Tödliche Drohnen

d.a. Die Drohnenangriffe auf Pakistan setzen sich fort, was die Zahl der dadurch getöteten Zivilisten und Taliban bedrohlich ansteigen lässt.

Noch Anfang März letzten Jahres hatte sich Micheline Calmy-Rey für einen effizienteren UNO-Menschenrechtsrat ausgesprochen, jedoch tritt dessen immer wieder zu konstatierende Machtlosigkeit auch bezüglich dieser Angriffe offen zutage. Knut Mellenthin 1 berichtete Anfang August über die vom Bureau of Investigative Journalism in London veröffentlichte Studie, die festhält, daß bei den illegalen Drohnenangriffen des US-Geheimdienstes CIA auf Ziele in Pakistan, über die die CIA grundsätzlich keine Angaben macht, bisher zwischen 385 und 775 Zivilisten getötet wurden, darunter mindestens 164 Kinder. Der umfangreichen Studie der unabhängigen Journalistengruppe zufolge fanden seit 2004 insgesamt 291 Drohnenangriffe statt. Die meisten dieser Einsätze, nämlich 236, fallen bislang in die Amtszeit von Präsident Obama. Die Konsequenz  hiervon wäre gemäß britischen Anwälten 2, daß »der Friedensnobelpreisträger der internationalen Bourgeoisie, US-Präsident Barack Obama, der die Notwendigkeit der illegalen Drohneneinsätze über Pakistan bekräftigt und diese ausgedehnt hat, neben Rizzo auf die Anklagebank der Kriegsverbrecher muß.« John Rizzo, der ehemaligen Chefjustitiar der CIA, der die CIA vor einem Jahr verließ, »hatte sich in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek gerühmt, daß er es war, der 2004 juristisch grünes Licht zum Einsatz der US-Killerdrohnen in Pakistan gegeben hat.« Die den ferngesteuerten Flugmaschinen des Typs Predator zum Opfer Gefallenen »sind auf den bloßen Verdacht hin, daß unter ihnen oder in ihrer Umgebung ein Aufständischer sein könnte, getötet worden. Laut eigenen Angaben hat Rizzo eine hit list, eine Liste mit Namen von Leuten, die getötet werden sollten, juristisch abgesegnet. Daß die Betreffenden durch einen Predator umkamen, spiele keine Rolle, denn genauso gut hätte ihnen auch jemand eine Kugel in den Kopf schießen können, so Rizzo in Newsweek. Zur Rechtfertigung der Einsätze beruft sich Rizzo auf das Recht auf Selbstverteidigung, denn die Verdächtigen auf der Liste könnten eine Gefahr für US-Truppen im benachbarten Afghanistan darstellen. Diese von der US-Regierung behauptete solide rechtliche Basis ist ebenso ein juristisches Kartenhaus wie das angebliche US-Recht auf Folter. Es hält nur, solange es niemand anzweifelt.«

 

Warum der Krieg am Hindukusch noch lange währen wird, legt Jürgen Rose in seinem  nachfolgenden Artikel dar:

AFPAK, so lautet im Jargon der Geostrategen die Bezeichnung für den Kriegsschauplatz am Hindukusch, die auf zwei in diesem Konflikt eng mit einander verwobene Akteure, nämlich Afghanistan und Pakistan, verweist. Weniger getrennt denn verbunden sind diese beiden Staaten durch eine 2640 Kilometer lange Grenze, welche mitten durch den Lebensraum von 40 Millionen Paschtunen verläuft, die entlang dieser Linie in 65 Stämmen leben. Tagtäglich wird diese Grenze von etwa 200000 dieser Menschen überquert. Wie die sprichwörtlichen Fische im Wasser können sich in der Deckung dieses unaufhörlichen Menschenstroms all jene irregulären Kombattanten, die den internationalen Besatzungstruppen im Guerillakrieg am Hindukusch seit Jahren steigende Verluste zufügen, zwischen ihren Operationsgebieten in Afghanistan und ihren Rückzugsräumen in Pakistan hin- und her bewegen. Diese Konstellation bildet den Hauptgrund dafür, daß schon US-Präsident George W. Bush Kommandoaktionen seiner Special Forces sowie Angriffe unbemannter Kampfdrohnen auf pakistanisches Territorium anordnete. Frisch ins Amt gelangt, ließ der in Oslo gekürte Friedensfürst Barack Obama die aus fernab des Kriegsschauplatzes in der USA gelegenen, von unangreifbaren Gefechtsständen gesteuerten feigen und verheerenden US-Drohnenangriffe der CIA auf Pakistan, denen unbeteiligte Zivilisten in großer Zahl zum Opfer fallen, mit gesteigerter Intensität fortführen. Zudem übt der Kriegsherr im Oval Office immer stärkeren Druck auf Islamabad aus, mit der eigenen Armee die Widerstandsnester und Ruheräume der Guerilla in den Stammesgebieten der North West Frontier Province (NWFP) und Waziristans auszuräuchern, um den Konflikt in Afghanistan zu befrieden.

