Wenn Kampagnen-Mischler durchzudrehen beginnen

Weil die «Schweizerzeit» Einzelheiten zur Millionen-Kampagne der Economiesuisse pro Ost-Personenfreizügigkeit offen legen konnte, behauptet Economiesuisse-Kampagnenleiter Urs Rellstab jetzt unverfroren, die «Schweizerzeit» verbreite Lügen. Dazu der nachfolgende «Schweizerzeit»-Kommentar:

Urs Rellstab, Herr über die Economiesuisse-Millionen zugunsten der Ost-Personenfreizügigkeit, verliert die Nerven. Und teilt aus. Auch die «Schweizerzeit» und ihr Herausgeber werden unter die «Lügner» eingereiht. Weil die «Schweizerzeit» Einzelheiten zum klotzigen Geld-Einsatz von Economiesuisse im laufenden Abstimmungskampf offengelegt hat: Dass Leserbriefschreiber und Organisatoren von Standaktionen Prämiengeld aus der Economiesuisse-Kasse einstreichen können. Wie das vom CVP-Generalsekretariat schweizweit eingestanden wurde. Ungewollt zwar, habe doch ein seiner Aufgabe nicht ganz gewachsener «Praktikant» die Post mit den Lockvogel-Angeboten aus dem Hause Economiesuisse irrtümlicherweise über einen Verteiler laufen lassen, der nicht bloss CVP-Ortssektionen, sondern darüber hinaus weitere Empfänger über die kassenträchtigen Angebote der Kampagnen-Organisatoren orientierte. CVP-Generalsekretär Nause hat, als die aufschlussreiche CVP-Post kurz auch von der Presse aufgegriffen wurde, öffentlich um Nachsicht bezüglich des seinem Sekretariat unterlaufenen Lapsus' gebeten. Diese Nachsicht sei ihm gewährt. Aber die Tatsache, dass Economiesuisse Aktivisten via Parteisekretariate entschädigt, wird deshalb nicht ungeschehen gemacht.
 
Und dann lamentiert Economiesuisse lauthals, sie habe niemandem direkt Geld zukommen lassen, auf dass die Empfänger Inserate für die Freizügigkeit gestalten und placieren. An Frau alt Bundesrätin Ruth Dreifuss seien also nicht Hunderttausende von Franken aus der Economiesuisse-Kasse überwiesen worden, damit die Empfängerin Werbe-Inserate mit ihrem Konterfei verbreite. Und auch an die für den Abstimmungskampf mobilisierten Regierungsräte seien keine Direktzahlungen für Inserate aus der Economiesuisse-Kasse erfolgt. Das mag schon deshalb stimmen, weil Economiesuisse Gestaltung, Placierung und Bezahlung der entsprechenden Inserate gleich direkt abgewickelt hat. Tatsache ist aber: Weder Frau Dreifuss noch die sich präsentierenden Regierungsräte leisteten auch nur ein Zehnernötli an die Verbreitung ihrer angeblichen Überzeugung per Inserate. An dieser unserer Feststellung gibt es gar nichts zu korrigieren.
 
Auch bezüglich der Zahlungen von Economiesuisse an den Bund der Steuerzahler (BDS) wurde die «Schweizerzeit»-Darstellung als «lügenhaft» bezeichnet. Mit Ausreden der besonders fadenscheinigen Art: Es sei – ausser 120 000 Franken – kein Geldfluss von Economiesuisse an den BDS erfolgt. Das mag schon zutreffen. Aber nur, weil die vielen Dutzend Inserate mit Absender BDS, die derzeit sehr breit für die Ost-Personenfreizügigkeit werben, von Economiesuisse gleich direkt bezahlt werden. Von Bedeutung dabei ist: Zu dieser massiven Inserate-Kampagne liess sich der BDS überreden, nachdem er für ein steuerpolitisches Projekt finanzielle Unterstützung von Economiesuisse erbeten hatte. Er erhielt diese Unterstützung (die von beiden Seiten zugegebene Zahlung zeugt wohl davon) auch – allerdings unter der Bedingung, dass er der jetzt laufenden, verbreitet ungläubiges Kopfschütteln auslösenden Inserate-Kampagne pro Personenfreizügigkeit seinen Namen leihen würde. Die Summe, die für beide voneinander abhängig gemachten Kampagnen von Economiesuisse aufgebracht wird, beträgt über eine halbe Million Franken. Das kann jeder, der Inserate in den Zeitungen zählen und die Kosten dafür addieren kann, mit Leichtigkeit nachrechnen. Und das Geld dafür kommt aus der Economiesuisse-Kasse.
 
Übrigens: Wenn es Economiesuisse um völlige Transparenz in Sachen Finanzierung der ganzen klotzigen Pro-Kampagne geht, dann ist ihr alle Freiheit eingeräumt, alle Details ihrer millionenschweren Kampagne detailliert offenzulegen. Wann sind Sie dazu bereit, Herr Rellstab?
 
*
 
Wo öffentlich «Lügner» ausgeteilt wird, darf Ringiers Kampagnen-Küche nicht fehlen. Im «SonntagsBlick» vom 11. September 2005 wird der «Schweizerzeit» in einer wahren Breitseite von Vorwürfen «freier Lügenverkehr» unterstellt. Untermauert wird dieser Anwurf mit «Argumenten» der ganz besonderen Art.
 
Zwei Beispiele seien herausgegriffen: Als inzwischen wohl etwa letzter Mohikaner will der Ringier-Verlag tatsächlich noch einmal die krasse Unwahrheit aufwärmen, wonach im Rahmen der Ost-Personenfreizügigkeit nur in die Schweiz kommen dürfe, wer einen gültigen Arbeitsvertrag vorweisen könne. Wer, wie die «Schweizerzeit», anderes behaupte, der lüge.
 
Mit Verlaub: Was Ringier da in Sachen Arbeitsvertrag daherschwatzt, ist entweder eine skrupellose Unwahrheit oder dann entspringt es nicht mehr überbietbarem Dilettantismus in der «SonntagsBlick»-Redaktion. Oder paart sich bei Ringier etwa beides?
 
Tatsache ist: Mit der Personenfreizügigkeit darf gemäss in der EU längst geltender Regelung aus EU-Osteuropa jeder in die Schweiz kommen, um hier Arbeit zu suchen. Für bis zu fünfzehn Monate. Ohne Arbeitsvertrag. Kann er eine Arbeit finden, können sofort seine Angehörigen (Ehegattin, Kinder, Enkel, Eltern und Grosseltern beider Ehegatten) nachgezogen werden. Diese alle ohne Arbeitsvertrag. Studenten können mit Ehepartnern zum Studium in die Schweiz kommen – ohne Arbeitsvertrag! Rentner aus EU-Ländern können, falls sie nicht Fürsorge abhängig sind, in die Schweiz übersiedeln – ohne Arbeitsvertrag! Und jeder EU-Osteuropäer hat fortan das Recht, als Selbständiger, also nicht als Angestellter in der Schweiz das anzubieten, was er kann. Er benötigt dazu keinen Arbeitsvertrag – weil er ja nicht Angestellter ist. Sollten diese selbstverständlichen Elemente der Personenfreizügigkeit in Ringiers Redaktionsstuben noch immer unbekannt sein, dann muss Ringiers Blättermachern wohl dringend empfohlen werden, sich ganz auf ihr eigentliches Kerngeschäft, auf «Sex and Crime», zu konzentrieren. Denn darüber kann sich auch verbreiten, wem die Fähigkeit fehlt, einen Vertrag lesen und allenfalls auch noch verstehen zu können…
 
Das zweite Beispiel betrifft das Thema Arbeitslosigkeit. Die «Schweizerzeit» hat dazu in einwandfreier Übereinstimmung mit der in der EU geltenden Regelung immer wieder die völlig gleiche Position vertreten: Personenfreizügigkeit heisst, dass jeder Bürger eines jeden Landes, mit dem die Schweiz Personenfreizügigkeit eingeht, im Falle seiner Niederlassung in der Schweiz die genau gleichen Ansprüche gegenüber den schweizerischen Sozialwerken besitzt, wie sie Schweizer heute schon besitzen. Jede Vorzugsbehandlung eines Schweizers gegenüber in unserem Land wohnhaften EU-Bürgern aus Osteuropa wäre nach Annahme der Ost-Freizügigkeit verbotene Diskriminierung von EU-Bürgern. Und da entblödet sich der «Sonntags-Blick» nicht, uns unterstellen zu wollen, wir hätten es unterlassen, darauf hinzuweisen, dass kein EU-Bürger gegenüber der Arbeitslosenversicherung besser gestellt werde als ein Schweizer.
 
In der Tat: Wer derartig schwachsinnige Argumentationen aufbauen muss, um andere der Lüge bezichtigen zu können, der muss offensichtlich völliger Verzweiflung darüber anheim gefallen sein, dass die breite Bevölkerung seinen pauschalen, unkritischen Öffnungs-Aufrufen nicht zu folgen bereit ist.
 
Gut so!