Antreten zum Klassenkampf - Die CDU will die Bundeswehr auch gegen den "inneren Feind" in Stellung bringen - von Jürgen Rose

"Die Verbindung aus Kapitalismus und Imperium bedeutet ein Programm des permanenten Krieges", meint der indische Schriftsteller Amitav Gosh. Nichts bestätigt seinen Befund mehr als die Vehemenz, mit der die USA dank ihrer Militärmaschine die ökonomische Kolonialisierung des Planeten betreiben und einen "Global War Against Terrorism" führen. Der neokonservative Fundamentalismus riskiert dabei einen Weltbürgerkrieg, der seine ideologische Grundierung durch einen vollends entgrenzten Begriff von Terrorismus findet. Als "terroristisch" wird inzwischen so gut wie jeder Versuch dargestellt, die etablierten Macht-, Wirtschafts- und Besitzverhältnisse zu sprengen.

So spricht die US-Regierung neuerdings vom "globalen Kampf gegen gewalttätigen Extremismus", der - ließe sich ergänzen - die Metropolen des Westens nicht länger ausspart, wo nicht zuletzt sozioökonomische Verwerfungen das Terrain bereiten helfen. Ein um den Globus marodierendes Finanzkapital und die Auszehrung des Sozialstaates hinterlassen ihre Spuren: ruinierte Betriebe, Heerscharen von Arbeitslosen, zerfallende Städte, disparate Sozialstrukturen, überforderte staatliche Institutionen - vor allem eine immer größere Gruppe sozial Ausgegrenzter, die keinerlei Perspektive beanspruchen können, um das universelle Bedürfnis nach Geborgenheit und Anerkennung auch nur ansatzweise erfüllt zu bekommen.
 
Grund genug, sich für ausufernde soziale Konflikte (eines Tages vielleicht gar den Bürgerkrieg) in Deutschland zu rüsten? Dafür jedenfalls plädieren CDU und CSU unter Führung ihrer Kanzlerkandidatin. Verbrämt wird dieses Ansinnen nach amerikanischem Muster unter dem Rubrum "Heimatschutz". Verpackt in wolkiges Gerede vom "Gesamtsicherheitskonzept" wird eine "Verschränkung von Strukturen äußerer und innerer Sicherheit" verlangt. Die wahrlich originelle Begründung hierfür lautet: "Die Verknüpfung von Terror und Massenvernichtungswaffen bedarf neuer Sicherheitsstrukturen", die in einem "Nationalen Sicherheitsrat" sowie einer "Nationalen Sicherheitsbehörde" Gestalt annehmen sollen. Das Muster liefert das aus den USA bekannte Department of Homeland Security. Mittels der erwähnten Institutionen sollen sämtliche von den zivilen und militärischen Organisationen des Bundes sowie der Länder gewonnenen sicherheitsrelevanten Erkenntnisse zentral zu einem so genannten "einheitlichen Lagebild" verdichtet werden. Weiter ist daran gedacht, alle sicherheitsrelevanten Akteure - Polizei, THW, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Bundeswehr! - bei Bedarf unter ein Kommando zu stellen und so den exekutiven Durchgriff der Bundesregierung bis in den letzten Winkel der Republik zu sichern. Suggeriert wird dem Wahlbürger, es gehe bei diesem Modell um seine Sicherheit. Doch weit gefehlt, nicht der Schutz des Bürgers, sondern die Garantie der Funktionsfähigkeit staatlicher und wirtschaftlicher Institutionen steht im Vordergrund. Dass dabei Grundrechte und Freiheiten realiter auf der Strecke bleiben, lässt sich in den USA nur zu genau beobachten. Dort beklagen Bürgerrechtler seit langem, welche Repressionen vom sogenannten Patriot Act sanktioniert werden.
 
Was die Union will, liegt auf der Hand. Es geht um den alles umschlingenden Sicherheitskraken, den großen Leviathan sozusagen, um jede Art von Widerständigkeit zu erkennen und schon im Keim zu ersticken. Genau solches zu verhindern, war nach den traumatischen Erfahrungen der Nazi-Diktatur das Anliegen der Väter des Grundgesetzes, denen das Reichssicherheitshauptamt noch plastisch vor Augen stand. In den Reihen der Konservativen scheint man sich daher der verfassungsrechtlichen Brisanz nur zu genau bewusst. Nicht von ungefähr ist schamhaft von einer "Anpassung" der Verfassung die Rede, die notwendig sei, um die "hergebrachte Trennung der Sicherheitsstrukturen in Schutz vor äußeren und inneren Gefahren" zu überwinden. Tatsächlich aber bedient das Unionsprojekt keine verfassungsrechtliche Marginalie, sondern plant den frontalen Anschlag auf die qua Gewaltenteilung fein austarierte Machtbalance zwischen Bund und Ländern. Die aber unterliegt der so genannten "Ewigkeitsgarantie" des Artikels 79 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) und ist somit unantastbar. Was CDU/CSU mit ihrem "Heimatschutzkonzept" anstreben, ist insofern nichts anderes als ein veritabler Putsch von oben gegen ein Kernelement der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
 
Was einen Einsatz der Bundeswehr in der Rolle eines "regulären Inlandsakteurs" angeht, so zieht der Nexus von Verfassungsbestimmungen gemäß der Artikel 35, 87a und 91 GG dem Gebrauch militärischer Macht enge Grenzen. Dies gilt für die Dauer, das Ausmaß und das Spektrum möglicher Operationen - vor allem die unabdingbare Bindung eines jeglichen Binneneinsatzes der Streitkräfte an das gesetzlich gebotene Prinzip der Verhältnismäßigkeit. All dies stünde zur Disposition, käme die Union zum Zuge. Die SPD sollte sich daher hüten, ein Plazet zu solcherart Abenteuern auch nur in Erwägung zu ziehen. Beim Abriss der Barrieren mitzuwirken, die einem Einsatz deutschen Militärs gegen die rebellierenden Opfer eines obszönen Raubtierkapitalismus noch im Wege stehen - dies wäre wohl der letzte Treuebruch, den die Partei ihrer einstigen Klientel zumuten könnte.
 
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen.