"Die Mächtigen sollen wissen, dass sie kontrolliert werden"

Der mehrfach ausgezeichnete US-amerikanische Journalist Seymour Hersh im Gespräch über Patriotismus und die Vorsicht der Rechercheure

Frankfurter Rundschau: Mr. Hersh, hat der neue US-Patriotismus die wegen ihrer Unbestechlichkeit viel gerühmten amerikanischen Journalisten verblendet?
Seymour Hersh: Nun, in Kriegszeiten sollte man zu seinem Präsidenten stehen, alles andere gilt als illoyal. Ich erzähle ihnen eine erlebte Episode zum Patriotismus: Ari Fleischer, der einstige Pressesprecher Bushs - Gott sei Dank ist er mittlerweile weg vom Fenster - warnte uns Reporter nach dem 11. September auf einer Pressekonferenz, künftig besser darauf zu achten, was wir denken und was wir sagen. Diese Versuche, Konformität zu schaffen, finde ich furchterregend.
 
Empfinden Sie sich selbst als Patriot?
Was für eine alberne Frage. Natürlich bin ich ein Patriot. Ich glaube, trotz meiner Kritik an der offiziellen US-Politik bin ich ein ebenso guter Amerikaner wie der Präsident, der Generalstabschef oder der Verteidigungsminister.
 
Mit Ihren Enthüllungsrecherchen haben Sie die Regierung aber immer wieder unter Druck gesetzt: McGaffreys Kriegsverbrechen, Versäumnisse der US-Geheimdienste, Richard Perles Korruption, die Enthüllungen zum Komplex Abu Ghraib oder die US-Kriegspläne gegen den Iran. Wie kommen Sie an Ihre Quellen?
Das ist derzeit das kleinere Problem. Sehr viele Insider haben das Bedürfnis, mit mir zu reden, weil ich von Anfang an lautstark gegen den Irak-Krieg war. Das ist nicht ungefährlich. Denn mit der neuen Anti-Terror-Gesetzgebung gehen die Informanten ein hohes Risiko ein, wenn sie Informationen nach draussen geben.
 
Trotz des Risikos bekommen Sie häufiger Insider-Anrufe?
Nein, das läuft anders. Ich gehe auf Leute zu und stelle fest, dass die Bereitschaft, mit mir intensiv zu reden, gestiegen ist. Es kommt praktisch nicht vor, dass jemand Dokumente von sich aus an mich weiterleitet. So genannte undichte Stellen machen sich vielleicht ganz gut in Kinofilmen, mit der Realität hat das jedoch wenig zu tun.
 
Werden auch Sie überwacht?
Gute Frage! Wir Rechercheure wissen nicht, ob uns unsere Regierung überwacht oder nicht.
 
Wie schützen Sie ihre Quellen für den Fall, dass die Geheimdienste ihre Kommunikation überwachen?
Ich bevorzuge derzeit den persönlichen Kontakt und telefoniere weniger. Ich bin insgesamt vorsichtiger im Umgang mit Leuten. Und mit vielen sensiblen Quellen spreche ich nur ausserhalb meines Büros. In den siebziger Jahren liess mich die Ford-Regierung intensiv ausspionieren. Für die Bush-Regierung wäre das wohl viel heikler, selbst unter dem Patriot Act. Denn es wäre illegal und sie könnten mit den gewonnenen Informationen nichts anfangen. Und wenn schon! Sollen sie doch meine Gespräche überwachen. Ich habe nichts zu verbergen.
 
Macht Seymour Hersh Fehler?
 
Selbstverständlich. Jeder macht Fehler, ganz besonders in meinem Job. Ich glaube nicht daran, dass auch nur eine einzige von mir geschriebene Story perfekt ist. Wann immer man schreibt, macht man Fehler. Ich stehe dazu, subjektiv zu sein, aber was ich schreibe, ist nie unfair und hält realistischer Kritik stand. In meinem aktuellen Buch beschreibe ich auch einige meiner Fehler. Zum Beispiel lag ich einmal falsch mit der Anzahl an Hubschraubern. Ich schrieb, es waren neun, aber in Wirklichkeit war es nur einer. Da versuchte man einen grossen Skandal draus zu machen. Okay, solche Fehler sind nicht schön, aber sie ändern an der Gesamtaussage der Story absolut nichts.
 
Bush nannte Sie einen Lügner. Richard Perle wähnte Sie dem Terrorismus nahe. Wie gehen Sie mit Kritik aus dem Regierungslager um?
Ich möchte dem entgegenhalten, dass ich allein in den letzten Tagen mit drei wichtigen Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde. Neben all der zitierten Kritik dürfen Sie nicht vergessen, dass ich enorme Unterstützung für meine Arbeit nicht nur in der amerikanischen Öffentlichkeit bekomme.
 
