Putins Botschaft an die westliche »Elite«

d.a. Ob mit Absicht oder nicht, jedenfalls fand die Rede, die der russische Staatschef

am 24. 10. auf der Valdai-Konferenz in Sotschi hielt, nur wenig Beachtung, wobei ihr eine solche absolut gebührt. Zu dem 11. Valdai-Treffen waren 108 Experten, auch ehemalige Staatsführer und Minister aus dem Westen, wie der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der französische Premierminister Dominique de Villepin, sowie Historiker, politische Analysten und Journalisten aus Russland und 25 Ländern gekommen. Es handelte sich um eine dreitägige Diskussionsrunde, während der aktuelle russische und globale Themen offen besprochen wurden. 

Zu Beginn erklärte Putin: »Einiges von dem ich spreche, wird vielleicht hart klingen, aber wenn wir nicht direkt und ehrlich über das, was wir wirklich denken, reden, dann macht es wenig Sinn, uns so zu treffen.« Nachdem sich die Vereinigten Staaten zum Sieger des Kalten Krieg erklärt hatten, so Putin ferner, entschieden sie, Druck auf die Ereignisse auszuüben und die Welt ausschliesslich nach ihren Wünschen und Interessen neu zu gestalten. Dadurch ist eine amerikanische Diktatur entstanden, die sich nicht an das Völkerrecht oder an sonstige internationale Regeln hält, und die mittels Drohungen, Nötigung und Gewalt herrscht. »Die Massnahmen die gegen diejengen ergriffen wurden, die sich weigerten, sich zu unterwerfen, sind allseits bekannt und oft umgesetzt worden.  Sie schliessen die Anwendung von Gewalt ein, Druck durch die Wirtschaft und durch Propaganda, Einmischung in die inneren Angelegenheiten und das Zitieren einer selbst verliehenen Überlegalität, wenn sie in diesem oder jenem Konflikt illegale Interventionen oder den Sturz von unliebsamen Regimes rechtfertigen. Neuestens haben wir den wachsenden Beweis für die Anwendung von knallharter Erpressung gegenüber einer Anzahl von Staatsführern. [Merkel?] Es ist nicht umsonst, dass Big Brother Milliarden an Dollars ausgibt, um die ganze Welt, seine engsten Alliierten eingeschlossen, unter Beobachtung zu halten.« Wie Putin des weiteren darlegte, seien die bislang von den einflussreichen Politikern praktizierten Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, bei denen die echten Absprachen ausgehandelt werden, vorbei. Die wesentlichen Punkte, die Putin vortrug, sind im einzelnen:

-  Russland ist immer zu ernsthaften Gesprächen und Vereinbarungen bereit, sollten diese der kollektiven Sicherheit förderlich sein, auf Gerechtigkeit gründen und die Interessen aller Seiten berücksichtigen.

-  Alle Systeme globaler kollektiver Sicherheit sind ernsthaft geschwächt, durchbrochen und deformiert worden. Gegenwärtig existieren keine internationalen Sicherheitsgarantien mehr. Und für deren Zerstörung gibt es einen Verantwortlichen: Die Vereinigten Staaten von Amerika.

-  Die Architekten der Neuen Weltordnung sind mit ihren Plänen gescheitert; sie haben auf Sand gebaut. Es liegt nicht allein an Russland, ob eine neue, wie auch immer geartete Weltordnung errichtet werden soll, aber an Russland führt bei dieser Entscheidung kein Weg vorbei.

-  Russland setzt bei der Einführung von Neuerungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnung auf eine konservative Herangehensweise, lehnt aber eine Erforschung und Diskussion derartiger Innovationen keineswegs kategorisch ab, um so feststellen zu können, ob ihre Einführung gerechtfertigt wäre.

