Couchepins Startschuss zum Denken - von Werner Müller

In Seminaren der Privat-Assekuranz wurde bereits in den frühen 70er Jahren auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur hingewiesen. Es ist längst bekannt, dass der Aufwand für die Altervorsorge von ursprünglich vier Arbeitenden in absehbarer Zeit auf den Schultern von anderthalb Personen lasten wird. Anstelle von Lohnprozenten könnte man sich auch andere Finanzierungsarten vorstellen. Die Statistiker sprachen damals vom Pillenknick. Persönlich bin ich der Meinung, dass die magere Geburtenrate ein Produkt des Wohlstandes ist. Wir haben eine Altersvorsorge (solange wir sie uns leisten können), die Entwicklungsländer haben grosse Geburtenraten. Eigentlich müsste man die Probleme, die daraus resultieren, in einem grösseren Zusammenhang betrachten, u.a. auch die Ursachen der Überalterung.

Es war seinerzeit die beste Motivation, die Schweizerischen Säulen der Vorsorge von zwei auf drei zu erhöhen, was ja den Schnitzelbänkler sagen liess, wir sässen in einer Säulenhalle und hätten nichts zu essen. So schlimm kann es nicht sein und wird es wohl auch nicht werden. Es liesse sich nämlich mit unserem System gut leben, und es wäre immer noch eines der besten der Welt, wenn da nicht die Globalisierung (Standortvorteile) und die neoliberale Gier nach mehr Geld wäre (Geld muss arbeiten, Geld muss sich vermehren). Die ersten Unkenrufe stiess im Jahr 1994 EU-Kommissions-Präsident Jaques Delors aus, als er im Weissbuch stipulierte: „Die Löhne der Europäer sind 20 Prozent zu hoch, die sozialen Aufwendungen sind um 3 Prozent zu senken.“ Seither erklingen in regelmässigen Abständen die Jagdhörner der Vordenker und Nachvollzieher höherer Weisheiten und fordern ihrerseits, was aus dem Olymp der westlichen Industrienationen gefordert wird, als wären sie durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden.
 
In der sauren Gurkenzeit von 2003 eröffnete Bundesrat Pascal Couchepin eine Attacke auf das Schweizerische Vorsorgesystem, das die Basler Zeitung mit „Couchepins Startschuss zum Denken“ betitelte. Nun denn, so bedenken wir, was sich seither zugetragen hat und fassen dies zusammen. Wir stellen als erstes fest, dass in den sakralen Tempeln des Geldes der Tarif angegeben wird. Rundum sind die Politiker bewegt oder besorgt, ob in Österreich, Italien, Frankreich oder in Deutschland. Bei unserem nördlichen Nachbarn, dem grössten Wirtschaftsmotor Europas, wo die Verschuldung durch die Wiedervereinigung gigantische Ausmasse angenommen hat, kann man Sparmassnahmen noch nachvollziehen. Schliesslich kann man nur so viel verteilen, wie vorhanden ist. Fressen die Schuldzinsen die Staatseinnahmen auf, sind Abstriche am sozialen Haushalt vorprogrammiert, wenn gleichzeitig die Steuern gesenkt werden. Wo kämen wir hin, wenn die Kreditgeber nicht bedient würden? Schliesslich werden Kredite nur ausgesprochen, wenn sie verzinst werden. Man stelle sich vor, das Zinsniveau wäre um zwei bis drei Prozent höher. Die westlichen Industrienationen wären längst Pleite.
 
Bei der schweizerischen Altersvorsorge ging alles gut, solange die steigenden Kosten mit fetten Gewinnen an der Börse auszugleichen waren. Es reichte sogar dazu, um in Zwischenbereichen abzusahnen, wie man heute weiss. Anfänglich durften Vorsorgegelder in der Schweiz nicht spekulativ angelegt werden, aber mit der Zeit wurden diese Bestimmungen gelockert. Zu gross war der Glaube an ein sich selbständig mehrendes Geld. Es bedurfte einer Spekulationsblase, die an der Börse zum Platzen gebracht wurde, auf dass die Drahtzieher wirtschaftlichen und sozialen Denkens einen Sturm entfachen konnten. Allein in der Schweiz seien 40 Milliarden Franken Vorsorgegelder verdampft worden. Die errichtete Globalisierungsfalle schnappte zu.[1] In einer konzentrierten Aktion stürzten sich synarchisch oder sozialistisch bewegte Freimaurer[2]  - durch die Bilderberg-Konferenz initiiert -  auf die Rentenfrage. Bei den bilateralen Freunden das gleiche Bild: plötzlich entdecken die Regierungen und Politiker die demografische Keule, nachdem der Gewinn von zig Jahren an den Börsen verpulvert worden war. Also schürt man die Angst vor demografisch bedingten Vorsorgelöchern. Zielstrebig arbeitet man darauf hin, sowohl das Rentenalter als auch die Mehrwertsteuer zu erhöhen und gleichzeitig die Leistungen zu kürzen. Nie war die Zeit günstiger, um von Ursachen und Fehlern abzulenken.
 
