Zur Lage von Opel

Wie gestern bekannt wurde, sind die 25.000 Opel-Mitarbeiter zu Kürzungen ihrer Gehälter bereit, um »ihren Arbeitgeber zu retten.« Der Betriebsrat will die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld zur Diskussion stellen.

Fallen diese Beträge weg, kann das die Opel- Beschäftigten im Schnitt mehr als 4000 € von ihrem Einkommen kosten. Inmitten des ganzen Finanzchaos ist dies als bemerkenswerter Schritt zu bezeichnen, der nicht unbeachtet bleiben sollte. Das Verzichtsangebot, legt die Welt dar 1, ist von der Gründung einer eigenständigen, europäischen Opel AG mit Sitz in Rüsselsheim und Zugang zu allen globalen Märkten abhängig. Die Verhältnisse bei Opel wurden bereits in »Verarmung als Ziel?« kurz angesprochen. Was sich in diesem Unternehmen im einzelnen abgespielt hat, lässt sich dem nachfolgenden Artikel entnehmen 2.
 
Wie Opel von General Motors leergesaugt wird - Von Thomas Delekat
Der Konzern-Tausendfüßler aus Detroit hat nur noch ein einziges gesundes Bein - und das ist Opel. Trotzdem steht der deutsche Autobauer mit dem Rücken zur Wand. Exklusiv für WELT online erklärt ein anonymer Insider, wie der US-Konzern seine Tochter systematisch aussaugt.
 
Wissen Sie, ich kriege einen Haß, wie GM uns ausgehöhlt, geplündert, leergeräumt hat. Wie die uns um unsere Patente beschissen haben! Beschissen, anders kann ich’s nicht sagen. Eines Tages kamen GM-Leute aus Detroit und sagten, wir wollen jetzt alle eure Entwicklungen, Patente, das ganze Know-how. Das kriegen wir jetzt, bitte, und damit es rechnerisch fair zugeht, sagten die, gibt’s im Gegenzug Schuldverschreibungen von uns. Jetzt liegen unsere Patente also bei GM, und für jedes Auto, das wir bauen, zahlen wir Gebühren an die. Muß ich erwähnen, daß Opel nie einen Cent für seine Patente gesehen hat? Dasselbe gilt für die Konstruktionszeichnungen unserer Autos. Maße, Toleranzen, Materialien, die ganze Blaupause. Das ist entscheidender als ein Patent, es steckt ein wahnsinniges Entwicklungsgeld da drin. GM nimmt das für lau. Sie nutzen das für ihre anderen Marken, in vielen Ländern, bei zahllosen Modellen.
 
Mit den Konstruktionsplänen unseres Insignia baut GM einen Buick, einen Chevrolet, einen Pontiac und in Australien einen Holden, ein chinesischer Ableger ist in Vorbereitung, insgesamt sind es acht Marken. Alles mit unserer Konstruktion, alles mit unserem Know-how.  Genau so wird das auch mit dem neuen Astra gehen, der im Herbst auf den Markt kommt. Wie finden Sie das? Die saugen uns aus, die fressen uns leer. Allein im letzten Jahr haben wir an GM 650 Millionen € überwiesen. Wofür? Nur für Gebühren von unseren eigenen Patenten. Es gibt bei GM eine strategische Planung. Da legen die fest: welche Motoren, welche Karosserietypen brauchen wir in fünf Jahren. Dann wird global verteilt. Das da wird in Rüsselsheim gemacht, das in Detroit und das geht nach Asien. Beim kleinen Opel Agila hieß es beispielsweise, den baut ihr nicht in Rüsselsheim, das ist für euch kein business case, zu hohe Kosten, zu geringe Stückzahlen. Das macht ihr mit jemandem zusammen, und zwar mit Suzuki. Und wieso? Weil GM damals 20 % Anteile an Suzuki hatte. Das ist technisch wie kostenmäßig eine schwachsinnige Entscheidung gewesen. Aber Detroit hat’s beschlossen, wir hatten die Klappe zu halten, obwohl wir das Auto besser und billiger hingekriegt hätten, mit einem naheliegenden Partner unserer Wahl. Peugeot zum Beispiel oder Renault.
 
1992 fing das mit dem GM-Globalisierungswahn an. Irgendwann später bereisten Unternehmensberater das weltweite GM-Imperium. Sie erstellten eine Expertise, welches Entwicklungszentrum das wettbewerbfähigste sei. Das wurde ein kurzer Prozeß: es war Opel in Rüsselsheim. Da wurde aus unserem Technischen Entwicklungszentrum das Internationale Entwicklungszentrum und es hieß, ihr seid jetzt für alles verantwortlich. Alles weltweit, auch Korea. Nur die USA machen wir selber, sagte GM. Diese Aufteilung hat zwar nicht funktioniert. Aber man muß sagen, aus GM-Sicht war das eine prima Entscheidung.
 
