Das Atomabkommen mit dem Iran - Ein »Muskelaufbauprogramm« für die EU 19.05.2019 21:21
Einem Bericht von »German Foreign Policy« zufolge dringen
deutsche
Außenpolitiker und Regierungsberater auf neue Bemühungen Berlins und der EU um
die Bewahrung des Atomabkommens mit dem Iran. Zum einen könnten, wie
Fachleute erklären, erneut Millionen von Flüchtlingen nach Europa streben, sollte
der Iran von Unruhen oder gar von einem Krieg erschüttert werden. Zum anderen
stehe, heißt es, die Fähigkeit zur eigenständigen EU-Weltmachtpolitik auf dem
Spiel: Wenn Brüssel sein ›Streben
nach einer strategischen Autonomie‹ ernst
meine, müsse es die dazu notwendigen ›Instrumente‹ schaffen, verlangt die Stiftung ›Wissenschaft und Politik‹ ›SWP‹. Dazu biete sich der Konflikt um das Nuklearabkommen mit Teheran
an. Führende Politiker von CSU und Grünen fordern den Außenminister der BRD,
Heiko Maas, einhellig dazu auf, nach Teheran zu reisen: »Deutschland
muß mit lauterer Stimme sprechen«, erklärt der außenpolitische
Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Experten sind allerdings skeptisch: Denn
ein Schwenk Berlins sowie der EU hin zur Beteiligung an den US-Aggressionen
gilt, sollte Brüssel im Machtkampf gegen Washington den Kürzeren ziehen, als
jederzeit vorstellbar.
Der Iran
hat unterdessen scharfe Kritik am US-Wirtschaftskrieg gegen das Land geübt.
Sollte die US-Administration, wie Präsident Donald Trump am Wochenende 11./12. behauptet
hat, ernsthaft mit Teheran verhandeln wollen, müsse sie - wie dies der Iran bislang getan hat - das
Nuklearabkommen mit dem Land einhalten, so die Forderung von Irans Präsidenten
Hassan Rohani. Dazu ist Washington jedoch nicht bereit.
Über die
Ziele, die die Trump-Administration mit ihrer Aggressionspolitik verfolgt, bestehen
keine Zweifel. »Die Amerikaner wollen einen Regimekollaps im Iran herbeiführen«, urteilt beispielsweise Volker
Perthes, Direktor der Stiftung ›SWP‹ und ausgezeichneter Kenner des Nahen
und Mittleren Ostens. Erfahrungen mit früheren derartigen Versuchen gibt es im
Irak und in Libyen, wo der Sturz bestehender Regierungen gelang, sowie in
Syrien, wo sich die Regierung jedoch im Amt halten konnte. Die katastrophalen
Folgen in allen drei Ländern sind bekannt. Iran wäre in dieser Reihe das vierte
Land. Wie andere Experten hält Perthes Washingtons Pläne ›für eine sehr gefährliche Strategie‹ und darüber hinaus für eine, ›die
aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Erfolg verspricht‹. »Denn wenn es etwa zu Brotunruhen käme, würden die
Sicherheitskräfte der Islamischen Republik stark genug sein«, um
sie »in
den Griff zu bekommen«, urteilt Perthes. Zu rechnen sei in diesem Fall mit einer
weiteren ›Verhärtung des Systems‹.
Bei einer
weiteren Steigerung der Aggressionen gegen den Iran droht die EU auch
anderweitig unter Druck zu geraten. So hat Präsident Hassan Rohani ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass der Iran erhebliche Anstrengungen unternimmt, den
Drogenschmuggel etwa aus Afghanistan in die EU zu verhindern. Gerät das Land
stärker unter Druck, wird der Iran diese Priorität kaum beibehalten. Außerdem
ist nicht damit zu rechnen, dass Teheran der EU dann weiterhin den Gefallen
täte, Flüchtlinge aus Afghanistan an der Weiterreise nach Europa zu hindern,
wofür sich Berlin und Brüssel in der Vergangenheit stark gemacht hatten.
Gegenwärtig halten sich Schätzungen zufolge 3 Millionen afghanische Flüchtlinge
im Iran auf. Dass sie im Land bleiben wollen, wenn sich die Krise zuspitzt und
es möglicherweise sogar zum Krieg kommt, kann bezweifelt werden.
