Erfolgreiche Kampagnen gegen Juden, die Israels Überleben sichern wollen - Ist das Antisemitismus? - Von Peter Kleinert

Der Zusammenhang ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen, für in der Friedensbewegung Aktive jedoch durchsichtig: Wer nicht »pro-israelisch«

im Sinne der offiziellen und kamikazehaften Regierungspolitik des Landes ist, wird als Antisemit denunziert, und zwar mit Kampagnen, die von keinem Geringeren als dem Reut-Institute [1] ersonnen werden, das seit seiner Gründung im Jahr 2004 in Tel Aviv die israelische Regierung unterstützt. Das Vorgehen ist inzwischen altbewährt: Über den Newsletter der antipalästinensischen Initiative ?Honestly Concerned? wird zum Angriff auf Norman Finkelstein, Felicia Langer, Evelyn Hecht-Galinski, Uri Avnery und andere, die für Israel die Überlebenschance im Ausgleich mit den Nachbarn sehen und nicht in der Eskalationspolitik der letzten Jahre, geblasen. Man schreibt, ruft oder mailt diejenigen an, die Veranstaltern einen Raum geben wollen, um Information, Diskussion, Meinungsaustausch und somit Meinungsbildung zu ermöglichen. Besonders letztere scheint gefürchtet und darf auf keinen Fall dem Urteilsvermögen des Einzelnen überlassen werden, nachdem unliebsame Fakten wie der Goldstone-Bericht ans Tageslicht gebracht wurden.
 
Die Verunsicherung auf entweder uninformierter oder unbedarfter Raumvermieterseite ist mit einem alles umfassenden Antisemitismusvorwurf anscheinend leicht in einen Rückzieher umzuwandeln: so kürzlich in München anläßlich eines Vortrags von Ilan Pappe, so aktuell in Berlin angesichts des nun vom US-Politikwissenschaftler Norman Finkelstein abgesagten Vortrags, den die Heinrich Böll-Stiftung der Grünen und die den Linken nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung als Veranstalter auf einmal nicht mehr haben wollten. Den beiden kann man allerdings kaum Uninformiertheit vorwerfen, sondern ganz eindeutig bewußte Zensur. Zum Programm des Reut-Institute gehört offenbar, alles, was irgendwie das eigene geschlossene Weltbild ins Wanken bringen könnte, ebenso zu diskriminieren wie die ursprünglich für den 26. Februar in der evangelischen Berliner Trinitatis-Gemeinde geplante Veranstaltung mit Professor Finkelstein, zu der auch die Jüdische Stimme als Mitveranstalter eingeladen hatte, die übrigens keinen Rückzieher machte, im Gegenteil. Dagegen hatte die Trinitatis-Gemeinde aufgrund einer Briefkampagne von Honestly Concernedihre Zusage für den Veranstaltungsraum zurückgezogen, und auch die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen hatte ihre Unterstützung der Veranstaltung wieder abgesagt, wie die Neue Rheinische Zeitung leider schon am 12. Februar melden mußte.     
 
Aktuell auf’s Korn nimmt man aber auch Walter Hermanns Kölner Klagemauer, ebenso wie Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung, der viel zu differenziert ist, um solch platte Kampagnen zu unterfüttern. Im Gegenteil: sein Vergleich von antisemitischen Elementen des 19. Jahrhunderts mit antiislamischen von heute droht der Gruppierung Honestly Concerned mit ihren Blog-Agitatoren von wadinet über lizas welt bis hin zur achse des (un)guten, nun das Fundament zu entziehen - denn das ist bekanntlich stark antiislamisch. Das einfache Dualdenkschema von Akteuren wie Thomas von der Osten-Sacken, Benjamin Weinthal und Henryk M. Broder diagnostiziert deshalb bei jedem, der nicht mit den rechtslastigen israelischen Regierungskreisen ins Kriegsgeheul einfällt, Antisemitismus. So auch geschehen, als kürzlich einige Bundestagsabgeordnete der Linkenes wagten, nur zu Ehren der Opfer des Holocaust, nicht aber zu Ehren einer antiiranischen und kriegshetzerischen Rede von Shimon Peres aufzustehen.   
 
Diffamierer von Berufs wegen
Einer der jüngsten Auswüchse dieser vermeintlich israelfreundlichen Nervositäten ist übrigens die Diffamierung eines Bündnisses gegen Rassismus und für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, das sich gerade angesichts der Inkriminierung unserer Autorin Sabine Schiffer gebildet hat, und über dessen Solidaritätsaktion wir in dieser Ausgabe der Neue Rheinische Zeitung [vom 26. 2.] berichten. Erstaunlich, wie man sogar hier versucht, Antisemitismus zu unterstellen, wie auch im gleichen Atemzug dem Zentrum für Antisemitismusforschung. Warum eigentlich? Wo ist hier der Zusammenhang? Eines wird jedoch deutlich: die Bedeutung der gerne vor sich her getragenen Meinungsfreiheit dieser Diffamierer von Berufs wegen scheint sich zu wandeln. Statt Meinungsfreiheit für alle und Kontroversen, die ausgetragen und ausgehalten werden müssen, soll wohl der Begriff Meinungsfreiheit in Zukunft etwa folgende Bedeutungskomponenten enthalten: »pro-zionistisch und frei von Völkerrecht + anti-islamisch und frei von Menschenrechten«.
 
