Anmerkungen zum Gipfel der G-20 in London - Von Doris Auerbach

Die Presseberichte quollen einmal mehr von neuerlichen Versprechen der Staats- und Regierungschefs über. Wir haben uns längst daran gewöhnt, diese in immer gleicher Form zu hören, ohne daß sie bislang greifbare positive Effekte gezeitigt hätten.

Man kennt sie sozusagen schon auswendig, wird doch bei den jährlichen Versammlungen des WEF in Davos mit schöner Regelmäßigkeit dasselbe verkündet. Die Summen, die man jetzt für die zerrütteten Verhältnisse auf diesem Globus bereitzustellen gedenkt, steigern sich ins Unermeßliche. Nicht, daß dies irgendwelche Bedenken bei den sich mit strahlenden Mienen präsentierenden Entscheidungsträgern ausgelöst hätte, geschweige denn, daß man die Tatsache, daß in den Kassen der hochverschuldeten kreditgebenden Länder auch nicht eine einzige der so überaus großzügig veranschlagten Milliarden, die in die ebenfalls ewig gleichbleibend verschuldeten Empfängerländer fließen sollen, vorhanden ist, auch nur berührt hätte; die Presse vermied es natürlich ebenfalls, hierauf einzugehen. Die jetzt gesprochenen Milliarden können folglich nur in Form einer zusätzlichen Verschuldung der zahlenden Nationen aufgebracht werden. Es ist nicht  nachvollziehbar, daß sich offenbar jeder scheute, diesen Fakt auf den Tisch zu legen. Es fragt sich ferner, ob noch ein einziger Staatschef die Überlegung anstellt, inwiefern die unablässig anwachsende Verschuldung der Geberstaaten, für die immense Zinsen aus dem Steueraufkommen zu entrichten sind, auf die Dauer gesehen überhaupt noch Steuereinnahmen für die Infrastruktur des Landes übrig läßt. Wenn ja, können diese nur noch so knapp ausfallen, daß diese zwangsweise darunter leiden muß. Die sogenannten industriellen Staaten haben bereits Milliarden für die Länder der dritten Welt aufgebracht, wovon bislang für jeden sichtbar nur der kleinste Teil bei den Arrmen angekommen ist; hingegen sind davon in unzähligen Fällen Millionen in die Taschen von Despoten und in die der Kriegsmaschinerie gewandert. Wie sonst hätten sich die Waffenlieferungen an die am wenigsten entwickelten Empfängerländer im Zeitraum von 2003 bis 2006 von 65 Millionen € auf 252 Millionen steigern können.  
 
Es ist ferner stark zu bezweifeln, ob der jeweils abzuliefernde Verwendungsnachweis bei der in zahlreichen Empfängerländern gegebenen grassierenden Korruption je korrekt ist. Wir finanzieren quer durch Europa ein Heer von Abgeordneten, einschließlich eines hochgradig kostspieligen EU-Parlaments. Wieso also bleibt die Lage in den Drittweltländern immer gleich? Wo ist überhaupt noch eine Kontrolle gegeben? 2006 stand fest, daß allein Afrika  von 1980 an etwa 500 Milliarden $ an internationaler Hilfe erhalten hat. Wo sind diese  geblieben? Die Erkenntnis, daß dem Anwachsen der praktisch nie mehr tilgbaren Verschuldung allein der EU-Länder unverzüglich Einhalt geboten werden müßte, ist nirgends spürbar. Der frühere Schweizer Spitzendiplomat Franz Blankart erklärte beispielsweise bezüglich der zu erwartenden Folgen des Gipfels: Schließlich ist aber die Erwähnung der Schweiz auf der Grauen Liste weniger beunruhigend als das Maßnahmenpaket im Wert von 1000 Milliarden $, das die G-20 beschloß. »Die Weltwirtschaft wird dadurch eine gewaltige Inflation erleben, was wiederum Steuererhöhungen zur Folge haben wird.« Aus der Sicht von Strategic Alert  handelte es sich bei dem Gipfel ausschließlich um nutzlose monetaristische Vorschläge 1: »Das Grundproblem hinter allen Vorschlägen dieser Art ist, daß es sich um eine bloße Manipulation von Geld handelt, aber die reale Wirtschaft, von der die Menschheit lebt, außer acht gelassen wird.« In London hatten im Vorfeld des Gipfels unter dem Motto »Put People first« am 28. März 135.000 Menschen demonstriert. »Nichts an dieser Rezession ist unausweichlich. Sie wurde von den Regierenden direkt geschaffen. Sie ist das Ergebnis einer Ideologie, die dem Markt freies Spiel ließ und öffentliche Dienstleistungen in Profitzentren verwandelt hat«, erklärte Brendan Barber, der Generalsekretär des TUC (des Gewerkschaftskongresses) in einer Rede. Mit 1000 Milliarden $ also soll nun die Welt gerettet werden. Wie es hieß, zeigte sich die deutsche Kanzlerin begeistert - auch wenn diese Unsumme ihre eigenen Steuerzahler zu ersticken droht. Soviel für das Bewußtsein, das hinsichtlich der Verantwortung für das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung vorhanden ist.
 
