Einer Pentagon-Studie zufolge droht dem US-Imperium der »Kollaps« 13.08.2017 23:59
Der britische Autor Nafeez Ahmed beschäftigt sich mit einer neuen
Pentagon-Studie, in der untersucht
wird, wie die Vormachtstellung der USA in einer wankenden Weltordnung erhalten
werden könnte:
Zur Sicherung des weltweiten ›Zugangs zu
Ressourcen‹, legt Ahmed dar, müsse der militärisch-industrielle Komplex
massiv ausgeweitet werden. In diesem ersten Artikel einer Serie wird über
erstaunliche Beweise für den bevorstehenden Zusammenbruch der US-Vorherrschaft
und den drohenden Zerfall der nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA
errichteten Weltordnung, die das US-Verteidigungsministerium in einer Studie
zusammentragen ließ, berichtet. Die Vorstellungen des Pentagons, wie
diese Entwicklung verhindert werden könnte, sind wenig vertrauenerweckend. Wir
untersuchen zunächst sowohl die Ergebnisse als auch die Fehleinschätzungen der
Pentagon-Studie. In weiteren Artikeln werden wir uns mit folgenden Fragen
beschäftigen:
-
Was sind die eigentlichen Gründe für den Untergang des US-Imperiums?
- Wie könnten nach dieser exakten
Diagnose die zu erwartenden Probleme tatsächlich gelöst werden?
Eine außergewöhnliche neue
Pentagon-Studie mit dem Titel »At Our Own
Peril: DOD-Risk Assessment in a Post Primacy World« [Die uns drohende Gefahr: Risikoeinschätzung des
Verteidigungsministeriums für eine Welt ohne US-Vorrangstellung] [1] ist
zu dem Ergebnis gekommen, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete, von
den USA dominierte Weltordnung ›zerfallen‹ und sogar ›zusammenbrechen‹ könnte, wodurch die USA ihre globale ›Vorrangstellung‹ verlieren würden.
Die zur Erhaltung der ›US-Vorrangstellung‹ vorgeschlagene Lösung
bringt nichts Neues: Empfohlen werden noch mehr Überwachung, noch mehr Propaganda
durch die ›strategische Manipulation von Wahrnehmungen‹ und eine nochmals
ausgeweitete militärische Expansionspolitik. In dem Dokument wird festgestellt,
dass die Welt in eine völlig neue Phase der Transformation eingetreten ist, in
der die Macht der USA schwindet, die Weltordnung zerfällt und die Autorität der
Regierungen überall zerbröckelt. Die USA hätten ihre bisherige ›Vorrangstellung‹ verloren und müßten sich jetzt in einer unsicher gewordenen Welt, die durch den ›Widerstand gegen
jede Art von Autorität‹ geprägt sei, neu behaupten. Gefahr gehe nicht nur von rivalisierenden
Großmächten wie Rußland und China aus, die beide eine
wachsende Bedrohung für die Durchsetzung von US- Interessen darstellten, sondern
auch von Aufständen in der Art des Arabischen Frühlings. Diese könnten in
absehbarer Zukunft nicht nur im Mittleren Osten, sondern überall auf der Welt
ausbrechen und das Vertrauen in amtierende Regierungen untergraben. Die Studie
beruht auf einem jahrelangen intensiven Forschungsprozeß, in den wichtige Pentagon-Abteilungen und die U.S. Army
einbezogen waren; die US-Regierung wird darin aufgefordert, ihre Überwachungsprogramme auszuweiten, ihre Propaganda
durch eine ›strategische Manipulation der öffentlichen Meinung‹ zu intensivieren
und mehr Geld in die US-Streitkräfte zu investieren, um ihre Flexibilität zu
erhöhen. Sie wurde im Juni vom Institut für Strategische Studien des U.S. Army
War College veröffentlicht und nimmt eine Einschätzung künftiger Risiken vor,
die auf allen Planungsebenen des Pentagons zu berücksichtigen sind. Die Studie
wurde wie folgt unterstützt und finanziert: unterstützt und finanziert: Von der
Abteilung Strategische Planungen und Politik/J5. [2], der U.S. Army, von der Abteilung J5 des
US-Generalstabs, vom Büro des Pentagon-Staatssekretärs für Strategie und
Entwicklung der Streitkräfte und vom Management-Büro des Army Study Program.
