Zur Frage der Solidarität mit Israel

sandte Armin Fiand das nachfolgende Schreiben an die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, an den Vizepräsidenten des Zentralrats, Prof. Dr. Salomon Korn, sowie an Dr. Dieter Graumann:

Sehr geehrte Frau Knobloch, sehr geehrter Herr Professor Dr. Korn, sehr geehrter Herr Dr. Graumann,
 
am letzten Wochenende (10./11. 01. 2009) ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung  und in der Süddeutschen Zeitung (wahrscheinlich auch noch in weiteren Zeitungen, was ich aber nicht weiß), eine von Ihnen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, in Auftrag gegebene  Anzeige erschienen. »Unsere Solidarität mit Israel - Gegen den Raketenterror der Hamas - Für eine Perspektive für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen«. Ich frage mich, was Sie mit dieser Anzeige, die die Dinge auf den Kopf stellt, erreichen wollen. „Solidarität mit Israel« - klar! Aber die  Solidarität, die Sie im Auge haben, werden Sie nicht erreichen. Erreichen werden Sie das Gegenteil. Auch diejenigen, die Israel  bisher wohl gesonnen waren, werden sich jetzt mit Abscheu abwenden, wenn sie feststellen müssen, daß in Wahrheit keine Solidarität mit Israel eingefordert, sondern um Verständnis für die abscheulichen Kriegsverbrechen geworben wird, die die israelischen Streitkräfte seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten tagtäglich im Gaza-Streifen begehen. Diese Verbrechen lassen sich mit eigenen Augen an den Fernsehapparaten verfolgen.
 
Verständnis für die, die solche Kriegsverbrechen anordnen? Verständnis für Kriegsverbrecher der üblen Art, ob sie nun Olmert, Livni oder Barak heißen? Ich glaube, daß  man das in Deutschland nicht mehr erwarten kann, nachdem in den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg nach dem Ende des zweiten Weltkriegs klar und verbindlich für alle Nationen festgestellt worden ist, daß Angriffskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schwerstes kriminelles Unrecht sind, das keine Chance mehr hat, ungesühnt zu bleiben. Es kommt doch nicht darauf an, ob Israel in unregelmäßigen Abständen von militanten Kräften vom Gaza-Streifen aus mit vornehmlich selbstgebastelten Raketen, die allenfalls in der Lage sind, nach dem Zufallsprinzip  irgendetwas oder irgendwen zu treffen, beschossen worden ist. Nach dem Völkerrecht und dem Kriegsvölkerrecht hatte und hat Israel nicht das Recht. auch nicht aus Rache oder als Vergeltung, dermaßen massiv, rücksichtslos und brutal, gegen die Bevölkerung in Gaza vorzugehen, wie das seit nunmehr drei Wochen geschieht. Dem Krieg sind bisher weitaus mehr als 1000 Palästinenser zum Opfer gefallen, davon in der Hauptsache Zivilisten. Über 300 Kinder. Auf israelischer Seite gibt es 13 Tote, drei von ihnen Zivilisten. Drei israelische Soldaten kamen durch das Feuer der eigenen Kameraden ums Leben. Diese Zahlen sprechen für sich. Wie soll man bei diesem Zahlenverhältnis ausschließlich Mitleid mit den Angehörigen der getöteten Israelis empfinden?
 
Ich möchte mich nicht im einzelnen mit allen Argumenten beschäftigen, die Sie in Ihrer Zeitungsanzeige vorgebracht haben, um darzulegen, daß Israel nichts anders tue, als daß es von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch mache. Sie alle ließen sich Punkt für Punkt widerlegen. Einen einzigen Punkt möchte ich herausgreifen. In Ihrer Anzeige heißt es:
Jedes Menschenleben zählt. Jedes Opfer - gleichgültig auf welcher Seite - ist eines zu viel. Es gibt keinen sauberen und ehrenhaften Krieg, der die Zivilbevölkerung schützt, wenn man gegen Terroristen kämpft. Die beiden ersten Sätze entsprechen der üblichen, mittlerweile stark abgenutzten scheinheiligen Floskel,  die vornehmlich von denen bemüht wird, die nichts dabei finden, wenn unschuldige Menschen in einem völkerrechtswidrigen Krieg zu Tode kommen. Frage: Wenn schon ein Opfer eines zu viel ist, warum werden dann Hunderte von Menschen systematisch umgebracht? Der dritte Satz wirft die Frage auf, weshalb die israelische Führung meint, einen unsauberen und unehrenhaften Krieg führen zu dürfen, wenn es, wie es tatsächlich der Fall ist,  keinen Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung gibt. Israel hat die Palästinenser im Gaza-Streifen wie in einem KZ auf engstem Raum zusammengepfercht; das Gebiet ist abgeriegelt. Es gibt kein Entrinnen. Daß alle, die legitimen Widerstand leisten und/oder eine Meinung haben, die von der offiziellen abweicht, Terroristen sind, wissen wir natürlich, seit George W. Bush in den USA als Präsident auch der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte ist.
 
