Wie grosse Goldreserven will der Stimmbürger? - von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich

Ist die Volksinitiative «Rettet unser Schweizer Gold» wirklich «unnötig, schädlich und ganz

und gar unerwünscht», wie dies Bundesrätin Widmer-Schlumpf und der Finanzdirektor des Kantons Zug in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 8. Oktober 2014 behaupten?

Die laufende Diskussion über die Goldreserven ist nicht neu. Seit dem II. Weltkrieg gab es etliche «Goldabstimmungen», die es wert sind, wieder in Erinnerung gerufen zu werden. Bereits im Jahr 1949 gab es politisch eine ganz ähnliche Situation wie heute. Es ging um eine neue Währungsverfassung und insbesondere um die Art und Zusammensetzung der Währungsreserven. Bundesrat und Parlament entwarfen damals in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Nationalbank einen Währungsartikel für die Bundesverfassung, der die Zusammensetzung der Währungsreserven offenlassen wollte. Der vorgeschlagene Artikel 39 Absatz 6 sollte wie folgt lauten: «Der Bund kann die Banknoten und andere gleichartige Geldzeichen als gesetzliche Zahlungsmittel erklären. Er bestimmt Art und Umfang der Deckung.» Wäre dieser Artikel angenommen worden, hätte das Parlament die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen können, um vor allem US-Dollars als Währungsreserve zu halten, wie es die USA den am Bretton-Woods-System beteiligten Ländern nahelegte. Dies war möglich, weil die Banknoten nicht mehr in Gold einlösbar waren. Die neue Währungsverfassung war im Parlament und in den Medien unbestritten. Der Bundesrat, der National- und der Ständerat stimmten fast einstimmig zu. Einzig die beiden der Freigeldbewegung nahestehenden Nationalräte stimmten dagegen. Umso mehr überraschte die Antwort der Stimmbürger: Am 22. Mai 1949 verwarfen 61,5
% der Bürger und 20½ von 22 Ständen die Vorlage. Der Grund war klar: Die deutliche Mehrheit der Stimmbürger lehnte es ab, die Art und die Zusammensetzung der Währungsreserven dem Bund, das heisst den Politikern und der Nationalbank, zu überlassen. Grosse Teile der Bevölkerung wünschten, die Goldreserven in der Bundesverfassung verankert zu sehen. 

Die Schweizerische Nationalbank, der Bundesrat und das Parlament lernten die Lektion aus dieser Abstimmung. Sie arbeiteten eine neue Vorlage aus. Darin hiess es in Absatz 7: «Die ausgegebenen Banknoten müssen durch Gold und kurzfristige Guthaben gedeckt sein.» Allerdings waren die Banknoten auch jetzt nicht einlösbar. Verschiedene National- und Ständeräte brachten zum Ausdruck, dass das Gold als Vorsorge für den Katastrophenfall diene. Der Sprecher der vorberatenden Kommission Renold erklärte dies am 22. Juni 1950 im Nationalrat wie folgt: «Zwar sind die Noten bis auf weiteres nicht einlösbar. Hingegen bleibt das Gold für weiteste Kreise der Bevölkerung mit der Notendeckung verknüpft. Insbesondere ist es die Golddeckung, nach der die Währung am häufigsten beurteilt wird. […] Bei den gegenwärtigen unausgeglichenen internationalen Wirtschafts- und Währungsverhältnissen ist es für ein Land von grosser Wichtigkeit, über einen ausreichenden Goldbestand zu verfügen. […] Wo dazu in einem Land noch Vorschriften über eine Mindestgolddeckung bestehen, scheint mir, wird damit auch eine grössere Gewähr geboten, dass ein Goldvorrat im entsprechenden Masse geäufnet und gehalten wird.»

Ja zu mehr Goldreserven am 15. April 1951  
Am 15. April 1951 sagten 71% der Stimmenden und alle Kantone Ja zur neuen   Währungsverfassung, die dem Gold wieder ein grösseres Gewicht gab und damit entsprechende Weichen stellte. In den folgenden 15 Jahren äufnete die Nationalbank die Goldreserven von etwa 800 Tonnen auf bis 2600 Tonnen. Sie kaufte das Gold für 4500 Franken je Kilogramm und hielt an dieser Bewertung bis vor wenigen Jahren fest. Volkswirtschaftlich hat die Schweiz das Gold aus den Ertragsbilanzüberschüssen jener Jahre finanziert, weil sie mehr Güter und Dienstleistungen exportierte als importierte. Dahinter standen Hunderte Millionen von Arbeitsstunden der Bevölkerung. Diese vom Volk gestützte Währungspolitik hat zweifellos zum guten Ruf des Schweizer Frankens beigetragen. Sie hat die Exportindustrie über die Jahre gestärkt, weil diese gelernt hat, sich auch mit einem starken Franken auf den internationalen Märkten zu behaupten. Auch die Kantone wurden gestärkt, weil sie nicht – wie heute – ständig mit Nationalbankgewinnen rechnen konnten, sondern auf ihre eigene Kraft vertrauten.  

