Libyen - »sagenhafte« Pläne 11.09.2011 15:04
»Die Libyen-Strategie«, ein Bericht von »German Foreign Policy«, legt die Denkweise von Stiftungen und Fachkreisen bloß,
laut denen der Libyen-Krieg als Modell für künftige westliche
Militärinterventionen gelten kann: Dies legten Untersuchungen deutscher
Regierungsberater und Publizisten nahe. Demnach knüpft der Libyen-Krieg, in dem die NATO durchweg
als Luftwaffe, dagegen fast ausschließlich einheimische Kräfte als Bodentruppen
operierten, an die aus westlicher Sicht erfolgreichen Kriege gegen Jugoslawien
an. Fehler etwa aus dem Afghanistan-Krieg, den der Westen auch mit eigenen
Bodentruppen führt, würden auf diese Weise vermieden, heißt es in einer von der
Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) publizierten Analyse: Es gelinge so, im eigenen
Lande benötigtes Geld zu sparen und das Leben westlicher Soldaten zu schonen.
Allerdings müßten die am Boden operierenden Kräfte - im Fall Libyens der Nationale Übergangsrat
und seine Milizen - zu einem taktisch
geschickten Umgang mit der neu eroberten Macht bewegt werden, um so den Sturz
des Landes in einen dauerhaften Bürgerkrieg à la Irak zu verhindern, rät die
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der Think-Tank nennt konkrete Vorschläge für
die Stabilisierung eines durch Krieg an die Macht gebrachten Regimes.
Durchschlagende Wirkung Wie es in einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU)
publizierten Analyse heißt, seien die Kriege der NATO gegen Jugoslawien in den
1990er Jahren ohne Zweifel für den Westen ziemlich erfolgreich gewesen [Was
die Folgen
betrifft, unter denen wir insgesamt leiden, so urteilt die Stiftung nicht nur
realitätsfern, sondern ist offenbar mit Blindheit geschlagen! Anm. von politonline]. Damals habe das
Kriegsbündnis nur die Luftwaffe, aber keine Bodentruppen gegen Serbien
eingesetzt. Entscheidend sei der Beschluß der US-Regierung unter Bill Clinton
gewesen, die kroatischen Sezessionisten ›im
Kampf gegen die serbischen Truppen von einer amerikanischen Beratungsfirma für
Militärfragen ausbilden zu lassen‹.
Deren Mitarbeiter hätten sich ›aus
ehemaligen hohen Armeeangehörigen‹
rekrutiert. Darüber hinaus habe Washington das UN-Waffenembargo gegen die
Sezessionstruppen der Kroaten und der bosnischen Muslime faktisch aufgehoben:
›Amerikanische Kriegsschiffe ließen
Waffenlieferungen passieren.‹ [1]
Die dergestalt unterstützten kroatischen und bosnischen Milizionäre hätten
schon bald darauf ›eine
Gegenoffensive‹ starten können,
heißt es in der Analyse; dabei sei es zwar ›zu schweren und heute vom Haager UN-Tribunal
geahndeten Kriegsverbrechen‹ gekommen‹, doch sei die Operation ›so erfolgreich‹ gewesen, daß
Serbien zum baldigen Nachgeben gezwungen gewesen sei. Die ›indirekte Form westlicher Kriegführung‹ habe damals ›durchschlagende
Wirkung‹ besessen.
Fehler vermeiden
Wie es in der Analyse weiter heißt, habe Washington mit der
Entscheidung, 2001 in Afghanistan und 2003 im Irak die eigenen Bodentruppen
einzusetzen, einen Fehler ›mit
fatalen Konsequenzen‹ begangen. Dort
seien inzwischen Tausende westlicher Soldaten zu Tode gekommen, Zehntausende
verwundet worden. ›Auch ökonomisch
sind derlei Einsätze ein Desaster‹,
schreibt der Autor: Laut Berechnungen des US- Wirtschaftswissenschaftlers Joseph
Stiglitz habe allein der Dritte Golfkrieg 3 bis 5 Billionen US-Dollar verschlungen, ›Gelder, die für öffentliche Investitionen in Forschung, Bildung
und Infrastruktur schmerzhaft fehlen‹.
