Antidiskriminierungs-Totalitarismus - von Patrick Freudiger, Stadtrat in Langenthal

Kaum ein Thema eignet sich heute besser zur politischen Profilierung als das Engagement für Minderheiten, seien es zahlenmässige (Ausländer) oder gefühlte (Frauen). Gleichstellungsbüros, Antidiskriminierungsmassnahmen, die Antirassismuskommission oder political correctness sind nur einige Beispiele dafür. Jede Form von Minderheitenschutz baut dabei auf demselben Denkmuster auf: Die Gesellschaft besteht aus Mehrheiten und Minderheiten, wobei die Mehrheit sich immer zu Lasten der Minderheit bereichert, sie ausnützt und ihren sozialen Aufstieg verunmöglicht. Deshalb braucht es mutige Politiker, die Partei für die Schwachen, Unterdrückten - also ?die Guten? - ergreifen. Mit Hilfe des Staates, versteht sich. Da es sich dabei um eine gute Sache handelt, gelten kritische Fragen als hinterwäldlerisch und Skeptiker stehen unter Generalverdacht, unmoralisch zu sein. Staatlicher Minderheitenschutz ist zu einer modernen Ersatzreligion geworden.

Konjunktur hat diese Ersatzreligion überall dort, wo Reglementierungswut generell Konjunktur hat: Als Paradebeispiel dient die Europäische Union, wo bekanntlich nichts dem Zufall überlassen wird: Nicht einmal die Krümmung der Bananen oder die Länge der Gurken. Es existieren deshalb auch nicht weniger als vier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung [unten angefügt]. Geplant ist zudem ein europäisches Gleichstellungsbüro zur Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau. Kostenpunkt: 52,5 Millionen Euro (82 Millionen Franken) allein für den Zeitraum 2007 - 2013. Per Richtlinien und Institute soll also nach dem Wunsch der Funktionäre im Brüsseler Bürokratensumpf tatsächliche und geglaubte Diskriminierung aus der Welt geschaffen werden. Als Vorbild dienen die USA, wo der gesetzliche Antidiskriminierungs-Aktivismus bereits seit längerem Realität ist. Doch statt der wirklich Benachteiligten profitieren davon in erster Linie die Anwälte (mit dem Resultat einer wuchernden Prozessindustrie) oder irgendwelche Minderheitsorganisationen, die Einzelfälle für eigene Imagekampagnen missbrauchen. Die angeblichen Diskriminierungsopfer schliesslich sind nur allzu oft weder arm noch ausgegrenzt, sondern bestens in der Berufswelt integriert, wie die Karrierefrauen, die wegen harmloser Witzchen von Berufskollegen erfolgreich Klagen in Millionenhöhe auf Grund von sexueller Belästigung führen. Gerade solch klagefreudige Sensibelchen offenbaren die Farce dieser Antidiskriminierungs-Industrie.
 
Zurück zu Europa: Alle EU-Richtlinien müssen bekanntlich von den Mitgliedstaaten widerstandslos in ihr nationales Recht umgesetzt werden. So trat am 18. August dieses Jahres in Deutschland ein Gesetz ‚zur allgemeinen Gleichbehandlung’ (AGG) in Kraft, auch wenn bei der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten noch redaktionelle Fehler im Gesetzestext bestanden hatten. Das Gesetz geht sogar noch über die Vorgaben der EU hinaus, obwohl sich die heute mitregierende CDU vor den Wahlen noch dagegen gewehrt hatte. Niemand darf, so das Gesetz, wegen ‚der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität’ benachteiligt werden (§ 1 AGG). Die Beweislast in einem Verfahren trägt die beklagte (!) Gegenpartei, sobald das angebliche Diskriminierungsopfer nur glaubhafte Indizien vorlegt, die eine Diskriminierung vermuten lassen (§ 22 AGG). Als Diskriminierung gelten auch ‚mittelbare Benachteiligungen’. Ein solcher Fall ist gegeben, ‚wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen (…) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können’ (§ 3 Abs. 2 AGG). Dieser Begriff führt zu erheblichen Unklarheiten. So fragt etwa der Deutsche Anwaltverein, ob bereits eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn sich im Speiseangebot eines Restaurants keine Speisen befinden, die den islamischen oder mosaischen Vorschriften entsprechen, so dass strenggläubige Muslime oder Juden dort nicht essen können.
 