Drohender Kollaps ›Die USA bleiben zwar ein global agierender, politischer,
wirtschaftlicher und militärischer Riese, ihre Position ist für Mitbewerber
aber nicht mehr unangreifbar‹, wird in der Studie beklagt. ›Kurz gesagt, der bisher bestehende Zustand, den US-Strategen nach dem Zweiten Weltkrieg
herbeigeführt und seither erhalten haben und der jahrzehntelang tonangebend für
das Pentagon war, droht nicht nur zu zerfallen', es könnte auch zum Kollaps kommen.‹ Die Studie
beschreibt im Wesentlichen den imperialen Charakter der bisherigen Weltordnung,
die durch die Überlegenheit der von ihren Verbündeten unterstützten USA geprägt
ist und die anderen Staaten die zur Durchsetzung der US-Interessen notwendigen
Bedingungen diktieren können. ›Diese Ordnung und ihre konstituierenden Teile haben sich nach dem
Zweiten Weltkrieg herausgebildet; sie wurde nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion in ein unipolares System umgewandelt und wird seither von den USA
und ihren asiatischen und westlichen Verbündeten dominiert. Bisher konnten die
USA mit Unterstützung ihrer Verbündeten die Bedingungen zur Erhaltung der
internationalen Sicherheit diktieren und die Entstehung rivalisierender
Machtzentren verhindern.‹ Aber das Zeitalter, in dem die USA mit
Hilfe ihrer Verbündeten durchsetzen konnten, was immer sie wollten, ist nun
vorbei. Die US-Regierung möchte natürlich ihre globale Führungsposition erhalten,
nach Erkenntnissen der Studie ist die seit
sieben Jahrzehnten nach US-Regeln funktionierende Weltordnung aber ins Wanken
geraten. Die Studie zeigt sehr detailliert auf, wie das Pentagon deren Zerfall
verschlafen hat und von globalen Veränderungen überrascht wurde. Sie warnt
davor, dass globale Entwicklungen derzeit vom Pentagon nicht rechtzeitig
wahrgenommen werden, und dass die unangreifbare Position der Überlegenheit,
welche die USA bis 20 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion halten konnten, deshalb
gefährdet ist. Die USA seien schon so geschwächt, dass sie kaum noch in der
Lage seien, bei lokalen Konflikten automatisch mit militärischer Überlegenheit
zu reagieren. Nach Feststellungen des U.S. Army War College hat aber nicht nur
die Macht der USA stark abgenommen: Alle Staaten und traditionellen politischen
Machtstrukturen stehen unter zunehmendem Druck endogener (innerstaatlicher),
und exogener (von außen einwirkender) Kräfte. ... Der Zerfall der nach dem
Zweiten Weltkrieg entstandenen Weltordnung wird (in vielen Ländern) vom Zerfall
der politischen, sozialen und wirtschaftlichen innerstaatlichen Ordnung
begleitet. Die Verfasser sehen ihre
Studie nicht als Dokument der Entmutigung, sondern als Weckruf an. Wenn nicht
umgehend gegengesteuert werde, bestehe die Gefahr, dass die gegenwärtige
Strategie des Pentagons und die bereits geplante Veränderungen von aktuellen
Entwicklungen überholt und entwertet werden könnten.Die Verteidigung des ›Status quo‹
An der Spitze der Liste der Kräfte, welche die
Vereinigten Staaten aus ihrer ›globalen
Vorrangstellung‹
verdrängt haben, stehen nach der Studie nicht nur konkurrierende Großmächte wie Rußland und China, sondern auch kleinere Mitspieler wie der Iran und
Nordkorea. Diese kleineren Mitspieler werden nicht wegen ihrer militärischen
Stärke als Bedrohung für die Sicherheit der USA angesehen, sondern weil sie
sich in Verfolgung eigener legitimer Interessen den dominanten USA widersetzen.