[2] Das Ergebnis dieser zwei Kriege sei alles andere als zufriedenstellend.
Daher setze der Westen in Libyen erneut ›auf
die Überlegenheit seiner Luftwaffe‹
und unterstütze - wie früher im ehemaligen Jugoslawien - ›mit Geheimagenten, Spezialeinheiten, Militärberatern und Waffenlieferungen
über Drittstaaten die Streitkräfte der verbündeten Konfliktpartei vor
Ort‹. Frankreich habe mit einem
ähnlichen Vorgehen erst unlängst in Côte d'Ivoire einen Erfolg erzielt und den
dortigen mißliebigen Präsidenten abgesetzt (Bericht von
german-foreign-policy.com [3]). Großbritannien habe in Sierra Leone sogar mit
Bodentruppen interveniert, ohne Schaden zu erleiden: Die Bodentruppen seien so
bald wie möglich abgezogen worden, nun gebe es ›Sicherheitsgarantien‹; ›der Regierung in Freetown hat London
zugesichert, daß umgehend Truppen eingeflogen werden, wenn es zu Unruhen kommt‹. [4]
›Diese Tradition [!] britischer
und französischer Interventionen‹,
resümiert der Autor, ›hat der Westen nun in Libyen fortgesetzt.‹
Spalte und herrsche Berliner Regierungsberater weisen darauf hin, daß die für
den Westen am Boden operierenden Kräfte, im Fall Libyens der Nationale
Übergangsrat und seine Milizen, zu taktisch geschicktem Umgang mit der neu
eroberten Macht bewegt werden müssen, um den Sturz des Landes in einen dauerhaften
Bürgerkrieg zu verhindern. So warnt die Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP) in einer neuen Publikation, ›Teile
des alten Sicherheitsapparates‹
könnten auch künftig Widerstand gegen das neue Regime leisten. [5] Darauf müsse eine praktikable Antwort gefunden werden. Die von den Vereinigten
Staaten im Irak praktizierte Lösung, Militär und Polizei schlicht aufzulösen,
habe sich als gänzlich unzweckmäßig erwiesen, heißt es in Fachkreisen: Dort
seien die gegenüber dem entmachteten Regime loyalen Repressionskräfte nach
ihrer Entlassung oft in den Untergrund gegangen und hätten den Bürgerkrieg
angefeuert. Man solle daher in Libyen Militär und Polizei auf keinen Fall
auflösen. [6] Die SWP weist nun darauf
hin, daß ein neuer ›Rumpfsicherheitsapparat‹ mit Gaddafi loyalen Kräften ebenso ›zum Keim einer Rebellion gegen die
neue Ordnung werden‹ könne. Es gelte
ihn zu spalten - ›die
führenden Entscheidungsträger des Sicherheitsapparates‹ vor Gericht zu stellen, zugleich aber andere ›Klientelgruppen des alten Regimes‹ in den ›politischen
Prozeß‹ einzubeziehen, sie also
zumindest partiell an der Macht zu beteiligen. Nur so lasse sich dauerhafter
Bürgerkrieg à la Irak verhindern.
