Die britische Herstellung des Mythos der »syrischen Revolution« - Von Thierry Meyssan 15.03.2020 20:17
Es sind neue Dokumente über die Organisation der britischen Propaganda
gegen
Syrien durchgesickert. Sie helfen zu verstehen, wie gutgläubige Journalisten
ständig mit dem Mythos der »syrischen
Revolution« indoktriniert wurden
und warum sich Grossbritannien trotz des Erfolgs dieser Operation aus Syrien
zurückzog.
Demokratie
erfordert ehrliche öffentliche Debatten. Propaganda wäre daher das Vorrecht
undemokratischer Regimes. Doch die Geschichte lehrt uns, dass die moderne
Propaganda im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten während des
Ersten Weltkriegs konzipiert wurde und dass die UdSSR und Nazi-Deutschland nur
blasse Nachahmer waren.
Während
des Krieges gegen Syrien haben wir oft erklärt, dass die Realität vor Ort in
keiner Weise dem Bild entsprach, das der Westen davon hatte. Wir haben die
Herstellung von Beweisen durch die US-amerikanischen, britischen, französischen
und türkischen Geheimdienste angeprangert, Beweise, die die westlichen
Aggressionen verbargen und eine Revolution gegen eine Diktatur glaubhaft machen
sollten.
Während
das Vereinigte Königreich seit 2018 nicht mehr vor Ort ist, hat der Journalist
Ian Cobain soeben in ›Middle
East Eye‹ offizielle britische
Dokumente veröffentlicht, die uns darüber aufklären, wie London gutgläubige
Journalisten zuerst massiv manipuliert und sich dann zurückgezogen hat. [1] Cobain
hatte bereits im ›Guardian‹ im Jahr 2016 Enthüllungen über die
Organisation des MI6 in dieser Angelegenheit veröffentlicht. [2]
Zunächst einmal ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Briten
überhaupt nicht das gleiche Ziel verfolgten wie ihre US-Verbündeten. London
hoffte, seinen Einfluss aus der Kolonialzeit [wie Paris] zurückzugewinnen. Das Vereinigte Königreich
glaubte nicht, dass die Vereinigten Staaten beabsichtigten, die staatlichen
Strukturen des gesamten erweiterten Nahen Ostens zu zerstören [Rumsfeld/Cebrowski-Strategie]. Deshalb konzipierte es die Operation des arabischen
Frühlings nach dem Vorbild der ›Grossen
arabischen Revolte‹ von Lawrence von
Arabien. [Die Muslimbruderschaft spielt jetzt die Rolle der Wahhabiten im
Ersten Weltkrieg]. Die Propaganda der Briten war daher dazu ausgedacht, ein neues
Syrien um diese Bruderschaft herum zu schaffen und Syrien nicht so zu spalten,
wie es die CIA wollte und es immer noch will.
Da
der Westen bereits von den Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen
überzeugt war, war es also leichter, ihm ein viertes Einsatzgebiet zu
verkaufen. Gutgläubige Journalisten waren von Revolutionären - eigentlich türkischen und
NATO-Geheimdiensten - in ein syrisches
Dorf, Dschabal Al-Zaouia, gebracht worden, um an Kundgebungen der Freien
Syrischen Armee (FSA) teilzunehmen und diese zu filmen. Viele wurden dabei manipuliert,
so dass sie an einen Volksaufstand glaubten. Als diese Inszenierung von Daniel
Iriarte in der spanischen Tageszeitung ›ABC‹ angeprangert wurde, da Iriarte vor
Ort nicht syrische Kämpfer, sondern
Libyer unter dem Befehl von Aldelhakim Belhadsch und Mehdi al-Harati erkannt
hatte [3], weigerte sich die Presse, die
Manipulation, deren Objekt sie war, anzuerkennen. Die Unfähigkeit von
Journalisten, ihre Fehler einzugestehen, auch wenn manche ihrer Kollegen sie
aufdecken, bleibt der beste Trumpf der Meister der Propaganda.
