Ein strategisches Gegengewicht

Zahlreiche Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen warnen vor der Verabschiedung des Freihandelsabkommens der EU

mit Kolumbien und Peru nächste Woche [1]. Es bestehe die Gefahr, daß die Handelsliberalisierung zu neuen Menschenrechtsverletzungen und zu schwersten ökologischen Schädigungen führe, heißt es in einem aktuellen Protestschreiben. Der Bundesrat der BRD wird in der kommenden Woche als letztes deutsches Gremium über das Abkommen abschließend beraten.   Seine Zustimmung gilt als sicher. Hintergrund ist die hohe außenpolitische und wirtschaftliche Bedeutung, die dem Vertrag in Berlin beigemessen wird. Das Abkommen sichert deutschen Unternehmen einen günstigen Zugriff auf die Rohstoffe der beiden ressourcenreichen Länder und intensiviert zudem die Zusammenarbeit mit der Pazifik-Allianz, einem noch jungen Bündnis von vier lateinamerikanischen Staaten - darunter Kolumbien und Peru - das als strategisches Gegengewicht zu dem Staatenbund ALBA um Kuba und Venezuela eingestuft wird. ALBAsucht sich der Hegemonie der USA und der EU zu entziehen. Die Bundesregierung hat jüngst auch den Berlin-Besuch des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa zu nutzen versucht, um ALBA zu schwächen. Die Umbrüche in Venezuela nach dem Tod des populären Präsidenten Hugo Chávez gelten ihr als Chance, den westlichen Einfluß in Südamerika zu konsolidieren. 

Eine Gefahr für die Menschenrechte  
Mehrere Dutzend Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie kirchliche Hilfswerke protestieren gegen die bevorstehende Verabschiedung des EU-Freihandelsabkommens mit Peru und Kolumbien durch den Bundesrat. Wie es in dem Protestschreiben heißt, das unter anderem von Brot für die Welt, von Attac, von der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und von Misereor unterzeichnet worden ist, besteht die begründete Gefahr, daß »die Umsetzung des EU-Abkommens (...) zur Verletzung von Menschenrechten beitragen wird.«  [2]  Ursache sei, daß diejenigen Sektoren der kolumbianischen und peruanischen Wirtschaft, in denen es häufig zu Menschenrechtsverletzungen oder zu schweren ökologischen Schädigungen komme, liberalisiert werden sollen. Gefährdet seien zudem kolumbianische und peruanische Produzenten von Nahrungsmittel: Ihre Produkte seien nach der Beseitigung der Zölle auf hoch subventionierte Produkte aus der EU wie Milchpulver nicht mehr konkurrenzfähig.  

Insgesamt müsse berücksichtigt werden, daß das Abkommen zwischen ungleich starken Partnern geschlossen werde und die schwächere Seite, nämlich Kolumbien und Peru, bedeutender Schutzmaßnahmen zugunsten ihrer eigenen entwicklungsbedürftigen Wirtschaft beraubt werde. Die Kritik an dem Abkommen wird seit Jahren mit Entschlossenheit vorgebracht. Der zuständige Wirtschaftsausschuß hat dem Abkommen bereits zugestimmt. Hintergrund ist die hohe Bedeutung, die dem Vertrag in Berlin beigemessen wird. Aus Sicht Berlins ist das Freihandelsabkommen nicht nur deswegen wichtig, weil es dazu beitragen soll, die Wirtschaftsbeziehungen zu den beiden lateinamerikanischen Staaten zu intensivieren. Ganz konkret soll es deutschen Unternehmen einen günstigeren Zugang zu den Rohstoffvorkommen des Subkontinents sichern. Eine ganze Reihe lateinamerikanischer Länder besitzt Bodenschätze, auf die die deutsche Industrie dringend angewiesen ist. Um die Versorgung deutscher Unternehmen in der globalen Konkurrenz zu sichern, hat die Bundesregierung inzwischen z.B. mit Chile eine sogenannte Rohstoffpartnerschaft vereinbart, wobei es besonders günstig ist, daß die EU mit Chile bereits ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat; damit steht einem möglichst billigen Bezug der Ressourcen nichts mehr im Weg. In ähnlicher Weise zieht Berlin auch eine Rohstoffpartnerschaft mit Peru in Betracht; das Land besitzt sehr umfangreiche Vorräte, u.a. an Kupfer und weiteren Metallen. Wie im Falle Chiles begünstigt das im Bundesrat abschließend zu bestätigende Freihandelsabkommen ebenfalls einen möglichst billigen Rohstoffbezug.

