Syrien steht im Zentrum des Kriegs um Erdgas - Von Imad Fawzi Shueibi

Der mediale und militärische Angriff gegen Syrien betrifft direkt den Weltwettbewerb

um Energie, erklärt Professor Imad Shueibi, Vorsitzender des Center for Strategic Studies and Documentationin Damaskus, in dem nachfolgenden meisterhaften Artikel:

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Eurozone einzubrechen droht, eine akute Wirtschaftskrise die USA in die Schuldenfalle von 14.940 Milliarden $ geführt hat und ihr Einfluss auf die Schwellenländer der BRICS-Staaten schrumpft, wird es klar, dass der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg und der politischen Dominanz vor allem bei der Kontrolle über die Energie des 21. Jahrhunderts liegt: dem Gas. Dies ist der Grund, warum Syrien, das im Herzen kolossaler Gasreserven des Planeten liegt, angegriffen wird. Die Kriege des letzten Jahrhunderts waren diejenigen des Öls, jedoch beginnt eine neue Ära, nämlich die der Gaskriege. Nach dem Fall der Sowjetunion wurde es den Russen zunehmend klar, dass das Wettrüsten sie geschwächt hatte, dies insbesondere wegen fehlender Energieressourcen, die für alle industrialisierten Länder unabdingbar sind. Die USA konnte sich dank ihrer Präsenz in den erdölreichen Gebieten ohne allzu grosse Schwierigkeiten entwickeln und die internationale Politik über Jahrzehnte bestimmen. Aus diesem Grund wandten sich die Russen den Energieressourcen zu, insbesondere dem Gas und dem Öl. In Anbetracht dessen, dass der Erdölsektor auf Grund seiner internationalen Aufteilung wenig Marktperspektiven bot, strebte Moskau beim Erdgas danach, die Produktion, den Transport und den Handel in grossem Massstab zu kontrollieren.

Den Anfang nahm diese Entwicklung im Jahr 1995, als Wladimir Putin seine Gazprom-Strategie in Gang setzte: ausgehend von den Gasgebieten Russlands über Aserbaidschan, Turkmenistan, Iran (für den Vertrieb) bis zum Nahen Osten. Es ist sicher, dass die Projekte «Nord Stream» und «South Stream» als Wladimir Putins Verdienst in die Geschichte eingehen werden, indem sie Russland in die internationale Arena zurückbrachten und seinen Einfluss auf die europäische Wirtschaft verstärkten, die für Jahrzehnte als Alternative vom Gas oder vom Gas als präferierte Ergänzung zum Öl abhängig sein wird. Zu diesem Zeitpunkt wurde es für Washington dringlich, das Projekt «Nabucco» möglichst rasch zu lancieren, um mit den russischen Projekten zu konkurrieren. Damit hoffte die USA, eine internationale Aufteilung zu erreichen, auf deren Basis eine politische und strategische Dominanz für die nächsten hundert Jahre möglich werden würde. Gas wird die Hauptenergiequelle des 21. Jahrhunderts sein: sowohl als Alternative zu den schwindenden weltweiten Ölreserven als auch als saubere Energiequelle. Daher ist davon auszugehen, dass die Kontrolle über die Gasgebiete der Welt – durch die alten wie auch die neuen Mächte – zur Ursache internationaler Konflikte wird, die sich jeweils regional manifestieren werden. Offensichtlich studierte Russland die Karten gut und lernte seine Lektion aus der Vergangenheit, denn für den Zusammenbruch der Sowjetunion war die mangelnde Kontrolle über die globalen Energieressourcen verantwortlich; und letztere sind für das Einschiessen von Kapital und Energie in die industrielle Struktur unerlässlich. Russland erkannte somit, dass Gas die Energiequelle des 21. Jahrhunderts sein wird.  