-  Russland hat nicht die Absicht, in den trüben Gewässern der internationalen Politik, die durch das sich immer stärker ausbreitende amerikanische Weltreich des Chaos entstanden sind, zu fischen, und hat auch kein Interesse am Aufbau eines eigenen Weltreichs, was ohnedies unnötig wäre, denn die grosse Herausforderung für Russland liegt in der Entwicklung seines flächenmässig riesigen Territoriums. Darüber hinaus ist Russland nicht willens, als Retter der Welt aufzutreten, wie es früher der Fall gewesen ist.

-  Russland wird keinen Versuch unternehmen, die Welt nach seinen Vorstellungen zu formen; zugleich wird es aber niemandem erlauben, Russland nach seinen Vorstellungen zu verändern. Russland wird sich nicht von der Welt abschotten, aber jeder, der versucht, Russland von der Welt zu isolieren, wird Sturm ernten.

-  Russland hat kein Interesses an der Ausbreitung chaotischer und instabiler Zustände, es will keinen Krieg und hat nicht die Absicht, einen zu beginnen. Allerdings ist aus russischer Sicht der Ausbruch eines weltweiten Krieges gegenwärtig fast unvermeidlich. Russland ist auf eine solche Situation vorbereitet und wird in seinen Vorbereitungen auch nicht nachlassen; Russland will zwar keinen Krieg, fürchtet ihn aber auch nicht.

-  Russland beabsichtigt nicht, aktiv gegen diejenigen vorzugehen, die immer noch versuchen, ihre Neue Weltordnung durchzusetzen, es sei denn, ihr Vorgehen verletzte strategische Interessen Russlands. Diejenigen, die versuchen, Russland in diesen Prozess hineinzuziehen, indem die russischen Interessen unberücksichtigt bleiben, werden auf schmerzhafte Weise scheitern.

-  Hinsichtlich seiner Aussen- und noch mehr bezüglich seiner Innenpolitik wird sich Russlands Macht und Einfluss nicht auf die Eliten und deren Hinterzimmer-Absprachen, sondern auf den Willen der Bevölkerung gründen.

-  Diese neun Punkte sind durch einen zehnten Punkt zu ergänzen:

Es besteht weiterhin die Möglichkeit, eine Neue Weltordnung, die einen Weltkrieg verhindern kann, zu errichten. Diese muss jedoch notwendigerweise die USA einschliessen, was allerdings nur ohne Gewährung einer Vorrangstellung und nur unter den Bedingung allgemeiner Gleichheit geschehen kann: Sie muss dem Völkerrecht und internationalen Vereinbarungen unterstehen, d.h. auf jegliches einseitige Vorgehen verzichten und die Souveränität anderer Staaten ohne Einschränkung akzeptieren.  

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Zeit der Spielchen ist vorbei. Jetzt liegt es an den Vernünftigen, Entscheidungen zu treffen; Russland ist dazu bereit, fraglich bleibt aber, ob es die restliche Welt auch ist.  [1] 