Das Halali könnte von Globalisierungsgläubigen inszeniert worden sein, wie dem Bericht von Heike Bucher zu entnehmen ist, weil die „US-Pensionskassen ein Auslaufmodell“ sind. [3] Und in der Tat, wenn die Zahlen stimmen, die uns hier geliefert werden, dann wird sich der Druck auf unsere Sozialinstitutionen massiv erhöhen. Man hat sich „höheren Ortes“ nämlich dazu entschieden, die US-Unternehmen und Rentner von Altlasten zu befreien (Defizite durch Spekulationen mit Vorsorgegelder) und ist entschlossen, die kollektive Vorsorge an Private zu überantworten. Angesichts der vielen Firmen in den Vereinigten Staaten, die faktisch Pleite sind (GM, AT&T, IBM, US-Airways, Delta-Airways, United Airways, General Electric und Ford)  - alle durch die geplatzte Spekulationsblase an Börse und Internet in Schieflage geraten -  soll das Risiko bei der Anlage auf die Schultern der Mitarbeiter übertragen werden. Beim Zusammenbruch von Enron und der Pleite der grössten Telefongesellschaft Worldcom verloren die Angestellten nicht nur den Job, sondern auch die Vorsorgegelder. Viele langjährige Mitarbeiter müssen sich mit wesentlich kleineren Renten zurechtfinden. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten macht es möglich. Lange glaubten die Amerikaner, mit einem Mix von Pensionskasse und Staatsrente sei die private Vorsorge hinfällig. Sind wir ehrlich: das glauben viel Schweizerinnen und Schweizer auch.
 
Im Gegensatz hierzu wären die Versicherten in der Schweiz vorerst einmal geschützt. Wir müssen aber heillos acht geben, dass clevere Wühlmäuse in unserem Parlament nicht damit beginnen, die Vorschriften des BVG zu untergraben.[4] Ganz andere Verhältnisse herrschen in den USA. Im US-Senat findet diesbezüglich bereits eine Auseinandersetzung statt. Dort klafft nach jüngsten Berechnungen ein riesiges Loch von 600 Mrd. Dollar, sagt Heike Buchter. Die United Airline, bisher der eklatanteste Fall, habe die Erlaubnis des Konkursrichters erhalten,  9 Mrd. Dollar Verpflichtungen der Pensionskasse gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sicherungsfonds (Pension Benefit Guaranty Corporation) loszuwerden. Auch die US-Stahlkonzerne waren insolvent, so dass weitere 14 Mrd. Dollar dem Sicherungsfonds überantwortet werden durften. Allein im Jahr 2004 mussten 192 US-Unternehmen die staatliche Absicherung in Anspruch nehmen, im Jahr 2003 waren es 155. Das heisst nichts anderes als: Sozialisierung der Verluste, Privatisierung der Gewinne. Es fragt sich somit, wohin das bei dem astronomischen Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten führen wird?
 
Wenn also ein Druck auf unsere AHV und Pensionskassen vorerst allein mit Argumenten von Demoskopen und Versicherungsmathematikern vorgetragen werden, ist das wahrscheinlich nur die halbe Wahrheit. Herr Couchepin, der bereits dreimal auf der Teilnehmerliste der Bilderberger-Konferenz¨ figurierte, muss daher genau im Bild sein, was beim grossen Bruder abläuft. Auffallend ist, dass auch in der Schweiz die Mitarbeiter (vermutlich in verstärktem Masse die Kader) dazu motiviert werden, sich Vorsorgegelder ausbezahlen zu lassen und das Geld in Aktien (natürlich Firmenaktien) zu investieren. So liegt das Risiko beim Versicherten und die Firma hat erst noch den Vorteil, dass ihr das Geld zur Verfügung steht.
 
Seit Jahren wird bei uns ein neuer Generationenvertrag gefordert. Einverstanden, ich habe nichts dagegen. Wir, die Nutzniesser unserer Vorsorge, können sicher einen Beitrag für die künftigen Generationen leisten. Wir tun es eh schon dort, wo die Jugend keine Perspektive besitzt. Es stimmt auch, dass es noch keine Rentnergeneration gegeben hat, der es materiell so gut geht wie heute. Andererseits hat man noch nie so wenig von der Erfahrung der „Alten“ wissen wollen wie heute. Ein neuer Generationenvertrag sollte nicht nur Zahlen beinhalten, wer wann was zu bezahlen hat und irgendwann zugute haben soll. Das letzte wäre allerdings, wenn sich die Versicherten blenden liessen und sich die ganze (oder auch nur Teile) der Vorsorge auf ihre Schultern laden liessen. Dies wäre Kapitalismus total. Die meisten sind bei der Geldanlage überfordert, hier wie in den Vereinigten Staaten, so dass von einer solchen Situation nur die Banken profitieren würden. Aber wie könnte man den Mittelstand gezielter ruinieren? Waren die kleinen Anleger 1920 in den USA nicht schon einmal so weit? Die Ideologie der Geldmächtigen hat versagt; dies sollte der Öffentlichkeit endlich rückhaltlos klargemacht werden werden. Es wird ständig von Transparenz gesprochen. Herr Couchepin, nun wäre Gelegenheit dazu!
 
Werner Müller





[1] Martin Hans-Peter – Schumann Harald, Die Globalisierungsfalle; der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Rowohlt, 1996

[2] Die Koalition der Rothschildschen Strukturen, in der roten, und der Rockefellerschen, in der blauen Farbe erkennbar, muss kein Widerspruch sein. Die grosse Koalition einer privat-sozialistisch ausgerichteten Oligarchie wird von J.R. Carmin glaubhaft dargestellt. (J.R. Carmin, das Schwarze Reich, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1997). 

[3] Heike Buchter, NZZ am Sonntag v. 7.8.05; US-Pensionskassen ein Auslaufmodell.

[4] Das BVG (Berufs-Vorsorge-Gesetz) sieht Auflagen und Kontrollen durch den BVG vor sowie durch dieVersicherten. Bei Insolvenz werden Vorsorgegelder grundsätzlich konkursrechtlich geschätzt (s. Swissair)