Weiterers zur Finanzkrise

Glaubt man einem der britischen Tageszeitung »The Daily Telegraph« dieser Tage zugespielten Geheimbericht der Europäischen Kommission in Brüssel, schreibt Rainer Rupp, dann ist nicht nur das US-amerikanische, sondern auch das europäische Bankensystem so gut wie pleite [1].

In dem hochbrisanten, 17 Seiten umfassenden Bericht schätzten EU-Finanzexperten nämlich, daß 44 % der Vermögenswerte aller europäischen Banken, die in den Büchern noch mit 18,3 Billionen € bewertet werden, in Wirklichkeit »hochgiftige« Schrottpapiere sind. Dazu gehören auch Kredite in Höhe von einer Billion $, die hauptsächlich von EU-Banken in halsbrecherischer Weise an Osteuropa vergeben wurden, um dort Immobilienblasen und den Konsum der neuen Eliten zu finanzieren. Angesichts des Zusammenbruchs der realen Wirtschaften in den Ländern des »Neuen Europas« dürften auch diese Kredite nicht mehr viel mehr Wert als Schrott haben. Dies wiederum droht, bislang relativ gesunde EU-Länder in die Krise zu stürzen, wie z. B. Österreich. Die Banken der Alpenrepublik haben Osteuropäern so viele Kredite gegeben, daß diese 80 % des österreichischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) übersteigen. Eine weitere akute Gefahr geht laut dem EU-Papier von den europäischen Industriekonzernen aus, deren gemeinsame Schulden sich auf 95 % des BIP der EU addieren. Das wäre weitaus mehr als bei ihren Konkurrenten in der USA, deren Schulden sich lediglich auf 15 % des BIP der USA belaufen. Das angeblich für die EU-Finanzminister vorbereitete EU-Dokument beschwört die akute Gefahr eines systemischen Zusammenbruchs des gesamten EU-Bankensystem, falls z.B. kleinere Mitgliedsländer nicht mehr in der Lage sind, ihren Banken unter die Arme zu greifen. Der Zusammenbruch einer Bank in einem Land könnte schnell auf das ganze EU-Bankensystem übergreifen.
 
Damit sind die Regierungen der EU-Mitgliedsländer vor schier unlösbare Probleme gestellt 2. Diese legen sich wie eine immer enger werdende Schlinge um den Hals der europäischen Banken und ziehen womöglich die zunehmend uneinige EU auch in den Abgrund. Bereits eine Bankhilfe von »nur« 1 Billion €, also 1.000 Milliarden, ist an den internationalen Finanzmärkten nur schwer und ganz bestimmt nicht schnell zu beschaffen. Hinzu kommt der Kreditbedarf der USA. Allein aufgrund der bereits eingegangenen Verpflichtungen muß die US-Regierung in diesem Jahr Schatzbriefe im Höhe von mindestens 2,5 Billionen $ auf den internationalen Kreditmärkten verkaufen, wenn sie weiterregieren will. Wer aber hat soviel Geld? [Anmerkung politonline: Und wer setzt überhaupt noch soviel Vertrauen in das Land, um gewillt zu sein, US government bonds zu kaufen?] Die großen Überschußländer wie Japan, China, Rußland und die arabischen Golfstaaten, die in der Vergangenheit die Einnahmen aus ihren Exportüberschüssen in US-Dollar- oder Euro-Schatzbriefen anlegten, leiden in diesem Jahr selbst unter großen wirtschaftlichen Problemen. Im besten Fall werden sie 2009 Überschüsse in Höhe von einigen Dutzend Milliarden $ in US-amerikanischen oder europäischen Schatzbriefen anlegen. Woher aber sollen Billionen kommen, um die Banken zu retten? Kein Wunder, daß sich jetzt sogar eingefleischte neoliberale Kapitalisten mit der Idee, Banken zu verstaatlichen, anfreunden. Allerdings müssen bei diesem Ansinnen derzeit bei jedem Bürger die Alarmglocken läuten, denn eine Übernahme der Banken durch die Regierung käme bei der genannten Summe der Bankschulden einem Staatsbankrott gleich. Der Ausweg aus diesem Dilemma: Die maroden Banken müssen kaputtgehen. Eine staatliche Absicherung der kleinen Bankeinlagen kann die Sparguthaben retten. Der Staat übernimmt von der Insolvenzverwaltung das, was von den Banken übrigbleibt, um mit neuen, schuldenfreien Banken neu anzufangen. Verlierer wären in diesem Fall nicht die Steuerzahler, sondern all jene, die im großen Spielkasino mitgezockt haben. Und das ist auch der Grund, weshalb diese Lösung von den Regierungen nicht gewählt wird. Der kleine Steuerzahler ist schließlich dazu da, um geschröpft zu werden. Selbst in der akuten Finanzkrise gibt es immer noch Wege, das Geld von unten nach oben zu verteilen. Außerdem erscheint es nur solidarisch, wenn die Billionen Bankschulden auf Millionen Schultern verteilt und nicht nur von einigen wenigen »Leistungsträgern« beglichen werden.
 
