Der Terrorangriff in der kenianischen Hauptstadt

Seit seiner Unabhängigkeit von Grossbritannien Ende 1963 leidet Kenia

unter ethnischen Auseinandersetzungen, deren schwerste im Januar 2008 mindestens Tausend Tote forderte. Die unter den Briten herrschenden Zustände hat John Pilger, der zweimal mit der höchsten Auszeichnung, die für den britischen Journalismus vergeben wird, dem Journalist of the YearPreis geehrt worden ist, in seinem Buch Verdeckte Ziele  [1]  festgehalten: 

»Die Briten unterhielten in Kenia Konzentrationslager, in denen die Lebensbedingungen so hart waren, dass innerhalb eines einzigen Monats, im Juni 1954, 402 Insassen starben. Folter, Auspeitschen, Zwangsarbeit, Essensentzug und die Misshandlung von Frauen und Kindern waren an der Tagesordnung. Die Sondergefängnisse, schreibt der britische Historiker V. G. Kieman, waren vermutlich keinen Deut besser als vergleichbare Einrichtungen der Nazis oder der Japaner. Ein ehemaliger Sanitätsoffizier berichtete von japanischen Foltermethoden, die unter einem britischen Lagerkommandanten angewendet wurden. Dieser Terror war durch Kolonialgesetze gedeckt, die nach dem Ende der Kolonialherrschaft unter Jomo Kenyatta und Daniel arap Moi in ihrer Doppelrolle als Gegner einer Volksdemokratie und Freunde des Westens aufrechterhalten und strengstens ausgelegt wurden. Die Registrierungspflicht für Einheimische, die den infamen Passgesetzen der Apartheidregierung in Südafrika entsprach, wurde verschärft. Aus der Masters and Servants Verordnung wurde das Masters and Servants Gesetz; aus der drakonischen Verordnung zur Anwendung ausserordentlicher Massnahmen wurde das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Heute ist Kenia von politischen Unruhen beherrscht, weil die demokratische Bewegung des Landes im Grunde immer noch gegen den Kolonialismus ankämpft.« Jomo Kenyatta hatte an der London School of Economics studiert und später die Terroristengruppe Mau-Mau gegründet, die Tausende seiner afrikanischen Landsleute umbrachte. 

Weitgehend unerwähnt blieb bisher, so German Foreign Policy[2], dass das soeben in Nairobi erfolgte Massaker, zu dem sich die somalische Terrormiliz Al Shabaab bekennt, nicht von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten losgelöst betrachtet werden kann. Die Al Shabaab-Miliz ist aus Strukturen entstanden, die Saudi-Arabien, einer der wichtigsten mittelöstlichen Partner Berlins, aufgebaut hat. Sie erstarkte, als der Westen gemeinsam mit seinem Verbündeten Äthiopien ein als gemässigt islamistisch eingestuftes Regime in Somalia, dem Beobachter eine Befriedung des Landes zugetraut hatten, stürzte; in den anhaltenden Kämpfen radikalisierte sich die Al Shabaab-Miliz und verband sich schliesslich mit internationalen islamistischen Terror-Netzen. Kenia wurde zur Zielscheibe, als es vor rund zwei Jahren sein Militär in den Süden Somalias schickte, auch um den Westen auf dessen Drängen hin im scheiternden Anti-Terror-Krieg zu unterstützen. Seither haben mehrere Terroranschläge das Land getroffen und auch für die Zukunft ist die Gefahr nicht gebannt. Wie der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta am Nachmittag des 24. 9. mitteilte, konnten die kenianischen Sicherheitskräfte den mörderischen Terrorangriff auf die Shopping Mall Westgate in Nairobi beenden; die Terroristen hatten 61 Zivilisten und 6 Soldaten ermordet; von ersteren kamen fünf ums Leben gekommen, elf wurden festgenommen. Der Terrorangriff ist der schlimmste, den Kenia seit dem Anschlag auf die US-Botschaft in Nairobi am 7. August 1998 erlebte. Damals kamen 212 Menschen zu Tode, mehr als 4.000 wurden verletzt. Weltweit, auch im Auswärtigen Amt in Berlin, herrschte Entsetzen. Indessen kann das Massaker, wie bereits dargelegt, nicht losgelöst von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten gesehen werden.

Von Saudi-Arabien unterstützt
Sowohl die Entstehung als auch das Erstarken der Al Shabaab-Miliz waren eng mit Operationen des Westens und seiner ostafrikanischen und mittelöstlichen Verbündeten verknüpft. Schon der Vorläufer der Miliz, die islamistische somalische Organisation Al Itihaad al Islamiya, wurde in den 1980er Jahren mit tatkräftiger Hilfe aus Saudi-Arabien aufgebaut; ohne diese Unterstützung hätte sie in Somalia, das dem Islamismus traditionell recht fernstand, kaum grössere Bedeutung erlangen können.[ Saudische Gelder flossen damals unter anderem auch nach Afghanistan - mit bekannten Folgen; im vergangenen Jahrzehnt kamen sie zum Beispiel islamistischen Organisationen in Mali oder in Syrien zugute, wo sie ebenfalls zum Erstarken salafistischer Strömungen führten. Dass mit Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens - auch der Bundesrepublik - die Verankerung salafistischer Kräfte ermöglichte, die sich im Laufe der Zeit in gewalttätige, zum Teil terroristische Gruppierungen transformierten, lässt sich in der Tat nicht nur für Afghanistan und Syrien, sondern auch für Somalia konstatieren: Aus den Überresten der Al Itihaad al Islamiya formierte sich im Laufe des Jahres 2006 die Al Shabaab-Miliz, damals noch als eine Strömung innerhalb der somalischen Islamic Courts Union, wenngleich die radikalste.

Die Islamic Courts Union, ein Zusammenschluss lokaler islamistischer Vereinigungen, hatte im Jahr 2006 zunächst Mogadischu unter ihre Kontrolle gebracht und dehnte dann ihre Herrschaft immer weiter über Somalia aus. Hintergrund war, dass die somalische Bevölkerung sich nach 15 Jahren Bürgerkrieg und Warlord-Terror auch für islamistische Ordnungsbestrebungen offen zeigte. Dass der endlose Bürgerkrieg und die vollständige Rechtlosigkeit unter der Herrschaft der Islamic Courts Union ein Ende zu nehmen schienen, habe dieser die Sympathien der Bevölkerung eingebracht, heisst es etwa beim Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS).  Beobachter urteilten damals, der Organisation könne es womöglich sogar gelingen - wenn auch auf islamistischer Basis - den Bürgerkrieg in Somalia endgültig zu stoppen. Die Islamic Courts Union stiess allerdings bei den westlichen Mächten, die damals im Anti-Terror-Krieg einflussreiche islamistische Organisationen mit Gewalt bekämpften, auf entschiedene Ablehnung. Als Ende 2006 Äthiopien, der engste Verbündete Washingtons und Berlins in Ostafrika, seine Streitkräfte in Somalia einmarschieren liess, um die islamistischen Machthaber zu verjagen, da stiess die mit dem Westen abgesprochene Massnahme auf erklärte Zustimmung auch in der deutschen Hauptstadt.

