Venezuela - In der Schwebe

d.a. Dem nachfolgenden Interview mit dem US-Ökonomen Michael Hudson

sei ein kurzer Ausschnitt aus einem Leserbrief vorangestellt, der schon am 3. Januar 2003 in der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckt worden war, da auch dieser festhält, was bei Hudson, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der University of Missouri, Kansas City, zutage tritt: »Die kreolische High Society hat sich während ihres beinahe 200 Jahre währenden Regimes auf Kosten der Indios, Schwarzen und Mulatten, die die breite Bevölkerungsmehrheit stellen, schamlos bereichert. In die Enge getrieben, schreckte sie auch vor Massakern nicht zurück. Am 27. 2. 1989 wurden Hunderte von Slumbewohner in Caracas auf Befehl des damaligen demokratischen Präsidenten Carlos Andrés Perez von der Armee niedergemäht. 1998 wurde Chavez mit Zweidrittelmehrheit zum ersten nichtkreolischen Präsidenten gewählt; er begann, die Institutionen in den Dienst der Armen zu stellen«. Und derartige Handlungsweisen fügen sich bekanntlich absolut nicht in die Strategien Washingtons ein, wenn es um die Ausbeutung von Ressourcen geht. 

Das Interview mit Prof. Hudson führte The Saker, dessen unverändert informative website  https://thesaker.is/  allen zu empfehlen ist, die jenseits der gängigen US-Presse auf den Kern von Sachverhalten stossen möchten.

»Zur Zeit von Chavez war Venezuela eine Ölmonokultur. Die Exporterlöse wurden grösstenteils für den Import von Lebens- und Bedarfsmitteln verwendet und der Handel lief grösstenteils über die USA. Indessen kam es trotz des Ölreichtums zur Verschuldung. Die US-Ölkonzerne hatten von Anfang befürchtet, dass Venezuela seine Öleinnahmen eines Tages dazu nutzen könnte, um die Gesamtbevölkerung zu fördern, anstatt seinen Reichtum weiterhin durch die US-Ölindustrie und ihre örtliche Comprador-Aristokratie absaugen zu lassen. So hielt sich die Ölindustrie  - durch ihre US-Diplomatie unterstützt -  Venezuela auf zwei Arten als Geisel. Zunächst einmal wurden die Ölraffinerien nicht in Venezuela selbst gebaut, sondern in Trinidad und in den südlichen Golfstaaten der USA. Damit nahmen die US-Ölfirmen  - oder die US-Regierung -  Venezuela die Mittel, um einen Alleingang zu wagen und mit seinem Öl eine unabhängige Politik zu betreiben. Es nützt nichts, Ölreserven zu haben, wenn man das Öl nicht selbst raffinieren kann, um es brauchbar zu machen.

Zudem wurde die venezolanische Zentralbank dazu überredet, ihre Ölreserven und alle Vermögenswerte des staatlichen Ölsektors  - einschliesslich Citgo, die Citgo Petroleum Corporation, ein US-Erdölunternehmen mit Sitz in Houston und 100 %ige Tochter der staatlichen venezolanischen PDVSA -  als Sicherheit für ihre Auslandsschulden zu verpfänden. Falls Venezuela nun in Verzug geraten sollte, oder von US-Banken, die sich weigerten, die fremden Schulden fristgerecht zu zahlen, in einen Zahlungsverzug gezwungen würde, wären Anleihegläubiger und US-Ölkonzerne rechtlich in der Lage, venezolanische Ölvorkommen in Besitz zu nehmen.

Diese pro-US-Politik machte Venezuela zu einer typisch polarisierten lateinamerikanischen Oligarchie. Obwohl es nominell reich an Öleinnahmen war, konzentrierte sich der Reichtum in den Händen einer US-freundlichen Oligarchie, die ihre innere Entwicklung von Weltbank und IWF steuern liess. Die indigene Bevölkerung, vor allem ihre ländliche Minderheit, aber auch die städtische Unterklasse, wurden von der Beteiligung am Ölreichtum des Landes ausgeschlossen. Die arrogante Weigerung der Oligarchie, den Reichtum zu teilen oder Venezuelas Aulandsabhängigkeit wesentlich abzubauen, machte die Wahl von Hugo Chavez zu einem natürlichen Ereignis. Chavez bemühte sich um die Wiederherstellung einer gemischten Wirtschaft, indem er die Einnahmen des Staates, hauptsächlich aus Erdöl, zur Entwicklung der Infrastruktur und zu Investitionen in die Gesundheitsversorgung, in Bildung, Beschäftigung, zur Steigerung des Lebensstandards und der Produktivität seiner Stammwählerschaft nutzte.