 

Gleichwohl erscheint eine solche Strategie, die auf einen militärischen Sieg gegen die Guerilla setzt, zum Scheitern verurteilt. Denn sie ignoriert fundamentale Parameter, welche die pakistanische Politik determinieren. Hierzu zählt vor allem die unhaltbare strategische Zwangslage, in der Pakistan sich zwischen Afghanistan im Westen und Indien im Osten gefangen sieht; AFPAKIND lautet demnach das weitaus zutreffendere Akronym für die realexistierende Konfliktkonstellation. Dieses Sandwich-Dilemma resultiert aus dem  existentiellen Konflikt, in dem sich Pakistan seit seiner Gründung mit der nuklearen Großmacht Indien befindet und dessen sichtbarsten Ausdruck der in drei Kriegen ausgetragene, indes weiterhin ungelöst schwelende Streit um Kaschmir bildet. Aus Sicht der pakistanischen Generalität, die ihr Land an seiner Ostfront ohnehin einer permanenten Bedrohung ausgesetzt sieht, muß das in den letzten Jahren intensivierte indische Engagement in Afghanistan alarmierend wirken. Dort, sozusagen im Rücken Pakistans, spannte Indien nämlich nicht nur ein Netzwerk von Residenzen seines Geheimdienstes RAW auf, die offiziell als Konsulate und ›‹Information Center firmieren. Von dort aus werden unter anderem separatistische Aufständische in der pakistanischen Provinz Belutschistan unterstützt und Angriffe auf Ziele in Pakistan gesteuert. Darüber hinaus läßt Delhi seine Militärberater auch die afghanischen Streitkräfte (ANA) ausbilden und investiert zudem bemerkenswerte Summen in den Wiederaufbau und die Entwicklung des zentralasiatischen Landes. So kooperiert Indien vornehmlich mit jenen Kräften der Nordallianz, welche die USA 2001 an die Macht gebombt und dabei zugleich das vom pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) und dem Militär unterstützte paschtunische Taliban-Regime beseitigt hatten; letzteres fungierte bekanntlich als Sachwalter der strategischen Interessen Pakistans. Es rmag daher nicht verwundern, daß Islamabad das zunehmend mit Indien verbandelte Regime in Kabul mit dem Aufbau einer Westfront zur Unterstützung des Terrorismus  jenseits der Grenze in Pakistan assoziiert und als feindselig einstuft. Die daraus entspringende erstrangige Bedrohung seiner strategischen Interessen resultiert zwangsläufig darin, daß das pakistanische Militär mit Hilfe des Geheimdienstes ISI getreu der Devise Der Feind meines Feindes ist mein Freund den afghanischen Widerstand weiterhin nach Kräften unterstützt. Der renommierte US-Analyst Robert D. Blackwill merkte hierzu in einem Beitrag für Foreign Affairs kürzlich an: »Das pakistanische Militär, durch sein Feindbild Indien und den Drang nach strategischer Tiefe beherrscht, wird weder aufhören, die viele Jahre als seine Interessenwahrer fungierenden afghanischen Taliban zu unterstützen und ihnen ein Sanktuarium zu bieten, noch ein wirklich unabhängiges Afghanistan akzeptieren.« Dieser Widerstand, der vorwiegend aus den Taliban, dem Haqqani-Netzwerk und den Kämpfern Gulbuddin Hekmatyars gebildet wird, rekrutiert sich vor allem aus den beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze beheimateten Paschtunen. Hinter vorgehaltener Hand räumen pakistanische Militärs unumwunden ein, daß man natürlich mit diesen Gruppierungen zusammenarbeite, denn man brauche in Afghanistan Verbündete, auf die man sich verlassen könne.   

