Zur Art der Berichterstattung über die Vorgänge in Gaza

Die Palästinenser in BRD sind über deutsche TV-Berichte aus Gaza erzürnt. Ahmed Aljazzar, der stellvertretende Vorsitzende der Palästinensischen Gemeinde in Hessen, erklärte, dass die Militäroffensive Israels gegen die Menschen im Gazastreifen in den Medien sehr unterschiedlich dargestellt werde [1]. Er sei von der einseitigen Berichterstattung der deutschen Sender enttäuscht.

»Laufend ist die Rede von Radikalpalästinensern und Terroranschlägen, die diese verüben. Die Israelis werden als die Guten hingestellt, die sich selbst verteidigen oder Aktionen machen. Es scheint, als berichteten die Journalisten nicht unabhängig, sondern im Sinn der Bundesregierung. Viele von uns betrachten es als Zeitverschwendung, Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender ARD oder ZDF einzuschalten. In der Gemeinde herrschen Ärger und Wut auf die Regierung und die Sender, die einige als Regierungssender wahrnehmen.«
 
Was wir nicht in der Tagespresse fanden, war folgender Aufruf des Higher Follow-Up Committee for Arab Citizens of Israel, die Daniel Neun aufgezeichnet hat 2:
 
Generalstreik der arabischen Bürger Israels: Erklärung  
In Israel haben die arabischen Staatsbürger den Generalstreik ausgerufen. Diese 1.5 Millionen Israelis drohen zudem mit einer unbefristeten Arbeitsniederlegung, wenn das Militär die Angriffe auf Palästina fortführt oder gar in Gaza einmarschiert. Das »Higher Follow-Up Committee for Arab Citizens of Israel«, welches alle arabischen Abgeordneten des israelischen Parlamentes sowie Bürgermeister und lokale Politiker umfaßt und fast 20 % der Bevölkerung repräsentiert, veröffentlichte am 28. 12. 08 zu ihrem Aufruf folgende Erklärung: 
 
- Wir betrachten die israelische Aggression gegen die Palästinenser in Gaza als einen Anschlag auf das gesamte palästinensische Volk und sehen es als unsere Pflicht an, Widerstand zu leisten, um die Belagerung zu durchbrechen.
- Wir betrachten Israel mit seinen politischen und militärischen Einrichtungen als einen kriminellen Staat, der Völkermord begeht, Kriegsverbrechen verübt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Menschen im Gazastreifen. Wir sagen dies in der Gewißheit, daß das palästinensische Blutvergießen im gegenwärtigen Wahlkampf in Israel instrumentalisiert wird.
- Wir begrüßen den entschlossenen Willen der Palästinenser, angesichts des aggressiven Vorgehens Israels standfest zu bleiben und ihre menschliche Würde zu bewahren.
- Wir verurteilen die internationale Komplizenschaft mit der israelischen Aggression und betrachten dieses Schweigen als Teilhabe an den Verbrechen. Wir weisen die Ansicht, die Palästinenser oder die islamische Widerstandsbewegung Hamas seien für die Situation verantwortlich, und nicht etwa Israel, strikt zurück.
- Wir rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, ihre moralische und rechtliche Verantwortung wahrzunehmen, Sanktionen und Boykottmaßnahmen gegen Israel zu beschließen, als einem Staat, der sich zum Terrorismus bekennt und vorsätzlich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht.
- Wir verurteilen die Komplizenschaft der offiziellen arabischen Institutionen, die von Israel zur Durchführung seiner Aggressionen genutzt wird, und verurteilen die allgemeine Schwäche der Araber. Wir rufen sie dazu auf, ihre Botschaften in Israel zu schließen und es zu boykottieren. Wir rufen Ägypten dazu auf, durch die Öffnung aller Grenzübergänge die Belagerung von Gaza zu durchbrechen.
- Wir verurteilen die unterwürfigen offiziellen arabischen Erklärungen, denen zufolge die palästinensische Führung in Gaza für die israelische Aggression verantwortlich ist. Wir fordern die Führung der palästinensischen Autonomiebehörde auf, sofort alle Verhandlungen mit Israel zu beenden, die dazu benutzt werden, um die Spaltung der Palästinenser in der Westbank und Gaza zu fördern.
- Angesichts der israelischen Aggression unterstützen wir den Ruf nach nationaler Einheit der Palästinenser und die vollständige Unterstützung des Widerstandes.
- Wir begrüßen die Standfestigkeit unseres Volkes und seiner Unterstützer in der arabischen Welt und anderswo sowie der Palästinenser in Israel selbst, die sich der blutigen Aggression Israels gegenübersehen.
- Wir rufen alle Menschen dazu auf, individuell und als Gemeinschaft größte Bereitschaft aufzubringen, um den nationalen Rettungsplan zu unterstützen. Dazu gehören das Spenden von medizinischem Bedarf, Blut und Nahrungsmittel als Unterstützung für Gaza, um die Belagerung zu durchbrechen.
- Wir rufen alle Palästinenser und unsere Unterstützer in der Welt auf, unser Anliegen zu teilen und größere Bereitschaft aufzubringen, den Kampf zu verstärken, mit dem Ziel, die israelische Aggression zu besiegen und unsere palästinensische Nation zu schützen.
 