Unterlaufen des Volkswillens durch Bundesrat und Parlament  
Das Weitere ist bekannt: Die Goldreserven blieben bis vor wenigen Jahren unangetastet, bis eine Expertenkommission sie als «überschüssig» erklärte und die Nationalbank sie danach im Einvernehmen mit Bundesrat und Parlament zu mehr als die Hälfte verkaufte. Dies geschah allerdings, ohne die Stimmbürger zu fragen, ob sie mit dem Verkauf von Volksvermögen einverstanden seien, und ohne breite Debatte mit dem Volk, wie sie am Anfang der 1950er Jahre stattgefunden hatte. Die Rechtsgrundlage lieferte die neue Bundesverfassung von 1999, von der der Bundesrat vor der Abstimmung tatsachenwidrig behauptet hatte, sie sei nur nachgeführt und sprachlich überarbeitet worden, und sie enthalte inhaltlich nichts Neues. Der Protest des Volkes gegen dieses Vorgehen und gegen die einsetzenden massiven Goldverkäufe äusserte sich nicht nur in Leserbriefen, sondern auch in zwei Volksabstimmungen. Am 22. September 2002 blockierten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Verteilung des Verkaufserlöses. Sie sagten Nein zum Vorschlag der Regierung und des Parlaments, das Geld in eine Solidaritätsstiftung einzubringen, und auch Neinzum Vorschlag einer Volksinitiative, das Geld für die Altersversorgung zu verwenden.

Goldreserven statt riskanter Devisen   
Vor diesem Hintergrund haben einige Bürgerinnen und Bürger die Volksinitiative «Rettet unser Schweizer Gold» gestartet und über 100?000 Unterschriften gesammelt. Der US-Dollar war inzwischen von Franken 4,37 [im Jahr 1949, dem Jahr der ersten Goldabstimmung] auf heute unter 90 Rappen gesunken, und der Goldpreis war von damals 4.500 Franken bis vor kurzem gegen 50.000 Franken das Kilo gestiegen. Die Nationalbank hält heute gemäss ihrer Bilanz für etwa 460 Milliarden Franken Devisen, etwa die Hälfte davon in Euro und ein Viertel in US-Dollar. Diese Währungen sind mit erheblichen Risiken verbunden. Ihnen gegenüber stehen heute deutlich weniger als 10 % Goldreserven. Diese gigantische Menge von risikobehafteten Währungen kann mit gutem Grund als «überschüssig» bezeichnet werden. Es macht nun wirklich Sinn, mit einem Teil dieser Überschüsse nicht nur Aktien, wie es heute bereits geschieht, sondern auch Gold zu kaufen.

Ja zur Goldinitiative  
Wenn die Goldinitiative am 30. November von Volk und Ständen angenommen wird, wird die Nationalbank die Goldreserven in Absprache mit dem Volk wieder aufstocken. Das Gold hat noch jede Währungskrise und jede Währungsreform überlebt. Ich halte die Regel, dass die Nationalbank im heutigen System mindestens 20 % der Aktiven in Gold hält [wie die Initianten es verlangen], für massvoll. Sie ist eine Versicherung für den Katastrophenfall und stärkt auch die Nationalbank, falls diese – von innen oder auch von aussen – unter Druck gesetzt wird.  [1] 

