Venezuela - Die Eskalation seit Monaten geplant

d.a. Es ist immer wieder erstaunlich, was sich in der US-Presse findet,

aber in den Zeitungen der deutschsprachigen Systempresse in der Regel nicht zu entdecken ist. So auch der folgende Bericht von AP News: 

Die Koalition lateinamerikanischer Regierungen, die dem Beispiel der USA gefolgt ist und Juan Guaido als Venezuelas Interimspräsidenten anerkannt hat, fand sich, wie die an den Gesprächen Beteiligten berichteten, über Wochen hinweg insgeheim zusammen, wobei Aktivisten, die unter konstanter Beobachtung standen, Meldungen zugingen. Dazu gehörte auch eine Hochrisikoreise des Oppositionsanführers.

Mitte Dezember letzten Jahres war Guaido in aller Stille nach Washington, Kolumbien und Brasilien gereist, um offizielle Regierungsmitglieder zu befragen, wie sie sich zu der Strategie der Opposition, Massendemonstrationen zu veranstalten, die mit der Vereidigung von Maduro für seine zweite Amtszeit am 10. Januar zusammenfallen sollten, verhalten würden; dies in Anbetracht der breiten internationalen Verurteilung Venezuelas, wie es der im Exil lebende vormalige Bürgermeister und Verbündeter Antonio Ledezma darlegte. Um die Beamten der Einwanderungsbehörden zu umgehen, und um keinen Verdacht zu erwecken, überquerte Guaido die, wie es wörtlich heisst, gesetzlose Grenze mit Kolumbien.

Der Aufbau einer Übereinkunft in der fragmentierten Antiregierungskoalition erwies sich als harter Kampf, da die Opposition seit Jahren durch eigennützige Interessen und Strategien gespalten ist, aber auch infolge eines scharfen Durchgreifens der Regierung, die mehrere prominente Oppositionsführer ins Exil verbannte, was persönliche Zusammentreffen verunmöglichte. Gegner innerhalb des Landes standen unter strenger Beobachtung durch die Geheimdienste, wobei alle die Besorgnis traf, bei der Regierung angezeigt zu werden. Lange Sitzungen mit verschlüsselten Nachrichten wurden zur Norm; einem US-Beamten zufolge wurden Zwischenträger eingesetzt, um dem politischen Mentor des Oppositionsführers, der unter Hausarrest stehende Leopoldo Lopez, Mitteilungen zukommen zu lassen. Lopez hatte versucht, im März 2014 einen Massenaufstand gegen Maduro loszutreten, worin er allerdings scheiterte. Aus Sicherheitsgründen erfolgte die Aussage des Beamten unter Wahrung der Anonymität. Trotz der von Guaido in Bogota ausgesprochenen Zusicherung, dass er sich bei einer Massenversammlung am 23. Januar, die mit dem Jahrestag des Putschs von 1958, der die Militärdiktatur in Venezuela beendete, zusammenfallen würde, zum Übergangspräsidenten ausrufen würde, hielt die Spannung bis Stunden vor der Ankündigung an, wie ein der sogenannten Lima-Gruppe angehörender Diplomat, der ebenfalls anonym bleiben wollte, sagte. Einige moderat gesinnte Splittergruppen, die für ein langsameres Vorgehen eintraten, da sie befürchteten, dass ein dreister Schritt zu einem weiteren Fehlschlagen für die Opposition führen würde, waren im Dunkeln belassen worden. Schlussendlich wurden diese Differenzen jedoch ohne Streit beigelegt. Ein kanadischer Beamter, der ebenfalls ungenannt bleiben wollte, erklärte, dass dies das erste Mal in mindestens fünf Jahren sei, dass die Opposition sich imstande zeigte, in einer konstruktiven Weise zusammenzutreten.

Die Entscheidung, Maduro direkt zu konfrontieren, wurde nur deshalb möglich, weil sie durch die Trump-Administration effizient unterstützt wurde, was dazu führte, dass die überwiegend konservativen lateinamerikanischen Regierungen dazu veranlasst wurden, Guaido unmittelbar anzuerkennen.  

