Die Blindheit der Europäischen Union gegenüber der Militärstrategie der USA

Bereits 2010 hatte der Gründer des privaten Beratungsinstituts »Stratfor«

sowie der Firma »Geopolitical Futures«, George Friedman, in seinem Buch »Die nächsten hundert Jahre -  Die Weltordnung der Zukunft« die Truppenverlagerungen ins Baltikum vorausgesagt; diese sind, unter aktiver Mitwirkung der europäischen Mitglieder der NATO, inzwischen zu einer beklemmende Wirklichkeit geworden, mit allen Implikationen. »Gegenwärtig, schreibt daher Willy Wimmer, »stehen an der russischen Grenze jene Streitkräfte, die eine aus russischer Sicht überaus verhängnisvolle Kombination ehemaliger Alliierter und Kriegsgegner darstellen.

Gleichzeitig wird die Russische Föderation seit Jahren vom Westen aus mit intensiver Hetze überzogen.
«  

Thierry Meyssan hat seine diesbezügliche Analyse daher mit dem Titel »Die Blindheit der Europäischen Union gegenüber der Militärstrategie der USA« versehen. Wenn die Militärakademien der Europäischen Union ihre Arbeit getan hätten, legt er u.a. dar, hätten sie seit 15 Jahren die Lehre des amerikanischen Big Brothers studiert. In der Tat veröffentlicht das Pentagon schon seit sehr vielen Jahren alle Arten von Dokumenten über die Chaostheorie, die den Schriften des Philosophen Leo Strauss entlehnt wurde.

Aber keine Militärakademie der EU hat diese Lehre, eine Form des barbarischen Krieges und seiner Folgen, ernsthaft studiert.   

Wenn die EU-Politiker ein wenig gereist wären, nicht nur im Irak, in Syrien, in Libyen, am Horn von Afrika, in Nigeria und Mali, sondern auch in der Ukraine, hätten sie mit ihren eigenen Augen die Umsetzung dieser strategischen Doktrin gesehen. Aber sie begnügten sich damit, in einem Gebäude der grünen Zone in Bagdad, auf einem Podium in Tripolis oder auf dem Kiewer Maidanplatz zu diskutieren. Sie ignorieren, was die Bevölkerung durchmacht und haben auf Antrag ihres Big Brothers oft ihre Botschaften geschlossen, wodurch sie auf ihre eigenen Augen und Ohren vor Ort verzichtet haben. Noch besser, wiederum auf Antrag ihres Big Brothers stimmten sie Embargos zu, so dass kein Geschäftsmann vor Ort sehen konnte, was dort passiert.

Das Chaos ist kein Zufall, es ist das Ziel
Im Gegensatz zu einer Erklärung von François Hollande ist die Auswanderung der Libyer nicht das Ergebnis mangelnder Konsequenz der Operation Vereinigte Beschützer, sondern das durch diesen Vorgang angestrebte Ergebnis, bei dem sein Land eine führende Rolle spielte. Das Chaos hat sich nicht gebildet, weil es den libyschen Revolutionären nicht gelungen ist, nach dem Sturz von Muammar el-Gaddafi untereinander eine Vereinbarung zu treffen; nein, es war das strategische Ziel der Vereinigten Staaten - und sie waren erfolgreich. Es hat niemals eine demokratische Revolution in Libyen gegeben, sondern eine Abspaltung der Kyrenaika. Es hat niemals eine Durchführung eines Mandats der Vereinten Nationen zum Schutz die Bevölkerung gegeben, sondern das Massaker von 160 000 Libyern, drei Viertel davon Zivilbevölkerung, durch die Bomben der NATO.