Die Kommunistische Partei Israels (KPI) ihrerseits hatte am 27. 12. 08 wie folgt Stellung genommen:
Die Kommunistische Partei Israels und Hadash (Demokratische Front für Frieden und Gleichberechtigung, die Wahlpartei, deren Kern die KPI bildet) verurteilen den heutigen tödlichen Angriff der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen, durch den über 150 PalästinenserInnen getötet wurden 3. Die KPI ruft die kommunistischen und Arbeiterparteien und sozialen Bewegungen in aller Welt auf, gegen diese israelischen Kriegsverbrechen zu mobilisieren und appelliert an die internationale Gemeinschaft, Sanktionen gegen Israel durchzuführen und Tzipi Livni, Ehud Barak sowie andere Vertreter der politischen und militärischen Führung wegen dieser eklatanten Kriegsverbrechen, die im Zuge des israelischen Wahlkampfs begangen werden, unter Anklage zu stellen. Bereits am 26.12. waren Hunderte von Menschen zu einer Demonstration ins Zentrum Tel Avivs gekommen, um gegen die erwartete, mit den palästinensischen Raketenangriffe aus Gaza begründete israelische Militäroperation zu protestieren. »Ich schlage vor, einen andern Weg zu beschreiten«, sagte Dov Khenin, Hadash-Abgeordneter in der Knesset und führendes Mitglied der KP Israels. »Ein wirklicher Friedensprozeß muß mit der von Abbas geführten Palästinensischen Behörde angestrebt werden«, sagte er. »Das Tragische dabei ist, daß er möglich ist. Er muß nur gewollt werden.« In einer früheren Erklärung hatte Khenin betonte »Ein umfassender Krieg in Gaza wäre gefährlich und unnötig und würde das Leben Tausender Bewohner des Gazastreifens und der westlichen Negev gefährden.« »Krieg ist keine Lösung für das Problem der Kassam-Raketen«, fuhr er fort. »Es gibt einen anderen Weg: ein wirklicher Waffenstillstand, nicht nur eine Gefechtspause, sondern auch eine Beendigung der Gaza-Blockade und des extremen Leidens von anderthalb Millionen Menschen.«
 