Rußland und China werden als
revisionistische Mächte beschrieben, die von der US-dominierten Weltordnung
profitiert haben, es nun aber wagen, eine Neuaufteilung der Macht zu fordern
und als legitime Rivalen die Vorherrschaft der USA infrage stellen. Nach
Meinung der Analysten legen es Rußland und China bewußt
darauf an, den USA die Grenzen ihrer Macht, ihres Einflusses und ihres
Durchsetzungsvermögens aufzuzeigen.
Voraussetzung
für diese Einschätzung ist, dass der ›Status
quo‹, das heißt der gegenwärtigen
Weltordnung, erhalten werden muß, weil sie vorteilhaft für die Wahrung der
Interessen der USA und ihrer Verbündeten ist. Jeder Versuch, die Weltordnung so
zu ändern, dass auch andere Staaten Vorteile daraus ziehen könnten, wird
automatisch als Bedrohung für die Vormachtstellung der USA und die Durchsetzung
von US-Interessen angesehen. Wenn sich Rußland und China darum bemühen, ihre
Position beim gegenwärtigen Status quo auch nur minimal auszubauen, um ihre Ziele
besser verfolgen zu können, ist das eigentlich verständlich. Für die Autoren
der Studie geht aber jeder noch so kleine Vorteil für
andere Staaten zu Lasten der USA und ihrer asiatischen und westlichen
Verbündeten.
Es
fällt auf, dass in der Studie kaum Konkretes über die angeblich von Rußland und
China ausgehende Bedrohung für die Sicherheit der USA ausgesagt wird. Beiden
Staaten wird der Hauptvorwurf gemacht, dass sie den gegenwärtigen Status quo durch
den Einsatz von Grauzonen-Techniken verändern wollen, die nahe an die Provokation
von Konflikten heranreichen. Diese versteckte staatliche Aggression
(gegnerischer Mächte), die ohne jegliche Gewaltanwendung stattfindet, wird in
der Studie verurteilt; dann geben ihre Autoren aber sofort ihren hohen
moralische Anspruch auf, weil sie der US-Regierung empfehlen, selbst
Grauzonen-Techniken anzuwenden, um ihren Einfluß zu sichern. Die Studie
enthüllt auch die wahren Gründe dafür, dass die US-Regierung revolutionäre Mächte
wie den Iran und Nordkorea als Feinde betrachtet: Sie stellen wesentliche
Hindernisse für die Ausweitung des imperialen Einflusses der USA in bestimmten
Weltregionen dar, denn sie ›.....
unterwerfen sich weder der gegenwärtigen Weltordnung, noch erkennen sie diese Ordnung
an. ... Sie maßen sich sogar an, den Einfluß der USA in ihren eigenen
Einflussbereichen einzudämmen und wollen ihn dort durch eigene Regeln ersetzen.‹ Die Autoren der Studie werfen dem
Iran und Nordkorea - im Gegensatz zur
US-Regierung - weder das Streben nach
noch den Besitz von Atomwaffen und die davon ausgehende atomare Bedrohung vor,
sie betrachten beide Staaten nur als Hindernisse bei der Durchsetzung der von den
USA dominierten Weltordnung.
Der Propaganda-Krieg dürfe nicht verloren werden In
der Pentagon-Studie wird betont, dass es neben der Herausforderung durch
konkurrierende Mächte auch noch die Bedrohung durch nichtstaatliche Kräfte
gibt, welche die von den USA dominierte Weltordnung auf andere Weise und zwar
vor allem durch Gegeninformation untergraben. Die weltweite Vernetzung und der
Einsatz von Nachrichten als Waffe zur Desinformation und Stimmungsmache ermöglicht
nach Meinung der Autoren der Studie die unkontrollierte Verbreitung von Informationen.