Geschichte des grossen Gasspiels

Ein erstes Studium der Gaskarte zeigt, dass sich dieses, was Vorkommen und Zugang zu den Konsumgebieten betrifft, in folgenden Regionen befindet:

1.  Russland: Wyborg und Beregovaya

2.  Angrenzend an Russland: Turkmenistan

3.  In mehr oder weniger unmittelbarer Nähe zu Russland: Aserbaidschan und Iran

4.  Russland entrissen: Georgien

5.  Östliches Mittelmeer: Syrien und Libanon

6.  Katar und Ägypten

Moskau beeilte sich, auf zwei strategischen Achsen zu arbeiten: Die erste ist die Errichtung eines langfristigen, auf dem Wirtschaftswachstum der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit basierenden russisch-chinesischen Projekts; die zweite Achse ist die Steuerung der Gasressourcen. So wurden die Grundlagen der Projekte «Nord Stream» und «South Stream» entwickelt, als Antwort auf das US-amerikanische «Nabucco»-Projekt, das von der Europäischen Union unterstützt wurde und auf den Transport der Gasvorkommen im Schwarzen Meer und in Aserbeidschan ausgerichtet ist. Was folgte, war ein strategischer Wettlauf zwischen diesen zwei Initiativen um die Kontrolle Europas und der Gasvorkommen. 

Was die Russische Föderation betrifft, so verbindet das «Nord Stream»-Projekt Russland durch die Ostsee bis Weinberg und Sassnitz unter Umgehung Weissrusslands direkt mit Deutschland. Das «South Stream»-Projekt beginnt in Russland, führt durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und teilt sich zwischen Griechenland und Süditalien einerseits sowie Ungarn und Österreich andererseits auf. Für die Vereinigten Staaten geht das «Nabucco»-Projekt von Zentralasien und der Schwarzmeerregion aus, verläuft dann durch die Türkei, wo die Speicherinfrastruktur steht, und danach durch Bulgarien, durchquert anschliessend Rumänien und Ungarn, führt nach Österreich und geht von dort in die Tschechische Republik, nach Kroatien, Slowenien und Italien. Es sollte ursprünglich durch Griechenland verlaufen, aber diese Idee wurde unter türkischem Druck aufgegeben. «Nabucco» sollte mit den russischen Projekten konkurrieren. Ursprünglich für 2014 geplant, musste es aufgrund technischer Probleme auf 2017 verschoben werden. Von da an wendete sich das Gaswettrennen zugunsten des russischen Projekts, aber beide Parteien sind immer noch auf der Suche, ihr Projekt auf neue Gebiete zu erweitern. Dies bezieht sich einerseits auf das iranische Gas, das die USA für die «Nabucco»-Pipeline verfügbar machen und bis zum Knotenpunkt in Erzurum (Türkei) transportieren will; andererseits auf das Gas aus dem östlichen Mittelmeer: Syrien, Libanon und Israel.

Der Iran traf seinerseits einen strategischen Entscheid, der im Juli 2011 in die Unterzeichnung mehrerer Vereinbarungen über den Gastransport durch den Irak nach Syrien mündete. Diese Vereinbarungen machen Syrien zusammen mit den Gasreserven Libanons zu einem Zentrum für Lagerung und Produktion. Es entsteht so in puncto Strategie und Energie eine ganz neue Einflusssphäre, die sich geographisch vom Iran über den Irak bis zu Syrien und den Libanon erstreckt. War diese Sphäre bislang über Jahre unterdrückt, treten nun die Kämpfe um die Kontrolle von Syrien und dem Libanon mit zunehmender Intensität zutage und lassen auch die aufstrebende Rolle Frankreichs erkennen, das das östliche Mittelmeer als sein historisches Einflussgebiet mit ewigen Interessensansprüchen betrachtet. Der heutige Anspruch Frankreichs folgt einer langen Phase strategischer Abwesenheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit anderen Worten: Frankreich will eine Rolle in der Welt (der Gasversorgung) spielen, in der es in gewisser Weise seine «Krankenversicherung» in Libyen erworben hat und nun eine «Lebensversicherung» in Syrien und Libanon erwerben will. Was die Türkei betrifft: Sie merkt, dass sie von diesem Kampf ums Gas ausgeschlossen bleibt, solange das «Nabucco»-Projekt im Verzug ist. Da die Türkei nicht an den Projekten «South Stream» und «Nord Stream» beteiligt ist, weiss sie nur zu gut, dass das Gas des östlichen Mittelmeers ausserhalb des «Nabucco»-Projekts und damit ausserhalb ihres Einflusses ist.