Schade einerseits! Andererseits jedoch zu entlarvend, wie die Aufklärung hier unterwandert wird, von Europäern, die mit einem Mythos Israel offensichtlich ihre persönlichen Narzissmen pflegen.
 
Dem Artikel war ein Nachtrag von Prof. Dr. Rolf Verleger, dem Vorsitzenden der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost angefügt:  
Dr. Norman Finkelstein hatte vom 24.2. bis 26.2. in München, Milbertshofen und Berlin sprechen wollen. Der geplante Titel dieser Vorträge war: »1 Jahr nach dem israelischen Überfall auf Gaza - die Verantwortung der deutschen Regierung an der fortgesetzten Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung«. Dieser Titel zeigt klare Kante. Er verstößt gegen die Sprachregelung der deutschen Politik. Er verstößt gegen die Sprachregelung der großen deutschen Medien. Und er spricht die Wahrheit aus. Vor dieser Wahrheit hat die hiesige Lobbygruppe des israelischen Schlag-zu-Nationalismus große Angst. Also wurde eine Kampagne geführt. Der auf seine elterlich-jüdische Tradition stolze Finkelstein wurde als Antisemit und Geschichtsrevisionist diffamiert, mithin in die Nazi-Ecke gestellt. Die Jüdische Gemeinde Berlin, jüdelnde Gruppen in der Linken (Arbeitskreise namens Shalom) und ein jüdischer Arbeitskreis in der SPD hatten zur Demonstration gegen Finkelstein aufgerufen. Mit diesen Gruppen wollte es sich die Evangelische Kirche ohne Not nicht verderben, ebenso die Parteistiftung der Grünen, und ebenso die Parteistiftung der Linken: Sie alle zogen ihre Zusagen zur Organisation der Veranstaltung zurück. Da nutzte es nicht genug, daß Finkelstein selbst Jude ist und daß wir, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Mitveranstalter waren. Es gab dann eine neue Raumzusage der Junge-Welt-Galerie in Berlin. Aber dies ist ein relativ kleiner Saal, und Finkelstein schätzte die Lage in der Folge so ein, daß die Streitereien sein im Titel des Vortrags zum Ausdruck kommendes Anliegen zu sehr überlagern würden. Er sagte ab.
   
Also ein Sieg für die Lobby des israelischen Schlag-zu-Nationalismus? Ja, selbstverständlich. Aber ein Pyrrhus-Sieg. Denn diese Lobby, die in Berlin die Kirche, die Grünen und die Linke wieder auf Linie gebracht hat, hat damit zu deutlich gemacht, welche praktischen Konsequenzen ihre ungerechtfertigte Gleichsetzung von Kritik an Israels Unrecht mit Antisemitismus hat: Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Dies ruft Widerstand hervor. In der Rosa-Luxemburg-Stiftung rumort es vermutlich. Es ist nur eine Frage der Zeit - und weiterer solcher »Siege« - bis es auch in der SPD und in der CDU rumort. Denn Diskussionen über das offensichtliche Unrecht von Israel gegen die Palästinenser kann man nicht verhindern. Wir jedenfalls werden diese Diskussionen weiterführen. Es ist auch ein Pyrrhus-Sieg auf ideologischem Gebiet. Denn in seinen besten Traditionen hat das Judentum danach gestrebt, die Welt durch aktives Handeln zu einer gerechteren und barmherzigeren Welt zu machen. Es war der geistige Führer des deutschen Judentums im letzten Jahrhundert, Rabbiner Dr. Leo Baeck, der das Judentum als die Religion der tätigen Moral definierte.  In diesem Sinne können und sollen Juden zu Verständigung, Dialog, Versöhnung und Frieden in Nahost beitragen. Die Akteure, die im Namen ihres Judentums Finkelsteins Auftritt verhindert haben, stellen sich außerhalb dieser alten Tradition, und sie haben keine neue: Da ist nur eine große nationalistische Leere. Das macht es in Zukunft nichtjüdischen Deutschen immer leichter, Recht und Unrecht in der Palästinafrage nicht nur zu erkennen, sondern auch zu benennen.


Quelle: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14833%C2%A0   26. 2. 10
(1) http://www.reut-institute.org/en/Publication.aspx?PublicationId=3769Herv