Die Mafia - »Mittlerweile ist bewiesen, daß Geheimdienste dabei waren«

Italiens Mafia hat gute Verbindungen zum Staat. Auf dessen Konto soll der Mord an Staatsanwalt Paolo Borsellino gehen.

Das nachfolgende Gespräch führte Raoul Rigault mit dem Soziologieprofessor Francesco Forgione. Dieser war von 1994 bis 2001 Regionalsekretär von Rifondazione Comunista in Sizilien und von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Antimafiakommission des italienischen Parlaments. Heute gehört er dem linken Wahlbündnis Sinistra e Libertà, Linke und Freiheit, an.  
 
Vor wenigen Tagen hat der inhaftierte ehemalige Chef der sizilianischen Cosa Nostra, Totò Riina, erklärt, er sei es müde, »den Blitzableiter zu spielen«. Die Ermordung des Staatsanwaltes Paolo Borsellino und seiner Eskorte im Juli 1992 gehe auf das Konto staatlicher Stellen. Zu welchem Ergebnis ist die von Ihnen geleitete Antimafia­kommission seinerzeit gelangt?
Genau diese Angelegenheit war unser letzter Arbeitsschwerpunkt. Wir haben den Inlandsgeheimdienst SISDE, der heute AISI heißt, aufgefordert, uns über die Anwesenheit von Geheimdienstagenten in der Via D’Amelio zu informieren, wo Borsellino und seine Leute durch die Autobombe getötet wurden. Außerdem haben wir das gesamte Dossier über die Mafiaanschläge des Jahres 1992 angefordert. Wir haben auch einen Berater benannt, den Untersuchungsrichter Gioacchino Scaduto. Er soll die nötigen Überprüfungen vornehmen und Kontakte zu den Diensten knüpfen. Scaduto war einer der Untersuchungsrichter im Prozeß gegen den Berlusconi-Vertrauten, Mitbegründer von Forza Italia und heutigen Senator der Nachfolgepartei PdL, Marcello Dell’Utri, der wegen Unterstützung einer mafiosen Vereinigung verurteilt wurde.
 
Ein Verband von Mafiaopfern hat die jetzige Kommission aufgefordert, sich nicht in die Ermittlungen einzumischen, weil dies angeblich die Arbeit der Richter blockiert. Was meinen Sie dazu?
Damit bin ich nicht einverstanden. Die Antimafiakommission ersetzt die Staatsanwaltschaft nicht, aber sie kann ihrer Arbeit Impulse geben. Auch deshalb, weil es rund um die diversen Blutbäder zu viele Ungereimtheiten gibt. Man muß sich mehr mit der Rolle der Mafia beim Übergang von der Ersten zur Zweiten Republik Anfang der 90er Jahre beschäftigen. Das heißt, mit ihren Verbindungen zu Teilen der Politik und der Wirtschaft sowie zu ihren Verhandlungen mit dem Staat. Für die gibt es heute neue Belege. Man muß sich auch näher mit den obskuren Vorgängen um den Schlupfwinkel von Totò Riina in der Via Bernini in Palermo befassen. Letzterer wurde nach dessen Festnahme am 15. Januar 1993 von der Polizei nicht etwa gleich durchsucht, sondern die Mafia beseitigte erst einmal alle Spuren. Es gibt zu viele Dinge, die im Dunkeln liegen und auf die zwielichtige Rolle und das fragwürdige Verhalten der Staatsapparate verweisen. 
 
Und der Politik. Oder gehen Sie davon aus, daß Teile der Geheimdienste auf eigene Rechnung gearbeitet haben?
Daß Geheimdienste dabei waren, ist mittlerweile bewiesen. Jetzt geht es darum, aufzudecken, wer diese Agenten waren und welche Rolle sie dort spielten. Die Erfahrung lehrt, daß die Geheimdienste nie neutral waren, wenn es darum ging, fortschrittliche Entwicklungen zu verhindern.
 
Welche Rolle spielte die langjährigen Regierungspartei Democrazia Cristiana?
Die war in jener Phase entscheidend. Aber ich beziehe mich auch auf die Fehden innerhalb der sizilianischen und der nationalen Christdemokratie sowie auf Teile der Sozialistischen Partei und der Wirtschaft. Die Mafia spielte in der nationalen Wirtschaft eine erhebliche Rolle, auch in Norditalien. In all den Jahren waren die Geheimdienste jedenfalls immer dabei: Angefangen vom Massaker an linken Landarbeitern in der Provinz Palermo am 1. Mai 1947 mit elf Toten und 30 Schwerverletzten bis in unsere Tage. Wenn die Linke in dieser Beziehung eine Mitverantwortung trägt, dann die, daß es ihr nicht einmal gelungen ist, das Staatsgeheimnis um dieses Blutbad zu lüften. Alle Neuigkeiten, die wir erfahren, stammen aus englischen und amerikanischen Archiven. Die italienischen bleiben geschlossen.
 
Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/07-29/028.php