Russland wird sich in keine Konfrontation hineinziehen lassen  
Bereits am 1. Juli hatte Putin erklärt: »Es muss beharrlich darauf hingearbeitet werden, dass im europäischen Raum jegliche verfassungswidrigen Umstürze, Einmischungen in die inneren Angelegenheiten souveräner Länder sowie Erpressungen und Drohungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen, so auch die Begünstigung radikaler und neonazistischer Kräfte, ausgeschlossen werden. Wir alle in Europa benötigen eine Art Versicherungsnetzwerk, damit sich die Ereignisse im Irak, in Libyen, Syrien und bedauerlicherweise auch in der Ukraine nicht zu einer ansteckenden Krankheit entwickeln.« Indessen haben die Provokationen gegen Russland unmittelbar nach der Parlamentswahl in der Ukraine am 26. 10., bei der ein Pro-NATO-Block und mehrere neonazistische Parteien eine Mehrheit gewannen, zugenommen. Am 29. 10. hatte dann die ukrainische Regierung die Einigung auf die Demarkationslinie, die sie im September im Rahmen des Minsker Abkommens mit pro-russischen Kräften in den südöstlichen Regionen Donezk und Lugansk unterzeichnet hatte  - dieses legt eine 30 km breite entmilitarisierte Zone fest sowie  Wahlen in den beiden Regionen -  einseitig aufgekündigt. Russlands stellvertretender Aussenminister rief in der Folge in der UNO zu einer Debatte über das Wiederaufleben des Faschismus in der Ukraine auf und verwies auf die Anfang Oktober erfolgten Kundgebungen mit Tausenden von Aktivisten zum Gedenken an die Ukrainische Aufstandsarmee [UPA], den bewaffneten Arm der Bewegung des Nazi-Kollaborateurs Bandera in den 1930er und 40er Jahren. Am 28. 10. hatte Präsident Putin gewarnt, die Welt müsse »sich gegen jeden Versuch stellen, die Nazi-Ideologie wieder aufleben zu lassen, ethnischen Unfrieden zu stiften und unsere gemeinsame Geschichte zu fälschen.« Radikale Neonazi-Fraktionen in der Ukraine haben Präsident Poroschenko nach der Wahl offen gedroht, er dürfe den Prozess der Einbindung der Ukraine in die EU, und damit auch in die NATO, nicht verlangsamen, während der Chef des Bataillons Dnipro-1, eine vom ukrainischen Oligarchen Igor Kolomoisky unterhaltene Neonazi-Miliz, ankündigte, Poroschenko habe 6 Monate Zeit, um ihre Forderungen zu erfüllen, sonst werde es einen Militärputsch geben. Drohungen ergingen auch von Seiten des Bataillons Asow, dem bewaffneten Flügel des Rechten Sektors, der zu den Neonazi-Parteien, die bei der Wahl am 26.10. mehr als 10 % erhielten, gehört. Als Reaktion kündigte Russlands Verteidigungsminister Schoigu für 2015 mehr Manöver an, wobei er speziell die Ukraine nannte, »wo die die USA und die EU den Sturz des legitimen ukrainischen Präsidenten anstifteten.« Am Vorabend des russischen Tags der Nationalen Einheit, der am 4. November begangen wird, betonte Präsident Putin ausdrücklich, Russland werde sich in keine von der NATO provozierte Konfrontation hineinziehen lassen, »obwohl uns die Konfrontation ständig aufgedrängt wird. …… und obwohl mit der Ukraine eine Brutstätte solcher Provokationen ganz in der Nähe liegt, bleibt Russlands Militärdoktrin defensiv.«  [2]    

