Wie man sich Schritt um Schritt die Macht aneignet - Waffen klar

Der libanesische Widerstand gegen die Übergabe elementarer Hoheitsrechte an das deutsche Militär ist weitgehend zusammengebrochen. Beirut wollte der faktischen Besetzung des Landes entgehen und den militärischen Vormarsch der europäischen Kernmächte aufhalten. Deutsche Truppen werden in den libanesischen Hoheitsgewässern operieren, ohne auf Beiruter Belange Rücksicht nehmen zu müssen. Die englische Regierung drängt das Land zur Annahme von "Militärhilfe". Frankreich leitet den Gesamteinsatz und knüpft an seine Kolonialgeschichte an. Ziel der Aktionen ist die weitere Einkesselung Syriens, um Umsturzbewegungen in fast sämtlichen Nachbarstaaten zu fördern ("Greater Middle East"). Über den deutschen Anteil bei der Besetzung des Libanons entscheidet das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch. Der in Berlin hartnäckig verfolgte Einsatz von Marineeinheiten schafft zudem einen Präzedenzfall für bislang nicht erlaubte Zwangskontrollen von Schiffen auf Hoher See. Man verfüge über geeignete Gewaltmittel, um auch ohne Rechtsgrundlage zivile Boote zu kapern, heißt es bei der Bundeswehr.

Nach mehrwöchigem Tauziehen um den Einsatz eines deutschen Militärkontingents vor der libanesischen Küste hat die Bundesregierung die von den Vereinten Nationen erwartete formelle Anforderung erhalten. Ursache der Verzögerungen war das Verlangen Berlins, der Libanon müsse seine international verbürgten Rechte aufgeben und die staatliche Verfügung über sein Küstengebiet Bundeswehreinheiten überlassen. Beirut hingegen bestand auf eigener Kontrolle der nationalen Küstengewässer, in die deutsches Militär nur auf libanesische Anforderung einlaufen darf.[1] Der jetzt in New York ausgehandelte Text enthält das von Berlin verlangte Mandat: Er gibt den Kriegsschiffen das Recht, Seefahrzeuge in der Kontrollzone anzuhalten, abzulenken, zu untersuchen und bei Widerstand durch Beschuss fahrunfähig zu machen. Verhandelt wird derzeit noch über den Einsatzplan für die Bundesmarine und über die detaillierten Einsatzregeln.
 
Kein Placebo
Nach dem derzeitigen Stand würde vor dem libanesischen Festland ein Seegebiet von 45 Seemeilen Tiefe und 130 Seemeilen Länge von dem geplanten Flottenverband unter deutscher Führung kontrolliert. Deutsche Kriegsschiffe dürfen sich demnach innerhalb der gesamten libanesischen Küstenzone frei bewegen; dass bestimmte Teile als "vorrangiges Operationsgebiet" der kleinen libanesischen Marine festgelegt werden sollen, bedeute nicht, dass diese für die Deutschen tabu sind, heißt es. Von einem "reinen Placebo-Auftritt der Bundesmarine irgendwo weit außerhalb der libanesischen Küstengewässer" könne keine Rede mehr sein.[2]
 
Kein Mitspracherecht
Unklar sind immer noch die Zugriffsrechte innerhalb der libanesischen Hoheitsgewässer, die Berlin vollständig für sich beansprucht. Der libanesischen Regierung, die darauf besteht, dass der Libanon trotz der Präsenz von UN-Soldaten ein souveränes Land bleibt, hat Berlin angeboten, einen Offizier des libanesischen Oberkommandos an Bord des deutschen Führungsschiffes zu nehmen und zu "konsultieren". Ein Veto- oder Mitspracherecht bei der Einsatzplanung und den Entscheidungen soll damit allerdings keinesfalls verbunden sein.[3] Der Berliner Formelkompromiss degradiert den libanesischen Souverän und weist ihm einen Zuschauerstatus bei Gewalthandlungen fremder Truppen im eigenen Land zu.
 
Halbweich
Berlin ist nicht gewillt, in dieser Frage Zugeständnisse zu machen. Die deutsche Marine brauche die "gesamte, direkte Kontrolle der Seewege", fordert der Admiral a.D. Hans Frank, bis vor kurzem Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.[4] Militärexperten der Regierungsparteien erklären, die Intervention müsse völlig in Frage gestellt werden, wenn die Soldaten nicht "frei agieren" könnten.[5] Auch bei der ehemaligen Regierungspartei Bündnis 90/Grüne wird diese Position geteilt: "Der Auftrag macht nur Sinn, wenn man im gesamten Küstengebiet patrouillieren und gegebenenfalls Zwangskontrollen durchführen darf. Dabei darf es keine langwierigen Abstimmungsprozeduren im Einzelfall mit der libanesischen Seite geben", sagte das Mitglied im Verteidigungsausschuss Alexander Bonde (Bündnis 90/Die Grünen).[6] Die Parteiredner folgen den frühzeitig aufgestellten Forderungen hochrangiger deutscher Militärs, die den Libanon-Einsatz als Kampfauftrag verstehen. Alles andere wäre "ein ziemlich halbweiches Produkt" [7], sagte Bundeswehrgeneral a.D. Klaus Naumann bereits Ende August. Naumann ist ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.
 