Das führe dazu, dass die vom Pentagon gewünschte Geheimhaltung und operative
Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei. ›Der
weitgehend unkontrollierte Zugang zu neuer Technologie, die selbstverständlich
auch genutzt wird, macht es unmöglich, heikle, geheime oder verdeckte
Absichten, Aktionen oder Operationen unentdeckt zu verfolgen und durchzuführen.
..... Die Militärführung muß sich darauf einstellen, dass alle mit der
Verteidigung zusammenhängenden Aktivitäten,
von kleineren taktischen Maßnahmen bis zu größeren Truppenbewegungen, künftig
sofort bekannt werden.‹ Diese
nicht mehr einzudämmende
Informationsflut bewirke ›einen umfassenden
Zerfall traditioneller Autoritätsstrukturen, ….. und die weltweite Vernetzung
fördere und beschleunige den offensichtlichen Niedergang der nach dem Zweiten
Weltkrieg errichteten Weltordnung.‹
Zivile Unruhen Die
Studie hebt auch die Bedeutung von Gruppierungen wie dem ISIS und der Al-Qaida hervor;
ihr Eingreifen habe zum Beispiel im Arabischen Frühling führerlose Instabilität
und eine umfassende Erosion oder sogar Auflösung traditioneller
Autoritätsstrukturen bewirkt. Das Dokument deutet an, dass solche
populistischen zivilen Unruhen auch in westlichen Staaten und sogar in den USA
selbst ausbrechen könnten. ›Bisher
haben sich die US-Strategen nur auf diese im Mittleren Osten zu beobachtende Entwicklung
konzentriert. Ähnlich destruktive Kräfte versuchen aber weltweit die Autorität
von Regierungen zu zersetzen. ... Deshalb wäre es töricht, nicht zu erkennen,
dass sie sich ständig verändern, Metastasen bilden und in ganz
unterschiedlichen Formen auftreten.‹
Die USA selbst werden als besonders anfällig für Angriffe auf traditionelle
Autoritätsstrukturen angesehen: ›Die
Sicherheit der USA und ihrer Bevölkerung wird zunehmend von vernetzten
Einzelpersonen und kleinen Gruppen motivierter Akteure bedroht, die unter
Ausnutzung vorhandener Ängste und der bereits bestehenden größeren Beeinflussbarkeit
Verwirrung stiften und Verunsicherung
säen und das Zusammenleben erschweren. Diese sehr desorientierende Form
von physischem und über das Internet verbreitetem psychologischem Widerstand
gegen die Autorität des Staates kann schnell und unerwartet tiefgreifende negative
Auswirkungen haben.‹ In der Studie
wird allerdings nicht untersucht, wie die Politik der US-Regierung zur Entstehung
der weit verbreiteten Verunsicherung in der US-Bevölkerung beigetragen hat.
Beunruhigende Fakten Nach
der Studie gehören verschiedene Kategorien von Fakten zu den gefährlichsten Auslösern von Unruhen und
Destabilisierungstendenzen; neben offensichtlichen Gerüchten, die nicht auf
Fakten beruhen und nur die objektive Wahrheit verdrängen sollen, könnten auch zutreffende
Fakten den globalen Ruf der USA schädigen. Informationen über ungünstige
Fakten, zum Beispiel Enthüllungen über korrupte oder unfähige Politiker und
undemokratische Verhaltensweisen, könnten die Autorität der Regierung schwächen
und das Verhältnis zwischen der Regierung und den Regierten belasten.
