe aus dem Osten. Saisonarbeitnehmer stützen Deutschlands Landwirtschaft; Integration in Deutschland 2/2005
[7] Frontex soll die Festung sichern; tagesschau.de 15.01.2007. Zu Frontex s. auch Die Herren der Meere, Frontex und Zur Ausnahme werden
[8] Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes; www.fluechtlingsrat-hamburg.de
[9] s. dazu Lagerrevolten
[10] Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes; www.fluechtlingsrat-hamburg.de. S. auch Zu den Toten von Kairo kommen noch mehr