Die Achse Moskau–Berlin
Für die «Nord-» und «South-Stream»-Projekte gründete Moskau in den 1990er Jahren das Unternehmen Gazprom. Deutschland, das sich ein für alle Mal von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs befreien wollte, entschloss sich, sich aktiv zu beteiligen, sei es bei den Installationen, der Überprüfung der Nord-Pipeline oder bei den Gasspeicherorten am Ende der «South Stream»-Pipeline in der deutschen Nachbarschaft, insbesondere in Österreich. Die deutsche Gazprom-Tochter, Gazprom Germania, wurde in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Gornig gegründet, einem Moskau-nahen Deutschen, der in der DDR als Vizeminister für Kohle und Energie die Aufsicht über das Erdgasleitungsnetz der DDR innehatte, und bis Oktober 2011 von Wladimir Kotenev, dem ehemaligen russischen Botschafter in Deutschland, geführt. Gazprom hat eine Anzahl von  Transaktionen mit deutschen Unternehmen unterzeichnet, vor allem mit jenen, die mit «Nord Stream» zusammenarbeiten, z. B. mit dem Energie-Riesen E.ON und der BASF für Chemikalien; dies mit Klauseln für E.ON, die Vorzugstarife bei Preiserhöhung gewährleisten, was einer gewissen «Unterstützungspolitik» des deutschen Energiesektors durch Russland gleichkommt. Moskau nutzte die Liberalisierung des europäischen Gaskartells, bei der die Verteilungsnetze von den Produktionsanlagen getrennt wurden. Nach der Zeit der Zusammenstösse zwischen Russland und Berlin begann eine Phase wirtschaftlicher Zusammenarbeit zugunsten einer Erleichterung der auf Deutschlands Schultern lastenden immensen Schulden, einer dem amerikanischen Joch zu verdankenden Schuldenlast Europas. Deutschland sieht den deutschsprachigen Raum  - Deutschland, Österreich, Tschechien, Schweiz -  dazu bestimmt, das Herz Europas zu werden, er soll jedoch weder die Konsequenzen der Überalterung eines ganzen Kontinents noch den Sturz einer anderen Supermacht ertragen.

Die deutschen Initiativen von Gazprom umfassen das Joint-Venture von Wingas mit Wintershall AG, einer Tochtergesellschaft der BASF, das der grösste Produzent von Öl und Gas in Deutschland ist und 18 % des Gasmarkts kontrolliert. Gazprom verkaufte den wichtigsten deutschen Partnern beträchtliche Beteiligungen an seinen russischen Vermögenswerten. BASF und E.ON kontrollieren jeweils fast ein Viertel der Loujno-Rousskoïé-Gas-Felder, die «Nord Stream» zum Grossteil beliefern; und es ist daher nicht reiner Zufall, wenn die deutsche Tochter von Gazprom, Gazprom Germania, bis zu 40 % des österreichischen Unternehmens Austrian Centrex Co besitzen wird; dieses ist auf die Lagerung von Gas spezialisier und soll sich bis nach Zypern ausdehnen: eine Erweiterung, die der Türkei sicher nicht gefällt.