Als die amerikanische Presse im Jahr 2003 begann, die Chaostheorie zu evozieren, reagierte das Weisse Haus mit einem konstruktivem Chaos, was bedeuten sollte, dass man unterdrückende Strukturen zerstören würde, damit ein Leben ohne Einschränkung entstehen könne. Aber diesen Begriff hatten weder Leo Strauss, noch das Pentagon jemals zuvor verwendet. Im Gegenteil: Ihrer Meinung nach sollte das Chaos so sein, dass sich abgesehen vom Willen des Schöpfers der neuen Ordnung, der Vereinigten Staaten, nichts strukturieren könnte. Das Prinzip dieser strategischen Doktrin lässt sich folgendermassen zusammenfassen: Das Einfachste, um die natürlichen Ressourcen eines Landes über einen langen Zeitraum hinweg zu plündern, besteht nicht in seiner Besetzung, sondern darin, den Staat zu zerstören. Ohne Staat, keine Armee. Ohne feindliche Armee, kein Risiko für eine Niederlage. Deshalb ist es das strategische Ziel der US-Armee und der von ihr geleiteten Allianz, der NATO, die Staaten zu zerstören. Was aus der betroffenen Bevölkerung wird, ist nicht Washingtons Problem.  

Ein Projekt dieser Art ist für Europäer, die seit dem englischen Bürgerkrieg durch Thomas Hobbes Gesellschaftsvertrag
Leviathan davon überzeugt wurden, dass es, anstatt ins Chaos gestürzt zu werden, notwendig sein kann, gewisse Freiheiten aufzugeben, oder sogar einen tyrannischen Staat zu akzeptieren,  unvorstellbar.   

Die EU verweigert ihre Mitschuld an den Verbrechen der USA 
Die Kriege in Afghanistan und im Irak haben bereits 4 Millionen Menschen das Leben gekostet. Zwar wurden sie im UNO-Sicherheitsrat als notwendige Gegenschläge aus Notwehr dargestellt, es wird jedoch heute zugegeben, dass sie lange vor dem 11. September in dem viel breiteren Kontext der Umgestaltung des Nahen und Mittleren Osten geplant worden waren, und dass die für ihre Implementierung angegebenen Gründe lediglich fabrizierte Propaganda waren. Dennoch wird unserem Big Brotherweiterhin vertraut; die Verbrechen, in die er uns verwickelt, will man nicht sehen.

Die Fehler der Europäischen Union bei der Auslegung  
Kein westeuropäischer Staatsmann, absolut keiner, würde öffentlich zu sagen wagen, dass die Flüchtlinge aus dem Irak, aus Syrien, Libyen, vom Horn von Afrika, aus Nigeria und Mali nicht den Diktaturen entfliehen, sondern dem Chaos, in das wir ihr Land absichtlich gestürzt haben.

Kein westeuropäischer Staatsmann, absolut keiner, würde öffentlich zu sagen wagen, dass die islamistischen Attentate, die auf Europa hereinbrechen, keine Erweiterung der Kriege im erweiterten Nahost sind, sondern von denjenigen gesponsert werden, die auch, wie in Europa - Das Chaos ist gewollt in aller Ausführlichkeit aufgezeigt, die Herrschaftslosigkeit in dieser Region gesponsert haben. Und dies, obwohl das Konzept im nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten geschmiedet wurde. 

Kein westeuropäischer Staatsmann, absolut keiner, würde öffentlich zu sagen wagen, dass der nächste Schritt die Islamisierung der Drogen-Vertriebsnetze sein wird, nach dem Modell der Contras in Nicaragua, welche die Drogen mit Hilfe und unter dem Kommando von der CIA in der schwarzen Gemeinschaft von Kalifornien verkauften. Man hat ferner beschlossen zu ignorieren, dass die Karsai-Familie den Vertrieb des afghanischen Heroins der Kosovo-Mafia entzogen und dem Daesh übergeben hat.

Die Militärakademien der Europäischen Union haben die Chaostheorie nicht studiert, weil es ihnen verboten wurde. Die wenigen Lehrer und Forscher, die sich auf dieses Gebiet gewagt hatten, sind schwer bestraft worden, während die Presse zivile Autoren, die sich dafür interessiert hatten, als Verschwörer bezeichnete.

