Wirtschaftskannibalismus pur

Wal-Mart ist in Deutschland gescheitert. Die deutschen Bundesbürger haben rechtzeitig geahnt und erkannt, wohin der Grossverteilerkoloss steuert. Nämlich in die Deflation und Arbeitslosigkeit. Die Tiefpreispolitik des amerikanischen Warenhauskonzernes Wal-Mart hat eben für die Volkswirtschaft eine gute und eine schlechte Ökonomie. Die rigorose Tiefpreispolitik hat zwar eine bremsende Wirkung auf die Inflation. Gleichzeitig wird jedoch die Mittelklasse vollständig zerstört. Wer Wal-Mart beliefert, tut dies nicht lange.

Als Lieferant von Wal-Mart zu gelten, ist mit Vor- und Nachteilen verbunden. Grossabschlüsse sind verlockend und garantieren ein gewisses Absatz-Soll der Lieferanten, allerdings bei minimalen Gewinnmargen. Die Falle ist, wenn sie zuschnappt, äusserst gefährlich, und selten können sich die Zulieferer aus ihr noch befreien. Spätestens nach der dritten jährlichen Verhandlungsrunde können die Lieferanten dem planmässigen Preisdruck nicht mehr standhalten, weil sie sich bereits zu lange dem Preisdiktat unterworfen und dabei die übrigen Abnehmer vernachlässigt haben. Der Ruin ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wer sich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem Grossabnehmer begibt, darf sich nicht wundern, wenn die Cavotte tödlich zuschnappt. Sinkende bzw. niedrige Preise führen in der Regel auch zu tiefen Löhnen. Wal-Mart ist bekannt für schlechte Löhne. Eine Verkäuferin kann von ihrem Monatsgehalt nicht leben. Gedrückte Löhne führen früher oder später zu einem Kaufkraftschwund und Unterbeschäftigung. Bei niedrigem Lohnniveau ist der Arbeitnehmer gezwungen, die billigsten Produkte zu kaufen, mit dem Resultat, dass die Konkurrenz von Wal-Mart systematisch ausgeschaltet wird. Die freie Marktwirtschaft feiert nicht nur Triumphe, sondern schadet jeder gemischten Volkswirtschaft epidemisch. Ist das absolute Verkaufsmonopol jedoch einmal erreicht, dann gelangt die Käufermasse in ein Zwangsverhältnis zur Qualität und dem Angebotspreis. Eine solche Entwicklung ist von Seiten der Konsumenten keinesfalls erwünscht und schon gar nicht ratsam. Vernünftige Preise - nicht Höchstpreise - sichern die Arbeitsplätze und Vollbeschäftigung. Die Geschäftspolitik, wie sie von Wal-Mart betrieben wird, bedeutet den Untergang der so viel gerühmten freien Marktwirtschaft. Für viele Amerikaner, dem Ursprungsland des Warenhaus-Giganten, ist Wal-Mart eine Ambivalenz zwischen Gut und Böse. Die Mutter kauft für die Familie billig ein, während der Vater am Ende des Monats die Kündigung erhält, weil in seiner Firma die Erträge die Kosten nicht mehr decken, und Familien somit zu Sozialempfängern werden. Wer etwas anderes behauptet, der belügt sich selbst und macht sich über den wahren Sachverhalt Illusionen. Skrupellose Vermarkter drücken die Preise auf Kosten der Anbieter und bringen ganze Industriezweige in kürzester Zeit zum Schaden ganzer Volkswirtschaften zur Strecke. Hoffentlich erkennt die hiesige Bevölkerung längerfristig die Gefahr eines grossräumigen Massenangebotes zu einmaligen Dumpingpreisen. Recht und Gerechtigkeit bestehen nur zwischen Gleichstarken. Sonst machen die Starken was sie wollen, und die Schwachen erleiden, was sie müssen.
 
Ernst Heimgartner, Finanzintermediär