Der Artikel ›Protest wird verschwiegen - Die Militäroperation Israels gegen Gaza wird seit Beginn von Demonstrationen im ganzen Land begleitet. Die Öffentlichkeit erfährt davon fast nichts‹ von Sophia Deeg von der jungen Welt hält das Interview fest, das diese am 31. 12. mit Hagai Matar führte; die nachfolgenden Auszüge sind diesem Gespräch entnommen 4. Matar, der damals 18jährige israelische Kriegsdienstverweigerer, erklärte am 23. Oktober 2002: »Die Unterdrückung kritischen Denkens in Israel, die totale Akzeptanz der Verbrechen der Besatzung, die Vergötterung der Armee und die sich allmählich breitmachende Zustimmung zu den Prinzipen derethnischen Säuberung, all das sind nur Teilaspekte des Zusammenbruchs unserer Gesellschaft. (…) Ich lehne es ab, mich an all dem zu beteiligen.« Nach dieser Erklärung trat er eine einjährige Haftstrafe an. Auf die Frage, ob es, wie es uns die Medien weismachen, in Israel tatsächlich kaum Stimmen gegen die Militäroperation im Gaza-Streifen gebe, erklärte Matar: »Sobald wir von den Luftangriffen auf Gaza erfuhren, haben wir die erste Demonstration organisiert und ein Bündnis aus antimilitaristischen Gruppen, Menschenrechtsorganisationen und anderen gebildet, die Coalition against the War on Gaza. Den Begriff »Krieg« finde ich dabei problematisch; denn es handelt sich nicht um einen Krieg zwischen Armeen, sondern um den Überfall einer hochmodernen Armee auf eine schutzlose Bevölkerung. Seit dem ersten Tag hat es überall im Land ungezählte Demonstrationen gegeben, in den palästinensischen Ortschaften in Israel, vor  Regierungsgebäuden und auch im Süden des Landes, der unter dem Raketenbeschuß aus Gaza leidet. Aber auch hier wird all das von den Medien totgeschwiegen. Das gilt auch für eine wichtige Bürgerinitiative in Sderot und Umgebung, der Region also, die am härtesten vom Beschuß durch Kassam-Raketen aus Gaza betroffen ist. Dort haben bisher fast 2000 Bürger eine Petition unterzeichnet, in der sie die Regierung zu einer Einstellung der Angriffe auf Gaza auffordern. Sie sind der Auffassung, daß nur durch Waffenruhe und Verhandlungen ihr Leiden und das ihrer Nachbarn in Gaza beendet werden kann.« Matar legte dar, dass er zwar kein Anhänger der Hamas sei, diese jedoch als Partner betrachtet. »Die Hamas hat mehrfach eine 20- bis 30jährige Waffenruhe angeboten, die es erlauben würde, zu leben und eine Lösung zu verhandeln. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis gestellt, indem sie Waffenruhen einhielt, selbst wenn Israel sie gebrochen hat. Doch es gibt nicht nur die Hamas, sondern Partner unter den Palästinensern, die uns näher stehen, die mit uns zusammenarbeiten wollen und mit denen wir, als Graswurzelbewegungen, tatsächlich zusammenarbeiten.« Eine der abschließenden Fragen war wie folgt: »Aber war es nicht die Hamas, die die jüngste Waffenruhe gebrochen hat?« »Keineswegs. Die Öffentlichkeit hier in Israel wie außerhalb scheint in dieser Hinsicht sehr vergeßlich zu sein. Israel hat bereits im November das Waffenstillstandsabkommen gebrochen, als es bei einer Militäraktion drei Palästinenser tötete. Die Hamas hat stillgehalten. Und das, obwohl der Belagerungszustand während der gesamten Zeit der Waffenruhe die Bevölkerung des Gazastreifens strangulierte und Todesopfer forderte, z. B. dadurch, daß Menschen lebensnotwendige medizinische Versorgung vorenthalten blieb. Nach Ablauf der Waffenruhe bot Hamas weiterhin an, zu ihr unter der Bedingung zurückzukehren, daß Israel die Blockade des Gazastreifens für elementare Versorgungsgüter aufheben und die Bombardements einstellen würde.« Matar legte ferner dar, »daß die Brutalität, mit der die israelische Armee gegen die gewaltlosen Proteste in der Westbank gewöhnlich vorgeht, seit Beginn der Militäroffensive gegen Gaza signifikant größer wurde.«
 
