»Schatten der Angst« - Eklat auf der UN-Konferenz - Von Wolfgang Effenberger

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad bezichtigte die USA in New York auf der UN-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag

am 3. Mai 2010 der Aggressivität, des  Vertrauensbruchs und der Lüge. Wie ein Jahr zuvor auf der UN-Rassismuskonferenz hatten die Vertreter der USA und ihre engsten Bündnispartner – so auch der Botschafter der Bundesrepublik – den großen Plenarsaal der Vereinten Nationen vor der Schelte verlassen. Unisono berichteten die Nachrichtensprecher, daß Ahmadinedschad die USA der Lüge zeihen und den Konflikt schüren würde. Die Entrüstung in den Medien über diesen Eklat des iranischen Präsidenten war spürbar. In dieser Erregung blieb leider kein Raum, um auf die Inhalte der Rede einzugehen. Ahmadinedschad erinnerte daran, daß die  Vereinigten Staaten die Bombe erstmals eingesetzt haben und nun damit auch andere Länder, darunter den Iran, bedrohen 1. Im Gegensatz zu Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea hat der Iran den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, doch dieser Vertrag sei schwach und ungerecht, weil er einigen Ländern den Besitz von Atomwaffen erlaube. Ahmadinedschad schlug vor, sämtliche Atomwaffen und ihre Produktionsanlagen zu zerstören. »Wir sagen: Atomkraft für alle, Atomwaffen für niemanden.« 2 Mit ihrer Politik  würden die USA Schatten der Angst über die Welt legen. »Die USA haben versprochen, die Atombombe nicht gegen Länder ohne Atomwaffen einzusetzen. Aber die USA haben ihre Versprechen nie gehalten. Welches Land soll den USA noch vertrauen? «
  
In der Tat ist die kriegerische Bilanz der USA nach Ende des Kalten Krieges erschreckend. Millionen Menschen starben auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan. Abermillionen wurden entwurzelt und manche Region langfristig durch die eingesetzte Atom-Munition verseucht. Und vor Beginn all dieser Kriege stand die Lüge. Hier sollen noch einmal die seit Ende des Kalten Krieges provozierten und manipulierten Kriegeseintritte der USA/NATO in Erinnerung gerufen werden.
 
Mit einer bezahlten PR-Aktion in den zweiten Golfkrieg
Im zweiten Golfkrieg drehte eine bezahlte PR-Aktion die Stimmung in der Bevölkerung. Am 10. Oktober 1990 berichtete das damals fünfzehnjähriges kuwaitische Mädchen Nayirah unter Tränen vor dem Menschenrechtsausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses, wie Irakis in das kuwaitische Krankenhaus, in dem sie seinerzeit einen freiwilligen Dienst absolvierte, einfielen und Säuglinge aus ihren Brutkästen holten, um sie auf dem kalten Fußboden liegend sterben zu lassen. Der damalige US-Präsident George Henry Walker Bush berichtete am 15. Oktober 1990 dem Emir von Kuwait darüber. Insgesamt tischte Bush diese  Story in den folgenden Wochen 5mal auf. Somit ging die Geschichte um die Welt und brannte sich in die Gehirne ein. Selbst Amnesty International fiel auf diese Propaganda herein 3. Am 27. November 1990 wiederholte Nayirah ihre Geschichte sogar vor dem UN-Sicherheitsrat – diesmal in Begleitung eines weiteren Augenzeugen, dem Chirurg Dr. Behbehani, der die Vorfälle bestätigte und sogar vorgab, an der Beerdigung von 40 Säuglingen, die auf diese Weise starben, teilgenommen zu haben! 4 Nun gaben der Senat mit 52 zu 47 und das Repräsentantenhaus mit 250 zu 183 Stimmen ihre Zustimmung für den Krieg gegen den Irak.
 