Monetaristen: oder Blinde führen Blinde
Während die Realwirtschaft mit beängstigender Geschwindigkeit zusammenbricht, so Strategic Alert 3, haben einige immer noch nicht den Unterschied zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit - die realen Reichtum für die Bevölkerung schafft - und Plänen, die nur Geld schöpfen und sowohl den Geist wie die Moral der Bevölkerung zerstören, begriffen; oder sie verhalten sich zumindest so. Der rechtsgerichtete think tank Heritage Foundation stellte am 5.2.09 einen Artikel auf seine Internetseite, in dem die Regierung Obama aufgefordert wird, kein Geld in die physische Infrastruktur und in produktive Arbeitsplätze zu investieren, wie dies Franklin D. Roosevelt tat, und fragt: »Was für Arbeitsplätze will man schaffen?« Die Antwort lautet, ob Sie es glauben oder nicht, im Finanzdienstleistungssektor! Um Wohlstand zu schaffen sollten »die vielen Arbeitslosen im Finanzdienstleistungssektor dazu ermuntert werden, auf ihr fachliches Können zu vertrauen und ihre wertvollen Fähigkeiten zur Wiederbelebung und Aufrechterhaltung von Amerikas Finanzsektor und Wirtschaft einzusetzen.« Das heißt, genau das weiterzumachen, was in diese Existenzkrise geführt hat.   Und der Boston Globe titelte am 8.2.: »Videospiel-Technologie könnte Erholung massiv fördern.« Weiter heißt es dort: »Gouverneur Deval Patrick pries bei seiner Reise an die Westküste Massachusetts als das Mekka der Spiele-Technologie der Ostküste. Die  Verlockung ist verständlich. Während andere Bereiche der Wirtschaft Arbeitsplätze abbauen, blühen Firmen für Videospiele auf, weil gierige Investoren Millionen hineinpumpen, um die nächste Generation von Spielen entwickeln zu helfen.« Price Waterhouse sagt voraus, daß im Jahr 2011 49,9 Mrd. $ durch Verkäufe von Videospielen umgesetzt werden, wobei das höchste Wachstum in Asien zu verzeichnen sein würde. [Anmerkung: was nicht unbedingt der Fall zu sein braucht, wirft man einen Blick nach China]
 