Informationen über gefährliche Fakten - die
Enthüllung von Staatsgeheimnissen durch Whistleblower
wie Edward Snowden oder Bradley Manning -
könnten sehr nachteilige taktische, operative oder strategische Folgen
haben. Informationen übervergiftete Fakten, die aus dem Zusammenhang gerissen
wurden, könnten wichtige politische Gespräche vergiften. Informationen über
solche Fakten gehören nach der Studie zu den gefährlichsten Auslösern ziviler Unruhen,
weil sie grundlegende nationale Sicherheitsinteressen auf internationaler,
nationaler, regionaler oder persönlicher Ebene gefährden. Besonders vergiftete
Fakten können wie Viren oder Bakterien den Zusammenhalt der eigenen Bevölkerung
oder die Beziehungen zwischen Völkern stören. Kurz gesagt, die Autoren der Studie
des U.S. Army War College glauben, dass vor allem die Verbreitung von Fakten
die Existenz des US-Imperiums gefährdet und seinen Niedergang beschleunigt und
nicht sein reales Verhalten, dass durch diese Fakten belegt wird.
Massenüberwachung und psychologische Kriegsführung
Die
Pentagon-Studie empfiehlt deshalb zwei Maßnahmen zu Abwehr der von
Informationen ausgehenden Bedrohung. Zunächst soll die US-Regierung ihre
geheimdienstlichen Fähigkeiten zur massenhaften Überwachung, die als die am
weitesten reichenden und am besten entwickelten der Welt anzusehen sind,
effektiver nutzen. Weil sich die USA besser und schneller als ihre Konkurrenten
Erkenntnisse aus Überwachungsmaßnahmen verschaffen können, sollten sie das auch
tun. Zusätzlich gestützt auf ihre weit vorgeschobene Militärpräsenz und ihre
militärische Überlegenheit, befänden sich die USA in einer beneidenswerten Position der Stärke. Ein Problem wird vor
allem darin gesehen, dass die USA keinen vollen Gebrauch von ihrer verfügbaren
Stärke machen: Diese Stärke ist jedoch nur dann etwas wert, wenn die USA auch
dazu bereit sind, sie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn die US-Streitkräfte
zeigen, dass sie bereit sind, zu führen,
werden ihnen andere folgen. In der Studie wird kritisiert, dass sich die USA zu
sehr darauf konzentrieren, ausländische Bemühungen zur Lahmlegung der US-Geheimdienste abzuwehren, anstatt
ihrerseits ihren geheimdienstlichen
Apparat zur strategischen Manipulation von Wahrnehmungen und zur Beeinflussung sicherheitsrelevanter
Entscheidungen zu nutzen. Das Pentagon müsse einfach hinnehmen, dass es auch
Versuche gibt, einzelne US-Bürger und
die öffentlich Meinung in den USA von außen zu beeinflussen.
Militärische Überlegenheit Nach
Ansicht der Autoren der Studie kann der Verlust der Vorrangstellung der USA nur
durch eine weitere Verstärkung der US-Streitkräfte rückgängig gemacht werden. Dass
die beiden großen Parteien überlegene US-Streitkräfte wollen, genügt den
Autoren nicht. Die Studie fordert den Aufbau einer US-Militärmacht, die
maximale Handlungsfreiheit ermöglicht und jedem Gegner die Bedingungen zur
Beendigung eines Konfliktes diktieren kann. Klarer als nachfolgend kann man die
von der U.S. Army verfolgten imperialen Absichten kaum formulieren: ›Unabhängig
davon, dass es den Führungen der beiden großen politischen Parteien der USA genügt, wenn die
US-Streitkräfte den Streitkräften potenzieller Gegner überlegen sind, brauchen
wir nach dem Verlust unserer Vorrangstellung flexiblere Streitkräfte, die für
alle denkbaren militärischen Aufgaben
gerüstet sind. Sie müssen der politischen Führung der USA uneingeschränkte
Handlungsfreiheit garantieren können. ... Die US-Entscheidungsträger müssen in
der Lage sein, die Bedingungen zur Lösung internationaler Konflikte zu
diktieren und sie mit militärischen Mitteln durchzusetzen, falls sie vom Gegner
nicht akzeptiert werden.‹ Militärische
Macht wird damit zum wichtigsten Werkzeug der US-Regierung, wenn sanfter Druck
oder offene Drohungen nicht ausreichen, um US-Interessen gegen andere Staaten durchzusetzen.
