Die Afrika-Hilfe im Spiegel weiterer Kritik

politonline d.a. Wie die »Financial Times« Anfang Juli letzten Jahres ausführte, sind die G-8-Staaten nicht mehr bereit, konkrete Zahlen zur Höhe künftiger Hilfen für Afrika zu nennen.

Die Regierungschefs der größten Industrienationen der Welt bekräftigten zwar, »an den Zusagen von Gleneagles« festhalten wollen, vermieden es aber, das 2005 vereinbarte Ziel von 25 Mrd. US-$ (!) jährlich bis 2010 zu bestätigen. Die Entwicklungshilfe für Afrika ist längst umstritten. So bezeichnete William Easterly die Entwicklungshilfe kürzlich als ein  Wohlfühlprogramm reicher Länder, http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1196, wobei hinzufügen wäre, daß es solche unter den Industriestaaten infolge ihrer eigenen haushohen und kaum mehr tilgbaren Verschuldung in Wirklichkeit gar nicht mehr gibt; letzterer Fakt wird sowohl von den Regierenden als insbesondere auch von den die Phrase der reichen Länder ganz speziell ewig wiederholenden Journalisten mühelos übersehen. Ferner dürften gerade auch die EU-Bürger die aus ihren Steuerkassen kontinuierlich abgezweigten Milliarden für die Entwicklung fremder Länder noch nie mit dem Begriff des Wohlgefühls belegt haben. Solches scheint lediglich bei den sich an den Geberkonferenzen unverändert mit strahlenden Gesichtern präsentierenden Volksvertretern der Fall zu sein, die auch jetzt wieder 213 Millionen $ für Somalia zugesagt haben, ohne daß uns auch nur ein Hauch an Mitsprache bez. dieses steten Abfließens unserer Steuern, die durchaus im Land selbst  gebraucht würden, eingeräumt würde. Was jeder, der sich mit den Verhältnissen in Somalia beschäftigt hat, die auch auf http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=530 in Ursachen des Asylantenstroms aufgezeigt sind, voraussagen können hätte, ist bereits eingetreten: die Kämpfe in Mogadischu zwischen Islamisten und regierungstreuen Truppen sind erneut aufgeflammt - mit den üblichen Folgen: 130 Tote, 420 Verletzte und einer Massenflucht von rund 40 000 Menschen. Insgesamt sind in Somalia über eine Million Bürgerkriegsflüchtlinge zu verzeichnen.
 
Nun will der 36 Jahre alte kenianische Ökonom James Shikwati die Entwicklungshilfe abschaffen. »Wer Afrika helfen will, darf kein Geld geben« hatte er schon im April 2007 erklärt und gefordert, die Entwicklungshilfe sofort einstellen. Shikwati gehört zu den wenigen Marktliberalen in Afrika; er wirbt für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung  und lehnt ausländische Entwicklungshilfe ab. Er vertritt die Auffassung, daß diejenigen, die sogenannte Entwicklungshilfe leisten, nur ihre eigenen Interessen verfolgen, was John Perkins in The Secret History of the American Empirewie folgt belegt: »Der Westen hat ein echtes Interesse daran, Afrika arm zu halten. Die Bevölkerungen der westlichen Länder hegen hinsichtlich der Unterstützung [Afrikas] ehrliche Gefühle und glauben, daß die den Afrikanern zuteil werdende Hilfe etwas bewirkt. Die westlichen Regierungen sowie die multinationalen Konzerne jedoch erzielen durch die fortgesetzte Instabilität des Kontinents und dem Elend der afrikanischen Länder riesige Gewinne. Die erfolgreiche Manipulierung billiger Arbeitskräfte und landwirtschaftlicher Produkte, der Schmuggel von Ressourcen und Waffenhandel  ist auf  korrupte Politiker, ununterbrochenen Krieg und eine unterentwickelte Bevölkerung angewiesen, der die Fähigkeit fehlt, für ihre Rechte einzutreten. Wenn im Kongo Frieden und Transparenz herrschen würden, wäre es für die ausländischen Unternehmen weitaus schwieriger - wenn nicht unmöglich - die Minen auszubeuten. Wenn es keine Rebellen oder Stammesfehden gäbe, dann gäbe es auch keinen Markt für  Kleinwaffen. Die unter den Führern Afrikas vorhandene Korruption sowie latente ethnische Spannungen spielen eine beträchtliche Rolle in Bezug auf schlechtes Regieren und die Uneinigkeit der afrikanischen Völker. Ich glaube aber, dass der Kontinent gut auf seinem Weg vorankäme, wünschte der Westen wirklich ein stabiles entwickeltes Afrika. Statt dessen ist die Situation nach Jahrzehnten westlicher Einmischung und Milliarden an Hilfsgeldern schlimmer beschaffen als zuvor.« Perkins hielt auch fest, daß gerade auch die an die Drittweltstaaten geflossenen IWF-Kredite vorzugsweise dazu gedient haben, den Aufbau einer Infrastruktur wie Strassennetze, Flugplätze und Häfen voranzutreiben, um das Außerlandesbringen der Ressourcen gezielt zu erleichtern.
 