Die Türkei vermisst es sehr, die ihr zugedachte, jedoch nun verzögerte Rolle im Rahmen des «Nabucco»-Projekts auszufüllen, dergemäss sie zunächst 31 und später bis zu 40 Mrd. m3 Gas pro Jahr speichern, vermarkten und transportieren soll; ein Projekt, das Ankara immer mehr den Beschlüssen von Washington und der NATO unterordnet, ohne auf einen Beitritt zur EU, der der Türkei bereits mehrfach verweigert wurde, insistieren zu können. Die an Gas gebundenen  strategischen Verknüpfungen gewinnen auch auf der Ebene der Politik immer stärker an Bedeutung, da Moskau ein effektives Lobbying bei der deutschen Sozialdemokratischen Partei in Nordrhein-Westfalen betreibt, einer industriellen Schwerpunktregion und Heimat der deutschen Grosskonzerne RWE und E.ON. Dieser Einfluss wurde von Hans-Josef Fell, dem Verantwortlichen der Grünen für Energiepolitik, beschrieben: ihm zufolge nehmen vier deutsche Unternehmen mit Verbindungen zu Russland eine wichtige Rolle in der Ausformulierung der deutschen Energiepolitik ein. Sie stützen sich dabei auf ein kompliziertes Lobby-Netzwerk mit Zugang zu den Ministerien und beeinflussen die öffentliche Meinung über den Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, der die deutschen Unternehmen vertritt und enge Wirtschaftskontakte mit Russland und weiteren Ländern der früheren Sowjetunion pflegt. Vor diesem Hintergrund besteht in Deutschland unverzichtbares Schweigen angesichts des wachsenden russischen Einflusses. Dieses Schweigen basiert auf der Notwendigkeit, die «Energiesicherheit» Europas zu verbessern. Es ist interessant festzustellen, dass Deutschland die Auffassung vertritt, die Politik der Europäischen Union zur Lösung der Eurokrise könnte die deutsch-russischen Investitionen behindern. Dies erklärt unter anderem, warum Deutschland bei der Rettung des durch europäische Schulden erkrankten Euros so zaudert, obwohl es zusammen mit den anderen Ländern im deutschsprachigen Raum allein diese Schulden tragen könnte. Jedes Mal, wenn die Europäer sich der deutschen Politik gegenüber Russland in den Weg stellen, behauptet Deutschland, dass die utopischen Pläne von Europa nicht machbar seien und Russland dazu bewegen könnte, sein Gas in Asien zu verkaufen, und die europäische Energiesicherheit damit in Gefahr bringen könnte. Das russisch-deutsche Verhältnis war nicht unbelastet, als Putin das Erbe des Kalten Krieges mit den drei Millionen russischsprachigen Bewohnern Deutschlands antrat, welche nach den in Deutschland lebenden Türken die zweitgrössten Gemeinschaft bildeten. Putin war auch geschickt beim Aufbau eines Netzwerks mit ehemaligen ostdeutschen Funktionären, die angeworben wurden, um die Interessen der russischen Unternehmen in Deutschland zu vertreten, ganz zu schweigen von der Einstellung von Ex-Agenten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, der Stasi. Laut dem «Wall Street Journal» sollen beispielsweise die Personal- und Finanzdirektoren von Gazprom Germaniaoder auch der Finanzdirektor des «Nord Stream»-Konsortiums, Matthias Warnig, Putin dabei geholfen haben, Spione in Dresden anzuheuern, als er noch ein junger Offizier des KGB war. Man muss jedoch zugeben, dass Russlands Verwendung der ehemaligen Beziehungen für Deutschland keinen Schaden verursachte, weil die Interessen beider Parteien gewahrt wurden, ohne dass die eine die andere dominierte.

Das Projekt «Nord Stream», die Hauptverbindung zwischen Russland und Deutschland, wurde vor kurzem mit Pipeline-Kosten in Höhe von 4,7 Milliarden € eröffnet. Obwohl die Leitung Russland mit Deutschland verbindet, erkannten auch die anderen europäischen Staaten, dass dieses Projekt einen Beitrag zur europäischen Energiesicherheit bedeutet, und liessen Frankreich und Holland eilig erklären, dass es sich um ein «europäisches» Projekt handle. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu erwähnen, dass Herr Lindner, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, ohne Zögern erklärte, dass es wirklich «ein europäisches Projekt und kein deutsches, sei, und dass er Deutschland nicht in eine grössere Abhängigkeit von Russland bringen wolle». Eine solche Erklärung bestätigt die Besorgnis um die Zunahme des russischen Einflusses in Deutschland. Tatsache bleibt, dass das «Nord Stream»-Projekt strukturell der Planung Moskaus entspricht, nicht der Planung der EU. Die Russen können die Energieverteilung in Polen und in mehreren anderen Ländern lähmen, wie sie wollen; ebenso sind sie in der Lage, Gas an den Meistbietenden zu verkaufen. Die Bedeutung Deutschlands für Russland liegt allerdings in der Tatsache, dass es die Plattform darstellt, von der aus Russland seine kontinentale Strategie entwickeln kann: Gazprom Germania besitzt Beteiligungen an 25 Gemeinschaftsprojekten in Grossbritannien, Italien, in der Türkei, in Ungarn und in anderen Ländern. Diese Fakten veranlassen uns zu der Annahme, dass Gazprom – in naher Zukunft – eines der grössten, wenn nicht das grösste Unternehmen der Welt werden wird.