Was bewirkt das AGG konkret? In einer Stellenausschreibung dürfen in Zukunft z.B. keine festen Altersangaben mehr gemacht werden, da man sonst ältere Kandidaten diskriminieren würde. Praktisch jede Personalentscheidung wird kontrollfähig. Jedes Bewerbungsgespräch muss protokolliert, mehr Dokumente müssen archiviert und mehr rechtliche Prüfungen eingeleitet werden. Kündigungsmöglichkeiten werden zudem erschwert. Bei Verstössen drohen den Unternehmen Schadenersatzforderungen inkl. abschreckender Schmerzensgeldsummen nach amerikanischem Vorbild.
 
Das AGG gilt jedoch nicht nur im Bereich der Arbeitsverhältnisse, sondern auch in Bezug auf die Berufsbildung resp. -beratung, Weiterbildung, Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden, den Sozialschutz, die Bildung sowie auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, inkl. Wohnräume (§ 2 AGG). Vermieter, die über zahlreiche Wohnungen verfügen, sind vom AGG ebenso betroffen wie Versicherungsgesellschaften, die abgelehnte Versicherungsanträge zukünftig umfassend dokumentieren müssen, um keine Klage zu riskieren. Eine staatliche Kontrollbehörde schliesslich soll den verordneten Gleichstellungstotalitarismus überwachen und eine „Kultur der Antidiskriminierung“ schaffen.
 
Die Antidiskriminierungsmassnahmen sind objektiv betrachtet massivste Eingriffe in die Vertragsfreiheit, einem entscheidenden Fundament jeder freien Gesellschaft. Die Freiheit, mit wem man privat autonom in irgendeiner Weise zusammenarbeiten will und mit wem eben nicht, ist nicht etwa ein Vehikel des gut situierten Besitzbürgertums, sondern der Garant für Wohlstand. Denn Vertragsfreiheit verbindet individuelles Profitstreben mit Nutzen für die Mitmenschen. Einschränkungen der Vertragsfreiheit schaden damit letztlich allen: Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) warnt deshalb, dass sich die im AGG aufgestellten Klagemöglichkeiten und Kündigungshürden negativ auf die Beschäftigungszahlen auswirken werden: ‚Vor allem werden die Chancen derer verringert, die dringend einen Arbeitsplatz suchen. Denn die Folge wird sein, dass sich die Unternehmen bei Neueinstellungen zurückhalten werden.’ Hinter dem staatlichen Aktivismus für Minderheiten verbirgt sich ein tiefes Misstrauen gegen die Freiheit. Man traut den Menschen nicht zu, dass sie ihr Leben selbst in einer für alle zufriedenstellenden Weise regeln können. Stattdessen glaubt man an den Staat, der eine gerechte und von Vorurteilen befreite Gesellschaft schaffen könnte.
 