Mit einem geheimen Anhang B in den Krieg gegen Serbien
Von jugoslawischer Seite waren die Inhalte des Rambouillet-Papiers durchaus akzeptiert worden. Danach sollte der Kosovo innerhalb von Serbien eine umfassende Autonomie erhalten, aber unter serbischer Hoheit bleiben, die UÇK entwaffnet und NATO-Truppen im Kosovo stationiert werden. Abgelehnt wurde nur der geheime militärische Teil im Anhang B dieses Vertrages. George Kenney 5 erkannte wie viele andere Kritiker in dem heuchlerischen Rambouillet-Plan einen Vorwand für die Bombardierung: Der Vertrag verlangte  in seinem militärischen Anhang B etwas, »was der bedingungslosen Kapitulation von Jugoslawien entsprochen hätte.« 6 Nach Art. 6a von Annex B hieß es: »Die NATO genießt Immunität vor allen rechtlichen Verfahren, ob zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlich.« 7 James Rubin, ein Berater der US-Außenministerin Albright, bestätigt, daß die nötige Vorarbeit für den Luftkrieg zielgerichtet geleitstet wurde:  »Wir machten uns keine Illusionen darüber, daß die Serben unseren Forderungen schnell nachgeben und alles in Rambouillet lösen würden. Es war unsere höchste Priorität, die Europäer dazu zu bringen, sich vereint hinter die Luftschläge zu stellen, indem wir den Aggressor und das Opfer klar definierten.« 8 Die Inhalte des Anhanges B wurden dem Kanzler, Kabinett und Parlament von Außenminister Fischer vorenthalten, und Lafontaine erfuhr davon erst später aus der Presse 9, ebenso wie die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer 10, die dann äußerte: »Hätte ich das gewußt, hätte ich dem Kriegseinsatz nicht zugestimmt.« Ihr SPD-Kollege Hermann Scheer fand es »unrichtig von der Bundesregierung, zu glauben, und dem Parlament und der Öffentlichkeit zu suggerieren, daß dieser Vertrag von Belgrad jemals hätte unterschrieben werden können; selbst ein gemäßigter serbischer Politiker an der Stelle von Miloševi? hätte diesen Text niemals unterzeichnet.« 11 Und der Völkerrechtler Christian Tomuschat befand: »Auf Bedingungen wie den völlig überzogenen Artikel 8 von Annex B zum Rambouillet-Abkommen 12 braucht sich indes keine Regierung einzulassen.« 13 Und Rudolf Augstein urteilte: »Die USA hatten in Rambouillet militärische Bedingungen gestellt, die kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können.« 14 Den Anhang B läßt Bill Clinton in seinen Memoiren unerwähnt und hebt als Kriegsgrund hervor: »Die Serben wollten sich nicht mit einer Friedenstruppe unter der NATO abfinden.« 15
 
Mit getürkten Beweisen in den Krieg gegen den Irak
Nach seiner Pensionierung gab der langjährige deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Auf die Frage »Gab es während der Irak-Krise einen Moment im Sicherheitsrat, den Sie nie vergessen werden?« antwortete der ehemalige Botschafter: »Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wußte, daß seine Fakten falsch waren. (…..)« 16 Warum haben hier verantwortungsvolle Botschafter nicht  den Saal verlassen? Auf der Basis vorgetäuschter Beweise für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen wurde 2003 der Irak-Krieg gestartet. Bis heute über eine Million Tote, mehrere Millionen Flüchtlinge und weite Landstriche, die durch den Einsatz atomarer Munition verseucht sind. Wenn »jeder im Saal wußte«, daß Powell lügt, wußten es Hunderte von Diplomaten und Politikern und somit sehr schnell auch alle Nachrichtenagenturen. Dennoch schafften es erste Zweifel an dieser Darstellung von Powell erst Monate/Jahre später in die Weltpresse, als der Irak-Krieg längst geführt und der Regimewechsel vollzogen war. Diese Erkenntnis betrübt! Die Politik und die Diplomatie können im Verbund mit der Mainstream-Presse Schaustücke für die Öffentlichkeit spielen, so daß nicht einmal derart skandalöse und folgenreiche Lügen rechtzeitig aufgedeckt werden. Parallel dazu werden die künftigen Kriegsgegner – wie im Fall Slobodan Miloševi? und Saddam Hussein – dämonisiert und ihnen die Fratze Hitlers aufgesetzt. Große Teile der Presse scheinen  als Kontroll-Macht ausgedient zu haben! So wird es kein Problem sein, kommende Kriege gegen Syrien oder den Iran aus dem gleichen Propaganda-Arsenal zu bedienen. Und die Welt wird wieder glauben!
 
