Venezuela - In der Schwebe 03.03.2019 19:55
d.a. Dem nachfolgenden Interview mit dem US-Ökonomen Michael Hudson
sei ein
kurzer Ausschnitt aus einem Leserbrief vorangestellt, der schon am 3. Januar 2003 in
der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ abgedruckt worden war, da auch dieser
festhält, was bei Hudson, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der
University of Missouri, Kansas City, zutage tritt: »Die
kreolische High Society hat sich während ihres beinahe 200 Jahre währenden
Regimes auf Kosten der Indios, Schwarzen und Mulatten, die die breite
Bevölkerungsmehrheit stellen, schamlos bereichert. In die Enge getrieben,
schreckte sie auch vor Massakern nicht zurück. Am 27. 2. 1989 wurden Hunderte
von Slumbewohner in Caracas auf Befehl des damaligen ›demokratischen‹
Präsidenten Carlos Andrés Perez von der Armee niedergemäht. 1998 wurde Chavez
mit Zweidrittelmehrheit zum ersten nichtkreolischen Präsidenten gewählt; er begann,
die Institutionen in den Dienst der Armen zu stellen«. Und
derartige Handlungsweisen fügen sich bekanntlich absolut nicht in die
Strategien Washingtons ein, wenn es um die Ausbeutung von Ressourcen geht.
Das Interview mit Prof. Hudson führte ›The
Saker‹, dessen unverändert informative
website https://thesaker.is/ allen zu empfehlen ist, die jenseits der
gängigen US-Presse auf den Kern von Sachverhalten stossen möchten.
»Zur Zeit von Chavez war Venezuela eine Ölmonokultur. Die
Exporterlöse wurden grösstenteils für den Import von Lebens- und Bedarfsmitteln
verwendet und der Handel lief grösstenteils über die USA. Indessen kam es trotz
des Ölreichtums zur Verschuldung. Die US-Ölkonzerne hatten von Anfang
befürchtet, dass Venezuela seine Öleinnahmen eines Tages dazu nutzen könnte, um
die Gesamtbevölkerung zu fördern, anstatt seinen Reichtum weiterhin durch die
US-Ölindustrie und ihre örtliche Comprador-Aristokratie absaugen zu lassen. So
hielt sich die Ölindustrie - durch ihre
US-Diplomatie unterstützt - Venezuela
auf zwei Arten als Geisel. Zunächst einmal wurden die Ölraffinerien nicht in
Venezuela selbst gebaut, sondern in Trinidad und in den südlichen Golfstaaten
der USA. Damit nahmen die US-Ölfirmen -
oder die US-Regierung - Venezuela die
Mittel, um einen Alleingang zu wagen und mit seinem Öl eine unabhängige Politik
zu betreiben. Es nützt nichts, Ölreserven zu haben, wenn man das Öl nicht
selbst raffinieren kann, um es brauchbar zu machen.
Zudem
wurde die venezolanische Zentralbank dazu überredet, ihre Ölreserven und alle
Vermögenswerte des staatlichen Ölsektors
- einschliesslich ›Citgo‹, die Citgo Petroleum Corporation, ein
US-Erdölunternehmen mit Sitz in Houston und 100 %ige Tochter der staatlichen
venezolanischen ›PDVSA‹ -
als Sicherheit für ihre Auslandsschulden zu verpfänden.
Falls Venezuela nun in Verzug geraten sollte, oder von US-Banken, die sich
weigerten, die fremden Schulden fristgerecht zu zahlen, in einen Zahlungsverzug
gezwungen würde, wären Anleihegläubiger und US-Ölkonzerne rechtlich in der
Lage, venezolanische Ölvorkommen in Besitz zu nehmen.
Diese
pro-US-Politik machte Venezuela zu einer typisch polarisierten
lateinamerikanischen Oligarchie. Obwohl es nominell reich an Öleinnahmen war,
konzentrierte sich der Reichtum in den Händen einer US-freundlichen Oligarchie,
die ihre innere Entwicklung von Weltbank und IWF steuern liess. Die indigene
Bevölkerung, vor allem ihre ländliche Minderheit, aber auch die städtische
Unterklasse, wurden von der Beteiligung am Ölreichtum des Landes
ausgeschlossen. Die arrogante Weigerung der Oligarchie, den Reichtum zu teilen
oder Venezuelas Aulandsabhängigkeit wesentlich abzubauen, machte die Wahl von
Hugo Chavez zu einem natürlichen Ereignis. Chavez bemühte sich um die
Wiederherstellung einer gemischten Wirtschaft, indem er die Einnahmen des
Staates, hauptsächlich aus Erdöl, zur Entwicklung der Infrastruktur und zu
Investitionen in die Gesundheitsversorgung, in Bildung, Beschäftigung, zur
Steigerung des Lebensstandards und der Produktivität seiner Stammwählerschaft
nutzte.