Immerhin hielt die Frankfurter Allgemeine Zeitung u.a. fest, »dass Putin in seiner Rede das Vormachtstreben der USA als Gefahr für den Weltfrieden kritisierte: Das einseitige Diktat Washingtons führe zu einer Verschärfung von Konflikten und zur Entwicklung radikaler Regime. Statt einer Lösung von Konflikten gibt es eine Eskalation, statt souveräner Staaten eine wachsende Sphäre des Chaos, statt Demokratie eine Unterstützung zweifelhafter Gruppen, von offenen Neonazis bis zu islamistischen Radikalen. Putin warnte abermals vor Versuchen, den Konflikt im Osten des Landes mit militärischen Mitteln zu lösen und betonte erneut, dass sich Russland dem durch die Sanktionen ausgelösten Druck nicht beugen werde. Putin warf den Vereinigten Staaten vor, immer neue Zentren des Bösen in der Welt auszumachen. Wir sehen heute Versuche, die Welt zu zertrümmern, Teilungslinien zu ziehen und Koalitionen nach dem Prinzip zu schmieden: Nicht dafür, also dagegen, sowie erneut ein Feindbild zu schaffen, wie es in den Zeiten des Kalten Krieges war  [3]  Zu den Darlegungen Putins gehört auch, dass er nochmals ausspricht, dass die USA die Proteste auf dem Maidan aktiv unterstützt hat: »…. und als Washingtons Handlanger in Kiew mit ihrem fanatischen Nationalismus einen grossen Teil der Ukraine vergrämt und das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt hatten, schob Washington Russland die Schuld dafür zu, die Krise heraufbeschworen zu haben.«. »Wer die Fakten vorurteilsfrei betrachte«, so Putin, »weiss, dass es nicht Russland war, das hinter dem Staatsstreich in der Ukraine stand.« Dessen ungeachtet hatte Obama nach dem Ausschluss Russlands aus der G-8-Gruppe am 5. Juni auf dem Gipfel in Brüssel ohne weiteres erklärt: »Russland ist eine Regionalmacht, die einen seiner direkten Nachbarn bedroht, nicht aus Stärke sondern aus Schwäche.« Bei dieser Gelegenheit schoss Barroso den Vogel ab, indem er erklärte: »Dieser demokratische Club nimmt das Russland von Putin nicht auf«, obwohl ihm bewusst sein muss, dass sich der unaufhaltsam steigernde Demokratiemangel der EU ein vieldiskutiertes heisses Eisen ist. Und das erklärt ausgerechnet ein Barroso, der schon  bevor er seinen Position bei der EU erhielt, systematisch auf ein oligarchisches nachindustrielles Europa der Regionen anstelle gewählter souveräner Regierungen hinarbeitete, der wie kaum ein anderer für den wirtschaftsliberalen Kurs der EU und das unkontrollierte Treiben der Lobbyisten steht und den internationalen Finanz-Eliten zuarbeitet.  

Die Presse, unbelehrbar  
Ungeachtet obiger Fakten befleissigen sich die Medien weiterer Angriffe gegen Russland. So kann man der jüngsten Berichterstattung der Tageszeitung Die Welt durchaus folgende Worte von Heiko Schrang voranstellen: »Bei aktuellen Konflikten kann man anhand der Berichterstattung der etablierten Medien sehr schön erkennen, dass diese nichts weiter als Lokalausgaben der NATO-Pressestelle sind. Auch eine deutsche Verteidigungsministerin findet natürlich bei einem Magazin wie Der Spiegel genügend Druckraum, so dass von der Leyen Anfang Juni erklären konnte: Wladimir Putin hat durch sein Verhalten enorm Vertrauen zerstört. …… Russland ist derzeit kein Partner.Partner würden sich an gemeinsame Verabredungen halten.« Man hätte zu gerne gewusst, ob es von der Leyen nicht doch irgendwann auffällt, dass sie sich mit einer solchen Stellungnahme absolut unglaubwürdig, ja geradezu lächerlich macht. Denn wer sich nicht an die Versprechungen hält, das hat auch Gorbartschow als einer der Väter der deutschen Einheit soeben bei seinem Besuch in Berlin klargestellt: Er hat dem Westen und insbesondere der USA offen vorgeworfen, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben. 

