Die »Tempelwaffen« - Israel: fünftstärkste Nuklearmacht - Von Jürgen Rose

Zweifellos stellen Massenvernichtungswaffen eine existentielle Bedrohung dar. Folgerichtig räumen sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika

als auch die Europäische Union dem Kampf gegen diese Geißel der Menschheit in ihren jeweiligen Sicherheitsstrategien hohe Priorität ein. Umso mehr muß der äußerst selektive Umgang mit dieser Bedrohung irritieren. So finden die jeweils etwa 10.000 Atomsprengköpfe allein in den Arsenalen der USA und der Russischen Föderation kaum mehr Beachtung. Die Bush-Administration hat den Terminus »nukleare Rüstungskontrolle« aus ihrem Wortschatz getilgt, ganz zu schweigen von nuklearer Abrüstung. Mit den Bemühungen um eine Rüstungskontrolle auf dem Gebiet der chemischen und biologischen Waffen verhält es sich nicht anders – selbstredend nur, soweit die USA und ihre Verbündeten betroffen sind. Zu letzteren zählt auch Israel, das mit seinen »Tempelwaffen« mittlerweile zur fünfstärksten Nuklearmacht der Welt aufgestiegen ist. Wurde die US-Sicherheitspolitik zur Zeit des Kalten Krieges noch von der Maxime bestimmt, was zählt sind Sprengköpfe, nicht Absichten, so gilt heute in Washington das Gegenteil: Von Bedeutung sind nicht effektiv vorhandene Kapazitäten, sondern Unterstellungen und Vermutungen über »das Böse« schlechthin. Die Quintessenz solch irrationaler und manichäischer Politik gipfelt darin, daß einerseits gegen virtuelle Massenvernichtungswaffen ein Präventivkrieg entfesselt, andererseits real existierenden Potentialen an Massenvernichtungswaffen keine Beachtung geschenkt wird, auch wenn sie sich in Händen von Regierungen befinden, die sich nicht gerade durch eine friedliche und völkerrechtskonforme Außenpolitik hervortun. Auch Israel gibt in dieser Hinsicht Anlaß zu größter Besorgnis, liegt dieser Staat doch im Brennpunkt des Nahost-Konflikts.