Was er
nicht beseitigen konnte, war die Veruntreuung und das
eingespielte Abzocken von Einkommen aus dem Ölsektor. Und er konnte die Kapitalflucht
der Oligarchen, die ihren Reichtum abzogen und ins Ausland verlegten, nicht
aufhalten. Hinzu kam, dass sie selbst das Land verliessen. Da war nichts ›falsch‹. Es dauert natürlich sehr lange, um eine gestörte Wirtschaft zu
verändern, während die USA ihre Sanktionen und allerlei ›schmutzige Tricks‹
einsetzt, um diesen Prozess zu stoppen. Die von Chavez und Maduro verfolgte pro-venezolanische Politik, die darauf
abzielt, die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen, musste die
Wut, Subversion und Sanktionen der Vereinigten Staaten provozieren. Venezuela
wird von der US-Politik als Anhängsel der US-Wirtschaft behandelt; es hat
seinen Handelsüberschuss, den es durch das Öl erzielt, gefälligst in den
Vereinigten Staaten auszugeben und seine Ersparnisse an US-Banken zu
übertragen.
Durch die
Verhängung von Sanktionen, die es Venezuela unmöglich machen, Zugang zu seinen
US-Bankeinlagen und dem Vermögen seines staatseigenen Betriebes ›Citgo‹ zu erhalten, verhindern die Vereinigten Staaten, dass Venezuela
seine Auslandsschulden bezahlen kann. Dies zwingt das Land in Verzug, was
US-Diplomaten wiederum als Vorwand für die Abschottung der Ölvorkommen Venezuelas und für die
Beschlagnahmung ihres Auslandsguthabens verwenden, so, wie es der ›Paul-Singer-Hedge-Fonds‹ mit den Auslandsaktiva Argentiniens
tun wollte …… Es fällt mir nichts ein, was Präsident Maduro tun könnte, was er
nicht bereits tut. Im besten Fall kann er ausländische Unterstützung suchen und
der Welt die Notwendigkeit eines alternativen internationalen Finanz- und
Wirtschaftssystems aufzeigen. Er hat dies bereits begonnen, indem er versuchte,
Venezuelas Gold aus der Bank of England und der Federal Reserve abzuziehen.
Solches führt zu einer ›asymmetrischen
Kriegsführung‹, die den
Dollarstandard in der internationalen Finanzwirtschaft zu untergraben droht.
Die Weigerung Englands und der Vereinigten Staaten, einer gewählten Regierung
die Kontrolle über ihr Auslandsvermögen zuzugestehen, demonstriert der ganzen
Welt, dass die US-Diplomaten und –Gerichte gewillt sind, fremde Länder
lediglich als erweitertes Interessensgebiet des US-Nationalismus zu betrachten
und kontrollieren zu wollen.
Der Preis
des US-amerikanischen Wirtschaftsangriffs auf Venezuela ist der Bruch des
globalen Währungssystems. Maduros defensive Bewegung zeigt, dass andere Länder
sich vor einem weiteren ›Fall Venezuela‹ schützen müssen, indem sie einen
neuen sicheren Hafen und eine Zahlstelle für Gold, Devisenreserven und
Fremdfinanzierung abseits von Dollar, Pfund Sterling und dem Euroraum suchen.
Der
einzige Weg, auf dem Maduro erfolgreich kämpfen kann, ist auf institutioneller
Ebene, indem er den Einsatz erhöht, ›über
den Tellerrand‹ zu gehen. Sein
natürlich langfristiger Plan besteht darin, eine neue internationale
Wirtschaftsordnung unabhängig vom US-$-Standard zu schaffen. Längerfristig muss
Maduro auch die venezolanische Landwirtschaft entwickeln, ähnlich wie die
Vereinigten Staaten ihre Landwirtschaft unter den New Deal-Gesetzen der 1930er
Jahre geschützt und entwickelt haben, mit ländlichen Beratungsdiensten,
Krediten für die Landwirtschaft, Saatgutberatung, staatliche
Vermarktungsorganisationen für den Getreidekauf, Bereitstellung von Maschinen
sowie die gleichen Preisstützungen, die die Vereinigten Staaten seit langem
verwendet haben, um mit der Subvention von inländischen landwirtschaftlichen
Investitionen die Produktion zu steigern.