Die Bemerkung, die den Wendepunkt einleitete, war die von Donald Trump in August 2017 auf den Stufen seines Golfclubs in New Jersey ausgesprochene wuchtige Erklärung, dass eine militärische Option auf dem Tisch läge, um die Krise in Venezuela aufzugreifen. In der Folge wurde Maduro von Trump in dessen Rede vor der UNO-Generalversammlung hart verurteilt. Gleichzeitig fuhr der Präsident fort, persönliche Berater und einige lateinamerikanische Führer hinsichtlich der Möglichkeit eines militärischen Einmarsches in Venezuela in aller Stille unter Druck zu setzen. 

Von diesem Zeitpunkt an realisierten die Staaten der Region, dass sie in der USA einen Partner besassen, der willens war, die Krise, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hatte, in Angriff zu nehmen, wozu Fernando Cutz, der frühere Sicherheitsberater für Lateinamerika von Obama, aber auch von Trump, erklärte, dass es die vorhergehenden Administrationen bevorzugt hatten, die Krise herunterzuspielen, da sie die US-Sicherheit nur beschränkt betraf. »Trump hat einen grossen Teil der [jetzigen] Initiative in Gang gesetzt«, wie Cutz darlegte. »Bei buchstäblich jedem Austausch mit den lateinamerikanischen Regierenden«, so Cutz ferner, »hat er, seit er sein Amt antrat, das Gespräch auf Venezuela gebracht. Dies hat zahlreiche Mitagierenden zum Handeln gezwungen«. 

Einen Tag bevor Guaido als Präsident der Nationalversammlung vereidigt wurde,  hatten die Aussenminister der 13 zur Lima-Gruppe gehörenden Länder  - der die USA jedoch nicht angehört -  am 4. Januar erklärt, dass sie eine zweite Amtszeit von Maduro nicht anerkennen würden. Im Hintergrund spielte Kanada, Mitglied der Lima-Gruppe, eine Schlüsselrolle. Kanadas Aussenministerin Chrystia Freeland hatte am Abend vor der Vereidigungszeremonie von Maduro mit Guaido gesprochen und ihn der Unterstützung ihrer Regierung versichert, sollte er Maduro angreifen. Eine aktive Rolle hat auch Kolumbien inne. Das Land hat mehr als 2 Millionen Venezolaner, die vor dem im Land herrschenden wirtschaftlichen Chaos geflüchtet sind, aufgenommen. Zu den Aufnahmeländern für letztere zählen auch Peru und Brasilien.  [1]

Auf das Erscheinen obigen Artikels hatte die Journalistin des Wiener Standards, Sandra Weiss, dankenswerterweise hingewiesen.  [2]


Inzwischen hat Maduro vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Sowohl die Grosskundgebungen von Regierungsanhängern als auch die der Opposition begannen diesen Samstag. Wie Maduro sagte, gebe es eine Kampagne, um Venezuela »als Monster, als Diktatur darzustellen«. Das am Sonntag, 3. 2., ablaufende Ultimatum von 7 EU-Staaten, dem zufolge Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Grossbritannien, die Niederlande und Belgien Guaido als legitimen Übergangsstaatschef anerkennen wollen, sollte Maduro keine freie Präsidentenwahl ausrufen, hat Maduro zurückgewiesen. »Wir akzeptieren von niemandem Ultimaten. Das ist so, als ob ich der EU sagen würde: Ich gebe Euch sieben Tage Zeit, um die Republik von Katalonien anzuerkennen, oder ich ergreife Massnahmen. Die internationale Politik könne nicht auf Ultimaten basieren«. Gemäss einem Agenturbericht hat Italien als einziges EU-Land gegen die Anerkennung des selbsternannten Interimspräsidenten Guaido gestimmt und somit die entsprechende Entscheidung in einer EU-Aussenministersitzung in Bukarest blockiert.  [3]  

Dennoch hat sich Maduro jetzt einem Bericht vom 2. Februar zufolge für vorgezogene Wahlen ausgesprochen. Wie er am Samstag in Caracas vor seinen Anhängern erklärte, sollten die nächsten Parlamentswahlen noch in diesem Jahr abgehalten werden.  [4]  Der General der Luftwaffe Francisco Yanez Rodríguez ist inzwischen von den venezolanischen Luftstreitkräfte des Hochverrats beschuldigt worden, da er Guaido als Interimspräsident anerkannt hat. Die entsprechende Mitteilung wurde auf Twitter veröffentlicht.  [5]  