Die Praxis jedoch widerlegt dieses Ideologiekonstrukt: Jeder arbeitende Ausländer, der nicht vom staatlichen Artenschutz profitiert, entkräftet ein Vorurteil besser als irgendeine Antidiskriminierungsrichtlinie. Wer sich andererseits als Arbeitgeber von Vorurteilen leiten lässt und einen Arbeitnehmer nicht einstellt, obwohl dieser besser qualifiziert wäre, der wird keinen optimalen Unternehmensgewinn erzielen. Vorurteile sind insofern ökonomisch nachteilig und werden in einer freien Wirtschaft von selbst verschwinden. Die freie Gesellschaft schafft die Grundlagen, auf denen sie selbst aufbaut: Dem Leistungsprinzip; fernab von unberechtigten Vorurteilen. Staatliche Massnahmen jedoch hemmen einerseits die Leistungsbereitschaft der angeblich Diskriminierten und schaffen eine Hängematte-Mentalität: Wenn jemand keine Arbeit findet, ist nicht mehr er schuld, sondern die böse Gesellschaft. Gleichzeitig zementieren gutgemeinte Antidiskriminierungsmassnahmen die Vorurteile, die man eigentlich bekämpfen will. Nicht selten muss sich eine Frau in einer Führungsposition heute beispielsweise mit dem Vorwurf herumschlagen, sie sei eine ‚Quotenfrau’ und nur dank staatlicher Minderheitenförderung in diese Position gelangt - ob zutreffend oder nicht. Die ganze Penetranz dieses Antidiskriminierungs-Totalitarismus wird vollends klar mit der Forderung nach einer ‚Kultur der Antidiskriminierung’. Eine staatlich verordnete Kultur (oder besser: Ersatzreligion) bedeutet nichts anderes, als dass alle Lebensbereiche erfasst und verpolitisiert werden: Es tobt der totale Krieg (gegen Diskriminierung). Dunkle Erinnerungen an Zeiten, wo Staat und Religion noch nicht getrennt waren, werden wach.
 
Deutschland ist dem Antidiskriminierungs-Totalitarismus bereits erlegen. Die freiheitlichen Kräfte sind in der deutschen Demokratie nicht mehr stark genug, um das immer monströsere Anwachsen des Staates zu bremsen. Die Schweiz dagegen ist nicht EU-Mitglied und braucht daher die entsprechenden Richtlinien nicht in nationales Recht umzusetzen. Doch auch hier bedroht der politisch korrekte Antidiskriminierungs-Totalitarismus unsere Freiheit. In einer Pressemitteilung der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) ist z.B. zu lesen: Die EKR ‚beobachtet mit Sorge die diskriminierenden Einlassverweigerungen in Discos, Bars und Nachtclubs.’ Um dann gleich zu drohen: ‚Diese sind nach der Rassismusstrafnorm Art. 261bis Abs. 5 des Strafgesetzes verboten.’ Die EKR stört sich insbesondere an den angeblich fragwürdigen Kriterien zur Vergabe von Member-Cards. Ein anderes Beispiel ist das seit 10 Jahren bestehende Gleichstellungsgesetz (GlG), das eine Diskriminierung von Angestellten aufgrund des Geschlechts verbietet. Das Verbot gilt ‚insbesondere bei Anstellung, Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung’. (Art. 3 Abs. 2 GlG). Hier wird die Vertragsfreiheit genauso ausgehebelt wie im AGG. Die angeblich Diskriminierten profitieren darüber hinaus von einer Beweislasterleichterung wie im AGG. Das ebenfalls staatlich alimentierte Gleichstellungsbüro lotet auf seiner Homepage Möglichkeiten aus, wie sich frau gegen eine ‚diskriminierende Stellenausschreibung’ wehren kann. 
 
Wie lange wird die Freiheit in der Schweiz noch über den Antidiskriminierungs-Totalitarismus obsiegen? Oder ist die Büchse der Pandora nicht auch in der Schweiz schon geöffnet worden?
 
Die vier Antidiskriminierungsrichtlinien der EU:
Die Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und Religion (2000), die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000), die Richtlinie zur Veränderung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (2002) und die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (2004).
 
Das geplante Europäische Insitut für Gleichstellungsfragen soll unter anderem ‚objektive, zuverlässige und vergleichbare Informationen zur Geschlechtergleichstellung erfassen, analysieren und verbreiten, sowie ein neues Instrumentarium zur Unterstützung des Gender-Mainstreaming entwickeln - d.h. zur regelmässigen Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei allen gesellschaftlichen Vorhaben. Das Institut soll die Gleichstellungssituation in Europa ermitteln, ein europäisches Netzwerk zur Geschlechtergleichstellung einrichten und koordinieren, Sitzungen mit Sachverständigen durchführen sowie Konferenzen, Kampagnen und Seminare organisieren.’ (Quelle: Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste, Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen)