Das Böse herausklauben - Von Robert C. Koehler

Am Abend des 10. Septembers - halleluja! - war Präsident Obama vom Abgrund des Krieges

zurückgetreten, aber in seiner Rede an die Nation hatte er die meiste Zeit darauf verwendet, seine bisherige Aggression gegenüber Syrien zu rechtfertigen, indem er sich insbesondere über die abscheuliche Abweichung der Regierung Assad von den zivilisierten Normen des Krieges ausließ. Der immer wirksame Trick der Kriegpropaganda besteht darin, daß man ein Beispiel bösen Verhaltens des ins Visier genommenen Feindes herausklaubt und die Empörung dagegen mobilisiert, dabei aber nie, also auf gar keinen Fall, sein eigenes Verhalten betrachtet. 

Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt, gerade nachdem wir unsere Angst-und-Schrecken-Bombenkampagne gegen den Irak begonnen hatten, schrieb ich: »Die Pro-Kriegs-Logik macht eine mysteriöse Transformation durch: Von einem moralischen Absolutismus, der Saddam verdammt, zu einem moralischen Relativismus, der den Einsatz von MOABs [Mutter aller Bomben] und Daisy Cutters [Gänseblümchenschneider, beide besonders zerstörerische Bomben] und sogar, falls nötig, Atombomben rechtfertigt, um ihn loszuwerden. Einige der nettesten Menschen, die du gerne treffen möchtest, haben kein Problem mit dem Abschlachten von Zivilisten.« Barack Obama in seiner Rolle als Präsident straft also sowohl seine eigene Intelligenz als auch, nehme ich an, die der meisten seiner Wähler Lügen, wenn er uns auffordert, bei dem Spiel mitzuspielen, die Empörung über den Giftgaseinsatz als Vorwand für Gegenaktionen unsererseits zu nutzen und zu rechtfertigen, um denselben Menschen auf die gleich rücksichtslose Weise die Hölle zu bescheren.

Die Sache ist die, Herr Präsident: Ja, ja, wir fühlen die Empörung über Syriens schrecklichen Bürgerkrieg, und, nein, wir sind nicht damit zufrieden, angesichts dieses oder eines anderen Massakers, das auf diesem Planeten stattfindet und von Verbündeten oder denjenigen, die man als Feinde vorgibt, begangen werden, nichts zu tun. Aber wir haben genug von den albernen Lösungen, die uns von Tyrannen und Präsidenten verkündet werden, die nichts tun, als die Hölle des Krieges zu perpetuieren und die versteckten Interessen der Unternehmen zu füttern, die davon profitieren. Ihre Entscheidung, vom Abgrund einer Intervention light in Syrien zurückzutreten, ist es wert, gefeiert zu werden, aber ersparen Sie uns das God bless America, das durch Tomahawk-Raketen und letztendlich Atomwaffen gestützt wird, und sagen Sie dem Land und der Welt, couragiert, wie wir die Führung übernehmen werden, um den Krieg selbst zu beenden. Immerhin sind wir das Land, das Atomwaffen entwickelt und 5,5 Billionen $ ausgegeben hat, um ein Wettrüsten mit der Sowjetunion und zu guter Letzt mit niemandem zu veranstalten. Wir entwickeln noch immer weitere Generationen von taktischen Atomwaffen und verbluten mehr als 30 Milliarden $ jährlich in diesen Wahnsinn.

David Swanson sagt es so: »Aus einer Kombination von welchen Faktoren auch immer könnte sich herausstellen, daß wir einen Krieg verhindert haben. Was bedeutet, daß wir auch einen weiteren Krieg verhindern können. Was bedeutet, daß wir damit beginnen können, unseren Weg heraus aus der Kriegsmaschinerie zu bahnen, die unsere Wirtschaft, unsere bürgerlichen Freiheiten, unsere natürliche Umwelt und unsere Seele aufgefressen hat.« Dies wird als Kriegsverdrossenheit oder republikanische Miesmacherei gegenüber Obama abgeschrieben, aber da gibt es noch einen anderen Faktor: Ein intelligenter Anteil der amerikanischen Öffentlichkeit durchblickt den Krieg selbst und wird sich nicht länger in den Verkaufsprozeß, der ihm vorangeht, hineintheatern lassen. In dem Ausmaß, in dem dieser Anteil wächst, wird die öffentliche Vorstellungskraft beginnen, sich den unendlichen Möglichkeiten der Konfliktlösung und -umwandlung zuzuwenden, die jenseits des Krieges existieren.  [1] 

Was würde geschehen, fragt Gideon Levy, in seinem Artikel »Moralische  Supermacht?«, wenn Israel chemische Waffen benützen würde? Würde die USA auch sagen, Israel müsse angegriffen werden? Und was würde geschehen, wenn die USA selbst solche Maßnahmen anwendete? Israel würde niemals Massenzerstörungswaffen anwenden, auch wenn sie im Arsenal liegen, außer unter extremen Umständen. Indessen hat es schon Waffen benützt, die nach dem Völkerrecht verboten sind: Weißen Phosphor und Flechette-Runden gegen die zivile Bevölkerung in Gaza und Splitterbomben im Libanon – und die Welt erhebt nicht den Finger. Es sind auch ein paar Worte nötig, um die Massenvernichtungswaffen zu beschreiben, die die USA benützte, die Atombomben in Japan und Napalm in Vietnam. [Sowie Depleted Uranium in Afghanistan und im Irak]. 