Der Gipfel hatte einen weiteren, in meinen Augen absolut makabren Aspekt: Die Londoner Polizei mußte sich auf den größten und teuersten Einsatz ihrer Geschichte vorbereiten. Auf rund 10 Millionen £ wurde allein das Sicherheitsaufgebot veranschlagt, 50 Mio. £ verschlang der gesamte Gipfel. Der 66jährige Pofessor für  Anthropologie  Chris Knight stellte einen der anläßlich der Demonstrationen in Erscheinung tretenden vier apokalyptischen Reiterdar. Diese stehen laut Knight für Krieg, Klimachaos, Wirtschaftsverbrechen und Obdachlosigkeit. Die University of East London suspendierte ihn vorläufig vom Dienst. Dieses Risiko hatte Knight offenbar einkalkuliert: »Wenn Gordon Brown dafür seinen Job verliert, hat sich der Aufwand gelohnt«, erklärte er. Knight hatte vergangenen Dezember die G 20 Meltdown [Kernschmelze], eine Anti-Globalisierungsgruppe, gegründet. Zu den zu treffenden  Sicherheitsmaßnahmen, die in dieser Form nicht einmal im Zeitalter des Absolutismus erforderlich waren, erschien in BBC online 2 folgender Kommentar: »Die hohen Kosten sind der Preis für die Demokratie.« Wie sich die gegenwärtig von den Regierenden praktizierte Demokratie auswirkt, wird damit treffend charakterisiert. Aber auch das wollen unsere Politiker nicht wahrhaben, es wird ganz einfach verdrängt. Hoffentlich nicht bis zu dem Punkt, an dem ihr Kartenhaus endgültig zusammenbricht, zu unser aller Schaden.
 
Wie die Lage insgesamt zu beurteilen ist, geht aus folgendem, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Interview hervor:
 
Der G-20-Gipfel wird nichts bringen
Christof Leisinger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 3 führte bezüglich des Londoner Treffens ein Gespräch mit Sean Corrigan, dem Chefstrategen von Diapason Commodities:  
 
Bezüglich der Frage, ob wirklich zu erwarten wäre, daß mehr als eine wachsweich formulierte Verlautbarung herauskäme, auf deren Basis die Akteure dann heimkehren und tun könnten, was sie sowieso zu tun beabsichtigten, zeigt sich Sean Corrigan Corrigan skeptisch: Es könne nicht sinnvoll sein, ein zerbrochenes System wiederbeleben zu wollen, erklärt er. Die Diskussionen über Regulierung und Steueroasen seien im Kern ein Ablenkungsmanöver. Es gehe nur darum, Sündenböcke für eigenes Versagen zu finden. Zu viele Staaten hätten sich zudem vom Idealbild als Diener seiner Einwohner entfernt. Längst sei das Gegenteil der Fall: Die Arbeitsnehmer seien zum Lehnsgut des Großen Kollektivs verkommen.
 
Die Finanz- und Rohstoffmärkte scheinen einen Boden auszubilden. Was machen Sie daraus, würden Sie jetzt kaufen?
S.C.: In den letzten Monaten des Jahres 2008 haben sich die Rohstoffpreise im Verhältnis zum Welthandelsvolumen stärker unterentwickelt, als sie im Rahmen der extremen Preissteigerungen bis zum Juli des vergangenen Jahres nach oben »übergeschossen« waren. Seitdem haben sie sich im Kern seitwärts entwickelt. Die erste große Preisbewegung wird jedoch dann kommen, wenn die Stimmung in Sorgen über die mittelfristigen Konsequenzen der enormen monetären und fiskalischen Überreizung für den realen Wert des Geldes umschlägt. Es ist klar, daß jeder nach guten Gründen sucht, die für Aktien sprechen. Zum Beispiel Bedenken, die offizielle Wirtschafts- und Finanzpolitik könnte den Wert von festverzinslichen Wertpapieren belasten. Ähnlich wie bei Rohstoffen läßt sich der Kauf im Moment jedoch nur mit der Vorwegnahme von klaren Signalen erklären, die auf eine Verbesserung der realwirtschaftlichen Aktivitäten hinweisen könnten.
 