Wie
immer benutzten die Briten der ›RICU‹ (Research, Information and Communications Unit) einen Wissenschaftler,
hier einen ›Anthropologen‹, um die Manipulation zu überwachen. Dieser
übertrug die Durchführung des Projekts mehreren Subunternehmern, darunter einem
ehemaligen MI6-Offizier, Colonel Paul Tilley; das Wort ›ehemalig‹ ist hier
wichtig, um die Verantwortung leugnen zu können, wenn die Operation schiefläuft.
Um näher an das Terrain zu kommen, wurden drei Ad-hoc-Büros von
MI6-Subunternehmern in Istanbul, Reyhanli (Türkei) und Amman (Jordanien)
geöffnet, während die CIA von Deutschland aus tätig war.
Die
Operation begann mit der Chemiewaffen-Affäre im Sommer 2013, als das Unterhaus,
das während des Krieges gegen den Irak durch Propaganda betrogen wurde, dem
Verteidigungsministerium strengstens untersagt hatte, Truppen dorthin zu
entsenden. Infolgedessen wurde das ursprüngliche Budget des Foreign Office
erhöht und vom britischen Verteidigungsministerium sowie den kanadischen und
US-Behörden übernommen, wobei das Militär keine anderen Mittel mehr hatte, um
einzugreifen. Die Originalität der unter anderem von ›InCoStrat‹ (Innovative Communications and Strategies) geleiteten Operation besteht darin, dass sie
als handelsbezogene Partnerschaft ohne Bezug zu den britischen Behörden
dargestellt wurde. Die Syrer, die daran teilnahmen, fühlten sich nicht als
Verräter ihres Landes, sondern glaubten lediglich, dass sie eine Gelegenheit
gefunden hatten, Geld zu verdienen, um trotz des Krieges zu überleben. In Bezug
auf ihren Lebensstandard war die gezahlte Vergütung in der Tat sehr hoch.
Das
System der ›Bürgerjournalisten‹ war sehr sparsam im Vergleich zu den
500.000 £ pro Monat des britischen Budgets (50 bis 200 $ für ein Video, 250 bis
500 $ für reguläre Freiberufler), um Informationen oder Beweise zu finden, die
die Repression des Regimes gegen die eigene Bevölkerung bezeugten. Diese
Materialien, einmal sortiert, wurden vom MI6 an die BBC, Sky News Arabic, Al-Jazeera
(Katar) und Al-Arabiya (Saudi-Arabien) geschickt, vier Sender, die sich
vollständig an den westlichen Kriegsanstrengungen beteiligen, unter Verstoss
gegen UN-Resolutionen, welche Kriegspropaganda ja verbieten. Die syrischen
Mitarbeiter mussten sich schriftlich verpflichten, anonym zu bleiben - es sei denn, dass dies ausdrücklich
genehmigt wurde - und sie brauchen ihre
Verbindungen zu welchem Unternehmen auch immer nicht offenzulegen. Die
westlichen gutgläubigen Journalisten, die nicht in der Lage waren, die
syrischen Bürgerjournalisten zu identifizieren und den Kontext der Videos und
anderer Beweise zu überprüfen, was die Daseinsberechtigung ihres Berufs ist, liessen
sich vom Lärm der vier Fernsehsender überzeugen.
Ian
Cobains Dokumente belegen, dass diesem internationalen Ziel ein Ziel in Syrien
hinzugefügt wurde. London wollte gegenüber den Extremisten eine Änderung der
Haltung der Öffentlichkeit zugunsten der Gemässigten herbeiführen. In diesem
Punkt scheint es nicht so, dass ›Middle
East Eye‹ erkannt hätte, dass diese Worte nicht im
herkömmlichen Sinne, sondern im Lichte der Entscheidungen von Premierminister
Tony Blair interpretiert werden sollten. Letzterer hatte bei der Entwicklung
des Plans des arabischen Frühlings gefordert, dass die Regierung ihrer Majestät
›mässig antiimperialistische‹ Führer wie die Muslimbruderschaft als
Verbündete betrachten solle, während die Gegner, wie das nationalistische
Regime der syrischen Baath-Partei, ›antiimperialistische
Extremisten‹ waren. [4].