Nun sollte es im jetzigen Moment im Gedenken an den Mauerfall eigentlich allen Deutschen bewusst sein, dass Russland unter Gorbatschow den Schritt zur Wiedervereinigung eingeleitet hat. Nicht so der stellvertretenden Chefredaktorin der Welt, Andrea Seibel.  [4]  Dort war am 7. 11.  allenthalben von der russischen Gefahr die Rede und von der NATO als militärisch-politischem Wertebündnis. Nun sind ja die NATO-spezifischen Werte, mit denen sich diese schon im Jugoslawienkrieg auszeichnete, in Libyen erneut zutage getreten. »Niemand«, heisst es in der Welt, »hat mit einer solchen Diskursverweigerung wie jener Putins gerechnet. …. Langsam ist die Schockstarre vorbei. Was bleibt, ist die Frage, wie man der russischen Destabilisierung der Ukraine und letztlich ganz Europas Herr wird.« Will man Frau Seibel als Autorin nicht direkt unterstellen, dass sie sich hier einer glatten Lüge bedient, kann man sie allenfalls einer totalen Unkenntnis der Sachlage zeihen, was immerhin kaum möglich ist. Nicht Putin hat die Ukraine destabilisiert, das ist das alleinige Verdienst der USA und der mit ihr verbündeten, ebenfalls vorzugsweise unter dem Siegel Werte agierenden EU. Wie kann eine Tageszeitung, nachdem von Clinton, Bush und Obama seit den 90er Jahren eine Politik verfolgt worden ist, die Russland umzingelt  - und deren Bestandteil die Finanzierung der Opposition in Russland und in China bildet -  mit derartigen Behauptungen operieren. »Dass man nun eine Eingreiftruppe von 5000 bis 7000 Mann plant und auch Großmanöver in den Grenzregionen zu Rußland abhalten will«, so Die Weltferner, ist gut. Denn dies ist die einzige Sprache, die ein Putin versteht.« Gewiss ist indessen, dass Putin sehr wohl versteht, dass Washingtons neokonservative Kriegsfalken, deren derzeitiger Feldzug, im gesamten Nahen und Mittleren Osten, in Eurasien und in anderen Regionen Konflikte zu schüren, eindeutig gegen ihn gerichtet ist. 

Raum wird natürlich auch einem Mitglied des European Council on Foreign Relations wie Joschka Fischer gewährt, der unumwunden mehr Härte gegen Russland fordert, wobei ihm nicht einmal aufzufallen scheint, dass diese Härte sein eigenes Land wesentlich schwerer trifft als Russland. »So gibt der kriegsgestählte Ex-Sponti in seinem neuesten Buch Scheitert Europa?entsprechende Durchhalteparolen gegen Moskau. Fischer weiss, wie man Stimmung schürt. 1999 hat der Grüne, erst wenige Monate im Amt, als erster deutscher Aussenminister nach 1945 seine Partei und das Land gegen den Willen der Bevölkerung in den Krieg geführt. Kampfflugzeuge der Bundeswehr beteiligten sich damals am NATO-Bombardement gegen Jugoslawien. Der Feldzug war völkerrechtswidrig, eine Aggression mit mehr als tausend Toten, einer komplett zerstörten Infrastruktur und am Ende mehr als 200.000 auf Dauer aus ihrer angestammten Heimat vertriebenen Kosovo-Serben. Fischer hat sich dafür nie verantworten müssen, wie auch kein anderer der damals in den NATO-Staaten verantwortlich zeichnenden Politiker. Angezeigt sei eine grundsätzliche Neuaufstellung Europas und des Westens gegenüber Russland, so Fischer. Und er warnt: Machen wir uns keine Illusionen über Wladimir Putins Ziele. Er versucht nicht weniger als  eine Wiederherstellung des Weltmachtstatus Russlands. Um mit dieser Revision erfolgreich zu sein, bedarf es neben dem erneuten Anschluss der nach 1991 verlorengegangenen Gebiete noch eines weiteren Schrittes, nämlich des direkten Zugangs Russlands zu Europa und der Wiederherstellung seines Einflusses dort als Grossmacht, zumindest in Osteuropa. Als hätten sich nicht die EU und die NATO in den vergangenen 25 Jahren über Russlands Nachbarn hergemacht, skizziert er Moskauer Expansionspläne. Wie wird sich Europa verhalten, wenn es Russland unter Präsident Putin tatsächlich unter Einsatz von Waffengewalt und politischen Destabilisierungstechniken gelänge, die Sowjetunion in neuer Gestalt als russisch beherrschte Eurasische Union wiederauferstehen zu lassen? Nicht nur die Osteuropäer, sondern die gesamte EU stünde vor einer völlig veränderten Sicherheitslage an ihrer Ostgrenze. Die Atommacht Russland wäre dann wieder zu einem direkten europäischen Spieler mit Hegemonialanspruch geworden. Dass die EU mit Frankreich und Grossbritannien gleich zwei Atommächte verzeichnet und auf deutschem Boden nach wie vor einsatzbereite Kernwaffen lagern, lässt Fischer aussen vor. Im Fall der Ukraine argumentiert der frühere Grüne-Politiker in den alten Kategorien von Hegemonie: Den Anschluss des Landes an die EU erklärt er dabei zur Schicksalsfrage für Europa. Eine Hinwendung der Ukraine zu Russland werde drastische Konsequenzen für die Sicherheit des Kontinents haben, warnt er in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Der Westen müsse daher die Ukraine stärker unterstützen; gemeint sind die von Faschisten gestützte Kiewer Regierung und Präsident Petro Poroschenko, dessen Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung im Osten mittlerweile mehr als 3.000 Menschenleben gekostet hat.«  [5]  