Wenn man der Forschung in den EU-Ländern freien Lauf gelassen hätte, wäre begriffen worden, dass die USA durch ihre Intervention und den von ihr organisierten Regimewechsel in der Ukraine dafür gesorgt haben, dass die EU in ihrem Dienst bleiben würde. Die grosse Angst Washingtons seit der Rede von Wladimir Putin 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz war, dass Deutschland begriffe, wo seine Interessen liegen: Nicht bei Washington, sondern bei Moskau. Der Hauptkanal der Verständigung zwischen der EU und der Russischen Föderation wurde von den Vereinigten Staaten durch die schrittweise Zerstörung des ukrainischen Staates abgeschnitten. Wie man auch die Folgen der Ereignisse drehen und wenden möge, man wird keinen anderen Sinn dafür finden. Washington will nicht, dass die Ukraine Mitglied der Union wird, wie die Worte von Frau Nuland bezeugen. Ihr einziges Ziel ist, dieses Gebiet in eine gefährliche Zone zu verwandeln. Indessen hatten die Politiker der EU geglaubt, dass die Ereignisse auf dem Maidanplatz spontan gewesen wären, dass die Demonstranten die russische autoritäre Welt verlassen und ins Paradies der Union eintreten wollten. Sie waren verblüfft, als die stellvertretende Aussenministerin, Victoria Nuland, ihre geheime Kontrolle der Ereignisse offenlegte.

Die US-militärische Planung  
Wir sind hier also mit zwei Problemen konfrontiert, die sehr schnell wachsen werden: Die islamistischen Attentate stehen erst am Anfang und die Auswanderungen nach Europa über das Mittelmeer haben sich in einem einzigen Jahr verdreifacht.

Wenn meine Analyse richtig ist, werden wir im nächsten Jahrzehnt islamistische Attentate sehen, die mit dem erweiterten Nahen Osten und Afrika verbunden sind sowie ähnliche Nazi-Attentate, die mit der Ukraine verbunden sind. Dann werden wir entdecken, dass al-Qaida und die ukrainischen Nazis seit ihrer gemeinsamen Konferenz in Ternopil in der Ukraine im Jahr 2007 verbunden sind. In Wirklichkeit kannten sich die Grosseltern der einen und anderen seit dem Zweiten Weltkrieg: Die Nazis hatten damals sowjetische Moslems gegen Moskau  - es war das Programm von Gerhard von Mende im Ostministerium -  eingestellt. Am Ende des Krieges wurden die einen wie die anderen von der CIA über das Programm AmComLib, The American Committee for the Liberation of the Peoples of Russia, von Frank Wisner zur Durchführung von Sabotage-Operationen in der Sowjetunion zurückgewonnen.  

Die Migration im Mittelmeer, die im Moment nur ein humanitäres Problem ist, wird sich steigern, um in der Folge ein ernstes ökonomisches Problem zu werden. Der Vorschlag der Union, Schiffe von Menschenhändlern in Libyen zu versenken, kann der Eindämmung der Migration nicht dienen, sondern nur dazu, neue militärische Operationen zu starten, um das Chaos in Libyen aufrechtzuerhalten und zu rechtfertigen  -  und nicht, um es zu beheben. 

All das verursacht in der Europäischen Union, die heute eine Oase der Ruhe zu sein scheint, erhebliche Probleme. Es kommt für Washington nicht in Frage, diesen für die USA wesentlichen Markt zu zerstören; es geht darum, sicherzustellen, dass er sich nie im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten befinden kann, und darum, seine Entwicklung einzugrenzen. So hatte Präsident Herbert Walker Bush den Schüler von Leo Strauss, Paul Wolfowitz, 1991 beauftragt, eine Strategie für die post-sowjetische Ära zu entwickeln. Diese, als Wolfowitz-Doktrin bezeichnete Taktik, erklärt, dass die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten über den Rest der Welt erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass die Europäische Union gebändigt bleibt. Letztlich schlägt Washington heute vor, die EU mit der NAFTA, und den Dollar mit dem Euro zu fusionieren, was die Mitgliedstaaten der EU auf das Niveau von Mexiko absenken würde.


Anmerkung
d.a.:
Obwohl Meyssan seine Analyse bereits im April 2015 veröffentlicht hat, ist sie unverändert zutreffend. Die Frage allerdings, die sich beim Lesen seiner Ausführungen stellt, ob die Europäer effektiv so blind sind, oder ob sie Absicht und Handlungsweise Washingtons nicht doch durchschauen, dies aber unter dem Druck der Wirtschaft  - selbst wenn letztere durch die demnächst in Kraft tretenden Sanktionen gegen den Iran aufs schwerste geschädigt wird -  nicht zu erkennen geben, bleibt unbeantwortet.


Quelle:
http://www.voltairenet.org/article187423.html
- gekürzte Fassung -