Laut Shikwati geht es bezüglich der Entwicklungshilfe ferner um Arbeitsplätze für die auf diesem Sektor eingesetzten Helfer, um politischen Einfluß und um die Rohstoffe. Zu der allseits bekannten Korruption erklärt er zu recht, daß diese nicht nur eine afrikanische Krankheit sei, sondern auch in den entwickelten Ländern anzutreffen ist, wofür einige Ostländer sozusagen als leuchtendes Beispiel stehen. In Afrika, so Shikwati, hänge das Problem der Korruption mit der in die Länder hineinfließenden Gelder zusammen. Die Menschen, erklärt er, ringen um diese und schaffen damit das Umfeld, in dem Korruption, die er Diebstahl nennt, gedeiht. Wo bekommen die sogenannten großen Führer in Afrika die Millionen von Dollars her, die sie stehlen und ins Ausland bringen? Nach Angaben der Weltbank leben mehr als 70 % der Afrikaner von 1 $ am Tag: in einem armen Land gibt es nichts zu stehlen; die Korruption entsteht aus dem ausländischen Geld. Wer die Korruption verhindern will, muß den Hahn zudrehen. Man muß die ausländische Entwicklungshilfe einstellen 5. Gegenüber Marc Engelhardt vom ARD-Hörfunkstudio in Nairobi erklärte Shikwati am 2. 4. 09, daß man Afrika mit der Entwicklungshilfe auf die Dauer abhängig mache und den Menschen einrede, daß sie ihre Probleme nicht selbst lösen könnten. Dabei verfüge Afrika über genug Ressourcen, um seine Wirtschaft selbst in die Hand zu nehmen. Die Entwicklungshilfe der vergangenen 50 Jahre von mehr als einer Billion US-$ habe nicht nur wenig Erfolg produziert, sondern vor allem jede Eigeninitiative im Keim erstickt.
 
Weitere Ausführungen von James Shikwati sind in dem nachfolgenden Artikel von Dieter Neubert Der Kenianer James Shikwati will die Entwicklungshilfe abschaffendargelegt:
 
Die öffentliche Debatte über Afrika wird wesentlich vom Bild des Krisenkontinents bestimmt. Dazu paßt die Forderung, die Entwicklungshilfe zu erhöhen - sie kann sich auf eine breite Koalition aus Politik, Entwicklungsorganisationen und engagierten Prominenten verlassen, von Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul und dem britischen Expremier Tony Blair bis zu Popstars wie Bono und Bob Geldof. Ins selbe Horn stößt auch der US-Ökonom Jeffrey Sachs mit seinem Buch Das Ende der Armut1. Die von Südafrika und Nigeria initiierte Neue Partnerschaft für Entwicklung in Afrika (New Partnership for African Development, Nepad) will selbst gesteuerte afrikanische Entwicklungsanstrengungen mit zusätzlichen Mitteln internationaler Geber finanzieren. Gegen diese scheinbare Einigkeit wendet sich seit einiger Zeit in öffentlichkeitswirksamer Weise der Kenianer James Shikwati. Seine Forderung: Schluß mit der Entwicklungshilfe! Denn sie schade Afrika in Wahrheit nur. Sie verhindere die freie Entfaltung der afrikanischen Ökonomie, die den eigentlich wohlhabenden Erdteil in eine bessere Zukunft führen könnte.
 