Es geht also überhaupt nicht um Verteidigung, sondern nur um den Einsatz weit
überlegener Militärmacht zur gewaltsamen Durchsetzung von US-Interessen, was bei
Widerstand nur durch einen Angriff möglich ist.
Das Imperium des Kapitals Dementsprechend
ist ein Hauptziel der militärischen US-Expansion die Sicherung des
uneingeschränkten Zugangs der USA und ihrer internationalen Partner zum
Luftraum, zu allen Meeren, zum Weltraum, zum Internet und zu allen elektronischen
Kommunikationsmitteln, weil nur dadurch die Sicherheit und der Wohlstand der
USA garantiert werden können. Das bedeutet auch, dass die USA, die Möglichkeit
behalten müssen, auf jede Region der Welt zugreifen zu können, wann immer sie
es wollen. ›Wenn den USA
der Zutritt zu Schlüsselregionen der Welt verwehrt oder ihr Agieren darin
eingeschränkt wird, untergräbt das sowohl die Sicherheit der USA als auch die
ihrer Verbündeten.‹ Die USA müßten deshalb bestrebt sein, jeder vorsätzlichen,
böswilligen oder unbeabsichtigten Unterbrechung
des Zugangs zur offenen See, zu wichtigen Regionen oder Märkten sofort
entgegenzutreten.
Ohne
den Kapitalismus jemals direkt zu erwähnen, läßt die Studie keinen Zweifel
daran, wie das Pentagon das neue Zeitalter des ›endlosen Konflikts 2.0‹
[3] sieht. ›Einige bekämpfen die Globalisierung, aber die Befürworter
der Globalisierungs setzen sich aktiv zur Wehr. Diesen Kämpfen fallen die
Sicherheit und bisher stabile Regierungen zum Opfer, auf die Staaten angewiesen
sind, wenn sie überleben wollen.‹ Es
wird also ein Krieg zur Durchsetzung der kapitalistischen Globalisierung
geführt, zwischen den USA, die sie wollen, und allen anderen, die sie ablehnen.
Damit dieser Krieg gewonnen werden kann, empfiehlt die Studie eine Kombination von Strategien: Die US-Geheimdienste
sollen gestärkt und effektiver eingesetzt werden, die Überwachung soll
ausgeweitet und die Propaganda wirksamer gemacht werden, damit die öffentliche
Meinung noch stärker manipuliert werden kann. Das globale Netz von US-Militärbasen
soll ausgebaut werden, um den Zugang zu strategisch wichtigen Regionen, Märkten
und Ressourcen zu sichern. Das übergeordnete Ziel lautet – etwas bescheidener
formuliert: Der weitere Zerfall der von den USA dominierten Weltordnung muß
aufgehalten werden. ›Weil der die
USA begünstigende Status quo unter großen inneren und äußeren Druck geraten
ist, muß er mit Hilfe der gestärkten Macht der USA wenigsten in den wichtigsten
Regionen gestützt und wieder stabilisiert werden.‹ Die Autoren der Studie hoffen, dass es die USA schaffen werden, in
einer umgebauten Weltordnung ihre internationale Vorrangstellung wieder
erringen zu können.