Zangenlage
Die deutschen Forderungen weisen auf den politischen Gesamtzusammenhang der Libanon-Operationen hin. Wie die US-Außenministerin Condoleezza Rice bei Beginn des Libanon-Krieges betonte, waren die mit Israel abgestimmten Militärschläge als "Geburtswehen eines neuen Mittleren Ostens" [8] zu verstehen, zu dem man "vorwärtsschreiten" wolle, statt "zum alten zurückkehren." Laut diesem Konzept ("Greater Middle East") muss die gesamte Ressourcenregion aufgerollt werden, wobei sowohl diplomatische und subversive als auch militärische Mittel zum Einsatz kommen dürfen. Die Besetzung des Libanons eröffnet die Möglichkeit, bis an die Grenzen Syriens vorzurücken, das dortige Regime durch militärischen Druck zu schwächen und den Iran, den Wunschgegner der USA, eines Zweckverbündeten zu berauben. Gegenüber Damaskus kommt den maritimen deutschen Kampfverbänden die beabsichtigte Drohfunktion zu: Sie patrouillieren in direktem Grenzkontakt mit syrischen Marineeinheiten. Damit gerät der Mittelmeerzugang Syriens in eine Zangenlage der NATO: Im Norden durch türkisches Militär, im Süden durch die Bundeswehr. Feindliche Begegnungen mit der in syrischen Gewässern verkehrenden Zivilschiffahrt sind vorprogrammiert.
 
Kreativ
Der "effektive Einsatz" deutscher Marineeinheiten schafft zudem einen Präzedenzfall für bislang nicht erlaubte Zwangskontrollen von Schiffen auf Hoher See. Berlin arbeitet gemeinsam mit anderen Regierungen (USA, Frankreich, Großbritannien und 14 weitere Staaten der westlichen Hemisphäre) seit Jahren im Rahmen einer "Sicherheitsinitiative" ("Proliferation Security Initiative", PSI) an als "kreativ" bezeichneten Maßnahmen, um die gültigen Rechtsnormen der Seeschifffahrt zu ändern oder Möglichkeiten zu ihrer Umgehung zu finden. Der Organisationsverbund PSI maßt sich das Recht an, die Freizügigkeit des weltweiten Straßen-, Schienen- oder Luftverkehrs nach Belieben einzuschränken und insbesondere auf Hoher See Schiffsladungen zu kontrollieren - vorgeblich zum Schutz vor Massenvernichtungswaffen.[9] [politonline: die sie selbst produzieren, deren Endabnehmer sie jedoch infolge des weltweiten Waffentransfers nur noch schwer kontrollieren können] Anfang dieses Jahres hatte der Marineinspekteur bereits eine weitergehende Ausdehnung der deutschen Handlungsmöglichkeiten gefordert: Die Marine will auch ohne die bisher notwendige Einwilligung der betroffenen Kapitäne Schiffe besetzen und in den nächsten Hafen dirigieren können. Zudem will sie ermächtigt werden, auf kontrollierten Schiffen Festnahmen vorzunehmen, was bislang ohne das Einverständnis des Verdächtigten nicht möglich ist.[10]
 
Vorkehrungen
Am Horn von Afrika, wo die Marine im Rahmen der US-Operation "Enduring Freedom" das Seegebiet überwacht, haben die deutschen Militärs demonstriert, was unter den als "kreativ" bezeichneten Maßnahmen zu verstehen ist. Weil "die nahen Kriegsschiffe Respekt einflößen", heißt es bei der Bundeswehr, stimmen Kapitäne ziviler Boote den Durchsuchungen in der Regel zu - auch ohne Rechtsgrundlage.[11] Der Kommandant der am Horn von Afrika eingesetzten "Emden", Fregattenkapitän Thomas Jensen, erläutert, wie dieser Respekt mit vorgehaltenen Waffen eingeflößt wird: "Boarding bedarf der Zustimmung des Kapitäns. Nehmen die das überhaupt ernst? Die jeweiligen Kapitäne nahmen uns in allen Fällen ernst, denn sie verhielten sich in jedem Fall kooperativ. (...) Allerdings haben wir entsprechende Vorkehrungen getroffen, wie etwa die Waffen auf der Fregatte klar zu haben."[12]
 
[1] s. auch Schuss vor den Bug
[2] Deutsche Marine darf vor der Küste kreuzen; Tagesspiegel 12.09.2006
[3] Der Einsatz der Marine rückt näher; Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.09.2006
[4] "Marine braucht ganze Kontrolle"; Hessisch/Niedersächsische Allgemeine 11.09.2006
[5] Koalitionspolitiker wollen mehr Handlungsfreiheit für Marine; WELT.de 12.09.2006
[6] Sieben-Meilen-Problem; Tagesspiegel 08.09.2006
[7] "Ein ziemlich halbweiches Produkt"; Deutschlandradio 21.08.2006
[8] s. dazu Interview mit Dr. Pierre Hillard
[9] s. dazu Waffenhandel (I), Verkehrskontrolle und Piraten
[10] s. dazu Zugriff
[11] Boarding am Horn von Afrika; www.bundeswehr.de 01.08.2006
[12] "Ein Mehr an Sicherheit"; www.bundeswehr.de 01.08.2006
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56510 vom 13. 9. 06