Der Spitzenkandidat
der Europäischen Volkspartei (EVP) bei der Europawahl, Manfred
Weber, verlangte bereits am 9. Mai, Brüssel müsse umgehend »Gespräche
mit unseren iranischen Freunden starten, weil wir keine Eskalation irgendeiner
Art wollen«. In
Think Tanks sind konkrete Vorschläge laut geworden, die darauf abzielen,
Teheran mit wirtschaftlichen Zugeständnissen zur Einhaltung des Atomvertrags zu
bewegen. So heißt es beim ›European
Council on Foreign Relations‹ ›ECFR‹, man könne es dem Iran zumindest gestatten, seine in der EU eingefrorenen
Guthaben ins Land zu holen.
Die ›SWP‹ wiederum schlägt vor, auch eindeutige Signale nach Washington zu
senden: Brüssel müsse »deutlich machen, dass Militärschläge gegen den Iran unter
den gegebenen Umständen keine europäische Unterstützung erfahren werden, auch
durch die NATO nicht«. So müsse man »ausschließen, dass amerikanische
Stützpunkte in Europa für Angriffe genutzt werden können«. Gleichzeitig
müsse die EU »beginnen, Instrumente zu schaffen, die sie langfristig gegen extraterritoriale Sanktionen schützen«. Ein
solcher Schritt sei ohnehin nötig, wenn das Streben nach einer strategischen
Autonomie Europas ernst gemeint ist: Es gehe um die außenpolitische
Handlungsfähigkeit Europas. Der Gedanke findet Zustimmung bei
Leitmedien-Kommentatoren, die eng mit den außenpolitischen Apparaten vernetzt
sind. So schreibt etwa Stefan Kornelius, Ex-Beiratsmitglied der Bundesakademie
für Sicherheitspolitik, in der ›Süddeutschen
Zeitung‹, die EU benötige, wolle sie
sich »vor
der Willkür Teherans wie auch Washingtons schützen, ein ›Muskelaufbauprogramm‹: Es
fehlt bislang eine glaubwürdige Strategie zur Abschreckung oder gar zum
Gegenschlag – dies im Finanzsektor, mit Hilfe von Handelssanktionen, am Ende
auch militärisch«. Gefragt sei »eine unabhängige europäische Finanzarchitektur mit einem starken
Bankensektor«.
Die
transatlantische Option
Dabei
gilt es auch im Establishment als zumindest unklar, ob Berlin und Brüssel ihr
Streben nach einer eigenständigen Weltmachtpolitik gegen Washington durchsetzen
können. Alternativ käme eine Beteiligung an der US-Aggressionspolitik in
Betracht, um deutsch-europäische Interessen wie bisher an der Seite Washingtons
zu realisieren. Die Regierungen der EU-Mächte könnten »versucht
sein, der US-Pressionskampagne gegen den Iran beizutreten«,
vermutet etwa der ›ECFR‹. Er nennt dies zwar »einen
gefährlich törichten Schritt«, was transatlantische Aggressionen gegen den Iran
allerdings nicht ausschließt. [1]
Anmerkung politonline d.a.
Zur
Erinnerung: »Deutsche Politikberater verlangten
im Januar 2012 einen Schulterschluß des Westens zugunsten möglicher Militärschläge gegen den Iran.