Das israelische Atomwaffenprogramm
Aus Gründen der Staatsraison hat Israel Produktion und Besitz von Massenvernichtungswaffen zwar niemals offiziell bestätigt und verfolgt diesbezüglich seine sogenannte »Politik der Ambiguität«. Indessen folgt aus in den vergangenen Jahrzehnten stetig in die Öffentlichkeit gesickerten geheimdienstlichen Erkenntnissen, politischen Indiskretionen, umfangreichen Forschungen wissenschaftlicher Institute und nicht zuletzt erfolgreichen Bemühungen investigativen Journalismus, daß Israel über ein umfangreiches Nuklearwaffenpotential verfügt. Dieses umfaßt klassische Kernspaltungs-, thermonukleare Fusions- sowie Neutronenwaffen: insgesamt schätzungsweise 400 bis 500 Sprengsätze, deren Gesamtsprengkraft auf etwa 50 Megatonnen geschätzt wird. Mit diesen sind Atomminen, Artilleriegranaten, Torpedos, Marschflugkörper, Raketen und Flugzeugbomben bestückt. Hergestellt werden die israelischen Nuklearwaffen seit 1962 in Dimona, wo sich das »Israelische Kernforschungszentrum« [Kirya Le‘Mechkar Gariini – KAMAG] befindet. Dort wird in dem mit französischer Hilfe errichteten EL-3 Atomreaktor, der eine Leistung von mindestens 150 Megawatt aufweist, das für die Nuklearwaffenproduktion benötigte Plutonium erbrütet. Daneben befinden sich dort Anreicherungsanlagen für waffenfähiges Uran sowie eine unterirdische Wiederaufbereitungsanlage zur Plutoniumextraktion. Die Konstruktion der Gefechtsköpfe erfolgt in zwei Forschungslaboren, nämlich beim Nuklearforschungszentrum Nachal Schurek (Merkaz Le‘mechkar Gari‘ini – MAMAG) und bei der »Abteilung 20« der Waffenentwicklungs-Behörde (Rashut Le‘pituach Emtzaei Lechima – Rafael). Montiert werden die Atomsprengsätze in einer Nuklearfabrik in Jodfat. Getestet wurden die Kernwaffen mehrfach: Mitte der 60er Jahre in der Negev-Wüste nahe der israelisch-ägyptischen Grenze sowie im Rahmen französischer Versuche in Algerien, außerdem dreimal gemeinsam mit Südafrika in der Atmosphäre über dem Indischen Ozean, zuletzt am 22. September 1979, als ein amerikanischer VELA-Satellit die Detonation zufällig registrierte. Um die Nuklearwaffen zum Einsatz bringen zu können, verfügt die »Israeli Defense Force« über ein breites Spektrum von Trägersystemen, das die gesamte Triade aus land-, luft- und seegestützten Waffenplattformen umfaßt. So dienen amerikanische Artilleriegeschütze (175 mm M-107 und 203 mm M-110) für den Gefechtsfeldeinsatz. Im Kurzstreckenbereich verfügt Israel seit 1976 über US-Raketenartillerie-Systeme MGM-52 C Lance, die eine Reichweite von rund 130 km haben. Über große Distanzen hinweg können unterschiedliche Typen von Boden-Boden-Raketen eingesetzt werden. Die YA-1 Jericho I hat eine Reichweite von 500 km. Etwa 50 dieser Raketen sind in Silos bei Kfar Zekharya, rund 45 km südöstlich von Tel Aviv disloziert. Die YA-3 Jericho II ist eine Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von bis zu 1.800km. Ihre Gefechtsköpfe sollen eine Sprengkraft von 20 Kilotonnen besitzen und mit einer radargesteuerten Endphasenlenkung nach dem Muster der US-amerikanischen Pershing II präzise ins Ziel gebracht werden können. Ebenfalls etwa 50 Raketen sind auf mobilen Werferfahrzeugen in den Kalkhöhlen bei Kfar Zekharya untergebracht. Darüber hinaus produziert Israel die auf der Jericho basierende dreistufige Trägerrakete Shavit, mit der seit 1988 mehrere Ofek-Aufklärungssatelliten auf eine Erdumlaufbahn geschossen wurden. Die Shavit ließe sich mit geringem konstruktivem Aufwand zu einer Interkontinentalrakete von über 7.000 km Reichweite modifizieren. Sehr flexibel kann die israelische Luftwaffe mit diversen Kampfflugzeugen, deren Reichweite sich mittels Luftbetankung nahezu beliebig vergrößern läßt, Nuklearwaffen einsetzen. Erstere wurden von der USA geliefert und von der hochentwickelten israelischen Rüstungsindustrie teilweise erheblich kampfwertgesteigert. Für nukleare Missionen infrage kommen primär die F-16 Fighting Falcon, deren modernste Version F-16I seit letztem Jahr zuläuft, sowie die F-15I Ra’am, die ab 1998 in Dienst gestellt wurde. Letztere hat ohne Luftbetankung einen Einsatzradius von etwa 5.500 km und ist mit modernsten Navigations- und Zielerfassungssystemen ausgerüstet. Nuklearwaffenfähige Jagdbomber sollen auf den Fliegerhorsten Tel Nof, Nevatim, Ramon, Ramat-David, Hatzor und Hatzerim stationiert sein  - einige davon mit Atombomben beladen -  die zwecks Alarmstart rund um die Uhr in Bereitschaft gehalten werden.  

Seit 2003 besitzt auch die israelische Kriegsmarine die Fähigkeit zum Nuklearwaffeneinsatz. Als Plattform dienen drei von Deutschland in den Jahren 1999 und 2000 gelieferte Dolphin U-Boote im Gesamtwert von rund 655 Millionen Euro, nahezu komplett vom deutschen Steuerzahler finanziert. Diese sind mit Marschflugkörpern (Bezeichnung Popeye Turbo II bzw. Deliah) bestückt, deren Reichweite nach Beobachtungen der U.S. Navy im Verlaufe von Flugkörpertests vor Sri Lanka im Mai 2000 mindestens 1.500 km beträgt. Entwickelt wurden diese Marschflugkörper entweder eigenständig von der israelischen Rüstungsindustrie oder mit diskreter ausländischer Hilfe. Mit welchem Nachdruck Israel seine Aufrüstung auf dem maritimen Sektor betreibt, ließ sich dem Jerusalem-Besuch von Verteidigungsminister Struck Anfang Juni 2004 entnehmen, als der Wunsch nach der Lieferung zweier weiterer U-Boote der Klasse 212A – ausgestattet mit dem weltweit einmaligen Brennstoffzellenantrieb neuester Technologie, der es ermöglicht, ähnlich wie ein strategisches Atom-U-Boot lautlos und wochenlang getaucht zu operieren (!) – laut wurde.  

Auch B- und C-Waffen im Arsenal

Neben atomaren komplettieren biologische und chemische Waffen das israelische Potential an Massenvernichtungswaffen. Aufgrund akribischer Geheimhaltung sind die Informationen hierüber indessen sehr spärlich. Eine im Auftrag des US-Kongresses angefertigte Studie des Office for Technology Assessment (OTA) subsumiert Israel unter diejenigen Staaten, die »nach allgemeiner Auffassung inoffizielle Potentiale zur chemischen Kriegführung besitzen« und »nach allgemeiner Auffassung ein inoffizielles Programm zur Herstellung von biologischen Waffen durchführen.« Als gesichert gilt, daß sich in Nes Ziona südlich von Tel Aviv das israelische Institut für biologische Forschung (IIBR) befindet, dessen Aktivitäten ein hoher israelischer Geheimdienstmitarbeiter mit den Worten beschreibt: »Es gibt wohl keine einzige bekannte oder unbekannte Form chemischer oder biologischer Waffen, ..… die im Biologischen Institut Nes Ziona nicht erzeugt würde.«  Darüber hinaus wird vermutet, daß israelische Wissenschaftler dort seit den 90er Jahren unter Nutzung von Forschungsergebnissen aus Südafrika an einer sogenannten Ethno-Bombearbeiten. Bei dieser Entwicklung wird versucht, Ergebnisse der Genforschung zur Identifizierung eines spezifischen Gens zu nutzen, das ausschließlich Araber tragen. Ist dies gelungen, ließen sich mit Hilfe der Gentechnik tödliche Bakterien oder Viren herstellen, die nur Menschen mit diesen Genen attackieren. Chemische Waffen, unter anderem die Nervengase wie Tabun, Sarin und VX, werden in einer unterirdischen Produktionsstätte im Nuklearforschungszentrum Dimona hergestellt. Die indirekte Bestätigung für israelische C-Waffen-Programme lieferte der Absturz einer EL AL-Frachtmaschine auf dem Amsterdamer Flughafen am 4. Oktober 1992, bei dem mindestens 47 Menschen ums Leben kamen und mehrere Hundert Menschen sofort oder verzögert an mysteriösen Leiden erkrankten. Ein Untersuchungsbericht von 1998 erbrachte die Erkenntnis, daß die Maschine Chemikalien an Bord hatte, darunter 227,5 Liter Dimethylmethylphosphonate (DMMP). Diese Menge genügt, um 270 kg Sarin herzustellen. Das DMMP war im Übrigen von der Firma Solkatronic Chemicals Inc. aus Morrisville in Pennsylvania geliefert worden, ein Indiz dafür, daß es US-Unternehmen gab, die es verstanden, am Geschäft mit den Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten mehrfach zu verdienen: Durch Lieferungen in den Irak zwischen 1980 und 1988 während des ersten Golfkriegs  – und an die israelische Armee.  

Im Gleichklang mit der Entwicklung des israelischen Arsenals an Massenvernichtungswaffen vollzog sich die Evolution der Strategie zu deren Gebrauch. Den Ausgangspunkt für die Entscheidung zur Entwicklung der Massenvernichtungswaffen bildete die Überlegung, daß nur diese das absolute und endgültige Abschreckungsmittel gegenüber der arabischen Bedrohung darstellten. Nur mit deren Hilfe konnten vorgeblich die Araber dazu gebracht werden, alle Pläne für eine militärische Eroberung Israels fallen zu lassen und einem Friedensvertrag zu israelischen Konditionen zuzustimmen. Insbesondere die Nuklearwaffen sollten als ultima ratio sicherstellen, daß es nie wieder zu einem Massaker am jüdischen Volk kommen würde. Als symbolische Metapher hierfür diente die »Samson-Option«.  Diese rekurriert auf einen biblischen Mythos. Demzufolge war Samson nach blutigem Kampf von den Philistern gefangen genommen worden. Sie stachen ihm die Augen aus und stellten ihn in Dagons Tempel in Gaza öffentlich zur Schau. Samson bat Gott, ihm ein letztes Mal Kraft zu geben, und rief: »Ich will mit den Philistern sterben!« Er schob die Säulen des Tempels beiseite, das Dach stürzte ein und begrub ihn und seine Feinde unter sich. Treffenderweise tragen die israelischen Nuklearwaffen daher den Decknamen Tempelwaffen.