Auf der einen Seite steht also die dringende Forderung nach massiver Erhöhung der Entwicklungshilfe, weil sich Armut und Entwicklungsprobleme nur so besiegen ließen. Die andere Seite plädiert dafür, die Entwicklungshilfe sofort zu beenden und ganz auf die in Afrika bislang unterdrückten Marktkräfte zu setzen. Shikwati wird in den Medien meist als kenianischer Ökonom bezeichnet, obwohl er keine formale ökonomische Ausbildung vorzuweisen hat. 1970 geboren, erwarb er einen Bachelor in Pädagogik an der Universität von Nairobi und arbeitete danach einige Zeit als Lehrer. Schon während des Studiums begann er sich für Fragen des Kapitalismus und des freien Marktes zu interessieren. Dabei traf er auf den US-Ökonomen Lawrence Reed, der ihm Förderung durch konservative US-Forschungsinstitute verschaffte. 2001 gab Shikwati seinen Lehrerposten auf und gründete die kenianische NGO  ›Inter Region Economic Network (IREN). Dieses versteht sich als unabhängiger think tank, der Ideen und Strategien für ein prosperierendes Afrika entwickelt und ein freies Afrika fördert, in dem die Entscheidungen der Menschen auf Informationen des Marktes gegründet sind 1. Von liberal-konservativen Organisationen in der USA Unterstützt, betätigt sich Shikwati seither mit einigem Erfolg publizistisch und politisch: Er hält Vorträge, schreibt kurze Essays 3 und gibt Interviews. Darüber hinaus hat er das Buch Reclaiming Africa4 herausgegeben. Shikwati unterwirft zunächst das System der Entwicklungshilfe einer grundsätzlichen Kritik. Dieses System - er selbst spricht von der Entwicklungsindustrie - finanziere nur riesige Bürokratien, unterdrücke den Unternehmergeist und schaffe ein wirtschaftsfeindliches Klima. Die Entwicklungsorganisationen würden die Probleme Afrikas überdies übertreiben, um die Hilfsmaschinerie, von der sie profitieren, in Gang zu halten. So sei beispielsweise immer von 3 Millionen HIV-Infizierten in Kenia die Rede gewesen, bis es plötzlich hieß, es seien doch nur eine Million. Auf den vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsplätzen in den Entwicklungsorganisationen säßen oft überqualifizierte Afrikaner, die in der Wirtschaft fehlen. Ohnehin folge die Entwicklungshilfe vor allem den ökonomischen und geostrategischen Interessen der Geber. »Es geht um Arbeitsplätze für Entwicklungshelfer, und es geht um politischen Einfluß und um Rohstoffe«, faßte Shikwati in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zusammen 5. Die Entwicklungsindustrie, so Shikwati weiter, schaffe ihrerseits eine spezifisch afrikanische politische Industrie. Da die Entwicklungsgelder direkt an die afrikanischen Regierungen gingen, bestimmen die Politiker über deren Verteilung, was dazu führe, daß  die Menschen alles daran setzten, politisch mitzuspielen. Das Geld werde dann entlang von Patronagestrukturen vergeben. So finanziere die Entwicklungshilfe letztlich die ausufernde Korruption in Afrika. Als Beispiel nennt Shikwati die ohnehin problematische Nahrungsmittelhilfe: von korrupten Politikern veruntreut, lande sie auf dem Schwarzmarkt und dränge die einheimischen Bauern aus dem Markt.
 
