Verschwindenlassen mit System - Von Rainer Werning

Philippinen: Seit zweieinhalb Jahren sucht Edita Burgos vergeblich nach ihrem entführten Sohn Jonas.

Von Menschenrechten war weniger die Rede, als Hillary Clinton am 12. 11. 09 zu einem zweitätigen Besuch auf den Philippinen eintraf 1. Vielmehr widmete sich die Außenministerin den Segnungen, die die Präsenz von Washingtons Militär in dem südostasiatischen Inselstaat mit sich bringen. Die dort stationierten Soldaten seien bei der Katastrophenhilfe »von großem Nutzen gewesen«, lobte Clinton. Die Philippinen gelten mit ihren 88 Millionen Einwohnern als zuverlässige Partnerin Washingtons. Am 12. November sagte Clinton der Regierung weitere Finanzhilfen zu - Menschenrechte hin oder her. So wurden laut Recherchen der Nichtregierungsorganisation Karapatan seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo im Januar 2001 bis zum Frühjahr dieses Jahres über 1000 Menschen Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen, 202 Personen verschwanden spurlos. Die Opfer von Mord und Entführungen kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft: es sind aktive Arbeiter- und Bauernführer, Gewerkschafter, engagierte Bürger- und Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Ärzte und Geistliche.
 
Kein einziges dieser Verbrechen wurde bis heute aufgeklärt. Die Täter werden im Militär und im Umfeld staatlicher Sicherheitskräfte vermutet, sie laufen frei herum. Geschützt werden sie von einer Regierung, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die dreieinige Strategie: Antikommunismus, Counterinsurgency und Terrorbekämpfung auf ihre Fahne geschrieben hat. Im Visier stehen dabei legale fortschrittliche und linke Gruppierungen und Personen, um gemäß der geltenden Counterinsurgency, dem »Oplan Bantay Laya II« (OBL II - »Operationsplan Freiheitswacht/Phase II«), vermeintliche »Vorfeldorganisationen« der Kommunistischen Partei und ihrer Guerilla, der Neuen Volksarmee, »auszuschalten«.
 
Jonas Burgos beispielsweise war 37 Jahre alt, als er am 28. April 2007 von bewaffneten Personen vom Mittagessen in einem Restaurant in Manila weggezerrt und entführt wurde. Augenzeugen erinnerten sich, daß Burgos seinen Entführer mehrfach ins Gesicht schrie »Ich bin nur ein Aktivist!« Keiner der anwesenden Gäste schritt ein, als er an Händen und Füßen gepackt und in einen vor dem Restaurant wartenden Lieferwagen gestoßen wurde. Einer der Entführer identifizierte sich als Polizist. Wenngleich mittels des Nummernschilds das bei der Tat benutzte Fahrzeug später in einem Militärlager sichergestellt werden konnte, verweigert das Militär bis heute weitere Informationen. Die Angehörigen und Freunde von Jonas sind sich über den Grund seines Verschwindens einig: Der auf ökologischen Landbau  spezialisierte Landwirt war ein Mitglied der Alyansa ng Magbubukid sa Bulacan (AMB - Allianz engagierter Bauern in Bulacan), einem nördlich von Manila aktiven Regionalverband der landesweiten Bauernorganisation Magbubukid ng Pilipinas (KMP, eine Bauernbewegung der Philippinen). Mehrfach hatte er Farmer in Rechtsfragen beraten. AMB und KMP streiten seit Jahren für die Belange ausgebeuteter Pächter und Kleinbauern und haben sich so den Zorn von Großgrundbesitzern, deren Schlägertrupps und staatlicher Sicherheitskräfte zugezogen.
 
Sämtliche Rechtsmittel hat seine Mutter Edita Burgos ausgeschöpft. Sie sprach mit Polizisten, Militärs, Richtern, Politikern, Regierungsvertretern und selbst mit der Präsidentin. Am 18. 12. 2007 wurde das Militär vom philippinischen Berufungsgericht angewiesen, das gesamte Beweismaterial im Fall Burgos zur Verfügung zu stellen und die Menschenrechtskommission sowie die Polizei wurden angewiesen, in dem Fall zu ermitteln. Beim Obersten Gerichtshof reichte Frau Burgos Klage ein, von der sie sich die Aufklärung verspricht. Gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Edre Olalia besuchte sie Mitglieder einer Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission in Genf und reichte dort formal Beschwerde gegen die philippinische Regierung ein. Manila wurde sodann in einem Schreiben der Arbeitsgruppe dringend gebeten, den Fall unverzüglich zu untersuchen. Bis heute bleibt Jonas Burgos verschwunden, Hinweise darauf, ob er noch lebt, gibt es nicht.
 
Schon 2006 war, wie Tomasz Konicz festhielt, eine ansteigende Zahl politischer Morde auf den Philippinen zu verzeichnen 2; ai, Amnesty International, erfasste 2005 insgesamt 66 politische Morde. Der Tageszeitung Philippine Daily Inquirer zufolge sollen seit dem Amtsantritt von Arroyo [am 20. Januar 2001] über 250 Linke durch Todesschwadronen umgebracht worden sein, wobei Karapatan, die Allianz für den Fortschritt der Menschenrechte, von weit mehr Opfern ausgeht. Sie registrierte über 600 Morde, zudem seien 140 Mitglieder linker Organisationen »verschwunden«. Die sozialistische Partei »Bayan Muna« (Das Volk Zuerst) konnte bei den letzten Wahlen 1,2 Millionen Stimmen auf sich vereinigen und drei Vertreter in den Kongreß entsenden. Seitdem wurden 95 lokale Aktivisten der Bayan Muna getötet. Ein Wesensmerkmal der Propagandaoffensive von Regierung und Militär besteht darin, alle progressiven kritischen Kräfte des Landes der Zusammenarbeit mit der NPA, der »New Peoples’ Army«  - gegen diese hat Arroyo den »Totalen Krieg« ausgerufen -  zu bezichtigen. Laut ai wurden viele der Mordopfer auf Fahndungslisten des Militärs plaziert, auf denen »subversive Elemente« offensichtlich zum Abschuß freigegeben werden. Die Militärführung der philippinischen Armee, der AFP [Armed Forces of Philippines] äußert ihre Verachtung demokratischer Mindeststandards inzwischen öffentlich. Der ehemalige General Jovito Palparan hatte die Morde an linken Aktivisten gegenüber der Asia Times als »kleine Opfer« bezeichnet und beteuert, daß die Mordwelle bei seiner Kampagne zur Aufstandsbekämpfung überaus »hilfreich« war. Palparan gilt als der Hauptstratege des schmutzigen Krieges gegen die philippinische Linke und wird von dieser deswegen als »Schlächter« bezeichnet. Auch wenn Arroyo die politischen Morde in einer Fernsehansprache einmal verurteilt hatte, so hatte sie doch im gleichen Atemzug ausgerechnet Palparan für sein »mutiges Vorgehen« gegen die NPA gelobt.
 
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/11-13/009.php Verschwindenlassen mit System
2 http://www.jungewelt.de/2006/10-20/046.php 20. 10. 06
»Totaler Krieg« gegen Linke - Von Tomasz Konicz