 

Aus der Sicht Islamabads besteht das Fatale dieser Konstellation indessen darin, daß es einerseits den Kampf der afghanischen Widerständler gegen die internationalen Besatzungstruppen unterstützen muß, bis diese endlich abziehen, damit in Kabul wieder jene Kräfte an die Macht gelangen können, die für ein Bündnis gegen Indien taugen. Der ehemalige ISI-Chef Generalleutnant Asad M. Durrani gab diesbezüglich in einem mit dem Autor geführten Interview zu Protokoll: »Natürlich versucht man, mit allen Kräften des Widerstandes und insbesondere mit den Taliban, seit diese 1995 in Afghanistan an die Macht gekommen waren, Kontakt zu halten. Persönlich aber wäre ich sehr dankbar dafür, wenn der ISI den afghanischen Widerstand unterstützen würde. Denn nur wenn der afghanische Widerstand, die sogenannten neuen Taliban, das sind nicht die Mullah-Omar-Taliban, stark genug bleibt, nur dann existiert eine Möglichkeit, daß sich die fremden Truppen aus Afghanistan zurückziehen; andernfalls bleiben sie dort. […] Auch wenn das seit 2001 nicht mehr der offiziellen Haltung der pakistanischen Regierung entspricht, so führen die Taliban in Afghanistan, die gegen die Besatzung Selbstverteidigung üben, meiner Meinung nach unseren Krieg, und zwar in dem Sinne, daß, wenn sie Erfolg haben, die fremden Truppen abziehen. Wenn sie aber scheitern und wenn Afghanistan unter Fremdherrschaft bleibt, werden wir weiter Probleme haben. Wenn sich die NATO, die stärkste Militärmacht der Welt, wegen ökonomischer und geopolitischer Interessen, denken Sie an das sogenannte New Great Game, praktisch an der pakistanischen Grenze festsetzt, dann erzeugt das in Pakistan enormes  Unbehagen.« Andererseits jedoch sehen sich die pakistanischen Streitkräfte, um noch umfassendere militärische Interventionen der US-Streitkräfte auf pakistanischem Territorium, als sie Drohnenkrieg und Kommandoaktionen der Special Forces derzeit ohnehin schon darstellen, zu verhindern, als Verbündete der USA im sogenannten Krieg gegen den Terror gezwungen, immer wieder auch selbst militärisch gegen die irregulären Kämpfer vorzugehen.

 

Dieses Konfliktgemenge bietet die tödliche Gewähr dafür, daß der Krieg am Hindukusch so lange weitertoben wird, wie die westlichen Besatzungstruppen im Lande bleiben und der existentielle pakistanisch-indische Konflikt nicht gelöst wird, wobei letzteres freilich auch nicht unbedingt im vorbehaltlosen Interesse der pakistanischen Generalität liegt, da ein Frieden mit Indien deren traditionelle Vorherrschaft in Staat und Gesellschaft einem nachhaltigen Legitimationsdruck aussetzen sowie die üppig sprudelnde Rüstungshilfe seitens des US-Verbündeten gefährden würde. Auf Grund dieser Tiefengrundierung wird auch der als großer politischer Erfolg der Obama-Administration bejubelte Lynchmord am Terroristenchef Usama bin Ladin den Afghanistan-Krieg nur marginal beeinflussen, zumal die Besatzungspolitik der einzigen Supermacht auf Grund ihrer langfristigen geostrategischen und geo-ökonomischen Interessenlage in Zentralasien aller Truppenabzugsrhetorik zum Trotz  ohnehin auf unbegrenzte Dauer angelegt ist. Alles spricht demnach dafür, daß am fernen Hindukusch auch in den kommenden Jahren weiterhin gründlich krepiert und tüchtig gemordet werden darf - unter vasallentreuer Beteiligung der Bundeswehr, versteht sich.

 

 

Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=295

Zeit-Fragen 2011 Nr. 28 vom 11.7.2011  Pakistans Alptraum

1 http://www.jungewelt.de/2011/08-12/036.php 12. 8. 11

Tödliche Drohnen - Britische Journalisten veröffentlichen Untersuchung über Geheimkrieg der CIA in Nordwestpakistan - Von Knut Mellenthin

2 http://www.jungewelt.de/2011/07-20/048.php   20. 7. 11  Mordjurist des Tages: John Rizzo

Britische Menschenrechtsanwälte und Pakistan haben den ehemaligen Chefjustitiar der CIA John Rizzo der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt und versuchen, einen internationalen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken

3 Afghanistan, Pakistan, Indien: Warum der Krieg am Hindukusch noch lange währen wird -

von Jürgen Rose