EFSF-Ausweitung: »Verteilungskampf zwischen Finanzindustrie und Steuerzahlern«

In der letzten Woche haben die Parlamente von Deutschland, Österreich, Estland, Zypern und der Niederlande die geplante Ausweitung des europäischen

Rettungsfonds EFSF genehmigt. In Deutschland tobte um die Abstimmung am 29.9. ein schwerer politischer Kampf; 13 der 85 Nein-Stimmen kamen aus den Koalitionsparteien von Merkel. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler betonte in seiner Rede, das Übel habe tatsächlich am 11. 2. 2010 begonnen, als die Staats- und Regierungschefs der EU in einem kollektiven Gesetzesbruch entschieden, Griechenland Geld zu überweisen. Das habe sich seither mehrfach wiederholt, die EFSF-Ausweitung sei nur der jüngste Fall. Schäffler warnte, der Fonds werde ähnliche Risiken wie Hedgefonds eingehen, es werde Spekulation auf Kredit geben, und der europäische Steuerzahler werde am Ende diese Spekulationen bezahlen müssen.

 

Eine äußerst dramatische Zukunft für die EU-Steuerzahler hat der Ökonom Prof. Stefan Homburg von der Leibniz-Universität Hannover in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. 9. vorausgesagt. »Zieht man historische Parallelen heran, wird der Euro ein böses Ende nehmen. Ein Kollaps der Währungsunion erscheint kaum noch abwendbar.« Die Behauptung von Kanzlerin Merkel, man müsse die Währungsunion um jeden Preis retten, sei falsch, denn: »Global und historisch betrachtet ist die Zahl von Staatspleiten und Währungszusammenbrüchen Legion.« Homburg sagte weiter: »Die Regierungschefs und die EZB werden das Ende des Euros durch ihre Manöver so lange wie möglich hinauszögern. Sie haben jedoch sämtliche Stabilitätsregeln des Vertrags von Maastricht gebrochen.« Er bestätigte, was die Executive Intelligence Reviewimmer wieder betont: daß die Steuerzahler die Banken retten sollen: »Der Verteilungskampf zwischen Finanzindustrie und Steuerzahlern bildet den ökonomischen Kern des Problems, er wird aber verdeckt geführt und verschleiert. .... Vor zwei Jahren befanden sich fast alle griechischen Staatsanleihen in privater Hand, inzwischen ist rund die Hälfte beim Steuerzahler angekommen. Es ist absehbar, daß in wenigen Jahren auch die andere Hälfte verschoben wird.« Homburg warnte vor einer massiven Inflation und Enteignung der Bürger: »Im Moment ist die Inflationsrate nicht hoch. Aber die Metapher der Ketchup-Inflation warnt: Wie bei einer Ketchupflasche, die man schüttelt, kommt zuerst nichts heraus, und dann ein ganzer Schwall, den man nicht aufhalten kann. Mit der Inflation verhält es sich ähnlich. Wenn sie erst kommt, wird die EZB sie kaum über Verkauf von Staatsanleihen oder über massive Zinserhöhungen aufhalten  können. Das würde vor allem Vermögensbesitzer hart treffen - wie schon in der Vergangenheit. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg sind die Ersparnisse der Bürger in den Kauf von Kriegsgerät gegangen, dieses Scheinvermögen wurde dann durch die Währungsreformen 1923 und 1948 aufgedeckt. Die Geschichte zeigt, daß Regierungen, wenn es ernst wird, zu radikalen Mitteln greifen wie Enteignungen, Vermögensabgaben oder Goldbesitzverbot. Auch der normale Eigenheimbesitzer, Riester-Rentner oder Lebensversicherte wird sein Fett wegbekommen. Ist der Staatsnotstand erst erreicht, sind auch die Grundrechte außer Kraft.« Dann gebe es für kaum jemand noch Hoffnung, höchstens für »jene ehrenwerten Mitglieder der Finanzindustrie, die jetzt noch ein oder zwei Jahre mit Steuerzahlers Hilfe Kasse machen, um sich dann mit dem eigenen Flugzeug auf die eigene Insel zu verabschieden und aus der Ferne zuzusehen, wie die übrigen hier klarkommen«.

 

