Die gefährliche Seite der mobilen Kommunikation - Von Angela Barandun

Handys werden zur Fernsteuerung für unser Leben. Bald dürften selbst Herzschrittmacher und Autos ans mobile Internet angeschlossen sein.

Damit wachsen auch die Gefahren der mobilen Kommunikation. Stellen Sie sich vor, Ihr Herzschrittmacher hätte eine SIM-Karte - also eine eingebaute Internetverbindung. Ihr Arzt wüsste so jederzeit, ob bei Ihnen alles stimmt und das Gerät funktioniert. Er könnte es neu einstellen, ohne Ihre Brust zu öffnen - per Computerbefehl, via Handynetz. Sie müssten dafür nicht einmal das Haus verlassen. Klingt gut, nicht wahr? Was aber geschieht, wenn Sie sich überlegen, dass jemand dank der SIM-Karte das Gerät böswillig ausschalten könnte - per Mausklick? Vielleicht der Nachbarsjunge, der Ihnen einen Streich spielen will? »Wenn man es sich so herum überlegt, wird es plötzlich zentral, wer Einsicht in unsere Daten erhält und wie ein Gerät vernetzt ist«, sagte Beat Rudin, der Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt. Er führte am 6. 9. zusammen mit seinem Zürcher Kollegen Bruno Baeriswyl durch ein Symposium an der ETH Zürich, das Gefahren und Risiken im Zusammenhang mit mobilen Daten thematisierte.

 

»Ein sehr kritisches Stadium«

Und so absurd, wie das Beispiel mit dem Herzschrittmacher im ersten Moment töne, sei es gar nicht, sagt Srdjan Capkun, Professor für Systemsicherheit an der ETH Zürich. »Früher war es extrem teuer und kompliziert, Funkwellen abzuhören. Heute kostet so ein Gerät weniger als 1000 Franken«, sagt Capkun. Damit lassen sich mobile Systeme erstaunlich einfach kapern. Capkun hat Erfahrung: Er knackte schon Handygespräche über das langsamere GSM-Netz, brach in Autos mit kontaktlosen elektronischen Schlüsseln ein, machte Handys glauben, sie seien in New York, dabei waren sie in Zürich, oder fälschte sogar GPS-Signale.

 

Und das ist nur die eine Seite des Problems. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Handys selbst immer mehr Daten sammeln. Ihre Sensoren wissen, wo wir sind, woher wir kommen und sogar, ob und in welche Richtung wir uns bewegen. Es ist sogar möglich, herauszufinden, mit wem wir zusammen sind. Daten, für die sich nicht nur die Werbeindustrie interessiert, auch der Staat mischt dabei mit. In Deutschland wurden im Februar »sämtliche Besucher einer Anti-Nazi-Demo in Dresden via Handyscan von der Polizei registriert«, erzählt Peter Schaar, der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte. Er warnt: »Wir befinden uns in einem sehr kritischen Stadium: Es besteht das Risiko der totalen Überwachung.«

 

Parallel dazu spielt das Handy in unserem Leben eine immer zentralere Rolle. Bald werden wir mit dem Handy kontaktlos bezahlen, die Haustür aufschliessen, uns am Firmeneingang identifizieren oder Cumulus-Punkte sammeln. Das Auto werde genau wie der Herzschrittmacher mit einer SIM-Karte ausgestattet, glaubt Michael Kocheisen, der für die Swisscom Trends aufspürt. So kann man im Internet surfen und den Wagen bei Diebstahl orten. Einen Unfall meldet der Wagen von allein, bei einer Panne gibt es eine Ferndiagnose. Theoretisch könnten sogar Lichtsignale überflüssig werden, weil sich die Autos selbst absprechen. Für Versicherungen und Strassengebühren drängen sich neue Abrechnungsmechanismen auf - nach Verursacherprinzip. »Wer durch den Gotthard fährt, zahlt mehr, als wer die San-Bernardino-Route nimmt«, sagt Kocheisen.

 

Datenschutz als Wettbewerbsvorteil

Bislang spielen die Nutzer dabei mit. Die Verkaufszahlen der sogenannten Smartphones - Handys mit Internetzugang und Sensoren - boomen. Kein Wunder, findet der Zürcher Datenschützer Bruno Baeriswyl: »Je mehr Daten wir von uns preisgeben, desto angenehmer wird unser Leben.« Daneben gehe nur allzu leicht vergessen, dass parallel zum Komfort die Sicherheit abnehme.

 

Je weiter die mobilen Daten unser Leben durchdringen, desto mehr steht auf dem Spiel - nicht nur unsere Privatsphäre, sondern unsere Gesundheit, unsere Sicherheit. Wenn wir unsere Daten nicht davor schützen können, dass sie gestohlen, manipuliert oder missbraucht werden, stellt womöglich plötzlich jemand unseren Herzschrittmacher ab, lenkt unser GPS fehl oder plündert unser Konto. Wie wir uns schützen sollen, ist aber alles andere als klar. »Wir stehen vor der Frage, ob wir unser Grundrecht auf Selbstbestimmung über unsere Daten in Zukunft überhaupt noch wahrnehmen können«, sagt Rudin. Auf strengere Gesetze können wir nicht zählen. Insbesondere nicht in der Schweiz, wo der Datenschutz schwächer ist als im umliegenden Ausland. Wir müssten schon freiwillig auf den einen oder anderen Vorteil verzichten, um so einem übermässigen Risiko aus dem Weg zu gehen. Oder wir hoffen, dass die öffentliche Wahrnehmung dreht. »Vielleicht entwickelt sich der Datenschutz bald zu einem Wettbewerbsvorteil«, sagt Rudin. Bis es soweit ist, wollen die Datenschützer den Fortschritt nicht verhindern. »Aber wir müssen genau hinsehen und sicherstellen, dass der Rahmen nicht mit übermässigen Risiken erkauft wurde«, sagt der deutsche Bundesdatenschützer Schaar. (Tages-Anzeiger)

 

 

Quelle: Der Artikel erschien in der Ausgabe des Tages-Anzeigers vom 7. 9. 11. Die Veröffentlichung wurde uns dankenswerterweise von der Autorin gestattet.

Alle Hervorhebungen durch politonline

http://www.tagesanzeiger.ch/digital/mobil/Die-gefaehrliche-Seite-der-mobilen-Kommunikation/story/14400527    7. 9. 11  Die gefährliche Seite der mobilen Kommunikation

Von Angela Barandun