A-Waffen-Einsatz mehrfach erwogen
Mindestens viermal hat die israelische Regierung den Einsatz dieser Waffen ernsthaft erwogen. Während des 6-Tage-Krieges im Juni 1967 hatte Israel die beiden ersten Uran-Atombomben für den Fall zum Einsatz vorbereitet, daß der Erfolg des konventionell geführten Präventivkriegs gegen seine arabischen Nachbarn ausgeblieben wäre. Während des Yom-Kippur-Kriegs wurde von der israelischen Regierung ein Nuklearwaffenangriff nicht nur erwogen, sondern am 8. Oktober 1973 wurde tatsächlich der Befehl erteilt, 13 Atomwaffen für den Einsatz gegen die militärischen Hauptquartiere der Angreifer in Kairo und Damaskus scharf zu machen, nachdem Verteidigungsminister Moshe Dayan den Zusammenbruch der israelischen Defensiv-Operationen im Zweifrontenkrieg prognostiziert hatte. Mit dieser nuklearen Mobilmachung gelang es der israelischen Regierung unter Golda Meir, zum einen von der USA massive Nachschublieferungen an Munition und Rüstungsmaterial zu erpressen. Zum anderen entfaltete die nukleare Abschreckung gegenüber Ägypten und Syrien ihre Wirkung, so daß die beiden Länder in der Folge mit ihren Panzertruppen nicht weiter vormarschierten. Nachdem am 14. Oktober die nukleare Alarmbereitschaft zunächst aufgehoben worden war, machten die Israelis wenige Tage später erneut ihre Atomwaffen scharf, nachdem die US-Regierung ihr Strategisches Bomberkommando in Alarmbereitschaft versetzt hatte, um die Sowjetunion von einer Intervention in den Krieg abzuhalten. Die Krise endete erst, als die Kampfhandlungen mit Inkrafttreten eines Waffenstillstandes eingestellt wurden. Während des Angriffs auf den Libanon 1982 (Operation Oranim) schlug der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon vor, man solle Syrien mit Nuklearwaffen angreifen. Als die irakischen Streitkräfte am 18. Januar 1991 im zweiten Golfkrieg erstmals Al Hussein-Raketen auf Israel abfeuerten, wurde das israelische Militär inklusive der Nuklearstreitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft versetzt. Für den Fall eines irakischen Angriffs mit chemischen oder biologischen Gefechtsköpfen existierte eine unverhüllte nukleare Gegenschlagsdrohung Israels.  