Wissenswert ist sind auch folgende Forderungen, die in einem geheimen, vom »Corriere della Sera« am 29. 9. veröffentlichten Schreiben der Europäischen Zentralbank vom 5. August an die italienische Regierung enthalten sind: Der Wortlaut zeigt schonungslos, wie ungeheuerlich die supranationale Governance jetzt schon über den Kopf demokratisch gewählter Regierungen hinweg entscheidet und gibt einen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten ist, wenn dieses System, wie von den EU-Institutionen und Finanzmärkten geplant, ausgebaut wird. Der EZB-Vorsitzende Jean-Claude Trichet und sein designierter Nachfolger Mario Draghi haben den Brief unterzeichnet. Trichet hatte noch bei einer Pressekonferenz am 8. 9. auf eine Frage von Executive Intelligence Review, ob der italienischen Regierung in dem Brief Maßnahmen diktiert würden, wie folgt geantwortet: »Das sind Mitteilungen - wir diktieren oder zwingen zu gar nichts.« Aber wenn man den Text liest, ist Diktat eher noch eine Untertreibung. Er ist in Ton und Inhalt unverschämt, der Corriere nennt ihn sicherlich außerhalb des Rahmens der klassischen Zentralbankliturgie und sehr scharf, an Zynismus grenzend. Trichet und Draghi fordern die völlige Liberalisierung lokaler öffentlicher Dienstleistungen und professioneller Dienste, vor allem durch umfangreiche Privatisierungen, Ersetzen von Tarifverträgen durch Vereinbarungen auf Unternehmensebene, Lockerung des Kündigungsschutzes, Anzielen eines 1%-Defizits für 2012 durch Haushaltskürzungen im Umfang von 3 % des BIP, Erhöhung des Rentenalters für Frauen in der Privatwirtschaft, beträchtliche Senkung der Kosten für Staatsbedienstete ....., notfalls durch Gehaltskürzungen, Abschaffung von Provinzregierungen, Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung und Leistungskataloge in Gesundheits-, Bildungs- und Justizwesen.  ….. Mehr EU- Governance, so Strategic Alert, wird alles nur noch verschlimmern. Der Großspekulant George Soros forderte kürzlich, die EZB solle als europäisches Finanzministerium agieren, bis ein solches durch einen neuen EU-Vertrag geschaffen wird. Die EZB würde dann nicht nur Großbanken übernehmen und deren Kapital und Vermögenswerte direkt refinanzieren, sondern auch den Haushalt von Ländern wie Italien und Spanien verwalten. Sonst sei der Euro nicht zu retten, meinte Soros. [1]

 

Was sich auf der G-20-Zusammenkunft vom 23. bis 24. September in Washington ereignete,  sei hier kurz nachgezeichnet: Dort herrschte bei den Führern der Welt angesichts der Endphase des globalen Finanzkollapses einfach nur Panik, nämlich völliger Irrsinn in Wort und Tat. US-Finanzminister Geithner, der britische Finanzminister Osborne und Präsident Obama selbst waren terrorisiert, daß die Krise der Eurozone ihre eigene beschleunigte Zerstörung herbeiführen würde. Am Abend des 23. 9. hatte Geithner eine Reihe hastiger Treffen und Telefonate, um Unterstützung für die Ausweitung des  Europäischen Finanzstabilitätsfonds zusammenzubringen. Am Tag darauf erklärte er in seiner Rede vor dem IWF-Treffen: »Finanzielle Belastungen von Staaten und Banken sind das ernsthafteste Risiko, vor dem die Weltwirtschaft jetzt steht... Die Gefahr einer kettenreaktionsartigen Zahlungsunfähigkeit, Runs auf Banken, und das Risiko einer Katastrophe müssen vom Tisch. Ansonsten werden alle anderen Anstrengungen untergraben, sowohl in Europa als auch global. Entscheidungen über den Umgang mit den Problemen der Region können nicht warten, bis die Krise noch schlimmer wird.« In der Woche zuvor hatte Obama in einem irren Tempo auf die Staatschefs eingeredet, um sie zur sofortigen Öffnung der Geldschleusen (Quantitative Easing) zu bewegen. Osborne warnte am 23. 9. in Washington: »Die Geduld der internationalen Gemeinschaft läuft aus. Bei den Hauptakteuren der Eurozone herrscht die Stimmung, daß ihnen die Zeit davonläuft... Die Eurozone hat sechs Wochen, um diese politische Krise zu lösen.« Diese Frist bezieht sich auf das nächste G-20-Treffen, das Anfang November im französischen Cannes stattfinden soll. Warum gebärden sich die Wallstreet (Geithner) und die Londoner City (Osborne) so hysterisch, wenn es um die Rettung des Euros geht? Hat Brüssel nicht wiederholt behauptet, die Amerikaner seien äußerst erfreut über das Unglück des Euros, ihres großen finanziellen Widersachers? Nun, man muß verstehen, daß der Euro ein Geschöpf der Londoner City ist, des um die Inter-Alpha-Gruppe zentrierten Finanzsystems, also des gleichen Systems, das momentan und unwiederbringlich am Zusammenbrechen ist. Man braucht nur das gegenwärtige Epizentrum der Krise, die französischen Banken, genauer zu betrachten. Französische Banken haben ein Anlagevermögen von ungefähr 8 Billionen €, das ist viermal soviel wie das französische BIP. Seit Beginn des Jahres hat sich ihr Aktienwert um die Hälfte verringert, und ihre Belastung durch mit Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staatsschulden von EU-Randstaaten hat sie von der Refinanzierung durch die Finanzmärkte abgeschnitten. Da sie zu 60 % von einer derartigen Refinanzierung abhängen und die Zahlungsfrist für das dritte Quartal Ende September abgelaufen ist, ist eine durch ein Austrocknen der Liquidität verursachte größere Bankeninsolvenz wohl unabwendbar. Versichert sind die Schulden der französischen Banken allerdings in New York und London. Deshalb stehen wir vor dem Platzen des gesamten Weltfinanzsystems, und nichts kann getan werden, um es von innerhalb des Systems zu retten. [2]

 

1  Strategic Alert Jahrgang 24, Nr. 40 vom 5. Oktober 2011

2 Strategic Alert Jahrgang 24, Nr. 39 vom 28. September 2011