Zum Euro-Desaster: Wendehälse, Verschweiger, Nachzügler - Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer

Sie haben es wieder einmal geschafft, unsere ebenso trickreichen wie faktenscheuen »Euroretter«. Nachdem sie den griechischen Ministerpräsidenten

 

nach Cannes zum Rapport bestellt hatten, sagte dieser die angekündigte Volksabstimmung alsbald ab, stellte im Parlament die Vertrauensfrage (die er gewann, kein Wunder bei völlig verängstigten Parlamentariern, die den Geldstrom von außen nicht stoppen wollen) und kündigte eine Regierung der nationalen Einheit an. Die politische Absurdität ist perfekt: Ein Ministerpräsident läßt sich im Amt bestätigen, um in seiner anschließenden Regierungserklärung seinen Rücktritt anzukündigen. Niemand in Brüssel und in den Hauptstädten der EU kann sich damit herausreden, man habe von den seit Jahrzehnten herrschenden Chaosverhältnissen in Griechenland nichts gewußt. Wozu sonst die vielen Kontrollen aus Brüssel (Olaf u.a.)? Was haben die Botschafter der Euroländer nach Hause berichtet? Ein hoher EU-Beamter erzählte mir schon in den siebziger Jahren vom unheilbaren Korruptionsnetz in Hellas. Ist es glaubwürdig, daß man offiziell erst jetzt erfahren haben will, daß eine (unter sieben) Rentenkassen allein in den letzten zehn Jahren bis zu acht Milliarden Euro an Angehörige verstorbener Rentner ausgezahlt hat? Davon sollen Merkel, Sarkozy & Co. trotz Kontroll- und Geheimdienste nichts gewußt haben? Und waren auch die ausländischen Medienvertreter vor Ort so ahnungslos?

 

Wie frech nimmt sich angesichts dieser Faktenlage die Sprechblase von Bundeskanzlerin Merkel aus: »Scheitert der Euro, scheitert Europa«? Seit zwei Jahren verkündet sie, kein Land dürfe aus der Eurozone ausscheiden. Seit einer Woche sieht sie das anders. Merkel hat als Folge ihrer zahlreichen Wendemanöver (Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Mindestlohn u.v.a.) längst jede (!) Glaubwürdigkeit verloren. Sie ist als Politikerin schlicht überfordert. Was soll man ihr noch glauben? Wie konnte sie je annehmen, daß die stolzen Südländer eine fiskalische Entmündigung ohne erdbebenhaften Protest hinnehmen würden? Zuerst der tiefe Eingriff in die kollektive ›Seelenverfassung‹ der Griechen und jetzt wiederholen die ›Euroretter‹ unter der Führung Merkels den gleichen Fehler gegenüber Italien. Athen und Rom zum Eurorapport unter germanischer Dominanz: Muß man da nicht um schlimmste Ausfälle fürchten? Hat man damit nicht den Völkerhaß auf Jahre hinaus geradezu institutionalisiert? Nur um den längst gescheiterten Euro zu retten, will sagen: um nicht das Gesicht zu verlieren?

 

Auch in den Medien ist Wendehalsigkeit weit verbreitet. Vor Jahren noch bejubelten sie die Eurozone als Hort weltpolitischer Stabilität, vom Boulevard bis zu den feinen Obermedien in Frankfurt, Hamburg, München und Berlin. Nunmehr plädiert man selbstvergessen für den Austritt Griechenlands aus der Eurozone und lobt die angeblich herkuleische Leistung Merkels. Ist man denn gegenüber politischen Stümpereien blind? Auch die Medien haben im Eurosturm an Glaubwürdigkeit verloren. Allen Ernstes konnte man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ vom 4. Nov. 2011, S. 11) lesen, zwar sei ein Austritt vertraglich nicht geregelt, aber was wiege schon eine weitere Rechtsbeugung gegenüber dem »rechtswidrigen Eintritt Griechenlands in die Währungsunion«. Unrecht soll Unrecht rechtfertigen – das sprengt nicht nur den Rechtsstaat, sondern auch die Demokratie in die Luft.

 

Kaum mehr steigerbar wird das Horrorszenario durch hochamtliches Verschweigen. Wer sich davon überzeugen will, lese die Monatsberichte der EZB und der (entmachteten) Deutschen Bundesbank. Man reibt sich die Augen: »Die Finanzkrise im Spiegel der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für das Euro-Währungsgebiet: eine Betrachtung (!) der Finanzierungsströme« (in: Monatsbericht der EZB, Heft 10/2011, S. 107 ff.). Keine Spur von brandaktueller und bürgernaher Berichterstattung. Die Bundesbank gibt sich ebenso distanziert, ganz so, als würde es in Euroraum nicht lichterloh brennen. Schwarzgallige Heiterkeit wäre angebracht, hätte die Sache nicht ein epochales Schicksalsgewicht, wenn Nachzügler mit feiner Feuilletontextur daherkommen und ihr tiefes Wissen darreichen. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, sieht »demokratische Prozesse« den »Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden« überlassen, ohne daß er sich fragt, warum sich politischer Wahnwitz in die ökonomische Gefangenschaft begeben hat. Auch der hochangesehene Philosoph Hermann Lübbe (Zürich) kommt recht spät zur Erkenntnis, daß der Euro nicht die Krönung des Einigungsprozesses sein kann (sondern sein Verhinderer, was Lübbe einsieht) und daß es ein Fehler ist, den Finanzausgleich »zum Kerngehalt eines europäischen Bundesstaates« zu erklären, ehe nicht eine »Zusammengehörigkeit« gegeben ist. Daß ein autoritär befohlener Finanzausgleich zwischen Finnland und Portugal nicht durchgehalten werden kann, ist einer der Strukturfehler, der in diesem WALTHARI-Portal seit Jahren beschrieben wurde. Ebenso ist die zentralistische supranationale Großstaaterei (Vereinte Staaten von Europa) nicht effizient und legitimierbar, was ich 2007 ausführlich begründete (in: Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten Staat, S. 147 ff.). Was schließlich Jürgen Habermas an gleicher Feuilletonstelle seiner Großgemeinde vorgibt, ist das Gegenteil der Lübbe’schen Späteinsicht. Der Sozialphilosoph versucht sich als Ökonom, der die »heile ordoliberale Welt« gründlich mißversteht und einen supranationalen Zentralismus fordert. Veraltetes marxistisches Gedankengut in allerfeinstem Sprachgewand.

 

 

Quelle: © WALTHARI®

http://www.walthari.com/   6. 11. 11

Alle Hervorhebungen durch politonline