Aber Syrien ist natürlich eine andere Sache. Schließlich kann keiner ernsthaft denken, daß ein amerikanischer Angriff auf das Regime von Präsident Bashar Assad aus moralischen Gründen geschieht. Etwa 100 000 Getötete, die in diesem unglücklichen Land geboren wurden, bringen die Welt nicht zum Handeln; lediglich der Bericht von den 1400 durch chemische Waffen Getöteten, was bis jetzt noch nicht überzeugend bewiesen ist, läßt die Rettungsarmee der Welt handeln. Keiner kann irgend jemanden verdächtigen, daß die meisten Israelis  [67 %]  einen Angriff unterstützen oder um das Wohlbefinden von Syriens Bürger besorgt seien. Israel ist vielleicht das einzige Land in der Welt, wo eine Mehrheit einen Angriff unterstützt: Das leitende Prinzip ist vollkommen fremd: Schlagt die Araber: Egal warum, Hauptsache tüchtig.

Es wird auch keiner ernsthaft denken, daß die US eine Moralische Supermacht ist, wie Ari Shavit sie in der Haaretz-Ausgabe vom 29. 8. definiert hat. Das Land, das seit dem 2. Weltkrieg für das meiste Blutvergießen verantwortlich ist, einige sprechen von 8 Millionen Toten allein durch die Hände der USA: in Südostasien, Südamerika, Afghanistan und im Irak, kann nicht als moralische Macht bezeichnet werden. Auch kann die USA, in der ein Viertel aller Gefangenen der Welt in Kerkern schmachtet, wo der Prozentsatz der Gefangenen größer ist als in China und Rußland, und wo seit 1976  1 342 Menschen hingerichtet wurden, nicht als solche gelten. Selbst Shavits Statement »Die neue internationale Ordnung nach dem 2. Weltkrieg war daraufhin ausgerichtet ..… daß das entsetzliche Szenarium des Vergasens nicht wiederholt würde«, hat nichts mit der Realität zu tun. In Korea, Vietnam, Kambodscha, Ruanda, im Kongo wie in Syrien kann diese grundlose Behauptung nur ein bitteres Lächeln hervorrufen. 

In Syrien ist ein grausamer Krieg im Gang, den die Welt stoppen muß; ein amerikanischer Angriff wird es nicht tun. Die Berichte aus Syrien sind hauptsächlich tendenziös. Keiner weiß, was genau vor sich geht, oder kennt die Identität der guten Kerle und der bösen Kerle, falls sie so definiert werden können. Wir sollten auf die klaren Worte einer Nonne aus Syrien hören, auf Schwester Agnes-Mariam de la Croix, die sich bei mir übers Wochenende vom Jerusalemer Kloster aus, wo sie von Malaysia nach Syrien eine Zwischenstation machte, beklagte: Sie klagt die internationale Presse an. Schwester Agnes beschrieb das Bild anders als die meisten. Es gibt etwa 150 000 ausländische Jihadisten in Syrien, sagt sie, und sie sind für die meisten Brutalitäten verantwortlich. Das Assad-Regime ist das einzige, das sie stoppen könnte; und das einzige, was die Welt tun kann, ist, die Flut von Kämpfern und Waffen zu stoppen. »Ich verstehe nicht, was die Welt wünscht. Al-Qaida helfen? Einen jihadistischen Staat in Syrien gründen?« Diese Äbtissin, deren Kloster an der Straße von Damaskus nah Homs liegt, ist sicher, daß ein amerikanischer Luftschlag nur die Jihadisten stärken wird. »Ist es das, was die Welt will? Noch ein Afghanistan?«

Vielleicht weiß die Welt, was sie will, vielleicht auch nicht.  Aber eines scheint jetzt klar: Noch ein von der USA gewollter Angriff wird eine weitere Katastrophe sein.  [2]

 

Quellen:   [1]  www.antikrieg.com     

http://antikrieg.com/aktuell/2013_09_13_dasboese.htm   13. 9. 13 

Robert Koehlers Artikel erscheinen auf seiner Website COMMONWONDERS.COM, in HUFFINGTON POST, Chicago Tribune und vielen weiteren Websites und Zeitungen

[2]  http://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.544607   5. 9. 13  Moral superpower? Give me a break  -  By Gideon Levy – Eine Übung in Ehrenhaftigkeit [und Doppelmoral]  auszugsweise  -  Die Übersetzung verdanken wir Ellen Rohlfs

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