Eine neue Landkarte von Europa und dann von der Welt zeichnen
Die Führung von Gazprom hat dieses Projekt nicht nur verwirklicht, sondern hat auch versucht, das «Nabucco»-Projekt zu stören, dessen Fertigstellung – wie bereits erwähnt – auf das Jahr 2017 hinausgeschoben werden musste und als eine ernste Herausforderung eingestuft wurde. So begann Gazprom, das 30 % eines Projekts einer zweiten Pipeline nach Europa mit ungefähr der gleichen Strecke wie «Nabucco» hält, was selbst Gazprom-Befürwortern zufolge ein rein «politisches» Projekt ist, nämlich einen politischen Bieterwettbewerb, um das «Nabucco»-Projekt zu stoppen oder zu lähmen und so die eigenen Muskeln zu zeigen. Moskau ist eilig dabei, Gas in Zentralasien und im Kaspischen Meer zu kaufen, mit dem Ziel, «Nabucco» zu unterbinden und Washington gleichzeitig politisch, wirtschaftlich und strategisch lächerlich zu machen. Gazprom betreibt Gaseinrichtungen in Österreich, d.h. im strategischen Nahbereich von Deutschland, und mietet auch Einrichtungen in Grossbritannien und Frankreich. Die wichtigen Speicheranlagen sind jedoch in Österreich. Sie werden dazu verwendet, die Energie-Europakarte neu zu zeichnen, da sie Slowenien, die Slowakei, Kroatien, Ungarn, Italien und Deutschland beliefern. Zu diesen Einrichtungen gehört auch der Erdgasspeicher mit dem Namen «Katharina», den Gazprom in Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen Gasversorger VNG in Sachsen-Anhalt baut, um Gas in die wichtigsten Verbrauchszentren von Westeuropa exportieren zu können. Ferner hat Gazprom eine gemeinsame Anlage mit Serbien aufgebaut, um Bosnien-Herzegowina und Serbien selbst Gas anzubieten. Machbarkeitsstudien über ähnliche Speicherformen wurden in der Tschechischen Republik, Rumänien, Belgien, Grossbritannien, der Slowakei, der Türkei, Griechenland und sogar in Frankreich durchgeführt. Gazprom stärkt so die Position von Moskau als dem Lieferanten von 41 % der von Europa benötigten Gaslieferungen. Dies bedeutet ohne Zweifel einen substantiellen Wandel in den Beziehungen zwischen Ost und West, in kurz-, mittel- und langfristiger Hinsicht. Es kündigt auch ein Abebben des US-Einflusses oder eine Kollision in Vorbereitung an, wenn man den US-Nato-Raketenschild zur Etablierung einer neuen Weltordnung, in der Gas als der wichtigste Stützpfeiler anzusehen ist, in Betracht zieht. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf die intensivierten Kämpfe im Nahen Osten um das Gas an der Ostküste des Mittelmeers.

«Nabucco» und die Türkei in Schwierigkeiten
«Nabucco» wurde aus der Taufe gehoben, um Gas über 3900 Kilometer von der Türkei nach Österreich zu transportieren, und so konzipiert, dass 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus dem Nahen Osten und dem Kaspischen Becken zu den europäischen Märkten geliefert werden können. Die Eile der NATO-USA-Frankreich-Koalition, alle Probleme im Nahen Osten, insbesondere in Syrien und Libanon, entschieden in Übereinstimmung mit den eigenen Interessen zu beenden, folgt der Notwendigkeit, stabile Bedingungen zu schaffen, um die eigenen Investitionen und den Transport des Erdgases zu schützen. Die syrische Reaktion war ein Vertrag, der den Transport von iranischem Gas durch den Irak nach Syrien vereinbarte. Tatsächlich ist es das syrische und das libanesische Gas selbst, das im Mittelpunkt des Kampfes steht, insofern es um die Entscheidung geht, ob es an die Gasreserven für das «Nabucco»- Projekt oder ob es an Gazprom und sein «South Stream»-Projekt angeschlossen werden wird. Das «Nabucco»-Konsortium besteht aus mehreren Unternehmen: der deutschen RWE, der österreichischen ÖMV, der türkischen Botas, der bulgarischen Energie Holding Company und der rumänischen Transgaz. Vor 5 Jahren wurden die anfänglichen Kosten für das Projekt auf 11,2 Mrd. $ geschätzt, aber sie könnten 2017 21,4 Mrd. erreichen. Dies wirft viele Fragen hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit auf, insbesondere auf Grund des Umstands, dass Gazprom Verträge mit verschiedenen Ländern, die die Überschusskapazität des turkmenischen Gases abschöpfen können, abschliessen konnte, dies in dem Versuch, «Nabucco» auszubooten. Das «Nabucco»-Unternehmen ist darüber hinaus in Frage gestellt, weil sich das iranische Gas als unerreichbar herausstellt. Dies ist eines der verkannten Geheimnisse des Krieges um den Iran, der die rote Linie mit seiner Herausforderung gegenüber der USA und Europa überschritten hat, indem er Syrien und den Irak als Teil seiner Gastransportwege gewählt hat. Die beste Aussicht für Gaslieferungen bieten für «Nabucco» Aserbaidschan und die Shah-Deniz-Lagerstätte, die fast die einzigen Bezugsquellen für ein Projekt geworden sind, das zum Scheitern verurteilt scheint, bevor es noch begonnen hat. Dies zeigt sich einerseits an der Beschleunigung der Vertragsunterzeichnungen Moskaus für den Erwerb der Quellen, die zunächst für «Nabucco» bestimmt waren, und andererseits an den Schwierigkeiten, geopolitische Veränderungen im Iran, in Syrien und im Libanon zu bewirken. Gleichzeitig bemüht sich die Türkei, ihren Anteil am «Nabucco»-Projekt zu behaupten, sowohl durch Unterzeichnung eines Vertrags mit Aserbaidschan für den Erwerb von 6 Milliarden m3 Gas im Jahr 2017, wie auch durch seine Versuche, sich an Syrien und Libanon zu vergreifen, in der Hoffnung, den Transit von iranischem Öl zu blockieren oder einen Anteil an dem libanesisch-syrischen Gasreichtum zu bekommen. Das Rennen um einen Platz in der neuen Weltordnung eskaliert über Erdgas und andere Dinge, die von militärischer Unterstützung bis hin zur Beherbergung von strategischen Raketenschutzschild-Anlagen reichen.

