27 Milliarden US-Dollar

Niemand, schreibt Ulrich Schlüer, ist bereit, die Höhe dieser Summe zu bestätigen.

Weder Zahler noch Empfänger geben zu, dass die USA im letzten Jahr 27 Milliarden $ aus Bussen gegen Banken eingenommen hat. Es sind ausgewiesene Sachverständige sowie Beobachter der internationalen Finanzströme und der Finanzplätze, welche diese Schätzung in die Welt gesetzt haben. 27 Milliarden wären für den massiv defizitären US-Staatshaushalt eine bedeutende Summe; somit scheinen Bussen mehr und mehr ausbleibende Steuereinnahmen ersetzen zu müssen. Erneut ist nun eine Schweizer Bank, die Credit Suisse, zur ohnmächtigen Zielscheibe einer Milliarden-Bussforderung aus der USA geworden. Allerdings kann die CS kann nicht mehr ernsthaft als »Schweizer Bank« etikettiert werden. Mehr als 70 % ihres Aktienkapitals liegen in ausländischen Händen. Das CS-Management besteht höchstens noch zu 30 % aus Schweizern. Weit mehr als die Hälfte der allmonatlichen Lohnzahlungen der CS fliessen ins Ausland. Sie ist ein global agierendes Finanzinstitut, dessen Hauptsitz sich auf Schweizer Boden befindet. Und die ihr auferlegte Ablasszahlung ist rechtsstaatlich keine eigentliche Busse. Sie ist nicht das Resultat einer in einem rechtsstaatlichen Verfahren erkannte Schuld  - selbst wenn die CS-Chefs ein ihnen aus Washington diktiertes Schuldeingeständnis aussprachen. Im nächstfolgenden Satz jedoch bekundeten sie, die ihnen auferlegte Zahlung mit reiner Weste zu leisten; doch trotz dieser weissen Weste zahlen sie. Am erstaunlichsten hierbei ist wohl, dass sie dafür von der Schweizer Finanzministerin öffentlich gelobt worden sind, ein Vorgang, der vor Widersprüchen strotzt. 

Ausserhalb vereinbarter Rechtshilfe  
Zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten ist die Rechtshilfe per beidseits unterzeichnetem Abkommen geregelt. Es trifft zwar zu, dass die neueste Fassung des Rechtshilfeabkommens noch ohne US-Unterschrift in Washington ruht. Die Ratifizierung dieses Abkommens wird im US-Senat mit der Begründung blockiert, die damit mögliche Bespitzelung aller Vermögenden verletze das US-Verfassungsrecht auf Privatsphäre. Die Blockade bedeutet indessen nicht, dass die Rechtshilfe zwischen Washington und Bern ohne Rechtsgrundlage wäre. Solange das neue Abkommen nicht unterzeichnet ist, gilt einfach das alte.  

Machtdiktierte Skrupellosigkeit  
Doch welches Abkommen auch immer gültig ist oder auf Eis liegt: Die USA schert sich keine Sekunde um die formale Rechtshilfe, wie sie beidseits im Rechtshilfeabkommen vereinbart wurde. Die USA verlegt sich stattdessen auf bombastische Klagen. Und präsentiert zusammen mit diesen auch noch exorbitante Bussenandrohungen. Auf Beweisverfahren zu geäusserten Beschuldigungen verzichtet sie. Der US-Geldhunger diktiert ein anderes, rascheres und skrupelloseres Vorgehen. Denn die USA verfügt über eine unfehlbare, tödliche Waffe: Sie beherrscht den internationalen Dollarverkehr. Und da der gesamte internationale Zahlungsverkehr zumindest heute unauflösbar an den Dollar gekettet ist, kann Washington jeden, der sich seinen herrischen Ansprüchen nicht fügt, vom Dollarverkehr ausschliessen. Es regiert die Macht, nicht das Recht! Die Drohung mit dieser Waffe wirkt, wie immer sie auch begründet wird: Eine Bank, die vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen wird, überlebt keinen Tag. Wegelin lässt grüssen! Ein wirksameres Erpressungspotential existiert nirgends auf der Welt. Und so verlegt sich Washington, des Erfolgs seines Vorgehens gewiss, aufs Erpressen: Wer in das Fadenkreuz einer angedrohten Ausschaltung vom Dollarverkehr gerät,
der bezahlt: ob schuldig oder unschuldig. Er bezahlt einfach; so auch die CS-Führung. Der Bundesrat  - eigentlich an die Rechtsordnung gebunden -  macht keineswegs nur schweigend oder murrend gute Miene zum Erpressungsspiel: Nein, er spendet demjenigen, der einer Erpressung an allen international vereinbarten Rechtsnormen vorbei nachgibt, ausdrücklich Regierungslob. Fühlt sich die Landesregierung also auch im Würgegriff jener, die in Washington die Schuldenlöcher im Staatshaushalt sowohl zu verantworten als auch zu verwalten haben? Nicht, dass wir die Verantwortlichen der CS mit Unschuldslämmern verwechseln würden. Jedoch gelten im weltumspannend ausgetragenen Finanzplatz-Krieg keinerlei Sorgfaltspflichten. Da wird erpresst und bezahlt – und die Regierenden im Land des Opfers applaudieren dazu.  

Würden wenigstens elementare Rechtsgrundsätze gelten, dann könnten die auf diese Weise erpressten Milliarden niemals als Bussen bezeichnet werden. Denn ein elementarer, durch ein ordentliches Gericht ausgesprochener und den Rechtsnormen genügender Schuldspruch fehlt.  Erpressungsforderungen werden bekanntlich auch nicht mit Bussen beglichen. Wohl aber mit Schutzgeld-Zahlungen. Ein wahrhaft böser, dem Mafia-Wortschatz entnommener Ausdruck. Staaten, die im Schuldensumpf zu ertrinken drohen  - so auch der stärkste Staat der Welt -   pfeifen offensichtlich aufs Recht. Mafia-Praktiken versprechen rascheren Erfolg. Regierungen, die davon mitbetroffen sind, spenden dafür gar noch Applaus, auch wenn sie gleichzeitig auf ihre lange rechtsstaatliche Tradition pochen  -  wenigstens in Sonntagsreden.     

 

Quelle:  http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/27_milliarden_dollar-1755  
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5. 14  Rechtsstaat ausser Rand und Band  -  Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 23. Mai 2014 von Ulrich Schlüer   - auszugsweise -