Der Versuch, im sogenannten Nuklearkonflikt mit Teheran ›diplomatische Lösungen zu fördern‹, gehe ›schon lange an
den Realitäten vorbei‹, behauptete
ein Beitrag in der Zeitschrift ›Internationale
Politik‹, dem einflußreichsten
Medium des außenpolitischen Establishments in der BRD. Die ›iranische Bedrohung‹
entziehe sich der Logik traditioneller Politik; sie ähnle ›klassischen griechischen Tragödien‹, die ›in der Regel in
einem Gemetzel‹ endeten. Berlin
dürfe sich Militärschlägen nicht verweigern und müsse die Bevölkerung auf
mögliche Folgen, etwa Attentate gegen Ziele in Europa oder höhere Benzinpreise,
vorbereiten. Diese Forderungen richteten sich ausdrücklich gegen eine zweite
Fraktion der Berliner Außenpolitik, die den deutschen Interessen mit
kooperativen Einflußmitteln wie ›Wandel
durch Annäherung‹ besser zu dienen
meinte«. [2]
Zu der Ankündigung Teherans, nuklear betriebene U-Boote zu bauen,
vermerkte ein ehemaliger Leiter des Planungsstabes im
Bundesverteidigungsministerium im Juli 2012: Beginne Iran mit der
dafür notwendigen Hochanreicherung, dann sei mit einer Intervention Israels und
wohl auch der USA zu rechnen. Derlei Kriegsszenarien seien höchst riskant und
auf lange Sicht dazu geeignet, die Interessen des Westens dramatisch zu
schädigen, lautete das Urteil eines Regierungsberaters von der Stiftung ›Wissenschaft und Politik‹. Dem Iran sei die Fähigkeit, die
Atombombe zu bauen, auf Dauer allenfalls mit regelmäßigen Bombardierungen zu
nehmen. Hingegen waren in den Vereinigten Staaten Stimmen laut geworden, die
forderten, eine iranische Atombombe zu tolerieren. Nukleare Waffen hätten
bislang immer Stabilität gebracht, behauptete ein Autor der renommierten
US-Zeitschrift ›Foreign Affairs‹.
[3]
Diesen März hatte die US-Regierung weitere
Sanktionen gegen den Iran verhängt; das Finanzministerium setzte am 22. März 31
Personen und Firmen mit Verbindung zur iranischen ›Organisation
für Verteidigung, Innovation und Forschung‹, auf
persisch ›SPND‹ abgekürzt,
auf eine Sanktionsliste. Zur Begründung hiess es, die Betroffenen hätten die
Bemühungen der iranischen Führung um eine Aufrüstung mit nuklearen Waffen
unterstützt. Ihre Vermögen in den Vereinigten Staaten werden eingefroren und
Geschäfte mit ihnen werden untersagt. Laut US-Finanzminister Steven Mnuchin übten
die USA weiterhin maximalen Druck auf das iranische Regime aus, um dieses von
der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen abzuhalten. Jedem, der Geschäfte
mit dem iranischen Verteidigungssektor insgesamt und der Organisation ›SPND‹ im besonderen
tätige, drohten Konsequenzen. [4]
Indessen schrieb auch Jason Ditz am 12. Mai, dass der Iran keinen Krieg mit den USA erwartet;
Washington wolle
einen psychologischen Krieg und keinen militärischen Konflikt. Nach einer Klausursitzung
mit Abgeordneten sagte der Vorsitzende des iranischen Nationalen
Sicherheitsausschusses, Heshmatollah Falahatpisheh, gegenüber den staatlichen
Medien, dass die Analysten trotz der jüngsten US-Aufmärsche in der Region
keinen Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika erwarten. Dies hatte ihm
der Befehlshaber der Revolutionsgarde, General Hossein Salami, mitgeteilt. Dieser
hat die Idee eines Angriffs der Vereinigten Staaten zurückgewiesen und erklärt,
dass ein US-Militärangriff im Moment fast unmöglich sei und dass die jüngsten
Verlegungen keine echte Bedrohung darstellten. Salami betonte die defensive
Seite der Vorbereitungen des Irans und sagte, das Land sei bestens vorbereitet,
›tätigten die Amerikaner gegen sie
einen Zug‹. Er fügte hinzu, dass die
Anwesenheit von mehr US-Schiffen in unmittelbarer Nähe, wenn überhaupt, die
Fähigkeit des Irans zur Vergeltung eines amerikanischen Angriffs erhöhen würde. [5]
[1] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7935/ 13. 5. 19 Ein ›Muskelaufbauprogramm‹ für die EU
[2] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58235
9. 1. 12
Ende im Gemetzel
[3] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58365 4. 7. 12
Die Präventivkriegslogik
[4] https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/amerika-verhaengt-weitere-sanktionen-gegen-iran-16103180.html 22. 3. 19
[5] http://antikrieg.com/aktuell/2019_05_13_iran.htm 12. 5. 19 Iran
erwartet keinen Krieg mit den USA - Jason Ditz
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