Kein Vichy-Regime in Bern - von Dr. iur. Marianne Wüthrich 02.07.2012 00:45
Die Schweizer wehren sich gegen Überwachungsbehörde im Dienste der EU.
Im März
2012 hat EU-Kommissionspräsident Barroso den nach Brüssel bestellten
Bundesräten Eveline Widmer-Schlumpf und Didier Burkhalter den Tarif
durchgegeben: Die EU verlangt, dass die Schweiz im Bereich der bilateralen
Abkommen zukünftige Änderungen des EU-Rechts übernimmt und die
EU-Rechtsprechung anwendet. Eine «unabhängige Instanz» soll die
Umsetzung der Verträge in schweizerisches Recht überprüfen, und die
Schweiz soll eine übergeordnete Gerichtsinstanz (den EuGH) akzeptieren.
Auf diese
ultimative Aufforderung hin haben sich die Bundesräte und ihr
EU-Integrationsbüro eilfertig hingesetzt und innert eines Monats einen
Vorschlag aus dem Hut gezaubert. Am 25. April 2012 hat der Bundesrat sein
Ergebnis den Medien vorgestellt und anschliessend eine Vernehmlassung bei den Aussenpolitischen
Kommissionen des National- und Ständerats, bei der Konferenz der Kantonsregierungen,
der KdK, sowie den Sozialpartnern durchgeführt. Die Vernehmlassungsantworten liegen nun vor, und
die Vorlage wurde moderat angepasst. In Wirklichkeit versucht hier der
Bundesrat die Quadratur des Kreises: Wie kann man es einerseits der EU recht
machen und andererseits den Vorschlag am Schluss durchs Parlament und durch
eine Referendumsabstimmung bringen? Der Bundesrat weiss sehr gut, dass dies mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen wird. Dann lassen wir es doch einfach!
Wir haben bereits genug bilaterale Verträge mit der EU und können es problemlos
ein paar Jahre ohne neue Verträge aushalten. «Auf dem Papier scheint es, dass
die vorgeschlagene neue institutionelle Architektur […] zu keinem Verlust der
politischen Souveränität der Schweiz führen wird. In Wirklichkeit ist wohl eher
die Schwächung
der Souveränität der Schweiz durch dieses institutionelle Konstrukt zu
erwarten.» [Vernehmlassungsantwort des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv vom
1. Juni 2012]
Kein fremdes Recht!
Schweizer Gesetzgebungsprocedere versus automatische Rechtsübernahme Dass das
differenzierte direktdemokratische Schweizer System nicht ins undemokratische
EU-System passt, ist inzwischen bekannt. Automatische Übernahme des Acquis
Communautaire kennen die EU-Mitgliedsländer zur Genüge: Brüssel setzt Recht,
die Mitgliedstaaten müssen es umsetzen, ohne darüber entscheiden zu dürfen, ob
sie es wollen oder nicht. Das von Schweizer EU-Turbos gepriesene
Mitspracherecht haben nämlich nicht die Völker, nicht einmal die Parlamente,
sondern nur die Staatschefs sowie ein paar nicht vom Volk gewählte Minister und
EU-Kommissare. So etwas
käme beim Schweizer Volk nie und nimmer durch, also schlägt der Bundesrat vor,
dass die Übernahme von Änderungen des Acquis, die einen unserer Bilateralen
Verträge betreffen, dem gewohnten Gesetzgebungsverfahren unterstellt sein
sollen: Verhandlungen und Abstimmungen im Stände- und Nationalrat, danach
Möglichkeit des fakultativen Referendums, mit Einräumung der notwendigen
Fristen. [Viele erinnern sich daran, dass die EU bereits einmal ohne Rücksicht
auf das Schweizer Gesetzgebungsprocedere auf Inkrafttreten eines der Verträge
drängte, obwohl die Referendumsfrist noch nicht abgelaufen war.] Die
Vernehmlassungsteilnehmer zeigen sich mit dem Vorschlag des Bundesrates
einverstanden – aber ob die demokratieungewohnten EU-Spitzen das schlucken
werden? Wie gesagt, dann lassen wir es doch einfach! Übrigens tun die
Befürworter einer institutionellen Regelung mit der EU immer so, als ob die EU
die Anpassung des Schweizer Rechts an EU-Vorgaben nur für künftige Verträge
verlangen werde.