Was vielleicht die grösste Bedrohung für «Nabucco» bedeutet, ist der russische Versuch, es zum Scheitern zu bringen, indem von Gazprom für «Nord Stream» und «South Stream» bessere  Verträge als für «Nabucco» ausgehandelt werden. Dies würde sämtliche Einflussbemühungen der USA und Europas sowohl in allgemeiner als auch in energiepolitischer Hinsicht vereiteln, sei es in Bezug auf den Iran oder auf die Mittelmeerregion. Darüber hinaus könnte Gazprom einer der grössten Investoren oder Betreiber der neuen Lagerstätten von Gas in Syrien oder im Libanon werden. Es ist kein Zufall, dass das syrische Ölministerium am 16. 8. 2011 die Entdeckung eines Gaslagers in der Gegend von Qara, in der Nähe von Homs, ankündigte. Seine Produktionskapazität wäre 400 000 m3 pro Tag (146 Millionen m3). Wie auch immer, das syrische Energieministerium hat es bislang vermieden, auch nur eine Silbe zu den Gasvorkommen im Mittelmeer verlauten zu lassen. Die «Nord Stream» und «South Stream»-Projekte haben also den US-politischen Einfluss reduziert, der nun weit hinten liegt. Die Geschichte der Feindseligkeiten zwischen den Staaten in Mitteleuropa und Russland ist verebbt; Polen lässt ebenfalls einen Meinungsumschwung erkennen, und die Vereinigten Staaten scheinen zu einer Umkehr bereit. In der Tat kündigten sie Ende Oktober 2011 die Änderung ihrer Energiepolitik an, als europäische Kohlelager entdeckt wurden, die die Abhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten reduzieren könnten. Dies erscheint als ein ehrgeiziges und auch langfristiges Ziel, da noch eine Anzahl von Verfahrenstechniken entwickelt werden müssen, bevor eine kommerzielle Produktion begonnen werden kann. Diese Kohle befindet sich in Sedimentgestein, Tausende Meter unter dem Boden, und erfordert Hochdruck-Techniken zum hydraulischem Aufbrechen [shale Gas fracking], ohne von den Umweltrisiken zu sprechen.

Chinas Teilnahme
Die chinesisch-russische Zusammenarbeit im Energiebereich ist der Motor für die strategische Partnerschaft zwischen den beiden Giganten. Sie ist laut Experten die «Basis» ihres neuerdings vor dem UNO-Sicherheitsrat doppelt eingelegten Vetos zugunsten von Syrien. Diese Zusammenarbeit im Energiebereich beschleunigt die Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. Es handelt sich nicht nur um Gaslieferungen an China zu Vorzugsbedingungen, sondern es ist ein Prozess, der China dazu drängt, sich auch durch den Verkauf von Anlagen und Einrichtungen an der Gasverteilung zu beteiligen und darüber hinaus zu versuchen, die Verwaltung der Vertriebsnetzwerke gemeinsam zu kontrollieren. Moskau zeigt eine gewisse Flexibilität bezüglich des Gaspreises, unter dem Vorbehalt, dass es Zugang zum profitablen chinesischen Binnenmarkt erhält. Es wurde vereinbart, dass die russischen und chinesischen Experten in folgenden Bereichen zusammenarbeiten: «Koordinierung der Energiestrategien beider Länder, Prognose und Entwicklung von Szenarien, Marktentwicklung, Energieeffizienz und alternative Energiequellen.»

Andere strategische gemeinsame Interessen betreffen die durch das Projekt des US- «Raketenschilds» geschaffenen Risiken. Washington hat nicht nur Japan und Südkorea einbezogen, sondern Anfang September 2011 auch Indien zur Partnerschaft aufgefordert. Infolgedessen treffen sich die Sorgen beider Länder an dem Punkt, wo Washington seine Strategie in Zentralasien, das heisst auf der Seidenstrasse, reaktiviert. Diese Strategie ist die gleiche, die schon George Bush betrieben hat [Great Central Asia Project], um den Einfluss Russlands und Chinas durch die Zusammenarbeit mit der Türkei zu verringern, die Situation in Afghanistan bis 2014 zu lösen und der gesamten Region die militärische NATO-Macht aufzuzwingen. Usbekistan hat bereits verlauten lassen, dass es die NATO für ein solches Projekt empfangen könnte, und Wladimir Putin ist der Ansicht, dass die Erweiterung des Raumes von Russland–Kasachstan–Weissrussland in Gemeinschaft mit Peking eine Möglichkeit wäre, um das westliche Eindringen zu umgehen und eine Einengung Russlands durch die USA zu verhindern. Dieser Überblick über die Mechanismen der aktuellen internationalen Auseinandersetzungen ermöglicht es, sich ein Bild davon zu machen, wie der Prozess zur Bildung einer neuen Weltordnung verläuft. Er basiert auf dem Ringen um militärische Vorherrschaft und auf der Kontrolle des Hauptpfeilers unseres Zeitalters – der Energie, bei der an erster Stelle das Erdgas steht.

Gas aus Syrien
Als Israel ab 2009 die Gewinnung von Öl und Gas startete, war es klar, dass der Mittelmeerraum ins Spiel gekommen war und dass entweder Syrien angegriffen würde oder die gesamte Region vom Frieden profitieren könnte, da das 21. Jahrhundert angeblich das der sauberen Energie sei. Laut dem Washington Institute for Near East Policy[WINEP, dem think tank der AIPAC] sind im Mittelmeerraum die grössten Reserven von Erdgas, und Syrien wäre der erdgasreichste Staat. Dasselbe Institut hat auch prognostiziert, dass sich der Kampf zwischen der Türkei und Zypern auf Grund der türkischen Unfähigkeit, den Verlust des «Nabucco»-Projekts zu verdauen, verstärken könnte [trotz des im Dezember 2011 mit Moskau unterzeichneten Vertrags für den Transport eines Teils des «South Stream»-Gases über die Türkei]. Mit der Offenbarung des Geheimnisses um das syrische Erdgas wird deutlich, wie gross das «Spiel ums Gas» ist. Wer Syrien kontrolliert, könnte den Nahen Osten kontrollieren. Und von Syrien aus, dem Tor zu Asien, hat er «den Schlüssel des Hauses Russland», wie es die Zarin Katharina II. formulierte, und kann den Fuss auf die Seidenstrasse setzen. Am wichtigsten jedoch ist, dass diejenigen, die um des Erdgases willen nach Syrien vordringen, sich angesichts dessen, dass dieses Jahrhundert das Jahrhundert des Erdgases werden wird, die Mittel zur Weltherrschaft aneignen. Mit dem Vertrag, den Damaskus über den Transport des iranischen Gases durch den Irak zum Mittelmeer abschloss, würde sich der geopolitische Raum öffnen, und die sich auftuenden Gasvorkommen würden das «Nabucco»-Szenerio beenden, das als Lebenslinie für Europa und die Türkei galt. Syrien würde ohne Zweifel zum Schlüssel für eine kommende Epoche.   

Quelle: www.voltairenet.org  Syrien: Zentrum des-Gases im-Nahost
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=882   Zeit-Fragen Nr. 24 vom 4. 6. 2012 

Übersetzung: Horst Frohlich und Zeit-Fragen; alle Hervorhebungen durch politonline