Der Westen begründet seine gegen Venezuela verhängten Sanktionen gerne mit der Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Doch sind es gerade die Sanktionen  - dies auch laut einem vom UN-Menschenrechtsrat veröffentlichten Bericht -  die massgeblich zum Elend in Venezuela beitragen.  [6]

»Die US-Regierung muss aufhören, sich in die Innenpolitik Venezuelas einzumischen«

Dies ist die Forderung, die 70 Persönlichkeiten, die meisten von ihnen sind US–Bürger, in einem von ihnen unterzeichneten Brief dargelegt haben: Lösungen könnten nur auf dem Verhandlungsweg erreicht werden. Zu den Signatären zählen Wissenschaftler, Lateinamerika-Experten, Politik- und  Geschichtswissenschaftler. Hinzu kommen Filmemacher, Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und andere Sachverständige. Die Veröffentlichung des Schreibens erfolgte bereits am 24. Januar in New York. Es richtet sich gegen die laufende Einmischung in Venezuela von Seiten der Vereinigten Staaten.    

Die Regierung der Vereinigten Staaten muss aufhören, sich in die Innenpolitik Venezuelas einzumischen, insbesondere mit dem Ziel, die Regierung des Landes zu stürzen. Aller Voraussicht nach verschlimmern Handlungen der Administration Trump und ihrer Verbündeten in der Region die Situation in Venezuela, denn sie führen zu unnötigem menschlichen Leid, Gewalt und Instabilität. Die politische Polarisierung in Venezuela ist nicht neu; das Land ist seit langem entlang rassischer und sozioökonomischer Linien gespalten. Jedoch hat sich die   Polarisierung in den letzten Jahren vertieft, dies zum Teil auf Grund einer US-Unterstützung für eine Oppositionsstrategie, die auf eine Entfernung der Regierung von Nicolas Maduro durch andere Mittel als Wahlen abzielte. Während die Opposition bezüglich dieser Strategie gespalten war, gab die Unterstützung durch die USA den harten Kreisen der Opposition Rückendeckung für ihr Ziel, die Regierung Maduro durch häufig gewalttätige Proteste, einen Militärputsch oder andere Wege zur Umgehung der Wahlurne zu vertreiben.

Unter der Administration Trump hat sich die aggressive Rhetorik gegen die venezolanische Regierung verschärft und ein extremeres und bedrohlicheres Niveau erreicht; so sprechen Beamte von Trumps Administration von einer  Militäraktion und verurteilen Venezuela zusammen mit Kuba und Nicaragua als Teil der Troika der Tyrannei. Probleme, welche sich aus der venezolanischen   Regierungspolitik ergaben, sind durch die Wirtschaftssanktionen der USA, die sowohl gemäss der Organisation Amerikanischer Staaten [OAS] als auch gemäss den Vereinten Nationen illegal sind  - genauso wie gemäss US-Gesetz und anderen internationalen Verträgen und Konventionen -  verschlimmert worden. Diese Sanktionen haben der venezolanischen Regierung die Mittel entzogen, mittels der sie ihrer wirtschaftlichen Rezession entkommen können hätte, da sie einen dramatischen Einbruch bei der Ölproduktion verursachten, die   Wirtschaftskrise verschlimmerten und zum Tod vieler Menschen führten, weil diese keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten hatten. Derweil fahren die US- und andere Regierungen damit fort, die venezolanische Regierung allein für den wirtschaftlichen Schaden verantwortlich zu machen, selbst für den durch die US-Sanktionen herbeigeführten.

Nun haben die USA und ihre Verbündeten, einschliesslich dem Sekretär der OAS, General Luis Almagro, und dem rechtsaussen stehenden Präsidenten von Brasilien, Jair Bolsonaro, Venezuela an den Abgrund gedrängt. Indem sie den Präsidenten der Nationalversammlung, Juan Guaido, als neuen Präsidenten Venezuelas anerkannten  - was gemäss der Charta der OAS illegal ist -  hat die Administration Trump die politische Krise Venezuelas massiv beschleunigt, in der Hoffnung, das venezolanische Militär zu spalten, die Bevölkerung weiter zu polarisieren und sie zu zwingen, sich auf eine Seite zu stellen. Das offensichtliche und manchmal auch erklärte Ziel ist, Maduro durch einen Staatsstreich aus dem Amt zu vertreiben.

