Rahmenvertrag unter Dach? - Von Ulrich Schlüer

Die Verhandlungen über den sogenannten »Rahmenvertrag« zwischen

der Schweiz und der EU seien praktisch abgeschlossen, behauptet Bundesrat Burkhalter. Andere Bundesräte widersprechen. Von Seiten Wirtschaft, FDP und CVP erfährt er scharfe Kritik. Im Dezember 2012 liess Brüssel die Schweiz mit offizieller Note wissen, die EU sei zu weiteren bilateralen Verträgen nicht mehr bereit, solange sich unser Land der sogenannten institutionellen Einbindung in die Strukturen der EU widersetze. Der Bundesrat zeigte sich ohne Verzug willfährig: Man wolle, teilte er Brüssel mit, der geforderten Einbindung mittels eines sämtliche bisherigen und künftigen bilateralen Vereinbarungen überdachenden Rahmenvertrag nachkommen.

Was ist eine institutionelle Einbindung‹? 
Sofort begannen Vorverhandlungen. Diese wurden bereits im Mai 2013 abgeschlossen. In einem als Non Paper etikettierten Dokument unterzeichneten die Spitzendiplomaten Berns und Brüssels im Auftrag ihrer Regierungen eine genaue Definition, was unter der institutionellen Einbindung zu verstehen ist: Bundesbern erklärte sich bereit, sämtliche EU-Beschlüsse und EU-Gesetze zu Sachverhalten, die in bestehenden und künftigen bilateralen Vereinbarungen geregelt sind bzw. werden, fortan automatisch  - ohne eigene Beratung, ohne Beschlussfassung in der Schweiz -  von Brüssel zu übernehmen.  

Ergäben sich, dies der zweite Grundsatz im Non Paper, zur Auslegung bilateraler Vereinbarungen Meinungsverschiedenheiten zwischen Brüssel und Bern, würde der Sachverhalt dem EU-Gerichtshof  - also dem höchsten Gericht der Gegenseite -  vorgelegt, dessen Entscheid endgültig und für die Schweiz unanfechtbar sei. Wäre ein solcher Entscheid  - weil zum Beispiel eine Volksabstimmung in der Schweiz anderes festlegen würde -  hierzulande nicht umsetzbar, hätte Brüssel das Recht, angemessene Sanktionen gegen die Schweiz zu erlassen; so lautet der dritte Grundsatz im Non Paper. Indem er diese drei Konzessionen gegenüber Brüssel einging, erklärte sich der

Bundesrat also damit einverstanden, dass fortan fremde Richter fremdes Recht für die Schweiz verbindlich erlassen können.  

Verschleppte Verhandlungen 
Die formellen Verhandlungen zur institutionellen Einbindung der Schweiz in die EU-Beschlussfassungs-Abläufe begannen Mitte 2014. Ereignisse auf beiden Seiten verursachten immer wieder Unterbrüche. Jetzt, zwei Jahre nach Verhandlungsbeginn, lässt Bundesrat Burkhalter verlauten: Der Vertrag sei unterschriftsreif. Andere Departemente äussern zwar Zweifel, aber gemäss Burkhalter könne der Rahmenvertrag mit der EU vom Bundesrat unmittelbar nach der Brexit-Abstimmung in England unterzeichnet werden. 

Renaissance der Bilateralen?  
Verkaufen will der Bundesrat der Öffentlichkeit diesen Rahmenvertrag offensichtlich unter dem Label Erneuerung des Bilateralen Wegs. Er klammert sich dabei allerdings ausschliesslich ans Schlagwort Bilaterale. Die unverzichtbaren Elemente bilateralen Verhandelns lässt er wohlweislich unerwähnt: Weil er in Wahrheit etwas ganz anderes anstrebt. Bilaterale Verhandlungen finden zwischen gleichberechtigten, souveränen Staaten bzw. staatlichen Gebilden, der EU gehören ja 28 Staaten an, statt. Die beiden Verhandlungspartner begegnen sich auf gleicher Augenhöhe. Sie sind, völlig ungeachtet der Grösse ihrer Länder, ebenbürtige Partner.

Unterwerfungsvertrag 
Der Rahmenvertrag nimmt allerdings von der Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit zwischen der Schweiz und der EU deutlich Abstand: Allein die Schweiz muss die institutionelle Einbindung vollziehen. Allein die Schweiz muss sich fortan gefallen lassen, dass fremde Richter fremdes Recht über sie verbindlich erlassen. Das hat nichts mehr mit bilateraler Gleichberechtigung zu tun. Die EU befiehlt – die Schweiz hat sich zu unterwerfen und ist so keine bilaterale gleichberechtigte Verhandlungspartnerin mehr; sie wird zur Befehlsempfängerin. Und wenn sie Wünsche hat, kann sie ihre Anliegen nicht mehr als gleichberechtigte Verhandlungspartnerin präsentieren: Sie ist nur noch Bittstellerin. So, als wäre unser Land eine Kolonie Brüssels

Lässt sich die Schweiz mittels Rahmenvertrag von einer bilateralen Verhandlungspartnerin zu einer blossen Bittstellerin degradieren, dann wird jegliche Problemlösung selbstverständlich einfach. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einwanderung: Da ein bilateraler Vertrag über die Personenfreizügigkeit existiert, würde fortan die gesamte Gesetzgebung zur Einwanderung nach Brüssel transferiert. Brüssel allein würde bestimmen, und wir hätten die Brüsseler Entscheide automatisch zu übernehmen. So schreibt es der Rahmenvertrag fest. Auf der Strecke bliebe die direkte Demokratie. Der Schweizer Souverän würde auch zur Umsetzung der von Volk und Ständen im Februar 2014 gutgeheissenen Initiative gegen die Masseneinwanderung ausgeschaltet, zum Verstummen gebracht.  

Der Rahmenvertrag bedeutet das Ende des bilateralen Wegs
Die Schweiz wäre, wie gesagt, nicht mehr Verhandlungspartnerin, sie wäre eine den Brüsseler Entscheiden Unterworfene, was sie auch hinsichtlich der sich nach dem Zusammenbruch von Schengen/Dublin über Europa ergiessenden Völkerwanderung zu spüren bekäme, indem die bisherige Schweizer Selbstbestimmung per Rahmenvertrag der institutionellen Einbindung in die EU geopfert würde.  

Der Bundesrat strebt mit dem Rahmenvertrag ein derart schlechtes Verhandlungsergebnis für unser Land an, dass hierzulande resigniert zur Kenntnis zu nehmen wäre, dass eine Vollmitgliedschaft in der EU immer noch besser wäre als das blosses Ausgeliefertsein an Brüssel. 

Der Rahmenvertrag würde diese Auslieferung an Brüssel bewirken  -  also nichts mehr von einem bilateralem Weg! Der Bundesrat hätte die Schweiz vielmehr in den Schnellzug ohne Halt bis Brüssel gestossen.

 

Quelle:  http://eu-no.ch/news/bundesrat-burkhalter-behauptet_119

EU-NO Newsletter vom 12. 5. 2016