Was eine
Unterstützung durch Russland, China oder den Iran betrifft, ist zu
konstatieren, dass keines dieser Länder derzeit die Fähigkeit hat,
venezolanisches Öl zu raffinieren, was es für sie schwierig macht, sich in
venezolanischem Öl bezahlen zu lassen. Nur ein langfristiger Liefervertrag - im voraus bezahlt - wäre praktikabel. Und selbst in diesem Fall
stellt sich die Frage, was würden China und Russland tun, wenn sich die
Vereinigten Staaten ihr Eigentum in Venezuela einfach unter den Nagel rissen
oder sich weigerten, Russland die Ölfirma ›Citgo‹ übernehmen zu lassen? In diesem Fall
wäre die einzige Antwort die
Beschlagnahmung von US-amerikanischen Investitionen in ihren eigenen Ländern.
Zumindest China und Russland könnten jedoch einen alternativen
Clearing-Mechanismus für Banken zur Verfügung stellen. Damit könnte Venezuela
SWIFT und das US-Finanzsystem umgehen und verhindern, dass seine Vermögenswerte
von US-Behörden oder Anleihegläubigern nach Belieben beschlagnahmt werden. Und
natürlich könnten sie auch einen sicheren Aufbewahrungsort für all das Gold
Venezuelas bieten, das es noch aus London und New York herausschaffen kann.
Mit Blick
auf die Zukunft müssen daher China, Russland, der Iran und andere Länder einen
neuen internationalen Gerichtshof einrichten, um die bevorstehende
diplomatische Krise und ihre finanziellen und militärischen Folgen zu
handhaben. Ein solches Gericht und eine dazugehörige internationale Bank als
Alternative zu dem von der USA kontrollierten IWF und der Weltbank benötigt
eine klare Grundlage, einen ganzen Satz von Nationalitätsprinzipien und
internationalen Rechten sowie die Macht, Urteile auszusprechen und
durchzusetzen. Dies würde US-Finanzstrategen mit einer Entscheidung
konfrontieren: Wenn sie den IWF, die Weltbank, die WTO und die NATO weiterhin
als Anhängsel einer zunehmend aggressiven US-Aussenpolitik betrachten, besteht
die Gefahr, dass diese die USA isolieren. Europa wird sich entscheiden müssen,
ob es US-amerikanischer Wirtschafts- und Militärsatellit bleiben oder ob es
gemeinsame Sache mit Eurasia machen will.
Das
Beste, was benachbarte lateinamerikanische Länder tun können, ist, gemeinsam
ein Instrument zur Förderung der Entdollarisierung zu schaffen, und damit eine
internationale Institution, welche die Abschreibung von Schulden überwacht, die
ausserhalb der Zahlungsfähigkeit der Länder liegen, dies ohne ihnen
Sparprogramme aufzuerlegen, die ihre Wirtschaft zerstören. Eine Alternative ist
/ wäre auch für die Weltbank erforderlich, die Kredite in der Landeswährung
gewähren würde. Dabei ginge es vor allem darum, Investitionen in die
inländische Nahrungsmittelproduktion zu subventionieren, wodurch nationale
Wirtschaften vor ausländischen Ernährungssanktionen, die die Kapitulation wie eine
militärische Belagerung durch Aushungern zu erzwingen suchen, geschützt würden.
Diese neue Art von einer Weltbank für wirtschaftliche Beschleunigung würde die
Entwicklung der Eigenständigkeit ihrer Mitglieder an die erste Stelle setzen,
anstatt den Exportwettbewerb zu fördern und gleichzeitig die Schuldner derart
mit einer Auslandsverschuldung zu belasten, damit sie - wie des jetzt im Fall von Venezuela- erpresst werden können«.
Michael
Hudson ist u.a. der Autor von ›Finanzimperialismus:
Die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus‹, Klett Verlag 2017
Quelle - auszugsweise -
https://thesaker.is/saker-interview-with-michael-hudson-on-venezuela-february-7-2019/ Saker interview with Michael Hudson on
Venezuela, February 7, 2019
Siehe
auch > https://thesaker.is/the-us-aggression-against-venezuela-as-a-diagnostic-tool/ January 30, 2019
The US aggression against Venezuela as a diagnostic tool
Die
deutsche Fassung des Artikels, die einen Auszug aus dem Originalartikel
darstellt, erschien in ›Unsere Welt‹, Jahrgang 42, Nr. 1 vom Februar 2019;
die Übersetzung ist dem Redaktor Martin Schwander zu verdanken.
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