Tatsache ist, dass Venezuela trotz Hyperinflation, Unterversorgung und tiefer Depression ein politisch polarisiertes Land bleibt. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten müssen aufhören, Gewalt zu fördern, indem sie einem gewaltsamen, ausserhalb des Gesetzes stehenden Regime Change Vorschub  leisten. Wenn die Administration Trump und ihre Bündnispartner ihren rücksichtslosen Kurs in Venezuela weiterverfolgen, wird die wahrscheinlichste Folge Blutvergiessen, Chaos und Instabilität sein. Die USA sollten aus ihren Regimewechsel-Unternehmen im Irak, in Syrien und Libyen, und ihrer langen gewalttätigen Geschichte der Förderung von Regimewechseln in Lateinamerika etwas gelernt haben. Keine der beiden Seiten in Venezuela kann die andere einfach bezwingen. Das Militär beispielsweise hat mindestens 235 000 Frontsoldaten und mindestens 1.6 Millionen Milizionäre. Viele dieser Menschen werden angesichts dessen, was zunehmend als US-geführte Intervention erscheint, kämpfen, nicht nur auf Grund eines Glaubens an die nationale Souveränität, der in Lateinamerika weitverbreitet ist, sondern auch, um sich selbst vor einer wahrscheinlichen Repression zu schützen, sollte die Opposition die Regierung mit Gewalt stürzen.

In solchen Situationen ist die einzige Lösung eine Beilegung durch Verhandlungen, so, wie es in der Vergangenheit in lateinamerikanischen Ländern geschah, wenn politisch polarisierte Gesellschaften nicht in der Lage waren, ihre Differenzen durch Wahlen beizulegen. Es gab Bemühungen, wie jene des Vatikans im Herbst 2016, die Potential hatten, aber sie erhielten keine Unterstützung von Washington und seinen Verbündeten, die einen Regime Change bevorzugten. Diese Strategie muss sich ändern, wenn es eine tragfähige Lösung für die laufende Krise in Venezuela geben soll.

Im Sinne des Wohles des venezolanischen Volkes und der Region und des Prinzips der nationalen Souveränität sollten die internationalen Akteure Verhandlungen zwischen der venezolanischen Regierung und ihren Gegnern unterstützen, die es dem Land erlauben werden, seine politische und wirtschaftliche Krise schliesslich hinter sich zu lassen.

Die Namen der Unterzeichner des Briefes finden sich auf
https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2019/nr-3-29-januar-2019/die-us-regierung-muss-aufhoeren-sich-in-die-innenpolitik-venezuelas-einzumischen.html  

 

[1]  https://www.apnews.com/d548c6a958ee4a1fb8479b242ddb82fd
26. 1.
19  By JOSHUA GOODMAN, LUIS ALONSO LUGO and ROB GILLIES
AP Exclusive: Anti-Maduro coalition grew from secret talks
[2] 
https://www.derstandard.de/story/2000097113112/rivalen-in-venezuela-eskalieren-machtkampf
28. 1. 19  Eskalation in Venezuela war seit Monaten geplant - Von Sandra Weiss
[3]  https://de.sputniknews.com/politik/20190202323812457-italien-blockiert-anerkennung/   2. 2. 19
[4]  https://www.swr.de/swraktuell/Venezuela-Erster-General-laeuft-zu-Guaido-ueber,kurz-venezuela-general-100.html   2. 2. 19
[5]  https://de.sputniknews.com/politik/20190202323816529-venezuela-generalverweigertMaduroGefolgschaftundwirdHochverratsbezichtigt/ 2. 2. 19
[6]  https://deutsch.rt.com/amerika/83314-un-sonderberichterstatter-sanktionen-gegen-venezuela/   30. 1. 19   UN-Sonderberichterstatter: Die Sanktionen gegen Venezuela töten viele Menschen