Ungeachtet der Frage, was ihm den Blick für die Realität verstellt, geht der Fakt, dass er auf Seiten der USA steht, allein schon aus seinem statement in der International Herald Tribune vom 14. 5. 2004 hervor, wo er sich wie folgt vernehmen liess: »We need the United States; we need the moral leadership of the USA.« Wie die Saat dieser Moral allein im Irak und in Afghanistan aussieht,  berührt ihn offenbar nicht. Ansonsten hatte er der US-Administration in seiner Rede in der Princeton University am 19. 11. 2003 eine gleichberechtigte Partnerschaft angeboten, um den Kampf für eine neue Weltordnung gemeinsam zu gewinnen. Die neue Weltordnung werde internationaleOrdnungsverluste beseitigen und einepositive Globalisierung durchsetzen. Dabei müssten sämtliche Mittel zur Anwendung  kommen, so dass kriegerische Gewaltaktionen ausdrücklich nicht ausgeschlossen sind. No comment …… 

Der Gasstreit 
Noch Anfang April hatte Poroschenko Deutschland auf Grund der Krimkrise dazu aufgerufen, das russische Gas zu boykottieren. »Ich hielte es zum Beispiel für richtig, wenn Deutschland russisches Gas so lange boykottieren würde, bis Russland die Invasion auf der Krim beendet.« Auf die Entgegnung, dass ein Boykott von russischem Gas Deutschland wirtschaftlich hart treffen könnte, sagte Poroschenko: »Manchmal muss man für die Demokratie einen Preis zahlen. Ein Boykott von  russischem Gas wäre ein richtiges Sanktionsmittel und würde Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen.« Zu dem inzwischen beigelegten, man sollte eigentlich sagen, leidlich und notdürftig zurechtverhandelten Gasstreit schreibt F. William Engdahl: »Sollte irgend jemand Zweifel gehegt haben: Das Fiasko um den Gasstreit zwischen der Ukraine und der russischen Gazprom wirft ein Licht auf das völlige Chaos in der EU-Energiepolitik. Die Regierung Merkel und die EU als Ganzes halten die Lüge vom Global Warming aufrecht, während die gesamte übrige Welt allmählich begreift, dass wir uns, wenn überhaupt, in einer zyklischen Phase globaler Abkühlung befinden. Angesichts drastisch in die Höhe schiessender Verbraucherpreise merken Deutschland und die EU, dass sie sich mit der Entscheidung für grüne Energie aus alternativen Quellen wie Sonne und Wind selbst ins Knie geschossen haben. Zusätzlich bringen die kurzsichtigen EU-Sanktionen gegen Russland den verlässlichsten Energiepartner der EU an den Rand des Abbruchs der Beziehungen - Washington sei Dank.«  [6]  

In wieviele EU-Belange sich die Amerikaner einmischen, ohne dass in Brüssel jemals eine Gegenwehr festzustellen wäre, ist mehr als ungeheuerlich. So war US-Aussenminister Kerry mit drei Senatoren diesen Juli effektiv in Bulgarien vorstellig geworden, um nachdrücklich und mit Zusagen zu verlangen, dass der Bau der South Stream-Pipeline durch Bulgarien gestoppt wird. Und was erklärte Oettinger? Im Zuge der Krimkrise hatte er angekündigt, dass er für eine Verzögerung des South-Stream-Projekts sorgen werde; gleichzeitig setzte er Bulgarien unter Druck: der Bau der Leitung verstosse gegen EU-Recht, gemäss dem Gasförderer keine   Ferngasleitungen in Europa besitzen dürfen. Die EU-Kommission versucht derzeit noch immer, das Projekt zu verhindern. Wo man hinschaut, Kniefälle vor der USA. Auf einer Pressekonferenz am 16. 10. in Belgrad hatte Putin, der das Vorhaben als von grossem Vorteil für Europa betrachtet, diesbezüglich erklärt: »Dass das Projekt immer noch nicht realisiert wird, kann nur mit politischen Erwägungen erklärt werden. In diesem Fall fügt die Politik der Wirtschaft einen Schaden zu.« Dagegen haben die Behörden Serbiens unterdessen erklärt, dass das Land die Pipeline zu bauen beabsichtigt und die Vorbereitungen strikt nach Plan laufen. Völlig unverständlich hatte das EP am 18. September die EU dazu aufgerufen, geplante Abkommen mit Russland auszusetzen, worunter auch der Bau von South Stream fällt. Man fragt sich stets von neuem, inwieweit diese kostspielige Versammlung überhaupt einen Durchblick besitzt, geschweige denn ein Konzept. Dabei fällt der Sektor Verträge von europäischen Unternehmen nicht einmal in den Zuständigkeitsbereich des Europaparlaments! Der neue EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete lies sich am 1. 10. wie folgt vernehmen: »Wir sollen den Südlichen Korridor schaffen. Aber es liegt klar auf der Hand, dass das Projekt South Stream nicht fortgesetzt werden kann, bis es allen EU-Normen gerecht wird.« Steigt der Druck der USA, wird Brüssel dafür sorgen, dass die Normen niemals so geändert werden, dass South Stream Aussicht auf Fertigstellung hat, es sei denn, unsere dortigen Genies würden endlich dem Sachverstand den Vortritt lassen. Kein Wunder, dass Engdahl schreibt: »Die entscheidende Frage für die EU lautet momentan: Wird sie die Selbstsabotage aufgeben und sich voll für die geplante South-Stream-Gaspipeline der Gazprom in die EU einsetzen, durch welche die Abhängigkeit von der Ukraine erheblich reduziert wird? Derzeit bringt es für die EU keinerlei Nutzen, wenn sie sich an die von Washington diktierten Sanktionen gegen russische Energieprojekte und wichtige russische Banken hält.« Bereits Ende Juli hielt Engdahl fest: »Was in der Ukraine geschieht, seit Washington entschieden hat, am 22. Februar 2014 den letzten Anschein von Ordnung fahren zu lassen und ein Regime psychopathischer Krimineller ans Ruder zu bringen, ist nichts Geringeres als ein Krieg gegen die menschliche Intelligenz. Nach Einschätzung mancher Beobachter in Washington steht Europa heute an der Schwelle nicht nur eines neuen Kalten Krieges, sondern des Dritten Weltkriegs. Wenn es Brüssel ernst meint, sollte der winzige Schritt einer diplomatischen Lösung der Beziehungen zwischen der Gazprom und der Ukraine getan werden, um sich damit von der katastrophalen Vasallen-Rolle gegenüber Washington zu distanzieren und die langjährigen friedlichen Beziehungen zu Moskau und dessen eurasischer Wirtschaftsgemeinschaft wieder aufzunehmen. Wird diese Chance in der Atempause der nächsten fünf Monate nicht genutzt, können wir sicher sein, dass Victoria »Fuck the EU« Nuland und ihre neokonservativen Freunde in der CIA und im State Department alles Erdenkliche unternehmen werden, um spätestens im März 2015 über die Ostukraine den Krieg mit Russland erneut in Gang zu setzen.«    

