Als ob der Gehirnwäsche noch nicht genug wäre......

politonline d.a. Von welchen Vorstellungen die Abgeordneten in Strassburg mitunter ausgehen, ist schwer nachvollziehbar. Nun dürfte allseits begriffen worden sein, daß wir bereits durch die Tagespresse einem nicht zu unterschätzenden Quantum an Gehirnwäsche ausgesetzt sind. Das reicht offenbar noch nicht aus, denn einem Bericht von German Foreign Policy zufolge [1] verlangt der deutsche Europaabgeordnete Jo Leinen (SPD) die Unterstellung sämtlicher EU-Regierungen unter eine einheitliche PR-Strategie.

Hintergrund sind Bemühungen, mit intensiver Propaganda auf die Bevölkerung Irlands einzuwirken, um in einem zweiten Referendum ein Ja zum Vertrag von Lissabon zu erhalten. Solche PR-Maßnahmen müßten in allen EU-Ländern durchgeführt werden, weil man überall mit Widerständen zu rechnen habe, fordert Leinen. Das klingt ganz so, als setze er bei jeder EU-Initiative Brüsssels die willenlose Unterwerfung der Bevölkerung voraus. Mit solchen Leuten ist uns in meinen Augen in keiner Weise gedient, schon deswegen nicht, weil gewisse, als diktatorisch zu beurteilende Züge des Lissabon-Vertrags in aller Offenheit von diversen Stellen gebrandmarkt wurden, was Herr Leinen, wie es scheint, nicht weiter erfaßt hat. Nun hatte Irlands Aussenminister Michael Martin bereits am 16. 7. zum Ausdruck gebracht, daß die Iren nicht die Absicht hätten, sich von wem auch immer einschüchtern zu lassen. Wenn Sarkozy als amtierender EU-Ratspräsident nach Irland reise, solle er besser »auf Zuhören schalten«, ließ Martin im irischen Radio verlauten. Die oppositionelle Partei Sinn Fein nannte Sarkozys Forderung nach einem zweiten Volksentscheid »zutiefst beleidigend«. Seit dem Nein der Iren gegen den EU-Reformvertrag Mitte Juni habe eine EU-Regierung nach der anderen versucht, »uns das aufzudrängen und aufzuzwingen, was sie wollen«, sagte ein Sprecher von Sinn Fein. Der Empfang für Sarkozy am 21. 7. war kühl gewesen. Schon vor seinem Eintreffen hatten Hunderte von Menschen gegen ihn demonstriert.
 
An Arroganz fehlt es den EU-Politikern in meinen Augen ganz sicherlich nicht. So hatte Sarkozy vor Parteifreunden zum Thema Lissabon-Vertrag erklärt, daß Irland ein zweites Mal abstimmen müssen wird 2. Unterdessen kristallisiert sich, wie GFP berichtet, in Dublin ein Zeitplan für das weitere Vorgehen bei der Durchsetzung des Vertrags von Lissabon heraus. Demnach stünde im kommenden Jahr die Wiederholung des Referendums bevor; der Druck aus den kerneuropäischen Staaten, möglichst rasch eine zweite Abstimmung anzusetzen, führt zu schweren Verwerfungen in Irland. Die Bevölkerung lehnt die Revision ihres Neins vom Juni dieses Jahres mit überwiegender Mehrheit ab. Einer von der irischen Regierung veranlaßten Umfrage zufolge, sollen mangelhafte Kenntnisse des Vertrags das am häufigsten genannte Motiv für die Ablehnung gewesen sein, was sich durchaus bezweifeln läßt. So heißt es inzwischen, daß mindestens ein Viertel der Wähler bei entsprechenden PR-Massnahmen wohl noch umzustimmen sei. Auf Grund der Umfrageergebnisse fordert Leinen nun neue PR-Maßnahmen. Nun müßte sich Leinen, zumindest sollte man das erwarten, eigentlich Rechenschaft darüber ablegen, daß es mit einer demokratischen Sicht der Dinge schwer zu vereinbaren ist, wenn den Iren mit dem, was ich als geschicktes Brainwashing sehe, ein Ja abzuringen versucht wird. Ein akzeptables Vorgehen bestünde einzig und allein darin, sie von dem Vertrag doch noch zu überzeugen, sollten sie sich tatsächlich zu einem erneuten Referendum überreden lassen.
 