Den Entwicklungshilfegebern ist das natürlich nicht unbekannt. Sie setzen daher seit einiger Zeit verstärkt auf Korruptionsbekämpfung. Laut Shikwati kann dies aber nicht funktionieren, weil das veruntreute Geld aus Steuermitteln der Geberländer und nicht aus afrikanischen Mitteln stammt. Müßten dagegen die Bürger der afrikanischen Staaten mit ihren eigenen Steuern dafür aufkommen, würden sie korrupte Politiker eben nicht mehr ohne weiteres akzeptieren. Shikwatis Kritik trifft auch die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Sie seien auch nicht besser als die bilaterale Hilfe von Regierungen oder die multilaterale Hilfe von UN-Organisationen, Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Einen Stopp der Entwicklungshilfe würden die meisten Afrikaner kaum bemerken, weil sie ohnehin nichts von der Hilfe haben, ist sich Shikwati sicher. Für den Teil der Wirtschaft, der von der politisch gelenkten Nutzung der Mittel profitiert, wäre das wie der Entzug für einen Drogenabhängigen. Die dadurch ausgelöste Krise könnte jedoch einen Neuanfang in Gang setzen - ein neues Leben gewissermaßen jenseits der Sucht. Dann würden die Afrikaner endlich sehen, daß  sie ihre Probleme aus eigener Kraft und mit ihren eigenen Mitteln bewältigen können. Um Abhilfe gegen die Dauerkrise zu schaffen, brauche es den unbedingten Willen der Betroffenen, die Mißstände selbst zu beheben. Nicht Geld, sondern eine Änderung der inneren Einstellung, eine veränderte Mentalität sieht Shikwati als Schlüssel zum Erfolg. Letztlich müsse Afrika seine ersten Schritte in die Moderne allein machen. »Wir müssen anfangen, in Wirtschaftskategorien zu denken und unsere Probleme zu lösen, statt andauernd die internationale Gemeinschaft zu bitten, es für uns zu tun«, sagt er auf der Website von Iren 6. »Wir müssen persönlich Verantwortung übernehmen.« Shikwatis Appell, die Entwicklungshilfe sofort zu beenden, paßt zu seiner marktliberalen Grundeinstellung. In freien Märkten sieht er die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgversprechende Eigeninitiative. Die afrikanischen Spitzenpolitiker sollten auf Handelsschranken verzichten, während die Industrieländer ihrerseits Afrika freien Marktzugang für Rohstoffe, aber vor allem auch für Fertigprodukte gewähren sollen. In der konsequenten Öffnung der afrikanischen Märkte sieht Shikwati attraktive Chancen für heimische Unternehmen. So könnte Afrika beispielsweise den Kaffee- und Teebedarf der 950 Millionen Afrikaner problemlos selbst decken. Ergänzt werden müßte die Handelsfreiheit durch freie Reise- und Migrationsmöglichkeiten, liberalisierte Arbeits- und Kapitalmärkte sowie die Erweiterung des afrikanischen Aktienmarkts durch die Privatisierung von Staatsunternehmen und die Umwandlung von mittleren Betrieben in Aktiengesellschaften.
Die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und die Marktöffnung für ausländische Investoren werde das Investitionsklima verbessern - umso mehr, wenn auch kleine Unternehmen und Kleinbauern Zugang zu Kapital erhalten, etwa durch die Umwandlung informeller lokaler Sparringe in ein basisnahes Bankensystem. Die Schwäche der afrikanischen Infrastruktur will Shikwati durch den Ausbau des Luftverkehrs auch zwischen kleineren Flughäfen überbrücken. Ein Ausbau des Straßen- und Bahnnetzes soll später folgen. Sogar in den sozialen, ökologischen und medizinischen Problemen Afrikas erkennt Shikwati ein brachliegendes Marktpotential. Kleine Unternehmen könnten die Wasserversorgung sichern oder Gesundheitsdienstleistungen erbringen und so zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen. Der Erfolg der Mobiltelefone zeige doch, daß sich in Afrika gewinnträchtig investieren läßt und es selbst in ländlichen Regionen sowohl Kaufkraft als auch Nachfrage gibt.
 
Wie ideologisch geprägt Shikwatis Programmatik ist, zeigt sich an seiner Vorstellung, die mannigfachen sozialen Probleme Afrikas mit Hilfe der Marktkräfte zu bekämpfen. Denn wie eine privat finanzierte Versorgung als Alternative zu den noch so mangelhaften öffentlichen Angeboten in der Realität aussieht, kann man am Beispiel der Schulbildung in Shikwatis Heimatland Kenia studieren: Die staatlichen Schulen sind unterfinanziert, schlecht ausgestattet, und weiterführende Schulen gab es in vielen Gemeinden einfach gar nicht. Diese Lücke wurde und wird von einem großen Privatschulsektor geschlossen, der jedoch die existierende Ungleichheit in aller Schärfe abbildet. Die Grenzen marktwirtschaftlich erbrachter Sozialleistungen sind in Afrika sogar noch stärker spürbar als in den entwickelten Ländern. Alle Industriestaaten, selbst die marktliberale USA, betreiben auf Grund dieser Schwierigkeiten eine aktive Sozialpolitik, die je nach politischer Tradition durch private Wohlfahrtsorganisationen flankiert, aber keinesfalls ersetzt wird. Shikwati dagegen blendet die Sozialpolitik und deren Finanzierung völlig aus. Vielmehr geht er davon aus, daß die wirtschaftliche Entwicklung letztlich alle erreichen und irgendwie auch zu den Ärmsten durchsickern werde - eine Hoffnung, die sich seit den 1960er Jahren als völlig haltlos erwiesen hat. Gerade die heutigen Industriestaaten haben sich - ganz im Gegensatz zu Shikwatis Vorstellungen für Afrika - keineswegs unter Bedingungen eines radikal freien Weltmarkts entwickelt. In entscheidenden Phasen waren ihre Unternehmen durch Zollschranken geschützt. Auch ist keines der Entwicklungsländer, das in den letzten 30 Jahren den Anschluß an die Industrieländer geschafft hat, den von Shikwati empfohlenen radikalen Weg gegangen.
 
