Griechenland und die Euro-Rettung 07.07.2011 22:19
Nach der Verabschiedung der jüngsten drakonischen Sparmaßnahmen durch das griechische Parlament, so der Bericht von »German Foreign Policy«,
verlangen
deutsche Manager neue Vergünstigungen für ausländische Unternehmen in
Griechenland. Die ›Investitionsbedingungen‹ müßten umgehend ›verbessert‹ werden,
fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und schlägt einen ›Businessplan‹ für Athen vor. Gleichzeitig drängt Berlin darauf, den Ausverkauf
griechischen Staatseigentums zu forcieren - mit Hilfe deutscher ›Berater‹. Athen solle eine Agentur nach dem Vorbild der deutschen ›Treuhand‹ gründen, verlangen deutsche Politiker. Erste Firmen aus der
Bundesrepublik haben bereits größere Zukäufe in Athen getätigt. Mittlerweile
treten jedoch die Widersprüche in der deutschen Wirtschaft in der Frage, wie
die Krise zu lösen sei, immer offener zutage. Während kürzlich Großkonzerne für
neue Stützungsprogramme geworben haben, sprechen sich nun mittelständische
Unternehmen dafür aus, den Ausschluß einzelner Länder aus der Eurozone zu
ermöglichen. Auch das neue Kreditpaket für Athen enthält Ambivalenzen: Es soll
einen Exportmarkt der deutschen Wirtschaft stabilisieren. Weil es aber mit
harten Einsparungen verbunden ist, dürfte es die Rezession, die sich in
Griechenland bereits durch das erste Kreditpaket vertieft hat, nur noch weiter
verschärfen.
Kürzungen und
Kurssprünge
Die
Zustimmung des griechischen Parlaments zu einem weiteren drastischen Sparpaket,
die
mit massivem Druck der EU erzwungen wurde, löste auf den
internationalen Finanzmärkten eine regelrechte Kursrallye aus. Die
Märkte in Deutschland wie in der gesamten Eurozone nahmen das Votum, das die
sofortige Eskalation der global weiterschwelenden Schuldenkrise fürs erste verhinderte,
mit Erleichterung zur Kenntnis. Während die Bevölkerung Griechenlands sich auf
Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 28 Milliarden Euro gefaßt machen muß,
stieg der deutsche Leitindex Dax am 30. Juni um 1,1 % auf 7.376 Punkte. Der
europäische Aktienindex Euro Stoxx gewann am 1. 7. mit einem Plus von 0,95 % ebenfalls
deutlich. Die europäische Einheitswährung konnte zum Wochenausklang gegenüber
dem US-$ sogar den höchsten Stand seit drei Wochen verzeichnen.
Abwärtsspirale
Das
rabiate Kahlschlagprogramm Athens dürfte die schwere Rezession weiter
vertiefen, in der Griechenland bereits seit über einem Jahr verfangen ist. Der
zusammenbruchartige Abschwung der griechischen Wirtschaft wurde durch die erste
Welle von Kürzungen, die bereits 2010 auf Druck von Berlin und Brüssel hin
durch das Athener Parlament gepeitscht wurden, entscheidend beschleunigt. Die
damaligen Programme umfaßten rund 30 Milliarden Euro; sie ließen die
Binnennachfrage massiv einbrechen und führten zu erheblichen Steuerausfällen, die wiederum die Haushaltskonsolidierung
unmöglich machten.
Griechenland
erfüllte nach Einschätzung der EU alle Sparvorgaben aus Brüssel und Berlin; der
Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung (IV) lobte jüngst,
Athen habe innerhalb eines Jahres das Haushaltsdefizit absolut um 5 % des BIP
abgesenkt: »Das ist eine Konsolidierungsleistung, die keine andere
Regierung der Eurozone seit dem Zweiten Weltkrieg jemals zustandegebracht hat.«
1 Zugleich steuert das
Land jedoch aufgrund der durch die Einsparungen ausgelösten Rezession auf
die Staatspleite zu. Dementsprechend konstatiert der jüngste
Prüfbericht der ›Troika‹ aus IWF, EZB und EU, Athen habe zwar »die zahlenmäßigen
Ziele des Anpassungsprogramms für den Haushalt«
im ersten Quartal 2011 erreicht, habe jedoch weiterhin Finanzierungsbedarf,
da »die
Steuererhebung geringer als angestrebt«
ausgefallen sei, die Rezession daher tiefer und länger andauernd als anfangs angenommen.