Narzissmus Wie
in allen bisherigen Veröffentlichungen des U.S. Army War College wird auch in
der neuen Studie betont, dass sie weder die offizielle Position der U.S. Army
noch die des Pentagons wiedergibt. Diese Einschränkung bedeutet aber nur, dass
ihre Ergebnisse noch nicht offiziell von der US-Regierung anerkannt sind; gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass
in der Studie die Kenntnisse und Erfahrungen zahlreicher Behörden der
US-Regierung zusammengeflossen sind. Deshalb ist die Studie ein äußerst
aufschlußreiches Dokument über den (Un))Geist, der im Pentagon herrscht; sie
gibt auch Aufschluß darüber, wie peinlich gering die dort verfügbaren
intellektuellen Kapazitäten sind. Sie belegt nicht nur, dass die Überlegungen
des Pentagons alles noch schlimmer machen würden, sie schreit geradezu nach
Vorschlägen für alternative Lösungen. Die Arbeit an der Studie begann im Juni
2016 und wurde im April 2017 abgeschlossen. Daran waren Vertreter verschiedener
Abteilungen des Pentagons beteiligt. Sie kamen vom US-Generalstab, aus dem Büro
des Verteidigungsministers, vom US-CENTCOM, vom US-PACOM, vom US-NORTHCOM, vom
US-SOCOM, (sicher auch aus dem US-EUCOM), von den US-Streitkräften
in Japan/USFJ, vom Geheimdienst des Pentagons/DIA, vom Rat aller US-Geheimdienste,
vom US-STRATCOM und von der U.S. Army und der U.S. Navy im Pazifik. Zu dem Team, das die
Studie erstellt hat, gehörten auch Vertreter einiger neokonservativer US-Think
Tanks, u.a. vom American Enterprise, vom
Center for Strategic and International Studies/CSIS, von der RAND Corporation und
vom Institute for the Study of War.
Deshalb
kann es auch nicht verwundern, dass die zusammengetragenen ›Erkenntnisse‹ so
dürftig sind. Warum sollte man auch Besseres von einem Forschungsprozeß erwarten, der so
narzisstisch wie ein Selbstgespräch ist? Klingen die angebotenen
Lösungen nicht wie ein Echo der bisherigen Politik, die zum Verfall der Macht
der USA geführt hat? Man hat es geschafft, die wichtigsten Gründe für den
Verlust der US-Vorrangstellung systematisch zu ignorieren: Die
biophysikalischen Prozesse des Klimawandels und die Energie- und Nahrungsmittelknappheit,
die den Arabischen Frühling mitverursacht haben, das Zusammenspiel zwischen
militärischer Gewalt, dem Interesse an fossilen Brennstoffen, geopolitische
Allianzen beim Aufstieg des ISIS sowie die Gründe für den Vertrauensverlust der
Regierungen in der Finanzkrise 2008 und den von der neokonservativen
Wirtschaftspolitik verursachten, immer noch andauernden wirtschaftlichen
Niedergang. Ein (der Studie beigefügter) großer Datenblock belegt, dass der
andauernde US-Machtverlust nicht von außen angestoßen wurde, sondern im Umgang
der USA mit ihrer eigenen Macht begründet liegt. Der Zusammenbruch der von den
USA dominierten Weltordnung ist aus dieser Perspektive eine direkte Folge
schwerwiegender Mängel in der Struktur dieser Ordnung und der fragwürdigen
Wertvorstellungen und Visionen, mit denen sie begründet wurde. In diesem
Kontext gelten die in der Studie gezogenen Schlußfolgerungen auch weniger für
den tatsächlichen Zustand der Welt als für die Vorstellung, die das Pentagon
von der Welt hat. Bezeichnend ist auch, dass sich die Studie völlig über die
Rolle ausschweigt, die das Pentagon in
den letzten Jahrzehnten bei der Erzeugung der Instabilität gespielt hat, die es
jetzt wieder beseitigen möchte. Das Pentagon tut so, als habe es nichts mit dem
von Hobbes (dem englischen Philosophen und Staatstheoretiker) entlehnten
Herrschaftsanspruch zu tun, den es auf unsere heutige Welt projizieren will. Es
versucht jede Verantwortung für die negativen Folgen, die sein Handeln für die
Welt hat, von sich abzuwälzen.