In den späten Sechzigern hatten Sie eine kurze Karriere bei den Demokraten. Sind Sie nach wie vor auf deren Seite?
Na klar. Ich bin ganz eindeutig für Kerry und gegen Bush. Unglücklicherweise war Clinton ein schlechter Präsident und Kerry ein lausiger Kandidat. Aber Kerry wäre für Amerika und die Welt viel besser gewesen. Diese persönliche Einstellung erlaube ich mir. Beruflich behandle ich die Regierungen aber immer wie ein Doktor einen Patienten. Welcher Partei der zugehört, ist mir egal. Allein der Fakt, dass ich eine politische Einstellung habe, macht mich beruflich noch vorsichtiger, eben weil ich deshalb immer angreifbar bin.
 
Wenn es nicht die politische Überzeugung ist, was ist dann Ihre Hauptmotivation?
Das ist eine schwierige Frage. Unschwer sich vorzustellen, dass jemand wie ich, der zu einer so öffentlichen Person geworden ist, all die Preise, den Dank, den Reichtum, den Ruhm mag, der mit der Arbeit einhergeht. Wer würde das nicht mögen? Aber unter all dem sehe ich als Fundament meines Tuns ganz einfach die Aufgabe, die Mächtigen an den höchsten demokratischen und humanistischen Standards zu messen. Nichts anderes tue ich. Die Mächtigen sollen wissen, dass sie da draussen von jemandem kontrolliert werden.
 
Mögen Sie es, jemanden festzunageln? Ist es die Aggressivität, die erfolgreiche investigative Journalisten brauchen?
Vielleicht. Gerade stecke ich wieder in einer sehr komplexen Geschichte. Bei solchen Stories macht es mir einen Heidenspass herauszufinden, was gespielt wird. Bei fast jedem Kontakt zu Leuten der UN, zum MI6 oder zu deutschen Spezialeinheiten bekomme ich neue Informationen, Namen, Kontakte. Stück für Stück puzzle ich mir so das grosse Bild zusammen.
 
Warum hat der US-Journalismus die Kriegsrhetorik der Bush-Regierung so kritiklos übernommen und verstärkt?
Offensichtlich waren viele viel zu passiv. Aber ich bin nicht derjenige, der hier grosse Reden schwingen möchte und alle und alles kritisiert. Das wäre prahlerisch, weil ich für meine jüngsten Arbeiten etliche Preise bekommen habe. Immerhin gab es auch sehr gute, kritische Reporter bei der Washington Post, der Los Angeles Times oder auch im Knight Ridder. Dort sind einige sehr gute, hintergründige Stücke veröffentlicht worden.
 
Eine letzte Frage: Ist es derzeit für einen amerikanischen Journalisten schwer zu sagen: Ich bin gegen diesen Krieg?
 
Na klar. Ich bin ganz eindeutig für Kerry und gegen Bush. Unglücklicherweise war Clinton ein schlechter Präsident und Kerry ein lausiger Kandidat. Aber Kerry wäre für Amerika und die Welt viel besser gewesen. Diese persönliche Einstellung erlaube ich mir. Beruflich behandle ich die Regierungen aber immer wie ein Doktor einen Patienten. Welcher Partei der zugehört, ist mir egal. Allein der Fakt, dass ich eine politische Einstellung habe, macht mich beruflich noch vorsichtiger, eben weil ich deshalb immer angreifbar bin.
 
Interview: Lutz Mükke
 
 Seymour Hersh ist einer der angesehensten US-amerikanischen Journalisten überhaupt. Er hat zwei der grössten Skandale der jüngeren Geschichte der USA aufgedeckt: das Massaker von US-Soldaten in My Lai in Vietnam 1968 und jetzt die Folterungen irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib. Hersh hat soeben den Preis "für die Freiheit und Zukunft der Medien" der gemeinnützigen Medienstiftung der Sparkasse Leipzig erhalten. Das Interview druckt die "Frankfurter Rundschau" in Kooperation mit der Zeitschrift "Message" ab."Message" ist eine internationale Fachzeitschrift für Journalismus, in der renommierte Autoren über aussergewöhnliche Recherchen, journalistische Fehlleistungen und aktuelle Trends berichten. "Message" will einen Beitrag zur Qualitätssicherung leisten und insbesondere den investigativen Journalismus stärken. Herausgeber der Quartalszeitschrift ist Journalistik-Professor Michael Haller von der Universität Leipzig; fr www.message-online.com