Eidgenössische Volksabstimmung vom 28. Februar: »Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!« Von Dr. iur. Marianne Wüthrich 31.01.2016 21:35
Diese Volksinitiative wurde am 24. März 2014 mit 115?.942 gültigen
Unterschriften eingereicht. Dahinter
stehen neben politischen Parteien (SP, JuSo, EVP, Junge CVP, Grüne Partei)
verschiedene Hilfswerke und kirchliche Organisationen. Die Initiative verlangt,
dass Banken, Versicherungen, Effektenhändler, Fonds usw., nicht in
Finanzinstrumente investieren dürfen, welche sich auf Nahrungsmittel beziehen.
Ausgenommen von diesem Verbot wären alle Händler und Produzenten von
Nahrungsmitteln, welche sich durch Termingeschäfte absichern. Das heisst, die
Bauern oder ihre Verbände, zum Beispiel Volg, und ihre Abnehmer, zum Beispiel
Getreide- oder Fleischhändler, aber auch die Verarbeitungsbetriebe der
landwirtschaftlichen Produkte wie Apfelsaft- oder Konservenfabriken, dürften
weiterhin Termingeschäfte tätigen. Dass Spekulationen mit dem Elend anderer eine unschöne
Angelegenheit sind, äusserten in der Parlamentsdebatte auch viele Gegner der
Initiative; doch sind sie der Meinung, eine wirksame Regelung müsste
international, also zum Beispiel über die WTO getroffen werden: Dafür sollte
sich die Schweiz aktiv einsetzen. Andernfalls werden grössere Schäden für den
Dienstleistungsplatz Schweiz befürchtet. Schliesslich gehen in der Frage, ob
und wie weit Preisschwankungen auf dem Getreidemarkt wirklich durch
Spekulationsgeschäfte beeinflusst werden, die Meinungen auseinander.
Aber über allen Diskussionen und Debatten bleibt das dringliche
humanitäre Anliegen der Initianten im Raum stehen: Dürfen wir allfällige
finanzielle Gewinne von Unternehmungen in die Waagschale legen, wenn es auf der
anderen Seite möglicherweise um Hunderttausende von Menschenleben geht? «Nein»,
sagt die Geschäftsleiterin von ›Swissaid‹, Caroline Morel, «das dürfen wir nicht». Allerdings brachte manch einer der National-
oder Ständeräte in den Parlamentsdebatten zum Ausdruck, dass er sich mit der Entscheidung
für oder gegen die Initiative nicht leicht tat.
Am 28. Februar 2016 wird nun das Schweizervolk an der Urne seinen
Entscheid fällen.
Aus dem Interview, das ›Zeit-Fragen‹ mit Caroline Morel geführt hat, geht hervor, dass die
unberechenbare Preisentwicklung für Kleinbauernfamilien verheerend ist. So
sagte Bundesrat Johann Schneider-Ammann in seiner Stellungnahme im Nationalrat
am 17. September 2015: «Die Spekulation hat durchaus positive und nützliche
Funktionen. Sie erhöht die Liquidität auf den Märkten. Das ermöglicht den
Produzenten und den Verarbeitern, sich zu vernünftigen Konditionen abzusichern.
Es geht um Planungssicherheit, es geht um Kosteneffizienz. Wenn die Erträge aus
der Kosteneffizienz in einem funktionierenden Markt letztlich an den
Konsumenten weitergegeben werden, kann das nicht nur schlecht sein.»
Die Frage ist hier: Vermischt der Bundesrat die Spekulation mit
der Geschäftsabsicherung, die gemäss Initiativtext auseinandergehalten werden
müssen? Oder anders gefragt: Was will die Initiative ›Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!‹ verbieten, und was
wäre weiterhin erlaubt?
Caroline Morel: Ja, der Bundesrat vermischt hier die beiden
Sachverhalte. Weil Ernteerträge schwierig vorauszusehen sind, sichern sich Produzenten
und Händler ab. An sogenannten Terminmärkten schliessen sie Verträge über den
Handel mit einem Agrar-Rohstoff ab, wobei Menge, Fälligkeit und Preis im voraus
festgelegt werden. Diese Verträge haben eine Versicherungsfunktion und werden
durch die Spekulationsstopp-Initiative nicht in Frage gestellt. Die vom
Bundesrat erwähnten ›positiven Funktionen‹ werden also weiterhin möglich sein. Seit dem Jahr 2000 treten
jedoch vermehrt Finanzinvestoren, Banken, Hedgefonds und institutionelle
Anleger als Akteure auf den Terminmärkten auf. Sie setzen auf langfristig
steigende Preise oder spekulieren auf kurzfristige Preisveränderungen. Die
Spekulation dieser Gruppe, die vom physischen Handel abgekoppelt ist, ist
schädlich und sie soll daher reguliert werden. Beängstigend ist das Volumen an
Spekulation: Bis 2000 waren 20 % der Verträge spekulativer Natur. Seit der
Finanzkrise liegt ihr Anteil wegen neuer Finanzinvestoren bei 80 % und mehr.
Das Hauptargument der Gegner der Initiative ist, dass die
Spekulation gar nicht die Ursache der wuchtigen Preiserhöhungen für Getreide
auf dem Weltmarkt in den Jahren 2007/2008 und 2011 gewesen sei. Wie ist das zu
sehen?
