Die OECD - immer mit im Spiel

d.a. Ob Arbeitsmarkt, Sozialsysteme, Entwicklungshilfe, Spardiktate oder Wahlen, es gibt

effektiv kaum ein Gebiet, auf dem sich die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nicht nachhaltig bemerkbar macht. Die diesen Mai an die Europäische Zentralbank ergangene Weisung dieses Gremiums besagt, dass erstere ihrem Generalsekretär Angel Gurría zufolge eine zu passive Rolle spiele und daher die Gelddruckmaschine noch schneller laufen lassen sollte. [1]  Im Februar dieses Jahres war der stellvertretende Generalsekretär Yves Leterme sogar der Meinung, Deutschland »ziehe einer Studie der OECD zufolge deutlich weniger Einwanderer an als andere europäische Länder.« Offenbar hatte er sich nur ungenügend mit den Gegebenheiten vertraut gemacht, denn ein Grund hierfür dürfte darin liegen, dass der normal verdienende Arbeitnehmer in Deutschland unter höheren Abzügen von seinem Gehalt leidet als dies in fast jedem anderen Industrieland der Fall ist; nur in Belgien greift der Staat noch stärker zu. Im übrigen war es die OECD, die Mitte 2011 festhielt, dass seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 mehr als 13 Millionen Arbeitsplätze in den Industrieländern vernichtet wurden, was direkt zum Faktor Arbeitslosigkeit überleitet, die allein schon einer undifferenzierten Forderung nach mehr  Einwanderern krass entgegensteht. Ende 2012 hatte die OECD selbst das Wirtschaftswachstum für Deutschland entgegen den Prognosen deutlich herabgesetzt; zugleich wurde mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gerechnet; wo wäre also hier die Notwendigkeit zusätzlicher Einwanderer gegeben? Zwar sei das deutsche Zuwanderungssystem eines der offensten im OECD-Raum, fährt Leterme fort, werde aber im Ausland immer noch als restriktiv wahrgenommen. Danach trifft die Rüge auch gleich die deutschen Unternehmen, die mit der Anwerbung von Ausländern noch zu zurückhaltend seien. Nur etwa jede fünfte Firma wolle demnach ausländische Fachkräfte einstellen. Damit nicht genug, es folgt eine als diktatorisch zu betrachtende Anweisung »Diese Grundeinstellung muß sich ändern«. Es ergeht somit eine Vorschrift, die nach nichts fragt: weder nach der Bevölkerung, ob sie einer steigenden Einwanderung zugeneigt ist, noch nach der Grundsituation, ob die Firmen überhaupt einer steigende Anzahl von Angestellten bedürfen, was im verneinten Fall auch weitere Zuwanderer ausschliesst. Die Aufforderung an Deutschland, dass es die Einwanderung stärken muss, war von Seiten Gurrías allerdings schon einmal, im März 2010, gestellt worden. Die Armutseinwanderung, unter die BRD insbesondere leidet, ist für Leterme natürlich kein Thema. Schätzungsweise dürfte die Zahl der Roma, die von Südosteuropa nach Deutschland gekommen sind, um die 200.000 Personen betragen, von denen jede den Steuerzahler mindestens 12.000 Euro im Jahr kostet.  

Im März hatte die OECD verlangt, in Sachen Euro aufs Ganze zu gehen und für die Eurozone den Worten von Gurria zufolge die Mutter aller Brandmauern in Form von 1 Billion Euro gefordert, damit sich diese gegen die Schuldenkrise wappne, also doppelt soviel wie das bislang für den dauerhaften Rettungsschirm ESM geplante Kreditvolumen. Woher das Geld kommen soll, blieb, keineswegs überraschend  - man möchte fast sagen, bequemerweise -  offen, wächst doch die Verschuldung der EU-Staaten rasant. Allein die 17 Länder der Eurozone steigerten ihre Schuldenlast 2012 um 375 Milliarden €, so dass sich der Schuldenberg in der Eurozone Ende 2012 auf rund 8,6 Billionen Euro summierte. EU-weit sind es sogar 11 Billionen €, etwa 576 Milliarden €  mehr als ein Jahr zuvor.