Fraktionsbildung und MachtkämpfeWie die SWP weiter rät, müsse der Nationale Übergangsrat
auch insgesamt seine politische Basis verbreitern; dazu gehöre, daß auch
diejenigen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt würden, ›die sich im Bürgerkrieg neutral verhalten haben oder in das Regime
eingebunden waren‹. [7] ›Mit
der Einbeziehung weiterer Bevölkerungsgruppen nach dem Sturz des Regimes‹ werde ›die Bandbreite der Akteure noch größer werden‹, urteilt die SWP; dies könne zu Fraktionsbildung und schließlich ›zu Machtkämpfen führen‹. Dabei bestehe ›die Gefahr, daß diese Rivalitäten auch gewaltsam ausgetragen
werden könnten‹, zumal dann, wenn
nicht vollständig loyale Kräfte in Militär und Polizei verblieben seien. Damit
müsse der Nationale Übergangsrat durchaus fertigwerden, wenn nötig, mit
westlicher Unterstützung. Ein dauerhafter Einsatz westlicher Militärs sei
allerdings nicht angebracht, heißt es bei der SWP: ›Internationale Truppen‹
würden in Libyen - nicht anders als im Irak - ›mit hoher Wahrscheinlichkeit auf breite Ablehnung stoßen‹.
Abrüstung Um die Gefahr anhaltender Auseinandersetzungen zu
verringern, setzt der Westen in Libyen auch auf Abrüstung. Man sei besorgt, die
Waffen im Lande könnten in falsche Hände geraten, heißt es in EU und USA;
dagegen gelte es Vorkehrungen zu treffen. Die Vereinigten Staaten haben
inzwischen begonnen, Waffen zurückzukaufen - eine Maßnahme, die
auch aus Afghanistan nach dem Sturz des Taliban-Regimes bekannt ist.
Außenminister Westerwelle hat ebenfalls erklärt, Tötungsmittel vom Markt
entfernen zu wollen, um Gewalteskalationen zu verhindern. Die EU hat in
Benghasi bereits einen Beamten stationiert, der eine sogenannte
Sicherheitsreform vorbereiten soll - mit dem Ziel, in Libyen möglichst viele
Waffen einzusammeln. Bei diesen Aktivitäten handelt es sich um die nötige
Ergänzung einer Kriegführung, die einheimische Bodentruppen mit Rüstungsgütern
bestückt, um sich selbst auf Luftangriffe beschränken zu können, die aber
anschließend vermeiden will, daß die eigenen Parteigänger sich möglicherweise
in blutigen Fraktionskämpfen zerfleischen.
Modell Libyen Wie der Autor der von der Konrad-Adenauer-Stiftung
publizierten Analyse urteilt, hätte die in Jugoslawien und nun in Libyen
angewandte Kriegsstrategie auch in Afghanistan und im Irak zur Geltung kommen
können. Tatsächlich hatte der Westen in Afghanistan zunächst die
"Nordallianz" als Bodentruppe genutzt, bevor er selbst
einmarschierte. Im Irak boten sich zu Beginn der 1990er Jahre schiitische
Milizen als Parteigänger des Westens an. [8] Weil die Libyen-Strategie es möglich macht,
Kriege zu führen, ohne ausufernde Kosten und unzählige westliche Todesopfer,
wie etwa in Afghanistan, in Kauf nehmen zu müssen, kann sie als Modell für
künftige westliche Interventionen auch in anderen Staaten gelten.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/ 9. 9.
2011
[1], [2] Thomas Speckmann: Die Libyen-Doktrin. Lernen
aus den Fehlern in Afghanistan und im Irak, Die politische Meinung Nr. 498, Mai
2011
[3] s. dazu Das Recht des Stärkeren (II)
[4] Thomas Speckmann: Die Libyen-Doktrin. Lernen
aus den Fehlern in Afghanistan und im Irak, Die politische Meinung Nr. 498, Mai
2011
[5] Wolfram Lacher: Herausforderungen
in Libyen nach Qaddafi; www.swp-berlin.org 24.08.2011
[6] The Baghdad Syndrome; www.foreignpolicy.com
26.08.2011
[7] Wolfram Lacher: Herausforderungen
in Libyen nach Qaddafi; www.swp-berlin.org 24.08.2011
[8] Thomas Speckmann: Die Libyen-Doktrin. Lernen aus den Fehlern in Afghanistan
und im Irak, Die politische Meinung Nr. 498, Mai 2011
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