Der
Anthropologe, der das Programm überwachte, wies auch auf die Notwendigkeit hin,
Notdienste zu schaffen - die Freie
Polizei und die Weisshelme des ›ehemaligen‹ MI6-Offiziers James Le Mesurier
- nicht so sehr, um der Bevölkerung zu
helfen, sondern um Vertrauen in die kommenden Institutionen einzuflössen, wenn das
Regime der nationalen Union der Baath besiegt sein würde. In diesem
Zusammenhang verwies er auf den Plan für die totale und bedingungslose Kapitulation
Syriens, den der Deutsche Volker Perthes für die Nummer 2 der UNO, Jeffrey
Feltman, entworfen hatte [5], und den
die Briten also falsch interpretiert hatten. Diese Meinungsverschiedenheit ist
die Hauptursache für das Versagen dieser Operation, als Washington versuchte,
mit Daesch und dem ›Freien Kurdistan‹, mit der türkischen PKK und der
irakischen KDP ›Sunnistan‹ zu schaffen. Da die Briten hiernach
dachten, dass dies nicht mehr ihr Krieg sei, beschlossen sie, sich
zurückzuziehen.
Das
MI6-Programm hatte drei Komponenten:
- Syrische Identität: Die Syrer durch die
positive Bekräftigung gemeinsamer Kulturen und Praktiken zu vereinen und das
Vertrauen unter den Nachbarn wieder herzustellen, indem man die zahlenmässige
Stärke der Syrer veranschaulichte.
- Freies Syrien: Der Versuch, Vertrauen in ein
zukünftiges Syrien aufzubauen, ohne ein extremistisches Regime.
- Untergrabung: Der Versuch, die Wirksamkeit
gewalttätiger extremistischer Netzwerke (EN) in Syrien zu beeinträchtigen,
indem die Glaubwürdigkeit von EN-Erzählungen und -Akteuren untergraben wird und
EN-Organisationen von der Bevölkerung isoliert werden."
Laut
Ian Cobains Dokumenten bildeten die MI6-Subunternehmer auch syrische
Oppositionssprecher aus, entwickelten Social-Media-Konten und organisierten 24
Stunden lang arbeitende Pressebüros. Sie zitierten jedoch nicht das Design der
Logos und die Hollywood-Inszenierungen, von denen wir, wie bei der
Militärparade in Ghouta, mit Panzern und mit Statisten vor der Kamera
marschierend, berichteten.
Die
Pressestellen wollten syrische Oppositionssprecher mit westlichen Journalisten
in Verbindung bringen und sie vor den Gesprächen instruieren. Auf diese Weise
nahm die westliche Presse gutgläubig an, ihre Informationen von unabhängigen
Quellen und kostengünstig erhalten zu können. Wenn auch zunächst alle
internationalen Medien Reporter während der bis Mitte 2012 währenden Destabilisierungsphase
vor Ort schickten (wo die Briten manipulierten), gibt es heute keine Reporter
mehr dort.
Der
Westen hat sich daran gewöhnt, der Nachrichtenagentur MI6 in London mit der
Muslimbruderschaft und der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, zu
glauben, obwohl letztere nicht über die Mittel verfügt, um irgendetwas über die
Ereignisse zu wissen, die sie vorgibt zu kennen.
[1]
“REVEALED:
The British government’s covert propaganda campaign in Syria”, Ian Cobain
& Alice Ross, Middle East Eye, February 20th, 2020.
[2]
“How
Britain funds the ’propaganda war’ against Isis in Syria”, Ian Cobain,
Alice Ross, Rob Evans, Mona Mahmood, The Guardian, May 3rd, 2016.
[3] «Islamistas libios se desplazan a Siria para
«ayudar» a la revolución», por Daniel
Iriarte, ABC (España), 17 de diciembre de 2011. Version française : « Des islamistes Libyens en Syrie pour « aider »
la révolution », traduction
Mounadil Al-Djazaïri Réseau Voltaire, 18 décembre 2011.
[4] Sous nos yeux. Du 11-Septembre à
Donald Trump, Thierry Meyssan,
éditions Demi-Lune.
[5]
„Deutschland und die
Uno gegen Syrien“ - Von Thierry Meyssan, Voltaire Netzwerk, 28. Januar 2016.
Quelle: https://www.voltairenet.org/article209305.html 25.
2. 20 Die britische Herstellung des Mythos
der »syrischen Revolution« - Von Thierry
Meyssan
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