Man erinnere sich: Bei der Zusammenstellung der 60 intransparentesten Finanzplätze der Welt, die die NGO Tax Justice Network am 2. 11. 2009 veröffentlichte, führte Delaware die Rangliste an, London schaffte es auf Platz fünf. Nun waren aber zuvor weder die USA noch Grossbritannien im Zusammenhang mit Steueroasen offiziell genannt worden – wohl weil die beiden Länder in den massgebenden Gremien OECD und G-20 einen grossen Einfluss ausüben; denn die drei die offshore centres erfassenden Listen, die schwarze, graue und weisse, waren von niemand anderem als von der OECD erstellt worden, und auf der weissen figurierte Grossbritannien und die USA. Daher bezeichnet Jean-Claude Paye diese Listen als willkürlich, als Werkzeuge des Wirtschaftskriegs.  [2]  Selbstredend ist auch die Entwicklungshilfe ein Thema für die OECD; die Ministerkonferenz der OECD war im Mai 2005 mit einem Bekenntnis zur Globalisierung zu Ende gegangen; es wurde nicht nur auf die Aufgabe der Industrieländer hingewiesen wurde, letztere umfassend und nachhaltig zu gestalten, es erging auch das erneute Versprechen der OECD-Länder, ihre Entwicklungshilfe auszubauen. Bei derartigen Gelöbnissen spielt der Fakt, dass von letzterer Milliarden in korrupten Taschen versickert sind  - was die Schulden der Geberländer über die Jahre hinweg alles andere als dezimierte -  und noch immer versickert, dies ganz speziell in Afrika.

So hiess es denn auch in einer Leserzuschrift an die Neue Zürcher Zeitung vom 3. Juni: »Afrika bleibt ein Clan-Geschäft. Was die politische Klasse und die Entwicklungshilfeindustrie in Europa und in der Schweiz gerne verschweigen: Die Bevölkerungen der Länder südlich der Sahara sind ärmer, kränker, hungriger, ungebildeter, und der Gewalt mehr ausgesetzt als je zuvor. Die Bevölkerungen, wohl verstanden, nicht aber die Machthaber und ihre Hofschranzen, die sich in einer Art und Weise an den sogenannten Entwicklungsgeldern und der Plünderung der Ressourcen bereichern, dass einem die Worte fehlen.«

»Was ist das Empire?« Dies eine Frage in der jungen Welt Ende 2004: »Das sind die US-Regierung, die internationalen Institutionen, die G-7-Staaten, Weltbank, IWF, WTO, OECD, NATO, die zusammen mit den Finanzakteuren der Wall Street und den multinationalen Konzernen die weltweiten Prozesse der sogenannten Liberalisierung und Privatisierung steuern.«  

Wie Funktionäre von internationalen Organisationen nach Macht streben 
Dies der Titel des nachfolgenden Aufsatzes von Beat Kappeler: 

Die OECD mahnt, der Europarat kritisiert, die Weltbank verlangt. Sind das also hoheitliche Erlasse? Überhaupt nicht, sondern hier schreiten auf hohen Stelzen und im Hermelinmantel der Macht lediglich die Funktionäre solcher internationaler Organisationen einher. Aber sie mischen sich immer lauter in alle möglichen nationalen Belange ein. Die Schweiz ist wieder einmal Zielscheibe; dieses Mal kritisiert eine Untergruppe des Europarats, dass die Parteienfinanzierung nicht geregelt sei. Wo in aller Welt betrifft dies ein zwischenstaatliches Problem, wo soll dies andere Länder stören? Schwacher Trost, dass die anderen Länder ebenfalls unter die Communiqué-Walze dieses Komitees geraten, schwacher Trost zudem, dass auch andere Organisationen sich oft massiv in innerstaatliche Fragen einmischen.  