Ausser Kontrolle
Ergebnis der auch von Berlin erkennbar unterstützten äthiopischen Intervention war schliesslich die erneute Destabilisierung Somalias. Als die äthiopischen Streitkräfte Anfang 2009 ihren Abzug starteten und in Mogadischu eine neue Regierung installiert werden musste, da sah auch im Westen aufgrund der innersomalischen Kräfteverhältnisse niemand eine Alternative zur Wahl von Sharif Sheikh Ahmed zum Staatspräsidenten Somalias. Dieser hatte 2006, als er vom Westen und dessen äthiopischem Verbündeten wegen seiner als gemässigt islamistisch eingestuften Positionen vertrieben wurde, als Vorsitzender der Islamic Courts Union die zentrale Position im Lande innegehabt. Während er 2006 allerdings noch das gesamte Spektrum der Islamic Courts Union wenigstens einigermassen unter Kontrolle gehabt hatte, war das 2009 nicht mehr der Fall: Deren radikaler Flügel, die Al Shabaab-Miliz, hatte sich im Krieg gegen die vom Westen unterstützten äthiopischen Besatzer nicht nur in Teilen der somalischen Bevölkerung verankern können, sondern sich auch noch weiter radikalisiert. Experten geben den Zeitpunkt, zu dem Al Shabaab sich den internationalen Netzwerken salafistischer Terroristen anschloss, mit den ersten Monaten des Jahres 2008 an. Resultate der vom Westen unterstützten Invasion Äthiopiens in Somalia waren also die Wiedereinsetzung des zuvor vertriebenen Staatspräsidenten Ahmed  - der bis zum 20. August 2012 regierte -  und das Erstarken einer zum salafistischen Terror übergehenden Miliz. 

Zu den nächsten Schritten des Westens gehörte die Einbeziehung Kenias in den Krieg in Somalia. Hatten bereits zuvor Uganda und Burundi eingewilligt, Truppen nach Mogadischu zu entsenden, um dort zumindest den Flughafen und den Präsidentenpalast für prowestliche Kräfte zu sichern, so sorgte sich der Westen nun zunehmend um den Süden Somalias, wo sich die zum offenen Terror übergehende Al Shabaab-Miliz festsetzen können hatte. Deshalb lag es vollkommen im Interesse der westlichen Regierungen, als die auch sonst mit dem Westen kooperierende kenianische Armee im Herbst 2011 in Südsomalia einmarschierte, um mit der erstarkten Al Shabaab-Miliz ein Resultat der gescheiterten westlichen Kriegspolitik zu beseitigen. Bereits damals wurden allgemein terroristische Gegenschläge befürchtet; Uganda, das Truppen in Mogadischu im Einsatz hat, war bereits im Sommer 2010 Opfer eines Al Shabaab-Terroranschlags mit rund 80 Todesopfern geworden. Die Furcht nahm im Herbst 2012 zu, als Kenias Streitkräfte in der ökonomisch wichtigen somalischen Hafenstadt Kismayo einmarschierten und in Nairobi erste Terroranschläge verübt wurden - zunächst meist Anschläge auf Kirchen, denen bereits zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.  

Parallelen 
Bezüglich der westlichen Interventionspolitik weist die Entwicklung in Somalia gleich mehrere Parallelen zur Entwicklung in Afghanistan auf: Das verbündete Saudi-Arabien betrieb, ohne vom Westen daran gehindert zu werden, den Aufbau salafistischer Strukturen, die letztlich zum Terror übergingen; westliche oder vom Westen unterstützte Kriegshandlungen führten nur zur weiteren Radikalisierung dieser Strukturen; deren terroristische Gegenschläge treffen vor allem Zivilisten in den betreffenden Ländern selbst oder in angrenzenden Staaten, in die die Terroristen ausweichen - Pakistan, Kenia. Ähnliches wiederholt sich gegenwärtig in Syrien. Ohne ein Ende der sich stetig wiederholenden westlichen Interventionspolitik ist ein Ausweg nicht zu sehen.

 

[1]  John Pilger Verdeckte Ziele, Verlag Zweitausendeins Frankfurt am Main 2004
ISBN 3-86150-632-7  
[2]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58695    25. 9. 13
Interventionspolitik und Terror
[3] Christopher Harnisch: The Terror Threat from Somalia. The Internationalization of Al Shabaab, www.criticalthreats.org   12. 2. 2010