Am 28. 12. 08 hatten die Enthüllungen der Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi für Tumulte in Kairo gesorgt 5. Diese hatte in ihrer Sonntagausgabe »diplomatische Quellen« zitiert, wonach »Ägyptens Minister für Geheimdienste, Omar Suleiman, die Hamas betrogen habe, da er sie glauben machte, Israel würde den Gazastreifen in der nahen Zukunft nicht angreifen«. Diese »Desinformation« habe dazu geführt, so die Zeitung, »daß die Hamas ihre Hauptquartiere und Sicherheitseinrichtungen nicht evakuierte«. Al-Quds Al-Arabi zitierte eine Quelle aus dem Umfeld des ehemaligen palästinensischen Außenministers Mahmud Al-Zahar. Demnach hatte Kairos Geheimdienst »noch am Freitagabend (26.12.08)« der Hamas mitgeteilt, »Israel sei jetzt zu Gesprächen über einen Waffenstillstand bereit und werde nicht vor Ende der diplomatischen Bemühungen angreifen«. Die Zeitung behauptete darüber hinaus, Geheimdienstchef Suleiman habe insgeheim eine Reihe arabischer Führer überzeugt, daß Israel nur eine »begrenzte Operation« in Gaza führen werde, um die Hamas zu einem neuerlichen Waffenstillstand zu zwingen. »Unfug«, klagte der palästinensische Publizist Hakam Abdel-Hadi am 28.12.: Die Waffenruhe, die von Juni 2008 bis Mitte Dezember bestand, sei »ohnehin von Israel nicht eingehalten worden.« Israel habe in diesen sechs Monaten etwa 200 Palästinenser liquidiert. Dafür, daß die Enthüllungen der in London erscheinenden Al-Quds Al-Arabi zutreffen, sprechen zahlreiche Agenturberichte aus dem Gazastreifen, wonach die Hamas »von den Angriffen offenbar völlig überrascht« worden sei, und dies trotz der Drohungen Tel Avivs. So seien unter anderem »Hunderte neuer Hamas-Polizisten mitten in Gaza während der Abschlußzeremonie ihrer Ausbildung »mit einer speziell gegen Menschen gerichteten Rakete mit Tausenden Metallpfeilen angegriffen« worden: »40 Uniformierte waren auf der Stelle tot«, so Agenturberichte (zitiert laut Tagesspiegel, 29.12.08). Anmerkung politonline: Von seltenem Zynismus zeugt folgende in dem Artikel wiedergegebene Erklärung: »Die israelische Zeitung Yediot Aharonot sprach am Sonntag von einem brillanten Schlag der Luftwaffe. Der Überraschungsangriff sei auf die außerordentliche Sorgfalt, mit der die Hamas in ein Gefühl der Selbstsicherheit eingelullt wurde, zurückzuführen.Desinformation und Geheimhaltung hätten der Palästinenserorganisation in der Woche vor der Bombardierung die Einschätzung nahegelegt, daß ein größerer Angriff nicht unmittelbar bevorstehe‹.«  
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/01-03/056.php
»Unsere Familien werden dort umgebracht« Palästinenser in BRD wütend über deutsche TV-Berichte aus Gaza. Antikriegsproteste am Wochenende. Ein Gespräch mit Ahmed Aljazzar
Interview: Gitta Düpperthal
2 http://www.radio-utopie.de/2008/12/29/Generalstreik-der-arabischen-Buerger-Israels-Erklaerung The Higher Follow Up Committee for Arab Citizens of Israel - Bericht von Daniel Neun; 29. 12. 08
3 http://www.jungewelt.de/2009/01-03/041.php KP Israels verurteilt Angriffe auf Gaza; auszugsweise; vollständiger Text: www.maki.org.il
Übersetzung aus dem Englischen: Hermann Kopp
4 Quelle:
http://www.jungewelt.de/2009/01-03/039.php Das vollständige Gespräch mit Hagai Matar im Internet: www.youtube.com
5 Mubaraks Dolchstoß - Enthüllungen über Rolle des ägyptischen Geheimdienstes beim Überfall auf Gaza sorgen in Kairo für Tumulte. »Höchste Alarmbereitschaft« verfügt – Von Jürgen Cain Külbel: