Der Vertrag von Lissabon - Das Bundesverfassungsgericht zieht Grenzen

Mit seiner Entscheidung vom 30.7. 09 über vier Verfassungsbeschwerden gegen den Lissaboner Vertrag versetzte das Bundesverfassungsgericht dem deutschen Bundestag eine schallende Ohrfeige.

Dieser hatte sich am 24.4. 2008 mit 90 %iger Mehrheit für den Vertrag und ein Begleitgesetz ausgesprochen, das nun von den Richtern als »verfassungswidrig« eingestuft wurde. Das Urteil stellte fest, daß der Bundestag die nationale Souveränität weggegeben habe, während es sein Auftrag gewesen wäre, die Vollmachten des Parlaments und implizit der Regierung zu schützen und zu stärken. Deshalb muß nun ein neues Gesetz verabschiedet werden, das die Rechte des Bundestags im Entscheidungsprozeß der EU sichert, insbesondere wenn es um Veränderungen des Reformvertrags selbst oder um eine Ausweitung der Zuständigkeiten der EU geht. Dieses Gesetz wird Teil eines Dokuments sein, das das deutsche Ja zum Vertrag begleitet. Bis dieser Schritt vollzogen ist, ist die Unterschrift von Bundespräsident Köhler unter den Vertrag ausgesetzt. Die Richter haben dadurch das Grundgesetz verteidigt und die Dynamik unterbrochen, mit der sich die EU seit dem Maastrichter Vertrag immer mehr zu einer einerseits imperialen und andererseits durch den Stabilitätspakt wirtschaftlich selbst eindämmenden Bürokratie entwickelt hat. Die Schwäche des Urteils liegt darin, daß es den Vertrag für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, obwohl er, wie wir oft berichtet haben, die Umwandlung des Maastricht-Systems in ein völlig oligarchisches Regime sicherstellen würde. Ebensowenig erwähnten die Richter, daß ihre früheren Urteilssprüche zugunsten von Maastricht auf Argumenten fußten, die durch die Auswirkungen des Zusammenbruchs von Wirtschaft und Finanzen seit dieser Zeit gegenstandslos wurden.
 
Ein Zeichen des degenerierten Zustands der politischen Kultur in Deutschland ist die Tatsache, daß zwischen der Unterzeichnung des Lissaboner Vertrags durch die EU-Regierungschefs am 13.12.2008 und der nur zweistündigen Abstimmung und Debatte über den Vertrag durch den Bundestag vier Monate danach weder die Bevölkerung oder das Parlament selbst wirklich über den Vertrag informiert wurden - was dazu führte, daß der Bundestag ohne wirkliche Kenntnis der Inhalte des Lissaboner Vertrags über ihn abstimmte. Hätte Helga Zepp-LaRouche am 13. 2. 2008 nicht öffentlich zur Mobilisierung gegen den Vertrag aufgerufen, und wären nicht die 4 Verfassungsklagen angestrengt worden, was, sei hier angemerkt, Professor Karl Albrecht Schachtschneider zu verdanken ist, wäre der Vertrag Ende Mai letzten Jahres ohne Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts ratifiziert worden. Die Untätigkeit und Prinzipienlosigkeit des Bundestages, zeigt einmal mehr, zeigt einmal mehr, wie es die weitgehend unter der Kontrolle radikaler monetaristischer Interessen - mit ihrem Zentrum in der Londoner Finanzoligarchie - stehende EU-Bürokratie geschafft hat, die Mitgliedstaaten der EU zu »entdemokratisieren«. Man wird sehen müssen, ob das BVG künftig wirklich ein effektiver Aufpasser zur Verteidigung von Deutschlands Demokratie und Grundgesetz sein wird.
 
Anmerkung politonline d.a.:
Nun schreibt Stephen Lendman bezüglich der diesjährigen Bilderberger-Konferenz, daß   eines der Themen auch die Frage war, wie man zu einer letzten Kampagne ansetzen könnte, um die Iren dazu zu bringen, die neoliberalen Regeln des Lissaboner Vertrags für ein Paneuropa anzunehmen 2. Diese beinhalten eine gesteigerte Privatisierung, weniger Rechte für die Arbeiter, weniger Sozialhilfe, einen die Schwellenländer favorisierenden, über offene Grenzen hinweg erfolgenden Handel, sowie eine verstärkte Militarisierung, um die bürgerlichen Freiheiten und Rechte zu unterdrücken. Im Prinzip ist es geradezu ungeheuerlich, wie in dieser EU, sobald ein Abstimmungsergebnis den in Brüssel Regie Führenden nicht genehm ist, eine zweite Abstimmung anberaumt wird. Das allein schon stellt eine reichlich absurde Komponente dieses Gebildes dar. »Für das Europa der Multis«, las man bereits 2005 im Europa-Magazin 3, »wird die demokratische Kontrolle systematisch ausgehebelt. Mit der EU-Verfassung wollen die europäischen Regierungen eine größere Legitimität erhalten, um ihre Politik des umfassenden Sozialabbaus und der Zerstörung sozialer Errungenschaften auf dem ganzen Kontinent verstärkt fortsetzen zu können.« Das zweite Referendum in Irland über den Lissabon-Vertrag wird nun am 2. Oktober stattfinden. Wie im irischen Independent und anderen Tageszeitungen berichtet wird 4, steckt eine »tiefe Angst vor einer wütenden Reaktion« führender Aktivistengruppen wegen der geplanten neuen Ausgabenkürzungen hinter dem Widerwillen einiger irischer Regierungsminister, den Bord Snip-Bericht zu veröffentlichen. Sie befürchten, daß diese Kürzungen die Wähler vor dem zweiten Lissabon-Referum verängstigen und den Anti-Lissabon-Gruppen Aufwind verschaffen werden. In dem sorgsam gehüteten Bericht des Kommitees für Ausgabenbewertung (Bord Snip report) wird dargelegt, wo 5 Mrd. € im öffentlichen Haushalt gespart werden sollen. Dies entspricht den Forderungen der EU, daß Irland einen schlankeren Haushalt vorlegen muß. Es gibt berechtigte Sorgen, daß dieser radikale Bericht Wähler vergraulen und eine anti-Regierungsstimmung erzeugen wird. Sobald der Bericht veröffentlicht ist, so sagen Regierungsquellen, gebe es klare Feindbilder, gegen die eine Mobilisierung einsetzen wird. »Damit werden alle Pläne der Regierung abgewürgt. Und das war’s dann mit Lissabon«.  
 
 
1 Strategic Alert, Jahrgang 23, Nr. 28 vom 8. Juli 2009
2 http://www.countercurrents.org/lendman010609.htm 1. 6. 09
Daniel Estulin's "True Story of The Bilderberg Group" And What They May Be Planning Now - By Stephen Lendman
3 EUROPA-MAGAZIN Nr. 1 /2005
4http://www.bueso.de/news/tricks-irischen-regierung-um-lissabonreferendum-zu-beeinflussen
7. 7. 09  Tricks der irischen Regierung, um Lissabonreferendum zu beeinflussen