Die Nahrungsmittelkrise 2008 schreckte die internationale
Gemeinschaft auf. Die Zahl der Hungernden stieg rasch um 100 Millionen und
erreichte die traurige Rekordmarke von 1 Milliarde Menschen. Die Hauptgründe:
Die Preise für Grundnahrungsmittel waren wegen Ernteausfällen nach Dürren und
Überschwemmungen markant gestiegen. Hinzu kamen der politisch geförderte Anbau
von Agrotreibstoffen sowie die zunehmende Tierfutterproduktion wegen steigendem
Fleischkonsum. Doch auch die Spekulation mit Agrarrohstoffen wie Weizen oder
Reis trieb die Preise in die Höhe. Es ist klar, dass verschiedene Faktoren zu
den wuchtigen Preiserhöhungen führten. Einige Faktoren sind jedoch schwer
beeinflussbar [Wetterkapriolen], andere können politisch gelöst werden. Hohe
Nahrungsmittelpreise führen zu Hunger, Rückschritten in der Armutsbekämpfung
und sozialen Unruhen. In Entwicklungsländern geben arme Haushalte 60 bis 80 %
ihres Einkommens fürs Essen aus, prozentual gesehen viel mehr als bei uns.
Steigen die Preise für Grundnahrungsmittel, sind diese Familien daher in ihrer
Existenz bedroht. Darum gilt es, die verschiedenen Faktoren, die zu den
Preiserhöhungen führten, möglichst rasch zu minimieren. Mit der
Spekulationsstopp-Initiative konzentrieren wir uns auf einen wichtigen Faktor,
der zu Preiserhöhungen beiträgt.
Wäre denn ein Spekulationsverbot dann dringend nötig, wenn bereits
andere Faktoren die Getreidepreise in die Höhe treiben?
Ja. Die Finanz- und Wirtschaftskrise war der Hauptauslöser, dass
die schädliche Spekulation in Nahrungsmittel so stark zunahm, denn die Anleger
und Hedgefonds suchten nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Seit der
Nahrungsmittelkrise ist weniger die Preiserhöhung das grosse Problem, sondern
vielmehr die Preisschwankungen, die durch die schädlichen Spekulationen massiv
verstärkt werden. Für Kleinbauernfamilien ist die unberechenbare
Preisentwicklung verheerend, denn sie kann dazu führen, dass weniger in die
landwirtschaftliche Produktion investiert wird oder dass in der Not Saatgut,
Vieh oder Land verkauft werden. Die Gefahr wächst, dass die Menschen qualitativ
und quantitativ schlechter mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Die Bauern und
Bäuerinnen verlieren an Planungssicherheit.
Viele Gegner befürchten im Falle der Annahme der Initiative
negative Auswirkungen auf den Schweizer Wirtschaftsstandort, weil vor allem
Grossbanken und andere Grosskonzerne ihre Geschäfte ins Ausland verlegen
könnten. Andererseits gibt es aber auch viele Anleger, die ihr Geld lieber für
ethisch vertretbare Zwecke einsetzen. Könnten wir in der Schweiz da noch
zulegen?
Der Schweizer Finanzplatz kann mit der Annahme der Initiative an
Ansehen gewinnen, denn er setzt damit ein klares Zeichen gegen
Spekulationspraktiken. Dabei geht es auch um eine Prävention vor
Reputationsrisiken, was gerade dem Schweizer Finanzplatz nur zugute kommen
kann. In der USA und der EU gibt es bereits Bestrebungen, den Spekulationspraktiken
etwas entgegenzusetzen; sie gehen aber weniger weit als die vorliegende
Schweizer Volksinitiative. Anstatt anschliessend übernehmen zu müssen, was
andere beschlossen haben, könnte die Schweiz proaktiv einen Schritt vorangehen.
Gibt es in der Schweiz bereits so etwas wie ›fair trade‹ für Finanz-Unternehmungen,
also eine Bescheinigung durch ›Swissaid‹ und andere Hilfswerke, dass eine Bank oder eine Pensionskasse nur
›saubere‹ Anlagen vermittelt, zum
Beispiel keine Fonds mit Waffen- oder Nahrungsmittelaktien?
Nein, das gibt es meines Wissens nicht. ›Swissaid‹ ist nicht auf dieses
Thema spezialisiert. Es gibt verschiedene ethische und nachhaltige Fonds, in
die mit gutem Gewissen investiert werden kann. Seit der Diskussion über die
Spekulation mit Nahrungsmitteln gab es aber als positive Auswirkung bereits
Banken, die sich von den Investitionen in Agrarrohstoffe zurückgezogen haben.
Wichtig ist es hier, sich als Kunde oder Kundin bei der eigenen Bank oder
Pensionskasse genau darüber zu informieren.
Können Sie uns Stimmberechtigten zum Schluss kurz sagen, warum wir
am 28. Februar ja zur Initiative ›Keine Spekulation mit
Nahrungsmitteln!‹ sagen sollen?
Angesichts der 800 Millionen Menschen, die heute unter Hunger
leiden, ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln ein Skandal. Es muss alles
unternommen werden, um exzessive Spekulationen zu unterbinden. Darum
unterstützt ›Swissaid‹ die Spekulationsstopp-Initiative. Gerade in der Schweiz, einem
der wichtigsten globalen Handelsplätze für Agrarrohstoffe, braucht es einen
mutigen politischen Schritt zum Schutz des Rechts auf Nahrung für alle.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2356 Zeit-Fragen
> 2016
> Nr. 2, 19.
Januar 2016
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