Die Führer der 20 führenden Wirtschaftsmächte haben sich in London versammelt, um »globale Lösungen für globale Probleme« zu finden, wie es heißt. Kann daraus mehr als eine symbolische Geste werden?
S.C.: Es ist schwer, nicht zynisch zu werden. Denn die ganze Übung dürfte vor allem aufgrund einfacher, innenpolitischer Gründe durchgeführt werden. Das gilt speziell für den übereifrigen Herrn Brown. Kann wirklich jemand erwarten, daß mehr als eine wachsweich formulierte Verlautbarung herauskommen kann, auf deren Basis die Akteure heimkehren und tun können, was sie sowieso zu tun beabsichtigten?
 
Kann es sinnvoll sein, ein zerbrochenes System, das im Kern das Resultat leicht verfügbaren Geldes, Gier, Verschuldung, Preisblasen, Überkonsums, asymmetrischer Anreizsysteme, manipulierter Wechselkurse, fehlgeleiteter Regulatoren und verschlafener Politiker war, wiederbeleben zu wollen?
S.C.: Nicht wirklich. Niemand will der schrecklichen Wahrheit ins Auge sehen, daß sowohl unsere monetären Systeme als auch ihre Interaktionen mit den populistischen Staatsgebilden die Ursachen für unsere gegenwärtigen Leiden sind. Es ist kaum möglich, redliche Geschäfte zu tätigen und eine anständige Politik zu machen, wenn beide ihre Verbindlichkeiten mit unlauteren Geldern bezahlen können.
 
Die Krise könne mit tiefen Zinsen, unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen und der Ausgabe Kredit finanzierte öffentlicher Gelder gelöst werden, erklären viele Ökonomen. Kaufen Sie solche Argumente?
S.C.: Selbst wir Anhänger der Österreichischen Schule, die wir oft als Liquidatoren verhöhnt werden, sehen wenig Sinn in einer destruktiven, vom Finanzbereich angeführten Deflationsspirale. Allerdings ist es in unseren Augen gefährlicher Unsinn, die Bewahrung des Bankensystems mit der Rettung der größten, der bestechlichsten und der unverantwortlichsten Banken gleichzusetzen und die Folgen des Überkonsums sowie der Überschuldung mit mehr von demselben kurieren zu wollen.
 
Solche Ansätze mögen zur Lösung einer Liquiditätskrise beitragen können. Haben wir es jedoch nicht mit einer Bonitätskrise zu tun?
S.C.: Ja, so ist es. Banken, die nur einen kleinen Teil der Einlagen als Reserve halten, sind inhärent insolvent.
 
Führen Versuche, die Restrukturierung von Schulden zu vermeiden, indem man Billionen an öffentlichen Mitteln ausgibt, nicht dazu, daß sich der wirtschaftliche Abschwung verlängert?
S.C.: Das Risiko ist sehr groß. Wenn sich der Staat zu stark in das wirtschaftliche Geschehen einmischt, sei es in Form des Zugriffs auf die Ersparnisse der Bürger oder indem er Gewinner und Verlierer im wirtschaftlichen Überlebenskampf auf Basis opportunistischer politischer Argumente wählt, riskiert er, wahre Unternehmer zu demotivieren. Dagegen wird ein ganzer Stall saugender Kälber genährt, die nie wieder richtig von der Muttermilch - dem Geld anderer - entwöhnt werden können.
 
Das Risiko bestehe im Moment eher darin, daß Notenbanken und Regierungen zu wenig täten und »eine kleine fiskalische Expansion zeigt auch nur eine kleine Wirkung«, heißt es allgemein. Wie sieht es jedoch mit einem fiskalischen und monetären Overkill aus?
S.C.: Ich denke, das ist das größere Risiko. Das Geldangebot wächst schon mit unglaublichen Raten in China, den Vereinigten Staaten und in ganz Westeuropa, bevor die Effekte der unkonventionellen monetären Maßnahmen - sprich: dem Drucken von Geld - spürbar werden. Auf diese Weise bauen sich möglicherweise gewaltige Probleme für die Zukunft auf.
 