Der Eklat auf der UN-Konferenz ist nicht Ahmadinedschad, sondern es sind vielmehr die Politiker der westlichen Führungselite. Sie scheinen als Demokraten unfähig zu sein, sich einem schwierigen Dialog zu stellen. Oder fehlen ihnen einfach die Argumente gegen Ahmadinedschad? Das voreilige Verlassen des Plenarsaals zeugt von Engstirnigkeit und der Unfähigkeit, sich realitätsbezogen auseinanderzusetzen. Im Gegensatz zu den USA hat der Iran seit Menschengedenken kein anderes Land überfallen. Vergessen ist auch, daß im ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) die USA Saddam Hussein zu diesem Krieg gegen den Iran ermuntert hatten.
 
 
 
(1) Die erste Atombombe wurde am 6. August 1945 von den USA gegen Japan eingesetzt
(2) UN-Konferenz Ahmadinedschad sorgt für Eklat: http://www.focus.de/politik/ausland/un-konferenz-ahmadinedschad-sorgt-fuer-eklat_aid_504618.html vom03.05.2010, 19:53
(3) Siehe 84-seitiger Bericht über irakische Menschenrechtsverletzungen in Kuwait, AI vom 19. Dezember 1990
(4) Im Januar 1992 wurde die Identität der jungen Zeugin enthüllt - es handelte sich um die Tochter von Saud Nasir al-Sabah, dem kuwaitischen Botschafter in den USA. Das Mädchen war von Hill & Knowlton professionell als Zeugin aufgebaut worden. Präsident der PR-Agentur war Craig Fuller, Bush-Anhänger und dessen ehemaliger Stabschef
(5) George Kenney war 1992 aus Protest gegen die Balkanpolitik der Bush-Regierung von seinem Amt im US-Außenministerium zurückgetreten
(6) George Kenney: Rolling Thunder. The Rerun, The Nation, 14th June, 1999
(7) Interim Agreement for Peace and Self-Government In Kosovo. Rambouillet, France - February 23, 1999, Appendix B: Status of Multi-National Military Implementation Force unter http://jurist.law.pitt.edu/ramb.htm vom 21. Juli 2008,
(8) Rubin, James P.: Countdown to a Very Personal War. Financial Times. September 30/ October  1, 2000. Weekend - page 1
(9) Lafontaine, Oskar: Das Herz schlägt links. München 1999, S. 242 und 243
(10) Ebenda, S. 243
(11) Hermann Scheer, SPD (zit. in taz 6.4.99; vgl. auch SZ 27.4.99)
(12) Art. 8) des Annex B: »Das NATO-Personal soll sich mitsamt seiner Fahrzeuge, Flugzeuge und Ausrüstung innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien inklusive ihres Luftraums und ihrer Territonalgewässer frei und ungehindert sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen können.« Interim Agreement for Peace and Self-Government In Kosovo. Rambouillet, France - February 23, 1999, Appendix B: Status of Multi-National Military Implementation Force unter http://jurist.law.pitt.edu/ramb.htm vom 21. Juli 2008
(13) Prof. Christian Tomuschat in der WELT vom 14. 4. 99
(14) Ebenda
(15) Clinton, Bill: Mein Leben. Berlin 2004, S. 1288
(16) Zitiert aus der SZ vom 12. August 2006