In
Wirklichkeit weiss jeder, dass die EU-Kommission nicht dabei stehenbleiben
würde: «Autonomie: Es besteht ein hohes politisches Risiko, dass wegen diesen
Automatismen in der Rechtsentwicklung nicht nur zukünftige, sondern in
absehbarer Frist unter dem Druck der EU rückwirkend auch die geltenden Abkommen
tangiert werden. Dieses Vorgehen würde in der Folge zu einer automatischen
Übernahme des Acquis Communautaire führen.» Vernehmlassungsantwort
sgv vom 1. Juni 2012
Keine fremden
Richter! Eigenständige Rechtsanwendung und -auslegung durch Schweizer Gerichte
versus Diktat des Europäischen Gerichtshofs Das
Bundesgericht bezieht bei seiner Entscheidfindung bereits heute EuGH-Entscheide
ein, um die Einheitlichkeit von Anwendung und Auslegung der bilateralen
Verträge zu gewährleisten. Dies tut es aber in eigener Kompetenz: Es hat die
Freiheit, auch einmal anders als die EU-Richter zu entscheiden. Die
EU-Mitgliedstaaten sind bekanntlich daran gewöhnt, dass sie fremden Richtern
unterstellt werden, aber auch für sie wird dadurch die Souveränität ihrer
Nationalstaaten in schwerwiegender Weise eingeschränkt. Laut Tagespresse setzt
der Bundesrat in seinem Regelungsvorschlag «auf den ‹Dialog der Gerichte›, um
Einheitlichkeit herzustellen». Und der Journalist setzt die Bemerkung dazu:
«Diesen ‹Dialog› gibt es bereits, allerdings hört Lausanne [Sitz des
schweizerischen Bundesgerichts, Red.] vor allem zu». (Neue Zürcher Zeitung vom
16.6.2012)
«Rechtssicherheit:
Die Rechtssicherheit ist eine fundamentale Voraussetzung zur Schaffung
günstiger Rahmenbedingungen für die KMU. Die Vorschläge des Bundesrates
schwächen die Rechtssicherheit der KMU, da sie eine verstärkte Einmischung des
EU-Gerichtshofs in das schweizerische Recht ermöglichen.» Vernehmlassungsantwort
sgv vom 1. Juni 2012
Umstrittene nationale
Überwachungsbehörde So der
Titel der Medienmitteilung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats
(APK-N) vom 31. 5. 2012: «Im Mittelpunkt der Diskussionen stand der neue
Vorschlag des Bundesrats vom 25. April 2012, eine unabhängige nationale Behörde
zu schaffen, die die Anwendung der mit der EU geschlossenen Abkommen überwachen
soll. Die Kommission beurteilte die Rechtsnatur und Kompetenzen einer solchen
Behörde […] mit grossmehrheitlicher Skepsis.» Die meisten
Vernehmlassungsteilnehmer teilten diese Skepsis bis hin zur klaren Ablehnung.
Eine neue Bundesbehörde, vom Parlament gewählt, die bei mangelnder Umsetzung
der bilateralen Abkommen vor Bundesgericht klagen könnte … gegen das Parlament?
Gegen das Volk? So weit kommt’s noch! Der Bundesrat nahm die Ablehnung einer
derart hochgradig undemokratischen Kontrollinstanz über die demokratisch
legitimierten Staatsorgane zur Kenntnis und änderte seinen Vorschlag: Die
Behörde soll Vertragsverletzungen nicht aufheben oder einklagen, sondern nur
feststellen können. Die Tatsache bleibt aber bestehen, dass eine solche
Überwachungsbehörde quer zu unserem Staatsverständnis stehen würde. Ausserdem
hat Brüssel bisher eine nationale Selbstkontrollinstanz stets zurückgewiesen –
der Bundesrat weiss sehr wohl, dass die EU nur eine EU-Kontrollbehörde
akzeptieren würde.
Wohin rollt das
Äpfelchen? Der
Bundesrat könnte sich zurücklehnen und in Ruhe abwarten, im Bewusstsein, dass
an den nächsten von ihm geplanten Abkommen mit der EU, nämlich dem Strommarkt-
und dem Agrarabkommen, in erster Linie die EU und die Grosskonzerne
interessiert sind – nicht aber unsere Klein-Stromkonsumenten und sicher nicht
unsere Bauern. Müssen wir ihn daran erinnern, dass nicht nur die Schweizer
Wirtschaft auf die EU-Staaten als Handelspartner angewiesen sind, sondern dass
umgekehrt auch die Schweiz ein wichtiger Wirtschaftspartner für die EU ist?
(siehe auch Vernehmlassungsantwort sgv). Es besteht keinerlei Anlass für den
Bundesrat, der EU Regelungsvorschläge aufzudrängen, die diese mit Sicherheit
ablehnen wird. Dann wird die Mannschaft im EU-Integrationsbüro sagen: «Wir
haben versucht, unsere Interessen einzubringen; die EU will aber nicht, jetzt
müssen wir Kompromisse eingehen.» Und zuletzt landen wir, wie wir es von den
bisherigen Verhandlungen mit der autoritären Grossmacht EU hinreichend gewohnt
sind, genau dort, wo die EU uns haben will, nämlich immer enger angebunden und
immer abhängiger – eine Milchkuh, die der überschuldete und im Chaos
versinkende Koloss bis zum letzten Tropfen melken will.
Wir
fordern vom Bundesrat, dass er die Schweizer Interessen vertritt und nicht
diejenigen der EU! Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=926 Zeit-Fragen >
2012 >
Nr.27 vom 25.6.2012
> Kein
Vichy-Regime in Bern
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