Wem gehören die Goldreserven? 
Sind die Währungs- und Goldreserven, wie das derzeit weltweit beobachtet werden kann, vor allem eine Manipuliermasse, über welche die Politiker frei verfügen können, oder Volksvermögen? Dieser Frage geht Ulrich Schlüer nach. Sie kann beantwortet werden, wenn Rechenschaft darüber abgelegt wird, wie Währungsreserven, insbesondere Goldreserven, überhaupt entstehen. In den werthaltigen Währungsreserven, zu welchen heute weitgehend nur noch die Goldreserven zählen, spiegelt sich der Fleiss, der Erfindergeist, der Pioniergeist, die Leistungsbereitschaft sowie die Leistungskraft eines jeden Volkes. Währungsreserven entstehen aus über eine lange Frist hinweg erzielten Wirtschaftserfolgen, also aus der von den Bürgern des Landes als Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie als Unternehmer erarbeiteten Leistung. Damit lässt sich die Frage, wer Besitzer der Währungsreserven, insbesondere der werthaltigen Goldreserven ist, klar beantworten: Währungsreserven sind Volksvermögen. Der Nationalbank anvertraute Währungsreserven verpflichten diese Bank, unter umsichtiger Verwaltung alles zu unternehmen, dass die eigene Währung solide bleibt; Goldreserven sind das sichtbare Ergebnis eines jahrzehntelangen, durch Fleiss und Pioniergeist erbrachten Wirtschaftserfolgs. Goldreserven stellen zu keiner Zeit eine Manipuliermasse für Politiker dar, die damit auf der Weltbühne pokern wollen. Sie bilden das unverzichtbare Fundament für einen stabilen und soliden Franken, und eine gesunde Währung ist ein wesentlicher Pfeiler der Stabilität des Landes und seiner Volkswirtschaft. Keine Regierung ist legitimiert, über die Köpfe der Bürger hinweg über die  Währungsreserven des eigenen Landes zu verfügen. Währungsreserven, insbesondere die wertbewahrenden Goldreserven, sind nicht dazu geschaffen worden, auf dass Politiker auf der Weltbühne damit pokern können. Währungsreserven gehören dem Volk. Sie bilden die Basis einer stabilen Währungs- und Wirtschaftsordnung und sind somit die Voraussetzung für einen auch in Zukunft zu erzielenden Wirtschaftserfolg.  

«Überschüssige» Reserven?  
Kleinstaaten wie die Schweiz können keine Machtmittel einsetzen, wenn eine Überschuldung die Bankrott-Gefahr heraufbeschwört. Kleinstaaten benötigen in ausreichendem Ausmass werthaltige Währungsreserven, damit sie auf der Basis einer soliden Währung Wirtschaftserfolg und Wohlstand sichern und mehren können. Kleinstaaten sind also stärker als grosse Staaten davon abhängig, dass die Währungsreserven - derzeit insbesondere die Goldreserven - intakt bleiben. Das wohl unbedachteste von einem Notenbanker je ausgesprochene Wort war dasjenige von den angeblich «überschüssigen Goldreserven», das Ende der Neunzigerjahre den Ausgangspunkt zu überstürzten Verkäufen zu miserablem Preis bildete. Ein Kleinstaat, der Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit auch in schwierigen Zeiten bewahren will, kann eigentlich nie über genug werthaltige Reserven – also Goldreserven – verfügen. Zehn Jahre nach dem vorschnellen unüberlegten und unter Erpressung erfolgten Verkauf von mehr als der Hälfte der Goldreserven dürfte das heute selbst der Nationalbank-Führung sehr wohl bewusst geworden sein.  

Voraussetzungen für Interventionen 
Mit der Gold-Initiative soll der Nationalbank zwar keinesfalls verwehrt werden, notfalls auf den Währungsmärkten zugunsten des Frankens zu intervenieren. Solche Interventionen sind allerdings der alleinigen Zielsetzung zu unterstellen, die Stabilität der eigenen Währung im Interesse der Schweiz zu erhalten. Niemals darf sich die Nationalbank dazu verführen lassen, gleichsam als Retterin einer durch bestimmte Faktoren, die von der Schweiz nicht beeinflusst werden können, ins Rutschen geratenen fremden Währung auf der Weltbühne glänzen zu wollen. Fakt ist, dass die Nationalbank, deren Aufgabe es ist, über die Währungsreserven des Landes zu wachen, ausreichende werthaltige Währungsreserven in genügendem Umfang benötigt. Zugunsten des Schweizer Frankens ist sie auf den Währungsmärkten einzig und allein dann handlungsfähig, wenn sie über einen beeindruckenden Vorrat an Goldreserven verfügt. Die Substanz hinter einer Intervention entscheidet, ob eine Intervention erfolgreich oder erfolglos ist. Deshalb muss der Kleinstaat Schweiz, wenn er eine eigenständige, nachdrücklich das Interesse des eigenen Landes vertretende Währungspolitik betreiben will, über ausreichende Goldreserven verfügen. Und die für die Nationalbank Verantwortlichen haben sich immer vor Augen zu halten, dass Goldreserven  - wie alle anderen Währungsreserven -  Volksvermögen sind.  [2]

 

[1]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1931
Zeit-Fragen Nr. 26 vom 21. 10. 14 

[2]  http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/wem_gehoeren_die_goldreserven-1983  Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 24. Oktober 2014 von Ulrich Schlüer, Chefredaktor der «Schweizerzeit»