Die Geschichte zeigt, daß  Entwicklungsprozesse generell unter gesellschaftlich und politisch äußerst unterschiedlichen Bedingungen zustande kamen. Großbritannien und die USA haben sich zugleich ökonomisch entwickelt und demokratisiert, während sich die Schweiz als basisdemokratisches Land fast ohne eigene natürliche Ressourcen entwickelt hat. Die asiatischen Beispiele Taiwan, Südkorea oder China haben ihre Entwicklung dagegen unter höchst autoritären und teilweise wirtschaftsdirigistischen Systemen begonnen oder werden im Falle Chinas noch heute autoritär geführt. Bleibt die Frage: Warum hat Shikwati mit seinen Thesen einen derartigen Erfolg? Warum wird er mit seinen eher banalen Ideen überhaupt so breit wahrgenommen? Da wäre zunächst seine Radikalität. Schließlich stellt er nicht nur bestimmte Organisationen oder Programme, sondern die Entwicklungshilfe an sich infrage und macht sie für die Entstehung oder zumindest für die Fortdauer der Probleme verantwortlich, die sie zu beseitigen vorgibt. Das ist zwar nicht neu, aber - und das ist der zweite Grund für die Öffentlichkeitswirksamkeit seiner Thesen - er formuliert seine Kritik ausgesprochen einfach und scheut sich nicht vor problematischen Verkürzungen. Ein dritter Grund für die Aufmerksamkeit, die Shikwati entgegengebracht wird, liegt in seiner Herkunft. Kritik an Entwicklungshilfe gewinnt an Gewicht, wenn sie aus Afrika selbst kommt, also von jemandem, der eigentlich für die erwiesene Hilfe dankbar sein müßte. Der vierte und letzte Grund: Er bricht ein Tabu. Die meisten Entwicklungsexperten wissen um die Probleme der Entwicklungshilfe und des gesamten Systems, vermeiden es aber, ihre Kritik gegenüber einer breiten Öffentlichkeit so zuzuspitzen, weil sie das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, das heißt, die ohnehin labile politische Legitimität für die Hilfe für die Dritte Welt nicht gefährden wollen. Shikwati würde vermutlich weniger Aufmerksamkeit ernten, wenn die Fachleute ihre Kritik am Entwicklungshilfesystem selbst nicht so vorsichtig äußern würden. Ein Stopp der Entwicklungshilfe wäre sicherlich nicht hilfreich. Dennoch sollte man sich ehrlicher- und realistischerweise vom Ziel verabschieden, 0,7 % des Bruttosozialprodukts der Industrieländer für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. Ernstzunehmende Kritiker weisen zu recht darauf hin, daß  eher zu viel als zu wenig Geld in das System der Entwicklungshilfe fließt. Viele Entwicklungsorganisationen und auch die NGOs klagen immer wieder über ein Mittelabflußproblem: Es gibt, gemessen an den zur Verfügung stehen Mitteln, oft nicht genügend sinnvolle konkrete Vorhaben. Weniger könnte in diesen Fällen mehr sein. Bei aller Kritik an Shikwatis Thesen: Er hat einiges dazu beigetragen, die überfällige öffentliche und kritische Debatte über Entwicklungshilfe anzustoßen. Es liegt nun an den Experten aus Praxis, Politik und Wissenschaft, darauf zu reagieren, das öffentliche Schweigen über die Schwächen des Systems zu beenden und das Mandat und die Anlage der Entwicklungshilfe offen zu diskutieren. Denn eines ist nach 50 Jahren Entwicklungshilfe gewiß: Einfache Lösungen gibt es nicht.
 
Anmerkung: Was die Sicht von Dieter Neubert betrifft, daß Afrika für die erwiesene Hilfe eigentlich dankbar sein müßte, so kann man sich ihr in Anbetracht der dortigen Verhältnisse wohl kaum anschließen. Zu überlegen wäre ferner, ob man die Entwicklungshilfe nicht doch einmal vollständig aussetzen sollte, um anderen Überlegungen Raum zu verschaffen. Letzteren Standpunkt den dafür zuständigen Ministern vorzutragen, das dürfte sich - den Einfluß der Konzerne hinzuaddiert – allerdings als eine Herkulesaufgabe mit ungewissem Ausgang erweisen.  
 
Dieter Neubert ist Professor für Entwicklungssoziologe an der Universität Bayreuth
Quelle: Le Monde diplomatique Nr. 8879 vom 8.5.2009, Seite 15
(1) Jeffrey Sachs: Das Ende der Armut, München (Siedler Verlag) 2005
(2) Siehe www.Irenkenya.com
(3) Vornehmlich in der von ihm herausgegeben Online-Zeitschrift www.africanexecutive.com/
(4) James Shikwati (Hg.), Reclaiming Africa. Inter Region Economic Network (Iren), Nairobi 2004
(5) Wer Afrika helfen will, darf kein Geld geben, FAZ, 4. April 2007
(6) Siehe Anmerkung 2
 
* http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1196 Afrika-Hilfe hat versagt