Was er nicht beseitigen konnte, war die Veruntreuung und das eingespielte Abzocken von Einkommen aus dem Ölsektor. Und er konnte die Kapitalflucht der Oligarchen, die ihren Reichtum abzogen und ins Ausland verlegten, nicht aufhalten. Hinzu kam, dass sie selbst das Land verliessen. Da war nichts falsch. Es dauert natürlich sehr lange, um eine gestörte Wirtschaft zu verändern, während die USA ihre Sanktionen und allerlei schmutzige Tricks einsetzt, um diesen Prozess zu stoppen. Die von Chavez und Maduro verfolgte  pro-venezolanische Politik, die darauf abzielt, die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen, musste die Wut, Subversion und Sanktionen der Vereinigten Staaten provozieren. Venezuela wird von der US-Politik als Anhängsel der US-Wirtschaft behandelt; es hat seinen Handelsüberschuss, den es durch das Öl erzielt, gefälligst in den Vereinigten Staaten auszugeben und seine Ersparnisse an US-Banken zu übertragen.

Durch die Verhängung von Sanktionen, die es Venezuela unmöglich machen, Zugang zu seinen US-Bankeinlagen und dem Vermögen seines staatseigenen Betriebes Citgo zu erhalten, verhindern die Vereinigten Staaten, dass Venezuela seine Auslandsschulden bezahlen kann. Dies zwingt das Land in Verzug, was US-Diplomaten wiederum als Vorwand für die Abschottung  der Ölvorkommen Venezuelas und für die Beschlagnahmung ihres Auslandsguthabens verwenden, so, wie es der Paul-Singer-Hedge-Fonds mit den Auslandsaktiva Argentiniens tun wollte …… Es fällt mir nichts ein, was Präsident Maduro tun könnte, was er nicht bereits tut. Im besten Fall kann er ausländische Unterstützung suchen und der Welt die Notwendigkeit eines alternativen internationalen Finanz- und Wirtschaftssystems aufzeigen. Er hat dies bereits begonnen, indem er versuchte, Venezuelas Gold aus der Bank of England und der Federal Reserve abzuziehen. Solches führt zu einer asymmetrischen Kriegsführung, die den Dollarstandard in der internationalen Finanzwirtschaft zu untergraben droht. Die Weigerung Englands und der Vereinigten Staaten, einer gewählten Regierung die Kontrolle über ihr Auslandsvermögen zuzugestehen, demonstriert der ganzen Welt, dass die US-Diplomaten und –Gerichte gewillt sind, fremde Länder lediglich als erweitertes Interessensgebiet des US-Nationalismus zu betrachten und kontrollieren zu wollen.

Der Preis des US-amerikanischen Wirtschaftsangriffs auf Venezuela ist der Bruch des globalen Währungssystems. Maduros defensive Bewegung zeigt, dass andere Länder sich vor einem weiteren Fall Venezuela schützen müssen, indem sie einen neuen sicheren Hafen und eine Zahlstelle für Gold, Devisenreserven und Fremdfinanzierung abseits von Dollar, Pfund Sterling und dem Euroraum suchen.

Der einzige Weg, auf dem Maduro erfolgreich kämpfen kann, ist auf institutioneller Ebene, indem er den Einsatz erhöht, über den Tellerrand zu gehen. Sein natürlich langfristiger Plan besteht darin, eine neue internationale Wirtschaftsordnung unabhängig vom US-$-Standard zu schaffen. Längerfristig muss Maduro auch die venezolanische Landwirtschaft entwickeln, ähnlich wie die Vereinigten Staaten ihre Landwirtschaft unter den New Deal-Gesetzen der 1930er Jahre geschützt und entwickelt haben, mit ländlichen Beratungsdiensten, Krediten für die Landwirtschaft, Saatgutberatung, staatliche Vermarktungsorganisationen für den Getreidekauf, Bereitstellung von Maschinen sowie die gleichen Preisstützungen, die die Vereinigten Staaten seit langem verwendet haben, um mit der Subvention von inländischen landwirtschaftlichen Investitionen die Produktion zu steigern.

