»Sie klären unter sich, wie es sich rechnet«

Zum Thema »Weltgesundheitsgipfel« sprach Ralf Wurzbacher mit Thomas Seibert, dem Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung der Hilfsorganisation medico international:

Um eine öffentliche Gesundheitsvorsorge geht es dabei nicht
Vom 15. bis 18. Oktober 09 richtet die Berliner Charité unter Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den World Health Summit (WHS) aus. Warum halten Sie den Titel Weltgesundheitsgipfel für einen Etikettenschwindel?
Der World Health Summit versammelt Forschungseliten, Regierungen reicher Länder und die Pharmaindustrie. Man lehnt sich an das Davoser Weltwirtschaftsforum an, als hätte es die jahrelangen Proteste nicht gegeben. Es geht nicht um Fragen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge für alle, sondern darum, wie private Gesundheitswirtschaft und Forschung zur Verbesserung individueller Versorgung beitragen können. Eine zentrale Veranstaltung trägt den Titel »Bringen wir den Menschen die Früchte der Wissenschaft«. Das ist die Idee: die hochspezialisierten, mächtigen und finanzstarken Macher klären unter sich, wie den anderen zu helfen wäre, und wie sich das Ganze rechnet. Dabei wäre ein von der Weltgesundheitsorganisation ausgerichteter und von zivilgesellschaftlichen und sozialen Organisationen initiierter Weltgesundheitsgipfel eine gute Idee.
 
Wofür stehen die Beteiligten?
Sicher ist, daß Gesundheit für die beteiligten Vertreter der Pharmaindustrie schlicht eine Ware für diejenigen ist, die dafür zahlen können. Das ist ihr Geschäft. Sicher ist auch, daß die beteiligten Regierungen dem wenig entgegensetzen, sondern von der »Public Private Partnership« die Lösung der Probleme erwarten. Dazu schleifen sie die öffentliche Gesundheitsfürsorge, im eigenen Land und im globalen Süden. Und sicher ist zuletzt, daß für viele der beteiligten Forscher Gesundheit primär ein medizinisches Problem ist. Das aber geht am Wesentlichen vorbei. Gesundheit ist zuerst eine Frage von gesundheitsförderlichen Lebens- und Arbeitsverhältnissen: für die Mehrheit der Weltbevölkerung also erst einmal eine Frage des Zugangs zu Nahrung und Wasser, zu Bildung. Übrigens auch zu sozialen und politischen Rechten, zu denen das Menschenrecht auf Zugang zu Gesundheit gehört. Und in dieser Hinsicht stehen die Beteiligten des World Health Summit sicher nicht in der ersten Reihe.
 
Erklärtes Ziel der Zusammenkunft ist langfristig die Lösung der weltweiten Gesundheitsprobleme. Macht sich hier der Bock zum Gärtner?
Nehmen wir den Punkt, der zwischen uns und den Initiatoren des World Health Summit unstrittig ist: Es gab und gibt einen beispiellosen medizinischen Fortschritt. Das Problem aber ist, daß er die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht erreicht. Ein Drittel der Weltbevölkerung kann sich Medikamente gar nicht erst leisten, hat keinen Zugang zu ärztlicher Hilfe. In Simbabwe, ein beliebiges Beispiel, kommen 200 Ärzte auf 12 Millionen Einwohner, was Europa übrigens nicht daran hindert, dort billiges Fachpersonal abzuwerben. 1 Milliarde Menschen leidet an Unterernährung und Hunger, 2 Milliarden haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dramatisch auf dem Vormarsch sind altbekannte Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria, Krankheiten der Armut. Während HIV/AIDS in Europa längst nicht mehr lebensgefährlich ist, bedroht die Krankheit in Afrika Millionen. Für den World Health Summit ist das nur am Rande ein Thema. Aus Protest gegen das WHS wird es am Freitag, 16. 10. 09, die Alternativkonferenz »Public Eye on Berlin« geben. Zu den Unterstützern zählen neben Ihrer Organisation unter anderem ATTAC, das Aktionsbündnis gegen AIDS, IPPNW, ver.di, die IG Metall und der DGB.
 
Worum geht es dabei?
Bei uns kommt zu Wort, wer auf dem World Health Summit nicht sprechen darf oder nicht sprechen will. Insofern bündeln wir die Einsprüche, schaffen Öffentlichkeit und bringen alle zusammen, die für das Menschenrecht auf Gesundheit streiten.
 
Mit schönen Worten allein wird sich nicht viel erreichen lassen. Was also tun?
Ein entscheidender Punkt ist der Zusammenhang von Initiativen im nationalen Zusammenhang - zum Beispiel die Gewerkschaften, dann mit Initiativen wie der unsrigen, die sich auf das Nord-Süd-Verhältnis richten. Das hat gefehlt.
 
 Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/10-14/035.php; der Stitz der Öffentlichkeitsabteilung der Hilfsorganisation medico international befindet sich in Frankfurt am Main.
Infos zur Alternativkonferenz auf www.medico.de