Die Pazifik-Allianz 
Über unmittelbar ökonomische Belange hinausgehend, stärkt das Freihandelsabkommen zudem die Beziehungen zwischen der EU und der neuen lateinamerikanischen Pazifik-Allianz [Alianza del Pacífico]. Diese ist am 6. Juni 2012 von den Pazifik-Anrainern Kolumbien und Peru, Chile und Mexiko, gegründet worden. Die vier Länder weisen spezifische Eigenheiten auf, die ihrem Bündnis einige Bedeutung verleihen. Zum einen unterhalten sie besonders enge Wirtschaftsbeziehungen nach China: Während etwa die Länder des südamerikanischen Bündnisses Mercosur ein Viertel ihrer Ausfuhren nach China liefern, geht inzwischen mehr als die Hälfte der Ausfuhren der Pazifik-Allianz in die Volksrepublik. Letztere, die für rund ein Drittel des lateinamerikanischen BIP steht, soll die transpazifischen Wirtschaftsbeziehungen weiter intensivieren, will dabei allerdings auch dezidiert prowestliche Staaten, etwa Australien und Japan, einbeziehen - als Gegengewicht zu China. Hinzu kommt, daß die Pazifik-Allianz klar neoliberal orientiert ist und damit in deutlichem Gegensatz zum ALBA-Bündnis um Venezuela und Kuba steht. »Hinter vorgehaltener Hand« werde tatsächlich eingeräumt, daß die Pazifik-Allianz »auch als strategisches Gegengewicht zu (...) den linkspopulistischen Strömungen« auf dem Subkontinent gelte, heißt es in der chilenischen Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).

Beitritt im Nachhinein   
Tatsächlich sind die Bemühungen Berlins um eine engere Zusammenarbeit mit den Ländern der Pazifik-AllianzTeil der Bestrebungen, den Einfluß von ALBA und insbesondere von Venezuela zurückzudrängen. Dies zeigen auch die Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru. Dieses war zunächst als Freihandelsabkommen zwischen der EU sowie der Andengemeinschaft Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru geplant, scheiterte als solches jedoch am Widerstand der ALBA-Staaten Bolivien und Ecuador, die, ganz wie Venezuela, auf einer stärkeren Eigenständigkeit gegenüber Europa bestanden. Nach dem Abschluß des Vertrages, kurz vor seiner endgültigen Verabschiedung in Deutschland durch den Bundesrat, sieht sich Ecuador jetzt dazu veranlaßt, ihm beizutreten, um im Außenhandel mit der EU gegenüber Kolumbien und Peru nicht neue Nachteile zu erleiden. Wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa unlängst bei seinem Berlin-Besuch erklärte, strebe seine Regierung die Übernahme der vor einigen Jahren abgelehnten Regularien an. Die deutsche Kanzlerin teilte mit, sie unterstütze die Absicht und werde in Brüssel dafür werben. Die Gefahren, die das Freihandelsabkommen laut Kritikern beinhaltet, drohten dann nicht mehr nur Kolumbien und Peru, sondern zumindest teilweise auch Ecuador.   

Venezuela nach Chávez     
Die Bemühungen, die Bindungen Ecuadors an Bolivien, Venezuela und die übrigen ALBA-Staaten vorsichtig zu lockern, und der Ausbau der Kooperation mit den Staaten der Pazifik-Allianz erfolgen zu einer Zeit, in der Venezuela als treibende Kraft des ALBA - Bündnisses zumindest im Ausland eine Schwächung zu erleiden droht. Wie deutsche Beobachter urteilen, kann der neue Präsident des Landes, Nicolás Maduro, wohl »mangels Charisma (.....) nicht wie Chávez auf der internationalen Bühne punkten.« Zudem werde er dringende wirtschaftliche Reformen durchführen müssen und, weil Venezuela mittlerweile Staatsschulden in Höhe von 100 Milliarden US-$ habe, die Hilfe an seine Partnerländer nicht länger aufrechterhalten können. Der kürzlich bei den Wahlen unterlegene venezolanische Oppositionskandidat Henrique Capriles Radonski hatte Proteste angezettelt, um die Legitimität von Präsident Maduro zu untergraben; seine Partei kooperiert mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und ist von ihr in  politischer Kommunikation beraten worden. Die verschiedenen Bemühungen, Venezuela und das ALBA-Bündnis auf die eine oder andere Weise vom Streben nach größerer politischer Eigenständigkeit gegenüber dem Westen abzubringen, gewinnen an Fahrt. 

Anmerkung politonline d.a.: Es dürfte dem Leser auffallen, dass, wie dies gewöhnlich auch auf den Handel mit afrikanischen Rohstoffen zutrifft, die Betonung auf billig liegt, vom Wohl der Bevölkerung oder von einer dieser in grösserem Ausmass zugute kommenden Beteiligung an den Gewinnen nicht ein einziges Mal die Rede ist, und die Stiftungen offensichtlich nicht von ihrem gewohnten Verhalten abweichen. Was nun den Kooperationspartner der Konrad-Adenauer-Stiftung, Henrique Capriles Radonski betrifft, so hat Wolf Gauer schon vor den Wahlen ein ganz ausgeichnetes, überaus lesenswertes Portrait dieses Mannes verfasst, das einmal mehr aufzeigt, welche Einflüsse unter Umgehung des Volkes möglich sind.

Siehe  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2017   
Wer ist Radonski
, der Gegenkandidat in den venezolanischen Wahlen, wirklich? 

   

[1]  Quelle:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58586   25. 4. 13 
Eigener Bericht :Lima/Bogotá|Caracas/Berlin  -  Ein strategisches Gegengewicht 
[2] Offener Brief an den deutschen Bundesrat:
»Stimmen Sie dem Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien nicht zu!«  info@brot-fuer-die-welt.de