Koreanische Kupplungsprobleme beim Opel Antara
Der Chevrolet Captiva zum Beispiel heißt in Deutschland Antara, wird aber in Korea gebaut. Gleich nach dem Start mußte das Auto wieder in die Entwicklung zurück. Warum? Die koreanische Kiste hatte ein Anfahrproblem, weil die Jungs in Korea die Kupplung nicht richtig im Griff hatten. Das haben wir dann für sie lösen müssen. So eine last minute-Aktion, damit das Auto wieder verkauft werden kann. GM setzt in China oder Korea Werke hin, um dort unsere Autos oder Motoren nachzubauen. Und wir bringen denen dann das Laufen bei. Jetzt stellen Sie sich mal vor, eine Telefonkonferenz mit Koreanern, Amerikanern und uns. Das sind Typen! Da sind Amerikaner ein Traum. Mir wird schlecht, wenn ich höre, was die für Fragen stellen. Meßtechnik! Grundlagen! Und was geht uns das an, wenn GM ein Werk in Fernost nicht zum Laufen kriegt? Was Opel das kostet! Aber das Härteste war: GM hat verfügt, daß die Leute von Daewoo bei uns ein- und ausgehen dürfen. Ihr gebt denen alles, sagte GM. Wir waren entsetzt.
 
Inzwischen sehe ich das gelassen. Selbst mit den Plänen in der Hand läßt sich das Know-how nicht kopieren. Der neue Insignia, der künftige Astra - die beiden sind produktionstechnisch zwei Meisterwerke. Man kann sie auf denselben Bändern bauen. Machen Sie sich klar: Zwei Autos, grundverschieden, bei völlig unterschiedlicher Größe, aber sie rollen von derselben Fertigungsstraße. Wir könnten sie sogar über verwandte GM-Linien in den USA laufen lassen. Dasselbe steht bei den Minivans Zafira und Meriva bevor. Damit sind wir schneller, flexibler, kostengünstiger. Es gibt nur wenige Hersteller, die das konstruktiv beherrschen. Produktionstechnisch und von den Modellen her ist Opel erstklassig aufgestellt. So gut, so kostengünstig waren wir noch nie.
 
Von GM zur falschen Modellpolitik gezwungen
Opel hat momentan 8 % Marktanteil; in Ordnung ist das nicht. Jahrelang haben uns GM-Manager zu einer falschen Modellpolitik gezwungen. Aber am schlimmsten haben uns die Qualitätsprobleme heruntergerissen. Das war grauenhaft. Was haben wir uns geschämt. Furchtbar. Eines Tages kamen wieder die Leute von GM und erzählten uns, was sie so unter Qualität verstünden. Rostige Längsträger im Astra beispielsweise. »Na und?«, sagten die, »der fährt doch.« Das deutsche Management ballte die Fäuste in den Taschen. Nagelneue Astras mit Flugrost in den Traversen, wegen ein paar Cent Hohlraumversiegelung! Völliger Wahnsinn. Wir hätten’s nicht akzeptieren sollen. Alle. Aber revoltieren Sie mal gegen die oberste Firmenleitung. Das macht doch niemand, auch wir haben das nicht geschafft.
 
Volkswagen kriegte kurz darauf dasselbe Qualitätsproblem wie wir, und beide Male hatte das denselben Namen - Ignacio Lopez. Unter windigen Umständen war der von Opel zu VW gewechselt. Kurz danach ging es auch bei denen bergab. Bloß daß VW sich durchmogeln konnte, ohne Imageverlust, ohne Einbrüche am Markt. Ab 1994 ging es mit Opel richtig in die Tiefe, miese Qualität, mieses Image. Das Symbol dafür war der Omega B. Es gab harte, glasklare Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit. Aber was tat GM? Die ließen sich sechs Jahre Zeit. Erst dann dämmerte es ihnen, daß sie Opel bis kurz vors Ende getrieben hatten.
 
Diese Zeit von damals ist heute das Rüsselsheimer Trauma. Es macht sich niemand eine Vorstellung davon, was Opel vor der kleinsten Schludrigkeit für eine Panik hat. Wir testen vorwärts und rückwärts, bis zum Exzeß. Ich finde das ja paranoid, was die da treiben. Das geht zu weit. Aber dann müssen Sie wissen, wie klein die Autowelt doch ist. Alle kennen sich untereinander, und da ist es doch schön, wenn die Kollegen von Audi beim Bier erzählen, sie hätten gerade in Ingolstadt unseren Astra zerlegt. »Und? Wie war’s?« »Wow!«  sagten die. »Wahrhaft Extraklasse-Qualität. Wie macht ihr das mit euren Kosten?«
 
Auch die Langzeittests der Fachzeitschriften sind phantastisch. AutoBild hat es auf den Punkt gebracht, mit einem Zitat aus vergangenen Tagen: Opel, der Zuverlässige. Darin haben wir es inzwischen weiter gebracht als VW. Mit einigen Modellen haben wir sogar Toyota-Standard erreicht. Allerdings, im Finish, in der Anmutung und den Innenraum-Materialien ist VW uns noch voraus. Da bin ich immer wieder platt, was die für eine Liebe zum Detail entwickeln. Aber auch da ist GM uns in den Rücken gefallen.
 
1 http://www.welt.de/wirtschaft/article3414828/Opel-Mitarbeiter-wollen-auf-100-Millionen-verzichten.html  20.3.09 Opel-Mitarbeiter wollen auf 100 Millionen verzichten
2 http://www.welt.de/motor/article3357373/Wie-Opel-von-General-Motors-leergesaugt-wird.html   11. 3.  09