Schreiben an den Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz vom 24. 1. 2006

Sehr geehrter Herr Wiefelspütz, in der Angelegenheit der geheimen Flüge der CIA resp. der geheimen Gefängnisse erlaube ich mir, Ihnen als attachment das von mir an das MdB Fritz Kuhn gerichtete Schreiben zugehen zu lassen, ebenso die Information von Réseau Voltaire, die diesem zugrunde liegt. Aus beiden gehen die notwendigen Einzelheiten hervor. Sie selbst versprachen am 13. Dezember 05 folgendes: So total transparent solle es ab Mittwoch im Bundestag zugehen, dass danach ein Untersuchungsausschuss »völlig überflüssig« sei. Inzwischen ist ein ganzer Monat verstrichen, ohne dass Aussenminister Steinmeier oder die Diskussionen im Bundestag diese gross angekündigte Transparenz erbracht hätten. Dank Informationsdiensten wie German Foreign Policy und dem einen oder anderen Artikel in der Tagespresse wissen wir inzwischen immerhin so viel, dass feststeht, dass die Erfordernis eines Untersuchungsausschusses unumgänglich ist. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich sogar der Meinung, dass ein solcher selten so notwendig war wie jetzt. Nicht nur in der Sache der Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes im Irak, sondern vor allem hinsichtlich der von Réseau Voltaire aufgedeckten NEW TRANSATLANTIC AGENDA, ein Geheimabkommen, das belegt, dass Brüssel die CIA zu den zur Debatte stehenden Aktivitäten ermächtigt hat. Es ist ferner davon auszugehen, dass der bekannte Autor und Leiter von Réseau Voltaire, Thierry Meyssan, es nicht wagen würde, diese höchst brisante Information ins Internet zu stellen, ohne über die entsprechenden Beweise zu verfügen.

Hinzu kommt, dass es ausgeschlossen ist, dass die Mitgliedländer des EU-Ministerrats über dieses Geheimdokument nicht informiert wurden. Ebenso sicher dürfte es sein, dass Aussenminister Steinmeier das Dokument beim Besuch von Condoleezza Rice in Brüssel eingesehen hat. Es liegt also am Bundestag, ihm die notwendigen Fragen zu stellen. 
 
Wie den Nachrichten zu entnehmen war, wurde bereits im Vorfeld der heute erfolgten Krisensitzung im Bundeskanzleramt von Regierungsmitgliedern erklärt, weitere öffentliche Diskussionen über die deutsche Zusammenarbeit mit Deportations- und Folterabteilungen von Drittstaaten müssten wegen der monatelangen Beunruhigung unbedingt verhindert werden. Ganz im Gegenteil, die Empörung der Öffentlichkeit wird sich erst dann legen, wenn wir die volle Wahrheit wissen, andernfalls käme dies einem Rückfall ins Zeitalter der Daumenschrauben gleich. Weiter hiess es heute: Die Enthüllungen über ungesetzliche Tätigkeiten des Bundesnachrichtendienstes und der übrigen Sicherheitsapparate seien für die Staatsraison abträglich. Die wehrlos der Folter übereigneten Menschen spielen also keine Rolle, was zählt ist lediglich die Staatsraison, die ich durch diese Vorgänge allerdings als restlos entehrt betrachte. Darüber hinaus erachte ich eine derartige Aussage als eine von absoluter Unmenschlichkeit und grenzenloser Arroganz getragene Einstellung, die die öffentliche Abscheu über die Handlungsweise der Verantwortlichen noch verstärken dürfte. Man sollte nicht glauben, dass sich die Befürworter solcher Auffassungen noch auf dem Boden der Realitäten befinden.
 
Am 25. 11. 05 zitierte Spiegel online folgende Worte von Ihnen: »Was die Amerikaner auf ihren Air Bases machen, ist ganz weitgehend ihre Sache.« Deutschland übe keinerlei Kontrolle aus, »wer da an Bord ist und was die Ladung ist. Das ist von uns auch so gewollt.« Unter ‚uns’, denke ich, verstehen Sie Ihre Partei. Ich nehme nicht an, dass Ihnen hier alle Parteimitglieder folgen können, die Mehrheit der Deutschen jedenfalls mit Sicherheit nicht. Auch wenn man uns nach wie vor als besetztes Land betrachten kann, geschehen diese Dinge auf unserem Boden und nach all den Kriegsgreueln, die wir der anglo-amerikanischen Ölmacht verdanken, kann es nicht hingenommen werden, dass hier keine Kontrolle erfolgt.
 