2
Widerstand
Gerade das
offensichtliche Scheitern der mit massiver Verelendung
einhergehenden Krisenstrategie in Griechenland ließ den Widerstand in der
Bevölkerung gegen eine weitere Runde von Kürzungen und Steuererhöhungen
dramatisch anschwellen. Aller Voraussicht nach werden auch die jüngst
beschlossenen Kürzungsmaßnahmen die fatale Abwärtsspirale nur verstärken. 3 Der bis in die Reihen der griechischen
Regierungskoalition reichende Widerstand gegen die offenkundig gescheiterte
Krisenpolitik der EU rief in Berlin und Brüssel eine massive
Einschüchterungs- und Drohkampagne gegen griechische Politiker hervor,
die in Intensität und Rücksichtslosigkeit ihresgleichen sucht.
Drohkampagne
Griechenland
habe weiterhin die Vorgaben der EU bedingungslos zu erfüllen, sonst »müßten wir zu sehr
erheblichen, Griechenland negativ betreffenden Gesamtentscheidungen kommen«, drohte etwa der Vorsitzende der
Eurogruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker kurz vor der
Abstimmung über das ›Krisenpaket‹ in Athen: »Dies wünsche ich weder Griechenland
noch uns selbst«. 4 Konkreter wurde Jürgen Stark, deutscher
Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, der Griechenland indirekt mit dem
Ende der Kreditzahlungen drohte, falls Athen das Sparprogramm nicht umsetze.
Das zweite Paket von Notkrediten sei Griechenlands ›letzte Chance‹, warnte
Stark. 5 Auch Deutschlands Finanzminister Wolfgang
Schäuble machte sämtliche weiteren Finanzzuwendungen an Athen öffentlich von
einer Zustimmung zum EU-Austeritätsprogramm abhängig. Der Druck galt neben der
sozialdemokratischen griechischen Regierung auch der konservativen Opposition,
deren Vorsitzender Antonis Samaras eine Zustimmung zu dem Sparpaket vehement
ablehnte. Mit Blick auf das deutsch-europäische Spardiktat hieß es in der
deutschen Presse über die nächsten Wahlen in Griechenland ironisch: »Angesichts der
minimalen Handlungsfreiheit Athens fragt sich nur, ob Samaras die [Wahlen]
wirklich gewinnen will - und wenn ja, warum?«
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Ausverkauf
Berlin
befindet sich nicht nur bei der Drohkampagne, sondern auch bei den Forderungen nach
einem raschen Ausverkauf des griechischen Staatseigentums in der ersten
Reihe. Deutsche Regierungspolitiker fordern die Einrichtung einer
Privatisierungsagentur, die nach dem Vorbild der deutschen Treuhand - diese
verscherbelte das Vermögen der DDR binnen kürzester Zeit - organisiert
und im Idealfall mit deutschen Spitzenbeamten besetzt sein soll. In einer
solchen Agentur müßten ›die privatisierungsfähigen Assets‹ zusammengeführt werden, verlangt der deutsche Finanzminister
Wolfgang Schäuble: »Wir haben für die Agentur unsere Unterstützung durch
Beratung durch erfahrene Mitarbeiter angeboten.« 7 Der Forderung nach Einrichtung einer Treuhandagentur
hat sich mittlerweile Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker angeschlossen.
Während die griechische Regierung unlängst zugesagt hat, Staatseigentum im Wert
von 50 Milliarden € zu verkaufen, kursieren in der deutschen Presse bereits
Schätzungen, denen zufolge Athen Staatseigentum im Wert von sogar 300
Milliarden Euro privatisieren könne. 8
Keine hohen Preise
Deutsche
Konzerne stehen für Zukäufe längst bereit. »Deutsche Unternehmen jagen nach
Schnäppchen in Griechenland, während die überschuldete Regierung mit dem
Verkauf von Staatseigentum beginnt, um die Finanzen des Landes zu stabilisieren«, hieß es bereits Anfang Juni in
der Wirtschaftspresse. 9 Die deutsche Telekom etwa erhöhte ihren Anteil
am bedeutendsten griechischen Telekommunikationsunternehmen OTE um 10 %. Die
Investition in Höhe von 400 Millionen € läßt
den deutschen Aktienanteil bei OTE auf 40 % ansteigen; 2008 hatte die Telekom
noch 4 Milliarden Euro aufwenden müssen, um 30 % der OTE-Anteile zu erwerben.