In
diesem Sinn ist die Studie auch ein wichtiger Beleg für den Mißerfolg, der sich
meistens einstellt, wenn man versucht, eigene Fehlleistungen objektiv einzuschätzen. Nötig wäre stattdessen eine
unabhängige wissenschaftliche
Auswertung der Aktivitäten und Operationen des Pentagons und eine
sorgfältige Analyse ihrer Folgen. Mit dieser Methode würden ganz sicher andere
Erkenntnisse als mit der Studie gewonnen; das Pentagon wäre dann auch
gezwungen, in den Spiegel zu schauen. Das könnte den Pentagon-Planern die Chance
eröffnen, neue Strategien zu entwickeln, statt erneut auf die erfolglosen
alten zu setzen. Es wäre keine Überraschung, wenn das Pentagon dann sogar seine
These vom Machtverlust der USA revidieren müßte.
Nach
Meinung des Analysten Dr. Sean Starrs vom Zentrum für Internationale Studien
des Massachusetts Institute of Technology / MIT kann die Stärke der USA nicht
nur nach nationalen Kriterien beurteilt werden; es müssen dazu auch
internationale Vergleiche gezogen werden. Starrs zeigt auf, dass die international
agierenden Konzerne der USA immer noch mächtiger als die ihrer stärksten
Konkurrenten sind. [4] Seine
Untersuchungen belegen, dass die Wirtschaftskraft der USA so groß wie nie zuvor
ist und sogar die des Wirtschaftsriesen China übertrifft. Das muß nicht der
Behauptung des Pentagons widersprechen, dass die imperiale Macht der USA in
einem Niedergang begriffen ist, der sich noch beschleunigen könnte. Es bedeutet
aber, dass die Vorstellung des Pentagons von der globalen US-Vorrangstellung
mit der Fähigkeit zur globalen Verbreitung des US-Kapitalismus gleichgesetzt
wird. Da sich geopolitische Rivalen gegen die aggressive US-Wirtschaftspolitik
zur Wehr setzen und neue Bewegungen den ungehinderten Zugriff der USA auf
globale Ressourcen und Märkte zu verhindern versuchen, sieht das Pentagon
alles, was die Ausbreitung des US-Kapitalismus behindert, als Bedrohung an. Trotzdem
wird nichts, was in der Studie vorgebracht wird, den Niedergang der Macht der USA
tatsächlich verlangsamen können. Denn in der Studie des Pentagons wird nur eine
verstärkte Fortsetzung der bisherigen imperialen US-Politik empfohlen, die nach
Meinung des Zukunftsforschers Professor Johan Galtung, der schon den Zerfall der
Sowjetunion vorhergesagt hat, zum
Kollaps des US-Imperiums kurz vor oder nach dem Jahr 2020 führen wird.
Je
mehr wir uns dem Ende der US-Vorherrschaft nähern, desto dringlicher wird für
uns alle, für zivile Gesellschaften, Regierungen und für die Industrie, die
Beantwortung der Frage: Was kommt dann, wenn das mit dem Tod ringende
US-Imperium untergegangen ist?
Dr.
Nafeez Ahmed ist ein mit Preisen ausgezeichneter, seit 16 Jahren tätiger
investigativer Journalist, der die Website INSURGE INTELLIGENCE, ein durch
Crowdfunding finanziertes Projekt, gegründet hat und die Öffentlichkeit mit
sorgfältig recherchierten, unabhängigen Informationen versorgen will.
Gelegentlich arbeitet er auch als Kolumnist für VICE's Motherboard.
Quelle: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP13017_100817.pdf Friedenspolitische
Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein LP 130/17 –
10. 8. 17 resp.
https://medium.com/insurge-intelligence/pentagon-study-declares-american-empire-is-collapsing-746754cdaebf July 2017 Pentagon study declares
American empire is ‘collapsing’ – By Nafeez Ahmed
[1] https://ssi.armywarcollege.edu/pubs/display.cfm?pubID=1358 [2] http://www.dla.mil/HQ/StrategicPlansandPolicy/About/Mission.aspx [3] http://www.armyupress.army.mil/Portals/7/military-review/Archives/English/Military-Review_20120630_art007.pdf [4] https://myweb.rollins.edu/tlairson/ipe/us-powerglobalized.pdf
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