Was eine Unterstützung durch Russland, China oder den Iran betrifft, ist zu konstatieren, dass keines dieser Länder derzeit die Fähigkeit hat, venezolanisches Öl zu raffinieren, was es für sie schwierig macht, sich in venezolanischem Öl bezahlen zu lassen. Nur ein langfristiger Liefervertrag  - im voraus bezahlt -  wäre praktikabel. Und selbst in diesem Fall stellt sich die Frage, was würden China und Russland tun, wenn sich die Vereinigten Staaten ihr Eigentum in Venezuela einfach unter den Nagel rissen oder sich weigerten, Russland die Ölfirma Citgo übernehmen zu lassen? In diesem Fall wäre die  einzige Antwort die Beschlagnahmung von US-amerikanischen Investitionen in ihren eigenen Ländern. Zumindest China und Russland könnten jedoch einen alternativen Clearing-Mechanismus für Banken zur Verfügung stellen. Damit könnte Venezuela SWIFT und das US-Finanzsystem umgehen und verhindern, dass seine Vermögenswerte von US-Behörden oder Anleihegläubigern nach Belieben beschlagnahmt werden. Und natürlich könnten sie auch einen sicheren Aufbewahrungsort für all das Gold Venezuelas bieten, das es noch aus London und New York herausschaffen kann.

Mit Blick auf die Zukunft müssen daher China, Russland, der Iran und andere Länder einen neuen internationalen Gerichtshof einrichten, um die bevorstehende diplomatische Krise und ihre finanziellen und militärischen Folgen zu handhaben. Ein solches Gericht und eine dazugehörige internationale Bank als Alternative zu dem von der USA kontrollierten IWF und der Weltbank benötigt eine klare Grundlage, einen ganzen Satz von Nationalitätsprinzipien und internationalen Rechten sowie die Macht, Urteile auszusprechen und durchzusetzen. Dies würde US-Finanzstrategen mit einer Entscheidung konfrontieren: Wenn sie den IWF, die Weltbank, die WTO und die NATO weiterhin als Anhängsel einer zunehmend aggressiven US-Aussenpolitik betrachten, besteht die Gefahr, dass diese die USA isolieren. Europa wird sich entscheiden müssen, ob es US-amerikanischer Wirtschafts- und Militärsatellit bleiben oder ob es gemeinsame Sache mit Eurasia machen will.

Das Beste, was benachbarte lateinamerikanische Länder tun können, ist, gemeinsam ein Instrument zur Förderung der Entdollarisierung zu schaffen, und damit eine internationale Institution, welche die Abschreibung von Schulden überwacht, die ausserhalb der Zahlungsfähigkeit der Länder liegen, dies ohne ihnen Sparprogramme aufzuerlegen, die ihre Wirtschaft zerstören. Eine Alternative ist / wäre auch für die Weltbank erforderlich, die Kredite in der Landeswährung gewähren würde. Dabei ginge es vor allem darum, Investitionen in die inländische Nahrungsmittelproduktion zu subventionieren, wodurch nationale Wirtschaften vor ausländischen Ernährungssanktionen, die die Kapitulation wie eine militärische Belagerung durch Aushungern zu erzwingen suchen, geschützt würden. Diese neue Art von einer Weltbank für wirtschaftliche Beschleunigung würde die Entwicklung der Eigenständigkeit ihrer Mitglieder an die erste Stelle setzen, anstatt den Exportwettbewerb zu fördern und gleichzeitig die Schuldner derart mit einer Auslandsverschuldung zu belasten, damit sie  - wie des jetzt im Fall von Venezuela-  erpresst werden können«.

 

Michael Hudson ist u.a. der Autor von Finanzimperialismus: Die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus, Klett Verlag 2017

Quelle - auszugsweise -

https://thesaker.is/saker-interview-with-michael-hudson-on-venezuela-february-7-2019/  Saker interview with Michael Hudson on Venezuela, February 7, 2019 

Siehe auch  >
https://thesaker.is/the-us-aggression-against-venezuela-as-a-diagnostic-tool/
January 30, 2019   The US aggression against Venezuela as a diagnostic tool

Die deutsche Fassung des Artikels, die einen Auszug aus dem Originalartikel darstellt, erschien in Unsere Welt, Jahrgang 42, Nr. 1 vom Februar 2019; die Übersetzung ist dem Redaktor Martin Schwander zu verdanken.