Einen weiteren Megadeal hat der deutsche Flughafenbetreiber Fraport ins Auge
gefaßt, der 55 % des Athener Flughafens kaufen will.
Deutsche Unternehmen hätten ›substantielle
Erfahrungen mit dem Notverkauf von Staatseigentum‹, erklärte ein für Barclay's Capital tätiger Ökonom, der auf den ›Privatisierungsrausch‹
nach der Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik verwies. Ein solcher
Prozeß »orientiert sich nicht an hohen
Preisen.« 10
Fraktionskämpfe
Unter
deutschen Unternehmen führt die griechische Krise jedoch nicht nur zu neuer
Expansion, sie läßt auch Widersprüche offen
zutage treten. So beschweren sich Wirtschaftskreise, die nicht vom Ausverkauf
Griechenlands profitieren, über die Kosten des zweiten Kreditpakets für Athen.
Rund 100 Chefs mittelständischer Firmen wandten sich Ende Juni mit einer ›Berliner Erklärung‹ an die deutsche Öffentlichkeit,
in der sie Änderungen an den Verträgen zur Währungsunion fordern. Demnach
sollen in Zukunft einzelne Länder aus der Eurozone ausgeschlossen werden
können. Berlin müsse »der verantwortungslosen Schulden-Politik Deutschlands ein
Ende setzen«, heißt es in dem Text. 11
Die den Aufruf unterstützenden Unternehmen erreichen einen Jahresumsatz von 38
Milliarden Euro und beschäftigen rund 200.000 Lohnabhängige. Sie stellen sich
mit ihrer ›Erklärung‹ offen gegen führende deutsche
Großkonzerne, die erst kürzlich in einer Anzeigenkampagne für die Beibehaltung
des Euro plädierten. 12
Widersprüche
Gleichzeitig
ist es in der Tat recht ungewiß, ob die deutschen ›Schnäppchenjäger‹ in
Griechenland hohe Dividenden einfahren können - die neuen Sparprogramme dürften
schließlich die Rezession in Griechenland verlängern und die drohende
Staatspleite allenfalls um Monate oder um wenige Jahre verzögern. Der deutschen
Wirtschaft ist es mit Hilfe einer rücksichtslosen Senkung des deutschen
Lohnniveaus und mit aggressiven Exportoffensiven gelungen, ihren
Wachstumsbedarf zunehmend durch eine Steigerung der Ausfuhren zu befriedigen 13 und die dadurch entstehenden
Probleme - vor allem die Staatsverschuldung - auf die peripheren südlichen
Volkswirtschaften der Eurozone abzuwälzen. Bei einem Zusammenbruch ihrer
Exportmärkte käme allerdings auch die deutsche Exportmaschinerie zum Erliegen -
ein weiterer Widerspruch, der die gravierende Bedeutung der aktuellen Krise
offenlegt.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58101 4. 7. 11
Die
Widersprüche der Krise - Eigener Bericht
[1]
IV-Chefökonom: Griechen-Sparprogramm erfolgreich; diepresse.com 24.06.2011
[2]
Griechenland braucht weitere Milliardenhilfen; www.manager-magazin.de
09.06.2011
[3] s.
dazu Steil abwärts
[4] Die
EU-Chefs erhöhen den Druck auf Athen; www.welt.de 24.06.2011
[5]
EZB-Ökonom macht Griechen Druck; www.handelsblatt.com 24.06.2011
[6]
Verweigerer; Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.06.2011
[7]
Griechenland: "Privatisierungen in Siegermacht-Manier";
www.euractiv.de 10.06.2011
[8] EU
will Athen zum Verkauf von Staatsbesitz zwingen; www.sueddeutsche.de 06.06.2011
[9], [10] Bargain Hunting in Greece;
online.wsj.com 07.06.2011
[11]
Unternehmer protestieren gegen Merkels Euro-Kurs; www.welt.de 26.06.2011
[12] s.
dazu Der Wert des Euro
[13] s.
dazu Ein Tabubruch und Die deutsche Transferunion
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