Die G7 versäumt es, ein Konkursverfahren oder ein neues Kreditsystem zu starten
Es war nicht zu erwarten, daß bei demTreffen der G7-Finanzminister in Rom am 14. 2. 09 bedeutende Erörterungen über wirksame Maßnahmen gegen die Weltwirtschaftskrise stattfinden würden 3. Die G7 ist nicht handlungsfähig, weil sie als Institution nicht den Nationalstaat verteidigt. Das Überleben der Zivilisation hängt davon ab, daß sich eine ausreichende Zahl von Nationalstaaten zusammentut, um sich gegen das Empire der Globalisierung durchzusetzen. Deshalb brauchen wir eine Einigung zwischen der USA, Rußland, China und Indien, einer Kombination von Nationen, die mächtig genug ist, ein  neues, anti-globalistisches Finanz- und Wirtschaftssystem zu erzwingen. Die Schlußerklärung der G7 reflektiert daher bestenfalls die Bemühungen einiger Länder, sich in diese Richtung zu bewegen, dies mit dem Aufruf, »eine vereinbarte Anzahl gemeinsamer Prinzipien und Standards für die Angemessenheit, Integrität und Transparenz internationaler wirtschaftlicher und finanzieller Aktivitäten zu entwickeln.« Aber diese Formulierung bleibt weit hinter dem zurück, was der Gastgeber des Treffens, Italiens Finanzminister Giulio Tremonti, als  rechtlichen Standard vorgeschlagen hatte: das Verbot von Steuerparadiesen und Derivatinstrumenten. Auch die Erklärung, »eine ordentliche Lösung für die beeinträchtigten Werte zu fördern«, unterläßt es, auf den einzigen Weg zu einer solchen Lösung hinzuweisen, nämlich ein Konkursverfahren, wie es Lyndon LaRouche und Tremonti gefordert haben. In ihren schlimmsten Aspekten unterstützt die Erklärung all die inkompetenten und hyperinflationären Rettungsmaßnahmen, die bisher umgesetzt wurden und die als »prompt und energisch« bezeichnet werden. Aber da sie offensichtlich keinerlei Wirkung hatten, heißt es, daß sich ihre volle Wirkung erst im Lauf der Zeit »aufbauen« wird. Die Erklärung bestätigt die britischen Pläne, dem Finanzstabilitätsforum und dem IWF größere Befugnisse einzuräumen, und verurteiltprotektionistische Maßnahmen, d.h. Versuche, eben jene Globalisierungspolitik zu beseitigen, die die Krise verursacht haben. Zwei Tage vor dem Treffen berichteten Agenturen und Medien in aller Welt über einen langen Artikel Tremontis, in dem dieser, wie die Washington Post schrieb, einen wütenden Angriff auf das amerikanische Rettungspaket führte: »Wenn die Krise keine Liquiditätskrise, sondern eine Insolvenzkrise ist, …... dann besteht die Medizin nicht darin, gescheiterte Banken mit anderen gescheiterten Banken zu fusionieren, sie liegt auch nicht darin, private und öffentliche Schulden zu verschieben oder zu tauschen, ebenso wenig darin, eine künstliche zusätzliche private Nachfrage zu schaffen. Wenn man berauscht ist, dann hilft es nicht, noch mehr Rauschgift zu nehmen.« Erstmals in diesem Zusammenhang verwendete Tremonti den Begriff Chapter 11, ein Hinweis auf das amerikanische Konkursrecht: »Die technische Bezeichnung kann sich ändern, Bad Bank oder Chapter 11, aber die Substanz ist die Gleiche, in eine radikale Trennung des Guten vom Schlechten, des Funktionellen vom Spekulativen eingebettet. Rettet die Familien, die Industrien, den Teil der Banken, der für die Entwicklung notwendig ist. Trennt den Rest ab, packt ihn in ad-hoc-Vehikel, schafft ein Moratorium für Zinsen und Fristen, sterilisiert die entsprechenden Werte in den Bilanzen.« Die römische Zeitung Il Tempo kommentierte: »Tremonti fordert eine epochale Verpflichtung. Es bestehen einige Zweifel daran, daß manche Länder zu Neuem bereit sind, anstatt den ausgetretenen alten Pfaden zu folgen.« Tremonti hatte im übrigen am 18.2.09 bei einer öffentlichen Veranstaltung in Rom die karibischen Steueroasen als »neue Tortugas« angegriffen. Die vor der Nordküste von Hispaniola gelegene, zu Haiti gehörenden Isla Tortuga war einst das Zentrum der karibischen Piraterie. »Es gibt mindestens 40 Plätze auf der Welt, wo die einzige Regel ist, daß es keine Regeln gibt« 4.
 
Anmerkung politonline: Im Grunde genommen wissen das alle Finanzminister dieses Globus, auch der sich selten überheblich gebärdende Peer Steinbrück. Das Thema Steuerflucht figuriert z.B. auch in dem Schreiben an den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz: siehe http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=875
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/02-18/002.php  EU-Geheimpapier: Banken pleite
Von Rainer Rupp
2 http://www.jungewelt.de/2009/02-18/031.php Der Ausweg - EU-Bankensystem ist bankrott Von Rainer Rupp
3 Strategic Alert Jahrg. 23, Nr. 8/9 vom 19. Februar 2009
4 http://www.bueso.de/news/g-7-finanzminister-uber-ausmass-des-giftmulls-europaischen-banken-geschockt   19.2.09