Es hat durchaus den Anschein, als würde bislang Undenkbares denkbar. Bereits forderte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, dass erzwungene Geständnisse aus Folterstaaten von Bundesbehörden genutzt werden dürfen. Vermutlich ist ihm in seinen wohlgeheizten Büroräumen und im Genuss seines durch unsere heute mehrheitlich sauer erarbeiteten Steuergelder finanzierten Jahresgehalts bereits jegliches Gefühl dafür abhanden gekommen, was es bedeutet, in Ländern wie Syrien oder Jordanien, deren Einrichtungen allein schon in ihrer Grundsubstanz meilenweit von den unsrigen entfernt sind, der unkontrollierten Folter ausgesetzt zu werden. Man sollte ihm nahelegen, das für ‚christlich’ stehende ‚C’ in der Bezeichnung seiner Partei gegen ein der Wahrheit näherkommendes simples ‚K’ für Kommerz auszutauschen.
 
Da Sie sich selbst indirekt für eine Aushöhlung des Misshandlungsverbots aussprachen, dass man [nämlich] mit Folterstaaten »im Interesse unseres Landes« mit der nötigen Sensibilität umgehen müsse  - eine für Mitgefühl empfindende Menschen nicht nachvollziehbare Einstellung -  komme ich leider nicht umhin, Sie in etwa auf der gleichen Linie wie Wolfgang Bosbach zu sehen. Die Verwendung des Ausdrucks Sensibilität in einem derartigen Zusammenhang stellt einen regelrechten Missbrauch des Wortes dar. Es ist unglaublich, zu welchen Schlüssen diejenigen gelangen, die wir zur Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den Bundestag gewählt haben. Das Erschreckendste ist, dass wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, dass die insgesamt ungeheuerlichen Vorgänge, die jetzt nach und nach ans Licht des Tages treten, Sie und zahlreiche weitere Mitglieder des Bundestags nicht einmal erschüttern. In einem Interview mit German Foreign Policy befürchtete übrigens die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dass sich die "Duldung und Kooperation bei menschenrechtswidrigen Aktivitäten der CIA" fortsetzen könnte, eine Umschreibung für den offenkundigen Souveränitätsverlust durch Verschmelzung der deutschen Apparate mit den Sicherheitsbehörden einer fremden Macht.
 
Da Sie schon mit dem Begriff Transparenz operieren, wäre es höchst wünschenswert, dass Sie sich bei Ihren Kollegen Matthias Wissmann und Friedbert Pflüger sowie bei Frau Merkel einmal erkundigten, was auf der Bilderberger-Konferenz Anfang Mai letzten Jahres in Rottach-Egern, wo diese zugegen waren, besprochen wurde, ohne dass dies in den regulären Medien je zur Sprache gekommen wäre. Herr Wissmann war im übrigen auch auf der Konferenz in Stresa in 2004 anwesend. Ich weiss nicht, ob es begriffen wird, dass sich sowohl die Teilnehmer als auch die Mitwisser in den Augen all derer, die sich das Bekanntmachen der Konferenzen sowie des Hintergrunds der Bilderberger zum Ziel gesetzt haben, absolut lächerlich, wenn nicht verdächtig machen, indem weiterhin versucht wird, die jährlichen Zusammenkünfte vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Eine weitere Möglichkeit für Sie bestünde darin, den ebenfalls in Rottach-Egern anwesenden, zum damaligen Zeitpunkt noch das Amt des Bundeskanzlers innehabenden Gerhard Schröder darauf anzusprechen, vielleicht mit Erfolg, da er inzwischen andere Funktionen wahrnimmt.
 
Falls die Transparenz auch dieses Mal nicht dazu ausreicht, von Brüssel zu verlangen, die New Transatlantic Agenda öffentlich zu machen und der gesamten EU-Bevölkerung vorzulegen, dann können wir unserer Scheindemokratie endlich das ihr schon lange zustehende Staatsbegräbnis zukommen lassen. Denn bei derart verachtenswerten und unvorstellbar primitiven Mitteln wie dem Einsatz von Folter und der Errichtung von Geheimgefängnissen wird es uns, um den von Aussenminister Steinmeier benutzten Ausdruck zu verwenden, speiübel, mit dem Unterschied, dass letzterer diesen zu einem Zeitpunkt benutzte, als er vermutlich noch glaubte, die jetzt bekannt gewordenen Irregularitäten unter Verschluss halten zu können, während es uns speiübel ist, weil unser Vertrauen in die Rechtschaffenheit zahl-reicher Volksvertreter resp. Beamter bitterlich enttäuscht worden ist. Sollten Sie in Sachen Bilderberger wider Erwarten nicht auf dem Laufenden sein, so darf ich Ihnen den auf www.politonline.ch  erschienenen Artikel ‚Die Bilderberger-Konferenz 2005’ empfehlen, dessen Lektüre sicherlich keine Verschwendung Ihrer Zeit darstellen würde.
 
Um eine kurze Eingangsbestätigung dieses e-mails darf ich Sie bitten.
 
Mit freundlichen Grüssen  Doris Auerbach
 
 
Kopie:
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