PR-Maßnahmen, verlangt Leinen ferner, dürften jedoch nicht auf Irland beschränkt bleiben, sondern müßten in allen EU-Staaten umgesetzt werden; schließlich gebe es fast überall in der Bevölkerung vergleichbare Kritik am Vertrag von Lissabon. Wie wäre es, wenn Leinen  den Vertrag einmal genauer untersuchen wollte, da er dann festzustellen müßte, daß diese absolut berechtigt ist, und daß die Zeiten, in denen Verträge dieser Art einfach oktroyiert werden, eigentlich vorbei sein sollten. Wie der SPD-Politiker darüber hinaus fordert, »sollen sich die nationalen Regierungen jeweils der PR-Strategie Brüssels unterstellen. Das allerdings liefe auf eine weitere Entmachtung der einzelnen EU-Staaten hinaus. Es ist ein Skandal, sagt der Abgeordnete jetzt, daß der Ministerrat - und damit die Regierungen in der EU - (...) immer noch ein gemeinsames Kommunikationskonzept mit dem Parlament und der Kommission verweigert. Leinen zufolge geschieht dies nicht, um einen weiteren Souveränitätsverlust zu vermeiden, sondern aus niederen Motiven (Arroganz und Ignoranz)«. Wer hier indessen ganz offensichtlich ein gerütteltes Mass an Überheblichkeit und Arroganz gepachtet hat, das dürfte dem Leser dieser Zeilen klar sein.
 
Wie GFP ausführt, offenbart Leinens Forderung ein weiteres Mal die deutsche Sorglosigkeit bei Eingriffen in die inneren Angelegenheiten der EU-Mitgliedstaaten. Die nationalen Regierungen verlören, stimmten sie einheitlichen PR-Massnahmen zu, nicht nur Einfluß auf die Außendarstellung der EU-Politik in ihrem Land. In Irland geriete Brüssel damit auch in Konflikt mit nationalem Recht: Dort ist es nicht erlaubt, Regierungsgelder für einseitige Kampagnen zu verwenden - eine Bestimmung, welche im Frühjahr die Werbung Dublins für den Vertrag von Lissabon verkompliziert und zu Rechtsbeschwerden gegen Projekte der Regierung geführt hat 3. Schon diese Projekte resultierten vor allem aus dem Druck, den die EU und einige Mitgliedstaaten, vor allem Deutschland, auf Dublin ausübten - mit dem Ziel, den Lissabon-Vertrag um jeden Preis durchzusetzen. Derselbe Druck lastet weiterhin auf der irischen Regierung. Erst kürzlich hat der einflußreiche deutsche Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) bekräftigt, man sei zum Verzicht auf den Vertrag nicht bereit. So sieht offenbar die den EU-Bürgern des öfteren verkündete Mitbestimmung im Klartext aus.
 
Wie GFP weiter berichtet, »hätten euroskeptische Zeitungen aus Großbritannien in Irland deutlich an Einfluß gewonnen; dasselbe gelte für die konservative Presse religiösen Ursprungs, die ebenfalls EU-kritische Züge trage. Vor allem aber, heißt es, erodiere die Medienkontrolle in zwei Bereichen. Zum einen verlören staatliche Rundfunk- und Fernsehsender immer mehr Hörer und Zuschauer an kleine Privatstationen, die stärker auf Unterhaltung fokussierten. Daneben zeige sich immer deutlicher, daß das Internet auch Kreisen außerhalb des herrschenden Establishments Zugang zur Öffentlichkeit biete. Dementsprechend habe im Internet, einem Medium, das insbesondere jüngere Menschen vorrangig nutzen, die No-Kampagne klare Vorteile gegenüber den etablierten Eliten verbuchen und die üblichen Kontrollmechanismen durchbrechen können. Der partielle Kontrollverlust im Mediensektor trägt zu der Forderung nach einer EU-weit stärker zentralisierten PR-Strategie - wie sie der deutsche Europapolitiker Leinen vertritt - bei. Auf die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen reagiert Berlin mit einer Straffung der amtlichen und halbamtlichen Kommunikationspolitik - einer EU-weiten Formierung der öffentlichen Meinung zugunsten der deutschen Hegemonie.« Man kann nur hoffen, daß nicht auch noch diese Rechnung aufgeht.
 
1 Quelle (gekürzt): http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57332 15.09.2008
Irland ist überall; Hervorhebungen durch politonline
2 swr2 Nachrichten vom 21. 7. 08
3 Marie McGinley: Die Ratifizierung des Lissaboner Vertrages in Irland. Die Europadebatte im Vorfeld des Referendums; SWP Berlin, Diskussionspapier der FG 1, 2008/10, Mai 2008