So war die OECD als Diskussions- und Studienforum der Industrieländer gegründet worden, aber allein im Mai 2013 hat der Generalsekretär die neue italienische Regierung zu Reformen ermahnt, etwa 10 Länder gerügt, deren Entwicklungshilfe sank, und Südkorea befohlen, seine Arbeitslosen stärker zu unterstützen. Es fand keine Ministerkonferenz der Staaten der OECD statt, welche mit halbwegs demokratischer Legitimation solche Einmischungen diskutiert hätten. Rein rechtlich gesehen hätten selbst die Minister dazu nichts zu sagen gehabt. Von der Sache her stehen die erwähnten Handlungsfelder in der nationalen Kompetenz. Soeben platzte nun China als Opfer der Weltbank in die Öffentlichkeit. Die Weltbank  - eher ihre nirgendwo demokratisch gewählten Funktionäre -  erstellen jährlich eine Rangliste der Wirtschaftsfreundlichkeit der Mitgliedsländer. Hier sticht die Schweiz zwar immer schmeichelhaft obenaus, China hingegen fasste wegen seiner nicht dem westlichen Standard entsprechenden Regeln für Firmengründungen, Währung, Arbeitsmarkt [im «Doing Business»-Report] Prügel. Doch auch der Weltdachverband der Gewerkschaften tobt, weil jede Schutzmassnahme im Arbeitsmarkt den Daumen der Weltbank-Sekretäre nach unten dreht. Tatsächlich verstossen manche Schutzregeln sogar gegen die Interessen der Arbeitenden. Aber sollen angestellte Funktionäre einer zwischenstaatlichen Organisation den Mitgliedsregierungen auf diese Weise dreinreden, sollen sie solche Regeln von der Mongolei über die Schweiz, Frankreich bis zu Ecuador über den gleichen Leisten schlagen? Das sei Ranglisten aus der Zivilgesellschaft vorbehalten, dem World Economic Forum, dem Wettbewerbsreport des IMD oder Transparency International.   

Das Fachwort aber für die selbsternannten, ausgreifenden zwischenstaatlichen Unionen heisst ›mission creep‹. Auch der Internationale Währungsfonds IWF masst sich dies an. Seit den Rettungspaketen des Euros stützt er einzelstaatliche Budgets innerhalb eines Währungsgebiets, nicht die Währung an sich, wozu er gegründet wurde. So beteiligt er sich nun sogar am Paket für Zypern, einer kleinen Insel innerhalb des Euro-Raums von insgesamt 331 Millionen Einwohnern. Die Schweiz zahlt mit, das Parlament beschloss wieder Milliarden für den IWF. Doch nie hat der IWF für eine Inselprovinz Indonesiens bezahlt, auch ein Währungsraum von 240 Millionen. In Zypern war der Währungsfonds sogar für die Amputation der kleinen Bankeinlagen. Den Gipfel solch aufgeblasener Organisationen zeigen die Fotos der Gipfeltreffen – auf den Schlussbildern der G-20 lächeln die Funktionäre der OECD, des Währungsfonds, der Weltbank neben den souverän gewählten Präsidenten. Es gilt, offen einzuschreiten, gerade auch von Seiten der Schweiz als Land ohne abhängig machende Hilfspakete, sondern als souveränes, zahlendes Mitglied. Man muss Einmischungen in nationale Belange zurückweisen und sie in einem offiziellen Brief aus den Verträgen ausnehmen – in Strassburg, in der OECD, im Währungsfonds. Wir hören da noch wenig aus Bundesbern. Richten wir den Scheinwerfer am Ende noch selbstkritisch auf das Wuchern nicht gewählter Organisationen in der Schweiz selbst. Dazu gehören die Konferenzen der kantonalen Erziehungsdirektoren, der Finanzdirektoren. Sie erlassen nun schon Schulreformen und Steuerdekrete und haben Funktionärsstäbe dazu aufgebaut. Oder zeigen wir einmal mehr die Verordnung des Bundesrates vor, welche Stiftungsräte von Greenpeace oder der Konsumenten mit Rekursrechten bekleiden, obwohl sie keine Mitglieder haben und nie gewählt wurden. Der Hermelinmantel solch vermeintlicher Macht muss ihnen entwunden werden.  [3]   

 

[1]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2122   2. 6. 13  
Wie die Banken die Politik regieren   

[2]  http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1250    20. 6. 09  
Die G-20-Staaten und die Hierarchisierung des internationalen Kapitals - Von Jean-Claude Paye  
Siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=972    5. 7. 08 
Zum Thema offshore centres, Steuerbegünstigung und Steuerhinterziehung  
[3]  Quelle gekürzt: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1503

Zeit-Fragen
  Nr.20/21 vom 11.6.2013  Aus der NZZ am Sonntag vom 12.5.2013