Israelische Bürgerinnen und Bürger erklären: Shimon Peres spricht nicht in unserem Namen!

Zum Auftritt von Shimon Peres als Gastredner im Bundestag anläßlich des Gedenktages für die Opfer der Nazibarbarei am 27. Januar erfolgte

sowohl von israelischen Bürgern als auch von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, EJJP Deutschland e. V., der Aufruf zu einer für den 27. 1. angesetzten Kundgebung: 
 
Wir schreiben diesen Brief als israelische Bürgerinnen und Bürger. Einige von uns sind Holocaust-Überlebende aus der zweiten und dritten Generation und wir sind alle im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit für alle Bewohner der geplagten Region aktiv. Wir sind über Deutschlands schädliche und unmoralische Nahost-Politik besorgt. Unser Appell betrifft auch den Besuch des israelischen Präsidenten Shimon Peres in Deutschland. Während es gewiß berechtigt ist, Angriffe auf unschuldige israelische Zivilisten zu verurteilen und dagegen vorzugehen, ist es moralisch nicht hinnehmbar, daß deutsche Entscheidungsträger israelische Angriffe auf unschuldige Zivilisten kontinuierlich ignorieren, ja sogar verteidigen, obwohl diese Angriffe eine viel höhere Zahl an Opfern zur Folge haben, hauptsächlich im Libanon und in den besetzten palästinensischen Gebieten. Wir sind ebenso besorgt über das Klima der Angst, das in der deutschen Politik herrscht, wenn moderater und gut begründeter Kritik an den schweren israelischen Menschenrechtsverletzungen mit McCarthy-Methoden entgegnet wird, wie z. B die Angriffe auf Heidemarie Wieczorek-Zeul und Herman Dierkes. Wenn Präsident Shimon Peres in Berlin landet, sollte ihn keiner, der es ehrlich meint, automatisch mit Lob überhäufen, sondern ihn höflich aber bestimmt fragen, warum er Mitglied und dienstältester Propagandist von israelischen Regierungen ist, die Cluster Munition, Pfeilgeschosse und weiße Phosphorbomben in dicht besiedelten Wohngebieten in Gaza und im Libanon eingesetzt, immer mehr Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten gebaut und getrennte Rechtssysteme für israelische Siedler und ihre palästinensischen Nachbarn verhängt haben. Man kann ihn auch fragen, warum er die Verschleppung und Mißhandlung eines israelischen Bürgers in Rom (Mordechai Vanunu im September 1986) autorisiert hat - eine eindeutige Verletzung internationalen Rechts - und warum es für einen Staat im Nahen Osten zulässig sein soll, Atomwaffen zu besitzen, was notwendigerweise einen gefährlichen Rüstungswettlauf in dieser explosiven Region auslöst. Man kann ihn auch fragen, warum er als Ministerpräsident im April 1996 die massiven Bombenangriffe auf Dörfer im Südlibanon autorisierte, die ausdrücklich darauf abzielten, eine Flut von Flüchtlingen auszulösen, um Beirut zu überschwemmen. Wir vermuten, daß Herr Peres nicht begriffen hat, daß die todbringende kollektive Bestrafung einer Zivilbevölkerung illegal ist. Deutschland muß offensichtlich aus dem Holocaust und aus der Völkermordpolitik, die Deutsche auch gegen andere ausgeführt haben, Lehren ziehen. Die wirkliche Lehre, die gezogen werden muß besteht darin, daß jeder sich für die universellen Prinzipien der Menschenrechte einsetzt. Deshalb hat Deutschland nicht nur eine moralische Verpflichtung gegenüber Juden, sondern auch gegenüber palästinensischen und libanesischen Zivilisten. Präsident Shimon Peres, der sich zahlreicher schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, darf nicht als Repräsentant des Weltjudentums betrachtet werden. Er spricht nicht einmal für alle israelischen Juden. Wir appellieren an die deutsche Regierung damit aufzuhören, die schweren Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren und zu rechtfertigen, die von Shimon Peres und dem israelischen Staat begangen werden, einschließlich derer, die im Goldstone-Report dokumentiert sind. Wir appellieren an die deutsche Regierung, ihre Waffenlieferungen, die diese Menschrechtsverletzungen ermöglichen, einzustellen.
 
Dieser Appell wurde u.a. von den folgenden Personen unterschrieben:
Adam Yishay Amorai
Udi ALoni  
Zohar Atai
Ofra Ben-Artzi
Natalie Cohen
Michael Engel
Eva Ferrero
Prof. Rachel Giora
Yoav Haas
Dr. Roni Hammermann
Iris Hefets
Shir Hever
Seffy Hurwitz
Ofer Neiman
Dr. David Nir
Prof. Nurit Peled-Elhanan (Sacharow-Menschrechtspreis 2001)
Moshe Perlstein
Gideon Spiro (Überlebender der Kristallnacht)
Maya Wind
Tom Yuval
 
Gedenktag für die Opfer der Nazibarbarei am 27. Januar - Shimon Peres als Redner im Bundestag - ein Affront
Am 27. 1., am Jahrestag der Befreiung der Überlebenden des KZ Auschwitz, wird in der Bundesrepublik und europaweit der Opfer der Nazibarbarei gedacht. In diesem Jahr fällt allerdings ein Schatten auf die Gedenkstunde im Bundestag: Gastredner ist der israelische Staatspräsident Shimon Peres. Unserer Meinung nach ist er an dieser Stelle und an diesem Tag vollkommen deplaziert. Durch seine Rede droht das Gedenken an den Nazi-Völkermord, das alle humanistisch denkende Menschen vereinen sollte, politisch mißbraucht zu werden, für eine Rechtfertigung der Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern:  mißbraucht für eine Politik, die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen tritt.
 
Aus den Erfahrungen des Völkermords an den Juden durch den deutschen Faschismus ist die Charta der Menschenrechte 1948 von der UNO angenommen worden und es gilt, sie bis heute zu verteidigen! Diese Menschenrechte müssen entweder überall gelten - in Israel/Palästina, im Irak, im Iran, in Afghanistan und anderswo auf der Welt - oder sie werden nirgendwo Gültigkeit haben. Der Redner Shimon Peres zum Holocaust-Gedenktag ist mit der Orientierung an den Menschenrechten in der Gegenwart unvereinbar. Shimon Peres als Friedensnobelpreisträger ist kein engagierter Friedenspolitiker!
 
Lassen wir Fakten sprechen: In den 1950er Jahren war er der Architekt des israelischen Atomprogramms, das heißt der atomaren Bewaffnung Israels. Als er einmal wirklich die Chance hatte, Israels Politik zu wenden, was tat er da? Nach der Ermordung von Yitzhak Rabin durch einen rechtsradikalen jüdischen Bürger Israels, als die friedensunwillige Rechte in der Defensive war, denn einer der ihren hatte den Konsens gebrochen und jüdisches Blut vergossen, wurde Peres Ministerpräsident. Er hätte seine Position nutzen können, um die Friedensverhandlungen mit Syrien fortzuführen und eine neue Friedensoffensive gegenüber den Palästinensern zu eröffnen. Leider hat Peres diese historische Möglichkeit nicht wahrgenommen. Um die kommenden Wahlen zu gewinnen, hielt er es für klug, sich als harter Feldherr zu präsentieren, griff aus nichtigem Anlaß den Libanon an und ließ dort (angeblich versehentlich) ein Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichten. Diesem Artillerieangriff auf die Ortschaft Kana fielen 106 Zivilisten zum Opfer, 116 weitere wurden verletzt. Der Angriff richtete sich gegen einen Posten der UNO-Beobachtungstruppe UNIFIL, die auch Opfer zu beklagen hatte. In seiner kurzen Regierungszeit ließ Peres außerdem den militärischen Geheimdienst einen in Zypern seit Jahren ruhiggestellten Konstrukteur palästinensischer Bomben (den Ingenieur) ermorden, ein Schritt, den sein Vorgänger Rabin bewußt unterlassen hatte. Peres löste mit all diesen Aktionen eine Welle palästinensischer Bombenattentate in Israel aus und verlor dann 1996, nach wenigen Monaten Amtszeit, als unglaubwürdiger Friedensfürst folgerichtig die Wahlen gegen die Originalversion eines rechtsgerichteten Politikers - Benjamin Netanjahu.
 
In den letzen Jahren ist nicht bekannt geworden, dass sich Peres in irgendeiner Weise kritisch zur israelischen Besatzungs- und Kriegspolitik geäußert hätte. Ganz im Gegenteil verteidigte er erst vor einigen Monaten heftig die Errichtung weiterer illegaler Bauten im von Israel besetzten Westjordanland und Ostjerusalem. Im Sinne offiziöser israelischer Public Relations unternimmt er wüste Attacken gegen Richard Goldstone, der als unparteiischer UNO-Berichterstatter Israels Menschenrechtsverletzungen bei der Attacke gegen Gaza, wie auch die Menschenrechtsverletzungen von palästinensischer Seite, aufgelistet hat. Eine gegenüber der Nazivergangenheit der BRD vermeintlich sensible Politik Deutschlands, deren eigentlicher Kern aber eine Art deutsch-israelische Waffenbrüderschaft darstellt, birgt große Gefahren: sie beteiligt sich indirekt an der Unterdrückung der Palästinenser und schädigt zugleich die Interessen der Israelis an einem dauerhaften Frieden. Sie verspielt schließlich die Glaubwürdigkeit des Gedenkens an die Nazibarbarei und fügt damit der politischen Kultur unseres Landes großen Schaden zu. Die Menschenrechte sind unteilbar und brauchen glaubwürdige Befürworter. Daher hätte es der Bundesrepublik gut angestanden, Richard Goldstone statt Peres als Gedenkredner einzuladen.
 
Die Kundgebung, zu der die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost aufrief, fand am 27. Januar von 11 bis 13 Uhr in Berin, Ecke Scheidemannstraße/Yitzhak-Rabin-Straße, statt. www.juedische-stimme.de und http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/006150.html