Kann es sinnvoll sein, die Verschrottung von Autos zu subventionieren - oder ist es populistischer Unsinn, in dessen Rahmen öffentliche Gelder kurzfristig für eine reife Industrie verschwendet werden, die sich durch riesige Überkapazitäten auszeichnet und die bald danach mit deutlichen Nachfrageausfällen konfrontiert sein wird?
S.C.: Diese Maßnahme zeigt doch vor allem eines: Wenn der Preis für ein Produkt stimmt, so gibt es dafür eine ernorme Nachfrage - was nur Keynesianer bezweifeln könnten. Das heißt, die Wirtschaft würde sich rasch beleben, wenn man Preisrückgänge zuließe. Dann würden sich Auto-, Häuser-, Klamotten-, Erz- und Maschinenbaumärkte rasch selbst bereinigen.
 
Verzerren fiskalische und monetäre Stimuli, sofern sie den Weg in die Realwirtschaft tatsächlich finden, nicht die effiziente Allokation von Kapital?
S.C.: Natürlich. Der Abwurf von Geld aus dem Helikopter ist ein Mythos. Entscheidend ist, wer das Geld zuerst erhält und wie er es verwendet, wie Richard Cantillon schon vor 300 Jahren erklärt hatte. Regierungen können nicht einfach den vor der Krise herrschenden Zustand wiederherstellen - etwas, was sowieso nicht ratsam wäre.
 
Offensichtlich ist mehr Regulierung nötig. Wer aber sollte genauer überwacht werden: Banken, Versicherungen, Hedge-Funds, Ratingagenturen?
S.C.: Die Diskussionen darüber sind im Kern Ablenkungsmanöver. Man muß Banken und Finanzunternehmen lediglich denselben Eigentumsrechten unterwerfen wie sie für andere Unternehmen oder Privatpersonen gelten. Außerdem sollte man ihnen das bisher legale Privileg wegnehmen, unser Geld über die Vergabe ungesicherter Kredite zu panschen. Ferner sollten alle staatlichen Stützungsmaßnahmen abgeschafft werden. Das würde Unternehmen dazu zwingen, ihre Kunden alleine durch Vertrauenswürdigkeit sowie gute Produkte und Dienstleistungen zu überzeugen - gerade so, wie BASF oder BMW es tun. Sollte man sich dazu durchringen, würden die Torheiten der vergangenen 25 Jahren von selbst verschwinden.
 
Wer sollte das tun und wie? Supranationale Einheiten wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)?
S.C.: Das klingt idealistisch. Das Problem ist jedoch erstens, daß sich das Personal solcher Institutionen ebenso aus der etablierten politischen Elite rekrutiert wie der Rest. Zweitens hätten sie keine effektiven Mittel, um disziplinierend wirken zu können.
 
Und wer wird dafür sorgen, daß die öffentlichen Schulden nicht weiter explodieren?
S.C.: Die Politiker und ihre Kernunterstützer profitieren am meisten davon. Der Rest von uns wird die Zeche zahlen müssen, da können der IWF oder die BIZ noch so deutlich mit den Fingern wackeln.
 
Es wird auch viel und prägnant über Steueroasen geredet. Wäre nicht gerade der Steuerwettbewerb zwischen Staaten die effizienteste Methode, um für Disziplin in den öffentlichen Finanzen zu sorgen?
S.C.: Diese Diskussion ist einfach nur populistisch. Es geht nur darum, einen Sündenbock für das eigene Versagen zu finden. Viel zu wenige Staaten vertrauen darauf, daß Unternehmen bei erfolgreichem, profitablem Wachstums nicht nur den Lebensstandard der Anteilseigner verbessern, sondern auch den der Allgemeinheit. Die Argumentation, es gebe keine legalen Möglichkeiten, um die Verpflichtung der Bürger zur Zahlung von Steuern und Abgaben zu minimieren, zeigt nur, wie weit wir uns vom Idealbild des Staates als Diener seiner Einwohner entfernt haben. Längst ist das Gegenteil der Fall: Unsere Arbeitskraft ist längst zum Lehnsgut des Großen Kollektivs geworden. 
   
1 Strategic Alert, 23. Jahrg., Nr. 14 vom 1. April 2009
2 The high cost [of the security operation] is the price of democracy 3.4.09
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/7978105.stm
3 Der Gipfel wird nichts bringen; Christof Leisinger im Gespräch mit Sean Corrigan
http://www.faz.net/s/RubE5198A70F9CC403C9692A6775BF51A19/Doc~EF7E67DA7FC60428B9ED06F04092CE444~ATpl~Ecommon~Sspezial.html  2. 4. 09 Hervorhebungen durch politonline