Israel nutzt sein Atomwaffenarsenal indes nicht nur im Kontext der Abschreckung oder der direkten Kriegführung, sondern hat dieses unter dem Rubrum Nonconventional Compellence untrennbar  in seine allgemeine militärische und politische Strategie integriert. Shimon Peres, einer der entscheidenden Drahtzieher des israelischen Massenvernichtungswaffen-Programms, charakterisierte dieses Konzept mit den Worten: »Ein überlegenes Waffensystem zu beschaffen, bedeutet die Möglichkeit, es für die Ausübung von Druck zu nutzen, das heißt die andere Seite zu zwingen, Israels Forderungen zu akzeptieren, was wahrscheinlich die Forderung einschließt, daß der traditionelle Status quo akzeptiert und ein Friedensvertrag unterzeichnet wird.« Darüber hinaus garantiert das Nuklearwaffenpotential einerseits die uneingeschränkte Unterstützung des US-Verbündeten und verhindert andererseits eine unangemessene Parteinahme Europas zugunsten der arabisch-palästinensischen Position. Sehr aufschlußreich diesbezüglich sind die Ausführungen des israelisch-niederländischen Militärhistorikers Martin van Creveld, Professor an der hebräischen Universität in Jerusalem, von Anfang 2011. Dieser merkt in einem Interview mit dem niederländischen Magazin Elsevier zu der hinter dem aktuellen Teilrückzugsplan des israelischen Premierministers Ariel Scharon steckenden Strategie an, daß diese darauf abzielt, eine unüberwindliche Mauer um Israel zu errichten und die Palästinenser außerhalb der israelischen Grenzen zu halten. Scharons Plan bedeute in letzter Konsequenz, daß alle Palästinenser aus der dann errichteten Festung Israel deportiert würden. Auf die Frage, ob die Welt eine derartige ethnische Säuberung zulassen würde, antwortet van Creveld: »Das liegt daran, wer es macht und wie schnell es geht. Wir haben einige Hundert Atomsprengkörper und Raketen und können sie überall auf Ziele werfen, vielleicht selbst auf Rom. Mit Flugzeugen sind die meisten europäischen Hauptstädte ein Ziel.« Die von van Creveld vertretene Position mag extrem erscheinen, aber da sich die israelische Gesellschaft mehr und mehr polarisiert, wird der Einfluß der radikalen Rechten stärker. Gerade aus deren Reihen rekrutiert der israelische Sicherheitsapparat zunehmend seine Mitarbeiter. Es läßt sich daher keineswegs ausschließen, daß Gush Emunim oder einige säkulare rechte israelische Fanatiker oder einige wahnsinnige israelische Armeegeneräle die Kontrolle über die israelischen Nuklearwaffen bekommen. So wird beispielsweise der pensionierte Stabschef der Israeli Defense Force, Lieutenant General Amnon Shahak, mit den Worten zitiert: »All methods are acceptable in withholding nuclear capabilities from an Arab state.« Sekundiert wird er hierbei von Shimon Peres, der in Bezug auf das angebliche Nuklearwaffenprogramm Irans propagiert: »Es bleiben drei Optionen, um den Iran von der Erreichung seiner nuklearen Ambitionen abzuhalten: politischer Druck, ökonomische Sanktionen und militärisches Eingreifen.« Bezeichnenderweise ist keine Rede von Rüstungskontroll- und Abrüstungsmaßnahmen, wie sie sich während des Kalten Krieges und in anderen Regionen dieser Welt ja durchaus bewährt haben. Zwar wurde während der Nahost-Konferenz von Madrid im Anschluß an den Golfkrieg von 1991 auch eine Arbeitsgruppe Arms Control and Regional Security (ACRS) installiert. Diese tagte indes 1995 das letzte Mal und hatte nach vier Jahren keinerlei greifbare Ergebnisse gebracht. Ursache hierfür war die strikte Weigerung Israels, die nukleare Frage auf die Tagesordnung zu setzen, denn gemäss Israels  Auffassung setzt jegliche Einschränkung der israelischen Nuklearfähigkeit (und erst recht ein Verzicht darauf) eine umfassende und erprobte Friedensregelung in der Region voraus. Konsequenterweise straft die israelische Regierung die jahrelange Resolutionspraxis der UN-Generalversammlung zum Risiko der nuklearen Proliferation im Mittleren Osten sowie zur Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone in dieser Region ebenso mit Verachtung wie die einschlägigen Resolutionen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA.

Angesichts israelischer Intransigenz sieht die Prognose düster aus: »Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in Nahost scheint es illusionär, auf Verhandlungen allein zu setzen, wenn es darum geht, Waffen bei den zum Waffenbesitz legitimierten Staaten und Streitkräften zu monopolisieren. Das gilt für Kleinwaffen ebenso wie für Massenvernichtungswaffen.« In Anbetracht der brisanten Zuspitzung des Palästina-Konfliktes reicht es nicht, wenn sich Europa über nicht vorhandene oder allenfalls marginal einsatzfähige Massenvernichtungswaffen in der islamischen Welt sorgt, es muß sich vielmehr mit dem real existierenden und in Verbindung mit einer brandgefährlichen Militärstrategie operativ jederzeit einsetzbaren Massenvernichtungspotential eines Staates befassen, welcher der Weltgemeinschaft permanent demonstriert, daß er, wenn es um seine reale oder vermeintliche Sicherheit geht, jederzeit bereit ist, Völkerrecht und Menschenrechte zu mißachten.

 
 Quelle: Wissenschaft & Frieden 2004-4
http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0342       mit Angabe aller Fussnoten;
Der Autor, Dipl. Päd. Jürgen Rose, ist Oberstleutnant der Bundeswehr
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