Angesichts der angespannten Situation ist auch eine Mitteilung von Mark Whitney zu überdenken:   Am 12. August dieses Jahres zitierte dieser folgendes aus einem Gespräch mit einem führenden NATO-Admiral eines nordeuropäischen Staats zur US-Aussenpolitik: »US-Kollegen aus dem Pentagon haben mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die USA und Grossbritannien die Beziehungen zwischen Europa und der [ehemaligen] Sowjetunion niemals so eng werden lassen würden, dass sie ihre bisher unangefochtene politische, wirtschaftliche oder militärische Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent gefährden könnten. Eine solche Entwicklung werde man mit allen Mittel verhindern, wenn es nötig wäre, auch durch das Provozieren eines Krieges in Mitteleuropa.«  

Nun hat die EU die ihnen von der USA aufgezwungenen Sanktionen widerstandslos durchgesetzt und diese krasse Bevormundung sozusagen lautlos geschluckt; die Ausführungen von US-Vize Joe Biden, der ausdrücklich gesagt hat, dass die Amerikaner die EU zu Sanktionen gegen Russland zwingen mussten, ist auch von der Presse mit Samthandschuhen angefasst worden. Hinzu kommt, dass der Bürgerkrieg in der Ukraine erfolgreich entfacht worden ist und NATO-Oberbefehlshaber Philip Breedlove soeben die Bitte an das Pentagon herangetragen hat, mehr US-Truppen in Osteuropa zu stationieren sowie weitere Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Dies deutet mitnichten auf eine Entschärfung der Lage hin und ist konträr zu dem von Gorbatschows jetzt in Berlin ergangenen Aufforderung Lasst uns daran erinnern, dass es ohne deutsch-russische Partnerschaft keine Sicherheit in Europa geben kann.  

Es kann ja wohl nicht sein, dass wir von der EU auch noch zu vergegenwärtigen haben, dass Brüssel die Situation im Sinne der USA eskalieren lässt. Wenn ja, wo ist das EP, wo sind die Parlamentarier, die Brüssel in den Arm zu fallen gewillt sind?

Wer von uns möchte noch einmal dem Verbrechen eines regelrechten, die EU erfassenden Krieges ausgesetzt sein?  

 

Quellen:  
[1]  http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/redaktion/putins-botschaft-an-die-westliche-elite-die-zeit-der-spielchen-ist-vorbei.html;jsessionid=E06A3388BA6B38DA0F5313292E6146C9    2. 11. 14   Redaktion  
[2]  http://www.bueso.de/node/7752  4. 11. 14       

[3]  http://www.faz.net/aktuell/russland-putin-kritisiert-vormachtstreben-amerikas-13228540.html   24. 10. 14 
[4]  http://www.welt.de/debatte/kommentare/article134117252/Endlich-erkennt-die-Nato-die-russische-Gefahr.html   7. 11. 14  Von Andrea Seibel 
[5]  http://de.ria.ru/opinion/20141015/269792593.html    15. 10. 14 
Joschka Fischer: Mehr Härte gegen Russland 

[6]  http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/f-william-engdahl/mit-der-einigung-im-russisch-ukrainischen-gasstreit-wird-zeit-bis-zum-fruehjahr-erkauft.html   1. 11. 14  F. William Engdahl: Mit der Einigung im russisch-ukrainischen Gasstreit wird Zeit bis zum Frühjahr erkauft   

Siehe hierzu auch  
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2311    2. 9. 14   
Das Neueste vom neuen Kalten Krieg: Ich setze mein Geld auf Putin  -  Von Mark Whitney   http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2271  18. 5. 14  
Die Presse - einseitig

http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2294
   30. 6. 14 
Washingtons Eiserner Vorhang in der Ukraine  -  Von Diana Johnstone