Eingefleischte Antisemiten haben immer behauptet, daß Israel die Geschäfte des Antisemitismus so hervorragend selbst besorge, daß man dafür keine anderen mehr benötige.  Ich war nie ein Anhänger dieser plumpen These. Aber inzwischen kommen mir, wenn ich mir vor Augen führe, auf welche Weise sich Israel überall in der Welt unbeliebt macht, Zweifel, ob an dieser These nicht doch etwas daran ist. Israel bangt um sein Existenzrecht. Mit Recht. Es ist auf dem besten Wege, dieses Existenzrecht durch sein Verhalten selbst in Frage zu stellen. Mir liegt es fern, mich in Angelegenheiten einzumischen, die nur den Zentralrat der Juden in Deutschland etwas angehen. Nur: Ganz so frei ist der Zentralrat in seinen Entscheidungen, soweit es um das Geldausgeben geht, nicht. Der Zentralrat erhält von der BRD auf Grund des mit ihr geschlossenen Staatsvertrages einen Zuschuß in Höhe von jährlich 7.272.000,00  Euro, ursprünglich waren es 4.992.000,00 Euro, dies für die Förderung der jüdischen Gemeinschaft, der christlich-jüdischen Zusammenarbeit sowie des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. In dem erwähnten Staatsvertrag ist folgendes festgehalten: Die Bundesregierung wird zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft und den integrationspolitischen und sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland beitragen. Dazu wird sie den Zentralrat der Juden in Deutschland bei der Erfüllung seiner überregionalen Aufgaben sowie hinsichtlich der Kosten seiner Verwaltung finanziell unterstützen. Israel ist mit keinem Wort erwähnt. Insbesondere ist nicht erwähnt, daß der Zentralrat den Zuschuß verwenden darf, um sich für die Interessen Israels stark zu machen. Nicht anders aber tut der Zentralrat, wenn er sich in Zeitungsanzeigen für die Politik einsetzt, die von der gegenwärtigen israelischen Regierung vertreten und betrieben wird. Die ›Reklame‹ für die israelische Gewalt-Politik entspricht auch nicht den Aufgaben, die sich der Zentralrat selbst gestellt hat.
 
Zu den Aufgaben des Zentralrats zählen (nachzulesen auf den Web-Seiten des Zentralrats), hervorgehoben: »Der Zentralrat verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke.« Die Zeitungsanzeigen kosten Geld. Sie kosten eine Menge Geld. Mir ist nicht klar, woher dieses Geld kommt. Sollte es - ganz oder teilweise - aus dem von der BRD jährlich gezahlten Zuschuß stammen, würde die Mittelverwendung nicht dem im Staatsvertrag  festgehaltenen Verwendungszweck entsprechen. Der Zuschuß wird aus Steuermitteln aufgebracht. Als Steuerzahler  müsste ich mich mit Nachdruck dagegen verwahren, daß von den Steuermitteln in der geschilderten Weise ein unrechter Gebrauch gemacht wird. Die moralische oder solidarische Unterstützung eines Staates, der sich über das Völkerrecht hinwegsetzt und Kriegsverbrechen begeht, liegt nicht im wohlverstandenen Interesse der BRD, die durch ihre Verfassung dem Frieden und der Wahrung der Menschenrechte verpflichtet ist.
 
Sollten die Kosten für die Inserate aus den Beiträgen der einzelnen Mitglieder aufgebracht worden sein, wäre die Verwendung der Mittel auch nicht korrekt, weil sie nicht den Aufgaben entsprechen würde, die der Zentralrat wahrzunehmen hat. Vielleicht gibt zu allen diesen Fragen der Haushaltsplan für 2009 Auskunft, den ich jedoch im Internet nicht gefunden habe, wahrscheinlich deshalb, weil er bisher nicht veröffentlicht worden ist. Der Zentralrat sollte sich darüber klar werden, was er eigentlich ist. Vertritt er die Interessen der in Deutschland lebenden Juden? Oder versteht er sich als Sprachrohr des kriegslüsternen militanten Flügels der israelischen Regierung?   
 
Wie auch immer: Solidarität mit Israel in dem vom Zentralrat verstandenen Sinne? Nein! Ein ganz entschiedenes Nein! Es gibt keine Solidarität mit Kriegsverbrechern.
 
Mit freundlichen Grüssen - Armin Fiand, Hamburg, den 16. Januar 2009